Fremdgänger: Hochstapler an Elite-Unis

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Oxford, die Heimat des „Hochstapler-Syndroms“: Unsere Autorin hat das Gefühl, ihre Mitstudenten in Oxford machen sich mit noch mehr Zweifeln Gedanken über die Zukunft, als es die Studenten in München tun.

Ganz bestimmt werden wir alle arbeitslos sein. Obwohl wir einen Abschluss in Oxford gemacht haben. Ich warte gerade auf zwei Kommilitonen im Eingangsbereich meiner Fakultät, als ich ein wenig ungewollt das Gespräch einer Gruppe von Studierenden mit anhöre. Es geht um Stellenausschreibungen bei Internationalen Organisationen, NGOs, den Vereinten Nationen und der EU. „Ich stelle gerade fest, dass ich hoffnungslos unterqualifiziert bin für all diese Dinge“, sagt eine der Studentinnen und seufzt. Zustimmendes Gemurmel. Es folgt das notorische Googlen berühmter, erfolgreicher Weltenretter und deren Lebensläufe. So gut wie die werden wir niemals, so weit der allgemeine Konsens.

Recht schnell habe ich herausgefunden, dass Oxford die Heimat des „Imposter-Syndroms“, des „Hochstapler-Syndroms“ ist. Ein nicht geringer Anteil der Leute hier denkt, er sei zuallererst nicht gut genug, um überhaupt einen Platz an dieser Uni verdient zu haben. In einem zweiten, logischen Schritt sind wir davon überzeugt, „hoffnungslos unterqualifiziert“ zu sein für jeden potenziellen Beruf, den wir gerne ausüben würden, wenn wir das Studium abgeschlossen haben werden. Besonders dringlich werden diese Sorgen jetzt, da das zweite Trimester vorbei ist und die meisten Studierenden in einjährigen Masterprogrammen beginnen, sich Gedanken über die Zukunft zu machen. Hilfreich ist es dabei, dass unsere Oxford-Postfächer täglich von E-Mails überflutet werden – mit Einladungen zu Karriere-Messen, Jobangeboten und offiziellen Servicestellen der Universität, die bei der Erstellung eines professionellen Lebenslaufs unter die Arme greifen wollen.

Gedanken über die Zukunft machen sich Studenten in München genauso. Zweifel sind auch dort involviert. Zweifel, Abwägungen und Entscheidungen. Es mag tröstlich sein zu wissen, dass Studierende überall auf der Welt von den gleichen Sorgen und Unsicherheiten geplagt zu werden scheinen. Dennoch: Manchmal wünschte ich mir, meine Freunde in Deutschland in einem Gespräch mit den Studierenden hier in Oxford zusammenzubringen. Manchmal kommen mir die Sorgen, die hier geäußert werden, realitätsfern, um nicht zu sagen aufgesetzt vor.

Mag sein, dass es immer jemanden geben wird, der „besser“ ist als man selbst, auch wenn man es nach Oxford geschafft hat. Mag sein, dass es immer eine noch beeindruckendere Ausbildung gibt, und natürlich ist Erfolg auch immer abhängig von einem jeweiligen Ziel, das angestrebt sein mag. Es kann manchmal hilfreich sein, sich in Erinnerung zu rufen, was man schon erreicht hat und welche Möglichkeiten das mit sich bringt. Und dass es Menschen gibt, die von diesen Möglichkeiten vielleicht nicht einmal träumen können. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher: Wenn meine Freunde in München wüssten, wie unterqualifiziert sich viele Leute in Oxford fühlen, würde ich zu hören bekommen: „Was wollt ihr denn noch mehr als einen Abschluss an dieser Elite-Uni?“

Wahrscheinlich würde ich entgegnen: „Wisst ihr, Oxford ist auch nur eine Uni.“ Und: Die Ausbildung, die in Deutschland ermöglicht wird, ohne sich finanziell in dem Ausmaß verschulden zu müssen, wie das in England meistens der Fall ist, ist definitiv nicht weniger relevant für unseren späteren Beruf. Niemand von uns, der auch nur ein bisschen Leidenschaft, Ausdauer und Begeisterung mitbringt, wird am Ende seines Studiums ohne Arbeit dastehen. Da bin ich mir fast sicher. Aber ein bisschen Sorgen darf man sich doch noch machen, oder?

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat 

Fremdgänger: Am Rand der Tanzfläche

Auf den Partys in München war unsere Autorin meist nicht unter den Tanzenden zu finden. In Oxford lässt sie im Angesicht des neuen Umfelds alle Hemmungen fallen und scheint sich auf der Tanzfläche

plötzlich richtig wohl zu fühlen.

Meine Feinstrumpfhose klebt an meinen Fußsohlen. Ich brauche einige Zeit, um den, wie sich herausstellt, sehr effektiven Klebstoff aus Alkohol, Dreck und Schweiß zu lösen, ohne den seidigen Stoff zu zerreißen oder das Gleichgewicht zu verlieren. Es ist kurz vor ein Uhr morgens und ich stehe auf einem Bein balancierend in meinem Zimmer. Eine horrende Zeit für alle Oxfordstudenten, die um spätestens acht Uhr morgens geduscht und angezogen den Kampf mit ihren reading lists aufnehmen wollen oder müssen. Trotzdem war ich heute auf einer Party. BOP heißen diese Partys hier. Akronym für Big Opening Party. Meistens gibt es ein Motto – alles schon da gewesen: von ABBA über Noah’s Ark bis hin zu Halloqueen (Achtung: Wortspiele immer gern gesehen). 

Heute war James Bond dran – James BOP quasi. Und ich bin der Meinung, im langen, schwarzen Abendkleid und vor allem mit Zehn-Zentimeter-Stiletto-Absätzen, mit denen es ein Leichtes gewesen wäre, jeden potenziellen Angreifer zu erdolchen, mache ich einem Bond-Girl alle Ehre. Die Absätze waren dann aber auch der Grund, warum ich nach einer Stunde Tanzen doch auf Barfuß beziehungsweise Strumpfsockig umdisponiert und nun die Konsequenzen ob dieses Übermuts zu tragen habe: verklebte und verfärbte Fußsohlen und Feinstrumpfhose. So viel getanzt zu haben, dass ich mir tatsächlich die Schuhe ausziehen musste, ist jedoch an sich schon bemerkenswert, denn der Nerd, das bin normalerweise ich. Vor allem auf Partys. 

In München war ich immer ein bisschen zu steif, immer ein bisschen zu verkrampft, immer ein bisschen zu schüchtern. Und auf jeden Fall immer ein bisschen zu nüchtern, um als wirklich „cool“ im Münchner Sinne des Wortes gelten zu können. Damit hatte ich mich dort eigentlich schon ganz gut abgefunden. Ebenso wie mit dem Gefühl, dass die Partykultur in der bayerischen Landeshauptstadt in all den Jahren ein für mich nicht wirklich zugängliches Reich geblieben ist, so gern ich auch dazugehört hätte. Tanzen gehen blieb für mich immer mit dem Anspruch verbunden, irgendwo dazuzugehören und einem bestimmten Bild entsprechen zu müssen.

Oxford stellt diese Ordnung jedoch interessanterweise auf den Kopf. Während ich mich in München im Vergleich zu all den erfahrenen Club-Tänzern stets außen vor gefühlt habe, bin ich in Oxford auf einmal die Tanzflächen-Attraktion. Mag sein, dass sich die vielen Stunden Tanzunterricht mittlerweile doch auszahlen. Oder aber, ich lasse auf einmal jegliche Hemmung fallen, angesichts all dieser klugen Menschen, die tagsüber an den Problemen der Welt knobeln, während sie in der Nacht (oder sagen wir: am Abend) eher an unbeholfene Teenager auf den ersten Jugendtreffpartys erinnern, wie sie unsicher zu Radiomusik mit dem Kopf oder dem Fuß wippen. Vielleicht ist es eine Kombination aus beidem, noch zusätzlich verstärkt durch die Tatsache, dass mich mein Körper in diesen (seltenen) Momenten, in denen ich ihm eine Auszeit von all der Lernerei gönne, daran erinnert, wie befreiend die Dunkelheit der Nacht sein kann. 

Gerade kommt mein Mitbewohner mit strahlenden Augen auf mich zugetanzt, während ich dabei bin, durchgeschwitzt und strumpfsockig, aber verdammt glücklich, zu einem alten Chartsong auf und ab zu hüpfen. „Du weißt, wie man tanzen geht“, sagt er mit überraschter Anerkennung im Blick. Insgeheim bin ich dankbar für all die Jahre in München, in denen ich Zeit hatte, mir, mit dem Kopf und dem Fuß wippend, vom Rand der Tanzfläche abzuschauen, wie man tatsächlich tanzen geht.


Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat

Zeichen der Freundschaft: Diktate und Diddl-Blätter

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Die frühere Konkurrentin in der Schule entpuppt sich im Laufe der Jahre als sehr gute Freundin. Unsere Autorin beschreibt eine Reise

über Umwege

hin zu einer Freundschaft, die auch trotz Entfernung immer noch standgehalten hat.

Erste
Klasse, Deutschunterricht. Die Lehrerin teilt die verbesserten Diktate aus und
du bekommst ein großes Lob. Nur ein Fehler, Klassenbeste. Dein Blick geht in
meine Richtung und du schaust mich triumphierend an. Ich schaue mit bösem Blick
zurück. Auch ich bekomme ein Lob, bei mir sind es aber zwei Fehler. Dieses
Erlebnis war der Auftakt eines vierjährigen Kampfes in der Grundschulzeit: Wer schreibt
die besseren Diktate? Mal hast du gewonnen, mal ich. Einmal waren wir beide die
Besten: „Helene und Serafina, ihr könnt stolz auf euch sein, ihr habt keinen
einzigen Fehler gemacht.“ Anstatt vor Freude zu strahlen, haben wir uns aber wieder
gegenseitig böse angeschaut, weil dieses Mal keine über die andere triumphieren
konnte.

Irgendwann
haben wir dann gemerkt, dass wir beide Diddl-Blätter lieben. Wir trafen uns
mehrere Nachmittage in der Woche, tauschten bunte Blätter aus und diskutierten
fachmännisch, welche davon mehr Wert hätten und welche man nicht gebrauchen
könnte. Natürlich kam der ein oder andere neidvolle Blick, wenn ich den neusten
Diddl-Radiergummi hatte oder du deinen neuesten Diddl-Kalender gezeigt hast.
Aber wir fingen an uns zu mögen und haben dann auch eine andere gemeinsame Leidenschaft
entdeckt: Das Tanzen. Jeden Dienstagnachmittag sind wir zur Tanzschule gefahren
und waren immer bei Auftritten oder während des Trainings Tanzpartnerinnen.
Noch heute hab ich die Anweisungen der Tanzlehrerin im Kopf: „Vor, rück, cha
cha cha, rück, Platz, cha cha cha, Drehung kommt, cha cha cha…“.

Auf dem
Gymnasium haben wir beide jeweils einen eigenen Freundeskreis gefunden. Wir
haben dadurch zwar wenig miteinander unternommen, uns aber nie aus den Augen
verloren. Sei es wegen eines gemeinsamen Referats, um unsere Geschichtsnote mit
Napoleon aufzubessern, oder weil wir auf Geburtstagspartys Klingelstreiche
gemacht haben. Mal haben wir uns fürchterlich gestritten und dann waren wir die
besten Freundinnen. Diese Freundschaft wurde auch nach der zehnten Klasse
weitergeführt, als wir beide die Schule wechselten. Wir haben uns nicht mehr
täglich gesehen, doch wir konnten uns immer auf die Andere verlassen.

Nach dem
Abitur ging jede ihren eigenen Weg. Du bist zum Studieren nach Hessen gezogen
und ich in die bayerische Landeshauptstadt. Wir haben uns deutlich seltener
gesehen. Doch trotz der größeren Distanz wurde die Freundschaft enger als je
zuvor, was daran lag, dass wir uns über mehrere Jahre seitenlange Briefe
geschrieben haben – der Rekord liegt bei 70 Seiten. Gerne denke ich an meinen
Weg zum Briefkasten zurück: Mit der Hoffnung, dass der Postbote den sehnlichst
erwarteten Umschlag dabei hat. Die Freude, wenn die „Lach-
und Sachgeschichten“ dann endlich angekommen waren und ich dazu kleine
Geschenke in Form von Fotos, Karten oder Süßigkeiten bekommen hatte. Jedes Mal
habe ich mich auf deine Geschichten gefreut: Seltsame Begegnungen,
Missgeschicke oder Flüche, weil der Lieblingskugelschreiber beim Schreiben seinen
Geist aufgegeben hatte. Dank dieser Briefe hat es sich nie danach angefühlt,
dass 300 Kilometer zwischen uns lagen.

Nun hat es
dich auch nach Bayern verschlagen (auch wenn ich dank dir gelernt habe, dass die
Franken keine Bayern sind): Wir sehen uns endlich wieder häufiger und stoßen
mit Weinschorle auf unsere Freundschaft an. Wir ernten entgeisterte Blicke vom
Türsteher, wenn wir bei der Taschenkontrolle vor einer Bar unsere vollen Tüten
mit den Schuhen von unserer Shoppingtour zeigen. Nachts um drei gönnen wir uns
dann Pommes. In solchen Momenten bin ich dankbar für diese wertvolle
Freundschaft und die vielen gemeinsamen Erinnerungen. Ich kann es kaum glauben,
dass wir uns vor 17 Jahren mal böse angeschaut haben.

Wir haben
uns beide weiterentwickelt, aber eine Sache ist gleich geblieben und wird
hoffentlich immer gleich bleiben: unsere Begrüßung. Wir schauen uns damals wie
heute beim verabredeten Treffpunkt verwirrt um, laufen ein paar Mal aneinander
vorbei. Nach einigen Minuten sehen wir uns dann endlich, brüllen zeitgleich
„Sirraaaa“, „Heliiii“ und rennen aufeinander zu. Wer hätte gedacht, dass aus zwei
Konkurrentinnen mal so gute Freundinnen werden können?

Text: Serafina Ferizaj

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft: Aller guten Dinge sind drei!

Ein Dreiergespann in einer Freundschaft kann kompliziert, oder aber auch ganz zauberhaft sein. Unsere Autorin hat das Glück, ein solches Gespann von der zweiten Sorte zu haben, das sie schon ihr ganzes Leben lang begleitet.

Ein warmer Sommertag – irgendwann
zwischen 1996 und 2017. Wir stehen nackt im grünen Garten. Dicht
aneinandergereiht und unter großen, gelben Sonnenschirmen. Hinter
uns ein türkisfarbenes Planschbecken, nicht größer als das darin
liegende orangefarbene Schlauchboot. Die Sonne kitzelt uns auf
unseren kleinen Bäuchen. Wir beißen unbeschwert in Amerikaner mit
viel Zuckerguss und lachen dabei verschmitzt in die Kamera. Es
schmeckt uns sichtlich und wir genießen den Moment.

Wir, das sind Amelie, Isabella und ich.
Drei Mädchen, die sich mit ihren unschuldigen Locken, dem
Topfhaarschnitt und den zarten Sonnenstrahlen im Gesicht auf dieser
Aufnahme so ähnlich sehen. Und doch könnten wir unterschiedlicher
nicht sein. Ein Moment aus den vielen Momenten unseren bisherigen
Lebens, die wir miteinander teilen durften und in denen wir wohl alle
drei das gleiche Glück empfanden: das Glück über eine tiefe und
enge Freundschaft.

Den Beginn unserer langen Freundschaft
haben wir unseren Müttern zu verdanken, die uns vor über 20 Jahren
fast zeitgleich auf die Welt brachten. Bei wöchentlichen Treffen
unserer sogenannten „Krabbelgruppe“ wurden wir liebevoll
miteinander bekannt gemacht. Uns wurden nebeneinander die Windeln
gewechselt, wir sind zusammen um die Wette gekrabbelt, haben zusammen
das Sitzen, das Laufen und die ersten Worte sprechen gelernt.

Auch wenn wir uns alle drei nur wenig
an unsere frühesten Kindheitstage erinnern können, so gibt es viele
Fotos und Erzählungen unserer Mütter, die uns glauben lassen, dass
wir bereits damals das Gefühl von starker Freundschaft verspürten.
Es sind die tiefen Wurzeln, die vielen gemeinsamen Erinnerungen, das
Wissen, dass wir immer füreinander da sind und immer da sein werden,
die unsere Freundschaft zu etwas ganz Besonderem machen. Und so ist
es heute nicht schlimm, wenn sich unsere Wege auch einmal trennen. Es
ist sogar gut so, denn wir sind erwachsen geworden. Eine jede hat
andere Ziele und Träume im Leben, die sie erreichen möchte. Eine
jede verfolgt ihren eigenen Weg und entwickelt sich weiter. Wir
werden älter. Umso schöner ist es, wenn wir es schaffen, uns zu
sehen. Stundenlang erzählen wir uns von unseren unterschiedlichen
Wegen, den jede von uns für sich geht. In diesen Momenten sind wir
uns wieder ganz nah. Wir erinnern uns gerne an die frühere,
gemeinsame Zeit zurück: Amelie war beliebt für ihr großes Barbie &
Ken-Equipment. Von Isabella konnte man lernen zu turnen oder es
zumindest versuchen. Bei mir wurde auf Vorrat für die Liebsten
gebastelt und gezeichnet. Wir bereicherten uns gegenseitig und sind
heute dankbar für die gemeinsamen Momente.

Dicht nebeneinander, nicht nackt,
sondern im Bikini, nicht mit zuckersüßen Amerikanern, sondern mit
Hugo und Aperol Spritz, sitzen wir bei Sonnenuntergang in der Beach Bar am Chiemsee. Wir lächeln noch genauso verschmitzt wie damals in
die Kamera. Man sieht uns an, dass wir den Moment genießen.
Vergleicht man die Bilder von früher und heute, so hat sich einiges
verändert. Nicht nur optisch haben wir uns gemacht, sondern auch
persönlich haben wir uns weiterentwickelt. Wir tragen keinen
Topfhaarschnitt mehr. Wir spielen nicht mehr mit Barbie & Ken.
Wir können bei weitem nicht alle turnen oder mit selbstgebastelten
Kunstwerken Geld verdienen. Und die Amerikaner sind auch nicht mehr
so lecker wie früher.

Trotz vieler Veränderungen ist Eines
gleich geblieben, das uns keiner nehmen kann: das Empfinden vom Glück
über eine tiefe und enge Freundschaft und das Gefühl, eine Basis
gelegt zu haben, die so schnell nicht in die Brüche geht. Eine
Freundschaft, die uns seit 20 Jahren miteinander verbindet und die
hoffentlich für immer anhalten wird.

Text: Laura Schurer 

Foto: Yunus Hutterer

Fremdgänger: Alles geregelt

Sind Deutsche generell regelgehorsamer? Unsere Autorin pfeift in Oxford inzwischen wie ihre Mitstudenten auf so manche rote Ampel und entdeckt dabei feine kulturelle Unterschiede zu ihrer Heimat. 

Die Ampel springt auf Rot. Ich trete in die Pedale und sause über die rote Ampel. Zeit ist kostbar und Ampeln sind eher eine Empfehlung. Zumindest in Oxford. Zumindest für Radfahrer. Außerdem bin ich spät dran für ein Seminar und es regnet. 

Oxford und München bezüglich ihrer Verkehrslage und Infrastruktur zu vergleichen, ist Quatsch. München ist eine Millionenstadt, Oxford darf mit seinen 152 000 Einwohnern durchaus als Provinznest bezeichnet werden. Spannend zu beobachten ist jedoch, wie sich die Dimensionen dieser kleinen Stadt in meiner subjektiven Wahrnehmung von Zeit und Raum verschieben. Nachdem ich drei Jahre lang ungefähr eine Stunde für den Weg zur Uni einplanen musste, konnte ich es nach meiner Ankunft hier in Oxford einfach nicht glauben, dass ich innerhalb von nur fünf Minuten mit dem Rad zu meiner Fakultät gelangen konnte – und deshalb prinzipiell immer mindestens zehn Minuten zu früh in jeder Vorlesung saß. Jetzt, nach vier Monaten, kommen mir jedoch bisweilen sogar diese fünf Minuten zu lang vor. Jede rote Ampel kommt da irgendwie ungünstig. 

Deshalb hat sich parallel zu meiner neuen Wahrnehmung von Entfernungen auch eine gewisse Resistenz gegen Verkehrsregeln entwickelt. Denn Oxfords Verkehrssystem ist verwirrend. Ganz davon abgesehen natürlich, dass hier alle Autos auf der falschen Seite fahren (!), verästeln sich Straßen an den unwahrscheinlichsten und denkbar ungünstigsten Stellen, Ampeln funktionieren nicht oder sind so unmöglich geschaltet, dass man sich oft in der Mitte der Hauptverkehrsader befindet und nicht mehr weiterkommt, Einbahnstraßen tauchen aus dem Nichts auf, Fahrradwege führen einmal über den Fußgängerweg und dann wieder auf der Straße entlang, und von Schlaglöchern und porösem Asphalt und Wanderbaustellen will ich gar nicht anfangen.

Die ersten Male, als ich zögernd ein paar Radfahrern folgte, wie sie bei Rot skrupellos weiterfuhren, musste ich an eines meiner Ethik-Seminare in München denken. Es ging um Thomas Hobbes, den Leviathan und um die Frage, ob Gesetze in einem Staat immer befolgt werden müssen beziehungsweise ob ziviler Ungehorsam auch mal richtig sein kann. Ich erinnere mich deshalb an diese eine Stunde, weil das Beispiel von Verkehrsampeln genannt wurde. Wenn keine negativen Konsequenzen aus meiner illegalen Straßenüberquerung resultieren, ist es dann in Ordnung, das Gesetz zu brechen? Oder unterminiert das die gesamte Idee eines legitimierten Souveräns? Als ich dann einmal auf einer Party, relativ zu Beginn des Jahres in Oxford, meine Bedenken ob zivilen Ungehorsams an roten Ampeln äußerte, erntete ich einige Lacher. „You don’t have the time to wait for a traffic light – just think of all the reading you could be doing in the accumulated time over the years, that you spent waiting for the light to turn green“, wurde mir gesagt. 

Und auch wenn das auf den ersten Blick oberflächliche Überlegungen sind, so sagt es doch vielleicht mehr über feine kulturelle Unterschiede aus. Sind Münchner und Deutsche generell regelgehorsamer? Oder inwieweit sagt es etwas darüber aus, wie überlegt und vernünftig Bürger (zumindest im Straßenverkehr) miteinander umgehen können, selbst wenn sie nicht auf das offizielle grüne Licht der Ampel warten? Soweit ich weiß, passieren in Oxford nicht verhältnismäßig mehr Unfälle als anderswo.

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat

Zeichen der Freundschaft: Im Shopping-Wahn

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Lippenstift in Lachsfarben und Nagellack in der Frühlingsfarbe Weiß: Eine gute Freundin unserer Autorin hat sich längst auch zu ihrer ganz persönlichen Shopping-Beraterin entwickelt.

Ich lackiere noch meinen letzten Fingernagel zu Ende. Ein
Seitenblick auf die Uhr verrät mir, dass ich wieder einmal unpünktlich bin.
Caro wird es mir wie jedes Mal nachsehen, dass ich zu unserer Verabredung zu
spät komme. Sie ist meine liebste Shoppingbegleitung, und es ist wieder einmal
Zeit für unser gemeinsames Ritual: Mittagessen beim Chinesen mit anschließendem
Auskundschaften der neuesten Lippenstift- und Nagellacktrends für den Frühling. 

Mit Caro ist es geradezu unmöglich aus einem Laden mit leeren Händen wieder
rauszugehen. Caro fühlt sich in Kosmetikläden so, wie ein Affe in der freien
Wildbahn – sie ist ganz in ihrem Metier und avanciert unweigerlich zur
Verkäuferin: „Barbara, weißer Nagellack ist DIE Trendfarbe, ich weiß es und du
weißt es jetzt auch.“ Ich bin ihr dankbar für diese Information und greife
instinktiv zu einem weißen Nagellack. Meine shoppingsüchtige Freundin führt mir
immer wieder vor Augen, was in meiner Kosmetikabteilung alles noch fehlt – und
bemerkt dabei, was bei ihr selbst noch alles auf der ‚to-buy-Liste‘ steht: „Ich
will einen neuen Lippenstift, aber ich weiß nicht welche Farbe, ich brauche sie
alle!“ Mit weitgeöffneten Augen und zittrigen Händen greift sie nach einem
lachsfarbenen Lippenstift, von dem ich ihr dann aber abrate. Nach langem Durchprobieren
landen wir bei einem frechen Pinkton, den wir uns ehrfürchtig auf den
Handrücken tupfen. Mein anfängliches Zögern, ob ich auch einen Lippenstift
kaufen sollte, entkräftet Caro mit bestimmten Tonfall: „Barbara, einen Lippenstift
brauchst du unbedingt!“ Und ich finde, sie hat Recht: Dieses bunte Utensil macht
das Leben einfach farbenfroher. 

Mit wohliger Gänsehaut schreiten wir an die
Kasse – mit zwei Nagellacken – darunter die Frühlingsfarbe Weiß – drei
verschiedenen Lipplinern, einem Trockenshampoo, Haarpuder (laut Caro ein Must-have
für jedes Badezimmer) und Lippenstift in frechem Pinkton bewaffnet. Eine Stunde
Shoppen mit Caro ist wie ein einwöchiger Wellnessurlaub in Südtirol: Erfrischend
und wohltuend. Es macht mir Freude ihren malerischen Beschreibungen von
Kosmetikprodukten zu lauschen, und sie genießt es, wenn ich ihren Anweisungen Folge leiste: „Siehst du, wie butterweich sich dieser Kajal auftragen lässt?“

Dieses Produkt stehe laut ihrer Aussage überhaupt
nicht in Relation zu diesen fiesen, spitzen Billig-Eyelinern, die einem beim Auftragen
fast die Haut zerfetzen würden.

Ihre
Worte sind unbezahlbares Wissen, welches man nur mit den engsten Freundinnen teilt.
Ich wusste zum Beispiel nicht, dass man unter einem Lippenstift heutzutage
einen Lip Primer aufträgt, um unschöne Rillen zu verdecken. Genauso wenig
wusste ich, dass man gerötete Stellen im Gesicht mit grüner Concealerfarbe
wieder neutralisieren kann. Aber ich bin froh, dass Caro mir das alles erklärt. 

Einmal in den Semesterferien führen wir unser Shopping-Ritual fort und werden
dabei kontinuierlich übermütiger, was schlecht für meinen Geldbeutel ist. Einen
neuen Geldbeutel könnte ich übrigens auch gebrauchen. Caro hat mir bereits
einige Links geschickt – natürlich nur in den neuesten Frühlingsfarben.

Text: Barbara Forster

Foto: Yunus Hutterer

Von Freitag bis Freitag: Unterwegs mit Antonia

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Statt, wie ihre Freunde, in den Semesterferien um die Welt zu fliegen, lässt es sich unsere Autorin in München gut gehen. Und findet neben neuen Büchern und Tipps für Helden vielleicht sogar ein ziemlich gutes Geschenk für ihre Oma.

Semesterferien. Meine Freunde sind auf Fuerteventura, in
Thailand oder auf den Philippinen. Ich halte in München die Stellung. Ich muss
schließlich ein bisschen arbeiten, damit ich dann in den nächsten Ferien auch
mal wieder wegfliegen kann. Aber so lange ist es hier auch ziemlich schön. Vor
allem jetzt wo es langsam Frühling wird.

Am Freitagabend verschlägt es mich ins Münchner Forum für
Islam. Da gibt es eine sehr spannende und wie ich finde überaus relevante
Diskussion über feministische Visionen in Deutschland als Einwanderungsland. Nach
der Veranstaltung geht’s dann noch ab ins Bob Beaman. Da ist heute Monticule
Kick-Off #1
. Das Monticule-Festival ist ein kleines aber – wie ich mir sagen
hab lassen – sehr feines Elektro-Festival im Süden von Frankreich. Organisiert
wird das Ganze von ein paar Münchner Freunden, die Bock auf ihr eigenes
Festival hatten. Zur Einstimmung auf Südfrankreich tourt das Festival jetzt mit
Kick-Off-Events durch Europa und macht seinen ersten Stopp in München.

Es ist Samstag. Aber nicht irgendein Samstag, sondern
Indiebookday-Samstag. Um die kleineren Verlage und Buchläden zu unterstützen
gibt es an diesem Tag Aktionen von verschiedenen Buchhandlungen in München. Zum
Beispiel im Buch in der Au, in der Glockenbuchhandlung oder im buch&töne.
Im letzten Semester habe ich sowieso mal wieder zu viele Skripte, Theorien und
wissenschaftliche Arbeiten gelesen, da tut es gut auch mal wieder ein bisschen
in einem Roman zu schmökern.

Abends geht’s dann auf das Gratis-Festival Isarrauschen auf
der Praterinsel
. Bei mir als Studentin ist grundsätzlich schon mal fast alles
was gratis ist, sehr gut und wenn’s dann auch noch ein cooles Festival ist,
dann hält mich nichts mehr auf der Couch. Kleiner Hinweis: es ist jedoch nur
gratis, wenn man sich vor 20 Uhr von der Couch trennen kann. Danach kostet es 5
bzw. 10 Euro.

Das Wochenende ist schon fast wieder rum, dann kommt noch
der Sonntag vorbei. Und da werde ich zur echten Heldin, naja gut ich gehe auf
den Heldenmarkt im MVG Museum. Da kann man alles kaufen oder ausprobieren was
nachhaltig, biologisch und meist regional erzeugt ist. Außerdem gibt’s Infos,
wie man Lebensmittel retten kann oder auch Veganer werden kann. Sonntagabend
ist ein guter Abend um mal wieder ins Kino zu gehen, genauer gesagt ins
Bahnhofskino im Bahnwärter Thiel. Da läuft der schweizerische Film
„Silberwald“, in dem es um Rechtsradikalismus geht.

Monday = Funday? Oder wie war das nochmal? Gut, eigentlich
muss ich erstmal wieder ein bisschen arbeiten, aber trotzdem sind
Semesterferien und deshalb entdecke ich abends mal wieder meine künstlerische
Ader – die lange als verloren galt. Bei der ArtNight im Oliveto ist das Thema
dieses Mal die „Münchner Skyline“. Würde sich ganz gut in meinem Zimmer machen,
wenn’s was wird. Und wenn’s nichts wird, dann kriegt’s die Oma zum Geburtstag.
Die freut sich in jedem Fall. Also eine Win-Win-Situation.

Voraussichtlich mit einem Geschenk für meine Oma, wache ich
am Dienstag-Morgen auf und gehe erstmal ausgiebig frühstücken. Eine Freundin
aus Spanien ist zu Besuch in München. Also tagsüber volles Touri-Programm mit
Englischer Garten, Marienplatz und Viktualienmarkt. Abends verschlägt es uns
dann in die Milla zum JazzJam. Bei der monatlichen Jam-Session treffen sich
Studenten und Alteingesessene zum Musizieren.

Die Hälfte der Woche ist schon wieder vorbei. Am Mittwoch ist es Zeit
mal wieder ein bisschen zu arbeiten und das Thema für die Bachelorarbeit
erfindet sich leider auch nicht selbst. Abends aber noch zur WATER
is LIFE Vernissage
ins Lost Weekend zu gehen, kann ich mir dann doch nicht
verkneifen. Da werden Bilder der letzten Viva con Agua Projektreise nach Äthiopien
gezeigt.

Bier trinken und dabei Yoga machen? Klingt für mich wie ein
schlechter Scherz. Aber genau das gibt’s am Donnerstagabend bei der Pop Up Yoga
Bieredition
. Passend zur baldigen Biergarten-Saison. Und zur Wiesn ist’s ja
auch nur noch ein halbes Jahr. Da muss man vorbereitet sein.

In den Semesterferien ist zwar eigentlich jeder Tag irgendwo
Wochenende, aber ich freu mich trotzdem sehr, dass schon wieder Freitag ist. Da
sind einfach alle gut drauf und in der Stadt ist was los.
Mich zieht es an diesem Freitagabend ins Museum Brandhorst. Da herrscht „Postapokalistischer
Realismus“
. Bei der Veranstaltungsreihe werden Fragen aus Kunst, Film, Musik
oder Literatur zum Verhältnis aus Realität und Fiktion aufgegriffen und
diskutiert.  

Text: Antonia Franz

Foto: Privat

Zeichen der Freundschaft: 10 Schwedische Kronen

Bei Erasmus-Aufenthalten entstehen oftmals ganz besondere internationale Freundschaften. Eine solche hat unsere Autorin bei ihrem Studium in Schweden mit ein bisschen Glück und Zufall auch gefunden.

Es ist eisig kalt. Bibbernd und Zitternd stapfe ich in
meinen dicken Fellstiefeln zur S-Bahn. Meine Hände stecke ich tief in die
Taschen meiner extra warmen Fjällräven-Daunenjacke. Die habe ich seit meinem Erasmusstudium
im bis zu -26 Grad kalten Winter Stockholms nicht mehr aus dem
Schrank geholt. Und da spüre ich es. Etwas kühles, glattes, das gegen meine
Fingerspitzen stößt. Ich ziehe das flache und glänzende Ding heraus und fühle
mich sofort an den ersten Tag in Stockholm zurückversetzt.

Der  „Welcome-Day“ auf
dem mir noch ziemlich unvertrauten Campus der Stockholm University.  In dem bunten Getümmel der Erasmusstudenten
in der großen Aula fühle ich mich fremd, unsicher und vor Allem eines: Alleine.

Meine Gedanken schweifen ab in die Heimat, nach München, zur
LMU. Meine liebgewonnen Mitstudenten haben sich sicherlich genau in diesem
Moment lachend und tratschend einen Kaffee am U-Bahn-Kiosk geholt und machen
sich gemeinsam auf den Weg ins nächste Seminar. Erst ein bisschen später fällt
mir auf, dass ich ja auch in der LMU einmal ein ganz ähnliches
Fremdheits-Gefühle hatte.

Ich lasse meinen Blick über die Masse der internationalen
Studenten schweifen. Dabei erkenne  ich neidvoll,
dass sich viele bereits so angeregt und unbekümmert miteinander unterhalten,
als wären sie schon Jahrelang die allerdicksten Freunde. Mir schießen gut
gemeinte Ratschläge durch den Kopf. Ehemalige Erasmus-Studenten hatten sie mir mit
auf den Weg gegeben: „Häng lieber nicht so viel mit deutschsprachigen Leuten
rum, du bist schließlich im Ausland, deutsch sprechen kannst du auch daheim. “
oder: „An einer ausländischen Uni  zu
studieren ist nicht einfach, zu viele Party-wütige Erasmus-Freunde zerstören
dir deinen Noten-Durchschnitt“.

Werde ich letztendlich einsam, Freunde-los und ohne jegliche
Zugehörigkeit meinen Erasmus-Aufenthalt überstehen müssen? Um zu überprüfen, ob
man mir diese ängstlichen Gedanken ansieht, mache ich mich auf den Weg zur
Toilette. Dort kommt es zu einer dieser zufälligen Begegnungen, die ich so am
allerwenigstens erwartet hätte: Eine italienische Erasmusstudentin versucht
verzweifelt und laut schimpfend ihre Toilettentür zu entriegeln.  Der Moment, in dem ich sie mithilfe einer
schwedischen 10-Kronen-Münze aus ihrem Gefängnis befreit habe, legt den
Startschuss zu meiner ganz besonderen Erasmus-Freundschaft. Lara, eine quirlige
Mathematikstudentin aus Mailand, die immer gleich sagt was sie denkt, fällt mir
sofort um den Hals. Ihr liebenswerter italienischer Akzent lässt mich augenblicklich
schmunzeln. Von nun an vergeht kein Wochenende, an dem wir nicht gemeinsam
unterwegs sind. Schnell ist der Lieblings-Burger-Laden gekürt oder eine Nacht
bis zum Morgengrauen durchgetanzt. Und plötzlich fühlt sich diese Stadt gar
nicht mehr so fremd an.

Aus diesem ersten Tag und auch in der gesamten, aufregenden
Zeit in Stockholm habe ich gelernt, dass es keine Rezepte für das Finden und
Festhalten von Freundschaften gibt. Und dass man auch immer ein bisschen auf
den Zufall und das Glück vertrauen muss, die Menschen zu finden, die einen auch
an zunächst fremden Orten vorm Allein-sein bewahren.

Bevor meine nackten Hände noch
blau werden vor Kälte, stecke ich sie zusammen mit der 10-Kronen-Münze schnell
wieder in meine Manteltasche. Die S-Bahn-Fahrt werde ich nutzen, um Lara eine
Sprachnachricht zu schicken, so beschließe ich. Denn auch wenn inzwischen
wieder viele Kilometer zwischen uns liegen, so fühle ich mich ihr gerade wieder
so nah wie damals, als uns eine 10-Kronen-Münze die Tür zu unserer
Freundschaft öffnete.

Text: Amelie Völker

Foto: Yunus Hutterer

Fremdgänger: Judith Butler statt Angela Merkel

Unsere Autorin erkennt diese Woche im Ratespiel-Klassiker „Wer bin ich“ eine Verkörperung ihres Universitätslebens in Oxford.

Zehn paar Augen richten sich gespannt auf Theo. Als letzter im Raum hat er einen kleinen Notizzettel auf der Stirn kleben. Auf dem Zettel steht „Kate Winslet“. Es ist Freitagabend und mehr als die Hälfte meines Kurses drängt sich um die Kochinsel in der Küche eines meiner Kommilitonen. An den Fensterscheiben kondensiert der Dampf des frittierten Tempura-Gemüses und meine frisch gewaschenen Haare riechen nach heißem Brat-Öl. Wir spielen „Wer bin ich“, mit einer Konzentration und Hingabe, die ich mittlerweile vor allem aus unserem „Movement and Morality“-Kurs kenne, wenn wir über die normative Rechtfertigung von Nationalstaatsgrenzen diskutieren.

Auf Theos erstem Zettel stand „Shakespeare“ – das war eindeutig zu einfach gewesen: Theo schreibt und veröffentlicht gefühlt jede Woche ein neues Gedicht und hat, seit ich ihn vor knapp fünf Monaten kennengelernt habe, mindestens vier verschiedene Poesie-Preise gewonnen. Aber jetzt, bei einer der derzeit berühmtesten britischen Schauspielerinnen, scheint er zu versagen. Er hebt hilflos die Hände und meint „Guys, I don’t know this person – I swear.“ Das kann eigentlich keiner der Anwesenden glauben, denn Theo, der außerdem auch schon seinen Bachelor in Geschichte und Politik hier in Oxford absolviert hat, ist nie um eine Antwort verlegen. Doch selbst als alle Mädchen im Raum mit ausgebreiteten Armen anfangen „My Heart Will Go On“ zu singen, bleibt er ratlos.

„Wer bin ich“ war schon immer eines meiner Lieblingsspiele, weil es ein bisschen mehr über die spielenden Personen verrät, als das vielleicht den Anschein haben mag. Vielleicht ist dieser Abend gerade deswegen eine der besten Verkörperungen des Universitätslebens in Oxford, die ich bisher erlebt habe. Wenn ich zu Hause in München mit meinen Freunden „Wer bin ich“ spiele, ist der ausgefallenste, um nicht zu sagen intellektuellste Name vielleicht „Angela Merkel“ oder „Günter Jauch“. Aber die Klassiker sind „Johnny Depp“, „Pamela Anderson“ oder „Philipp Lahm“.

In der vergangenen Stunde haben meine internationalen Freunde hingegen „Friedrich Engels“, „Cecil Rhodes“, „Sigmund Freud“, und „Judith Butler“ erraten müssen – und das nicht selten auch nach kürzester Zeit geschafft. Zu Hause in München gibt es eine Trennung zwischen intellektuellem Universitätsleben und Privatleben. Meine Freunde sind nicht notwendigerweise meine Kommilitonen, niemand würde bei „Wer bin ich“ auf die Idee kommen, einen berühmten Historiker oder gar einen Professor auf die Stirn des Nachbarn zu kleben. Nicht nur läuft hier in Oxford Studium, Leben und Freundschaft ineinander, oft habe ich auch das Gefühl, dass die Leute hier viel mehr in ihren akademischen Leidenschaften aufgehen und soziale und kulturelle Vorlieben hegen, bei denen etwa meine party-freudige kleine Schwester die Augen verdrehen und gähnen würde.

Der letzte, der seine Person – „Edith Piaf“ – vor Theo erraten hat, war Francesco. Seine Augen verengten sich angestrengt, als er die Antworten auf seine Ja-Nein-Fragen aufzählte: „I am not famous for my pretty looks, nor for being a politician, an intellectual or a sportsperson – for what other reasons would one be famous?“ Ich musste schmunzeln, denn es ist beinahe erleichternd, dass es für diese Menschen, die ich in den vergangenen Monaten nicht nur unglaublich lieb gewonnen, sondern auch von Anfang an in dem ein oder anderen Moment als einschüchternd wahrgenommen habe, angesichts dessen, was sie schon erreicht haben, Wissens-Bereiche gibt, in denen sie ratlos sind. Auch wenn das „nur“ die Namen der derzeit angesagtesten Schauspieler sind.

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat

Zeichen der Freundschaft: Vanilleeis und Frühlingsrollen

Ein hoch auf das Jungsein: Am liebsten nutzt unsere Autorin die Sonntagabende, um sich mit ihrer Freundin über die vergangene Partynacht auszulassen. Ganz un-ladylike und ohne schlechtes Gewissen.

Gähnend stehe ich hinter der Theke der kleinen Bäckerei. Es ist noch viel zu früh, kurz nach sieben Uhr morgens. Und um all das noch auf die Spitze zu treiben: es ist Sonntag. Wie jedes Wochenende arbeite ich hier als Aushilfe und versuche trotz Schlafmangel und durchgefeierten Samstagnächten ein paar Euro dazu zu verdienen. Bis jetzt waren erst drei Kunden im Laden. Meine Chefin ist gerade nach draußen gegangen, um eine Zigarettenpause zu machen. Müde und noch fast im Halbschlaf ziehe ich mein Handy aus der Schürzentasche. Ich stutze und muss gleichzeitig grinsen. Drei Sprachmemos von Sophia. Das kann ich mir erst nach Feierabend anhören und doch muss ich bereits jetzt den Kopf schütteln, denn ich habe so eine gewisse Vorahnung, was den Inhalt der Audiodateien betrifft.

Einige Stunden später, halb ein Uhr mittags.

Feierabend. Meine Vermutungen in Bezug auf die Sprachmemos haben sich bewahrheitet. Ich halte mein Handy gespannt ans linke Ohr während ich zum Parkplatz laufe.

Sophia

hebt sofort ab und ein lautes „Giiirl!“ ertönt am anderen Ende der Leitung. Erneut muss ich grinsen. Dieses Mal wegen der ironisch-liebevoll gemeinten Begrüßung. Meine Fingerspitzen kitzeln schon ein wenig vor Aufregung und Neugierde. Es ist Sonntagmittag und natürlich ist mir klar, dass meine Freundin mal wieder eine gute Geschichte von der letzten Partynacht zu erzählen hat. Lachend begrüße ich sie und mit verkatertem Oberbayrisch beginnt Sophia von der chaotischen Heimfahrt, wunderschönen blauen Augen und unfreundlichen Türstehern zu erzählen.

Das ist kein Einzelfall, keine Seltenheit, das ist beinahe schon gewohnte Wochenendroutine.

Sophia

und mich verbindet eine Vorliebe für’s lange-wach-bleiben, für’s spät-Heimkommen und für’s Geschichten-Erzählen am nächsten Morgen, wenn die Erinnerungen mit dem Tageslicht wieder ein wenig heller werden. Mit Vergnügen wird am Sonntag zusammen getratscht, gegähnt, gelacht und die Köpfe geschüttelt. So ein typischer Frauentratsch bei Kaffee, Kuchen und rot geschminkten Lippen. Nur das es bei uns etwas anders aussieht: Wir sitzen im Bett, mit zerzaustem Haar und essen Vanilleeis und Frühlingsrollen. Ganz ladylike. Oder auch nicht. Aber das ist egal, solange man gut reden kann. Für den letzten Tag der Woche vergessen wir gerne den gemeinsamen Schulstress und ich pfeif’ da auch auf’s schlechte Gewissen wegen dem Vanilleeis. Und den Frühlingsrollen. Sonntags geht’s bei uns um’s Jungsein. Darum, aus kleinen Geschichten ganze Buchbände zu basteln. Und darum, Screenshots zu verschicken und Audiodateien anzuhören. Mädchenkram, der irgendwie sein muss. Der dazu gehört.

Also sitzen wir gemeinsam zwischen den vielen Kissen und mit zwei Schalen Eis in Sophias Bett und erzählen. Dieses Mal bin ich diejenige, die mit weit geöffneten Augen angestarrt wird. Aussagen benötigen in diesen Momenten Erläuterung und man beginnt ins Detail zu gehen, weil man sich vor Freunden bekanntlich nicht zu schämen braucht. Keine Kleinigkeit wird weggelassen. Darum erzähle ich weiter während ich meine verstrubbelten Haare zum Dutt binde und Sophia mir einen Maskarafleck von der Wange wischt. Vielleicht braucht man das, brauchen wir das einfach. Weil es nicht immer nur um Abistress und Zukunftspläne geht. Am Montagmorgen werden wir eh wieder gemeinsam im Sozialkunde- oder Deutschunterricht sitzen müssen. Der Sonntagstratsch und verwirrende Audiodateien sind für uns ein Teil vom Jungsein. An Wochenenden dürfen auch mal Geschichten geschrieben werden, die nichts zu tun haben mit Gedankenganganalyse oder Stilmitteln. 

Text: Anastasia Trenkler

Foto: Yunus Hutterer