Beten und Business

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Beten mit Tablet – Zièd Bahrouni, 26, und sein Team entwickeln im Garchinger Technologie- und Gründerzentrum einen „intelligenten Gebetsteppich“. Die Bewegungsabläufe der islamischen Gebete sind kompliziert – eine Erfindung von Zièd und seinem Team soll das Lernen vereinfachen – der Auftrag kommt von einem omanischen Islamlehrer

Von Philipp Kreiter

Ein Männchen kniet in einer Moschee. Es trägt traditionelle islamische Gewänder und betet. Macht es Fehler beim Beten, beginnt es auf dem Bildschirm zu blinken. Doch gerade eben ist sein Ellenbogen zu weit oben gewesen und nichts ist passiert. Keine Fehlermeldung. Zièd Bahrouni, 26, schüttelt unzufrieden den Kopf. Er bricht den Test ab – das wird noch nicht reichen, um die anspruchsvollen Kunden aus dem Oman zu überzeugen. Bis der „intelligente Gebetsteppich“ das kann, was er können muss, werden noch viele Arbeitsstunden und weiteres Programmieren nötig sein.

Zièd trägt einen eleganten Pullover. Er ist braun gebrannt. Das Projekt begeistert ihn. Wenn er darüber spricht, fällt nicht auf, dass Deutsch nicht seine Muttersprache ist. Vor dreieinhalb Jahren hat Zièd mit einigen Kommilitonen die Motius GmbH gegründet. Noch heute sitzt sie neben vielen anderen studentischen Projekten im Garchinger Technologie- und Gründerzentrum direkt am Campus der Technischen Universität München. Das Konzept war aber von Anfang an ein besonderes: Denn neben Aufträgen von deutschen Unternehmen, wie etwa BMW oder Bosch, hat sich das Start-up noch ein zweites Standbein aufgebaut. Schon bei der Gründung der Münchner Niederlassung wurde auch eine Dependance im Oman aufgebaut.

Die Wahl des Landes ist kein Zufall. Zièd ist im Oman geboren und in Tunesien aufgewachsen, er kennt den Nahen Osten und die Golfregion. Das war auch der entscheidende Vorteil, als das staatliche omanische „Research Council“ das Projekt zur Entwicklung eines intelligenten Gebetsteppichs ausschrieb. Zièd und sein Team stachen die deutlich etablierteren Mitbewerber aus, „weil wir einerseits ein deutsches Unternehmen sind, aber andererseits auch einen arabischen Teil haben. Und diese Mischung hat das Research Council dann überzeugt.“

Schon bei der Gründung der
Münchner Niederlassung wurde
auch eine Dependance im Oman aufgebaut. 

Die Idee zu dem „intelligenten Gebetsteppich“ stammt von einem omanischen Ausbilder von Islamlehrern. Ihm war zunehmend aufgefallen, dass die Schüler sich im Religionsunterricht langweilten und wenig Interesse zeigten. Aber die islamischen Gebete müssen trotzdem erlernt werden – und das kann wegen ihrer Komplexität sehr mühselig sein. Mit einem spielerischen Ansatz wollte er entgegensteuern. Er reichte das Projekt beim Research Council ein. Dessen Agenda ist es, ambitionierte omanische Gründer zu unterstützen. Und weil die technologischen Voraussetzungen im Oman noch nicht auf dem gleichen Stand wie in Deutschland sind, beauftragten sie Zièd und sein Team damit, einen Prototypen zu erstellen.

Zurück ins Gründerzentrum nach Garching: Auf dem Boden des Konferenzraums ist ein Gebetsteppich ausgebreitet, davor stehen ein Tablet und ein Bewegungssensor. Mit Hilfe dieser Ausrüstung werden die Bewegungen des Betenden direkt auf das Tablet übertragen. Sobald die Körperhaltung oder eine Bewegung nicht exakt gestimmt hat, wird der Schüler korrigiert. „Wenn ein Schüler alles korrekt macht, bekommt er Sterne, mit denen er Erfolge freischalten kann“, erklärt Maximilian Tharr, 24 . Zusammen mit Markus Kremer, 19, hat er die notwendige Software entwickelt. Es ist von besonderer Wichtigkeit, dass die Gesten, die der Betende macht, hundertprozentig genau erkannt werden. Diese schwierige Aufgabe fällt Matej Toplak, 24, zu. Er ist der Teamleiter.

„Wenn ein Schüler alles korrekt macht,
bekommt er Sterne, mit denen er Erfolge
freischalten kann“, erklärt Maximilian Tharr, 24

Besonders die islamischen Gebräuche und die Symbolik müssen exakt eingehalten werden. Unter anderem deshalb hat Zièd den Tunesier Hamza Mattoussi, 25, ins Team geholt. Er übernimmt auch die Kommunikation mit den omanischen Auftraggebern. Und die gestaltet sich nicht immer einfach: erst vergangenes Wochenende haben sie plötzlich die Implementierung von Lehrvideos gefordert. „Das ist eigentlich – wenn überhaupt – erst für eine deutlich spätere Phase ausgemacht“, sagt Zièd. Er weiß, dass die arabische Geschäftsmentalität eine andere ist und dass es manchmal wichtig ist, klar Kante zu zeigen – auch um sich den Respekt und das Vertrauen der Auftraggeber zu bewahren.

Aber braucht die Welt Erfindungen wie diese? Wie sinnvoll ist ein „intelligenter Gebetsteppich“ für den Islamunterricht eigentlich? Daniel Potthast vom Institut für den Nahen und Mittleren Osten der Ludwig-Maximilians-Universität München findet das Konzept interessant: „Die Vorgaben und Bewegungsabläufe der islamischen Gebete sind sehr kompliziert und sehr mühsam zu erlernen. Das spielerisch zu machen, ist bestimmt ein sinnvoller Ansatz.“ Eine Gefahr durch frühkindliche Indoktrination sieht er nicht, denn im Oman dominiert eine moderate Ausrichtung des Islam. Außerdem seien diese Gebete absolut essenziell für den Glauben, sie müssten also sowieso erlernt werden.

Bis der Teppich im Unterricht
eingesetzt werden kann,
dauert es noch ein bisschen

Aber bis der „intelligente Gebetsteppich“ im Unterricht eingesetzt werden kann, dauert es noch ein bisschen. Das Team hat die zweite Projektphase abgeschlossen, zwei weitere sollen noch folgen. Sie haben noch sehr viel Arbeit vor sich, unter anderem die geforderte Spracherkennung macht ihnen zu schaffen. Wenn der Prototyp fertig ist und die Auftraggeber zufrieden sind, werden Zièd und sein Team raus aus diesem Geschäft sein. Mögliche Millionen kassiert dann der omanische Gründer. Er versucht dann auf Basis dieses Prototyps ein erfolgreiches Business aufzubauen.

Foto: Robert Haas

Einmal Weltbild verändern, bitte

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Ahmad war früher Mitglied der Muslimbruderschaft – heute führt er Gruppen durch das Jüdische Museum in München. Der Student brauchte einen Nebenjob – „und außerdem wollte ich mit dem Klischee brechen, dass alle Araber antisemitisch sein sollen“.

Ein Blick in den Nahen
Osten, auf den scheinbar unlösbaren Konflikt zwischen Arabern und Israelis,
zwischen Islam und Judentum, lässt die Geschichte, die Ahmad Abdalla erzählt,
unglaublich klingen: Ein junger Moslem aus Ägypten, der als Besucherbetreuer im
Jüdischen Museum arbeitet. Doch das ist nicht irgendeine idealistische Fiktion,
sondern Alltag des 25-Jährigen.

Vor mehr als zwei Jahren
kommt Ahmad nach Deutschland. Er will die Sprache lernen, Film studieren,
landet dann doch irgendwie bei Orientalistik und Geschichte. In seinem
Hebräisch-Kurs empfiehlt ihm einer das Jüdische Museum, ein guter Ort für einen
Nebenjob. „Es hat mich sehr interessiert“, sagt Ahmad, „und außerdem wollte ich
mit dem Klischee brechen, dass alle Araber antisemitisch sein sollen.“

Es folgt ein nicht ganz
einfacher Marathon aus Interviews und Gesprächen. Und als Ahmad schon am Ziel
ist, zwei Wochen nach seiner Einstellung, kommt ein Anruf. Er dürfe erst einmal
nicht mehr arbeiten, denn sein Pass müsse von der Polizei überprüft werden. Eine
neue Regelung, hieß es. „Doch irgendwie war ich sauer.“ Heute, wenn er Gruppen
durch das Museum führt und auf seine eigene, wissenschaftliche und zugleich
sympathische Weise von der jüdischen Geschichte erzählt, hat er diesen Vorfall
längst vergessen. Ihn begeistert die Begegnung mit den vielen verschiedenen
Menschen, auch wenn ihn die Arbeit selbst, immer wieder dasselbe zu erzählen,
manchmal langweilt.

Viele Besucher – auch
die aus Israel – erkennen ihn nicht als Araber. „Sie denken, ich sei Israeli“,
sagt er und deutet auf seine schwarzen Locken und die dunkle Haut, „Ich sehe so
aus.“ Erfahren die Menschen dann doch von seiner Herkunft, sind die meisten
verwundert, positiv verwundert. Eine junge Islamwissenschaftsstudentin meinte
mal zu ihm, er habe ihr Weltbild verändert: „Kannst Du Dir vorstellen, wie sehr
mich das gefreut hat?“, sagt er – in diesem Moment ist ein Strahlen in seinem
Gesicht zu entdecken.

Natürlich weiß der
Student, weshalb er, der muslimische Besucherbetreuer, die Leute so verwundert.
Er kennt den Konflikt. Er kennt die Vorurteile seiner eigenen Landsleute – und
versteht sie auch, vor allem nach den Kriegen und den anhaltenden Angriffen auf
Palästinenser. „Doch nicht alle Juden sind Israelis, nicht alle Israelis Juden
und vor allem sind nicht alle Israelis gleich.“ Vielen Menschen in der
arabischen Welt fehle dieses Verständnis, diese Differenzierung, sagt er. „Ich
bin da anders – wohl offener.“ Man dürfe nicht verallgemeinern, das ist ihm
wichtig.

Aber er versteht auch
die jüdische Seite mit ihren Traumata und Ängsten. Wie so viele wünscht er sich
ein Ende des Konflikts: eine Zwei-Staaten-Lösung für Palästinenser und
Israelis. Einen multikulturellen Staat Israel, nicht nur für Juden, sondern für
alle. Eine Aufgabe der Mythen, auf beiden Seiten. Eine Politik mit weniger
Fehlern, auch das auf beiden Seiten. „Aber bald wird und kann das nicht
geschehen“, dazu seien die beiden Parteien zu radikalisiert. „Früher ging es um
Politik, heute um Religion“, sagt er.

In Sachen Religion hat er
sich ein ganz eigenes Bild gemacht: Er selbst brauche das nicht, „denn Religion
schafft oft Grenzen, und wenn Gott so groß ist, warum sollte es dann Grenzen
geben“? So denkt er heute. Früher war das nicht so, da war er noch gläubig und
ging oft zum Beten in die Moschee. Dort traf er auch auf die Muslimbrüder,
wurde mit 17 sogar selbst einer von ihnen. „Wie jeder in dem Alter suchte ich
nach einer Bedeutung in meinem Leben, wollte verstehen und aktiv sein.“
Eineinhalb Jahre schaute er sich die Organisation von innen an und machte eine
Erfahrung, die er nicht missen möchte. Allerdings merkte er auch schnell, dass
er dort nicht hineinpasst. „Ich war immer anders“, erklärt Ahmad heute, „denn
ich bin ins Kino gegangen, habe Musik gehört und auch Weltliteratur und nicht
nur religiöses Zeug gelesen.”

Der erste Israeli, den
er kennenlernt, ist sein Hebräischlehrer, heute ein Freund von ihm und damals
eine neue und interessante Bekanntschaft. Inzwischen sind unter seinen besten
Freunden sowohl Juden als auch Christen. „Wenn wir abends zusammen sitzen, dann
spielt unsere Religion überhaupt keine Rolle“, erzählt er. „Und das ist schön“,
fügt er hinzu.

Zu Beginn des Semesters
bekommt er nun während seines Geschichtsstudiums die Möglichkeit, das Land, das
er aus so vielen Perspektiven betrachtet, mit eigenen Augen zu sehen und zu
erfahren. Diesen Samstag ist der Flieger nach Tel Aviv abgehoben. Mit ihm,
obwohl es lange nicht danach ausgesehen hat. Die Bearbeitung seines
Visum-Antrags habe sich in die Länge gezogen, sagt er. Beantragt hat er es im
März, normalerweise, sagt er, müsse man zwei, drei Wochen darauf warten. Er
bekam es erst wenige Tage vor dem Abflug. Dorothee Merkl

Foto: Conny Mirbach