So viel Liebe

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Große Pop-Poesie: Beim Stadt-Land-Rock-Festival von SZ und Tollwood zeigt sich, wie eng vernetzt die Münchner Musikszene mittlerweile ist und wie sehr man sich gegenseitig schätzt.

Es ist nur ein Fetzen Stoff, der vom rechten Hosenbein herunterhängt. Das Loch bildet ein Herz auf dem grauen Stoff, den Jordan Prince unter seiner Jeans trägt. Ein kleines Symbol, das sinnbildlich für den US-Amerikaner ist, der ein außergewöhnliches Händchen für Liebeslieder hat. Es ist aber auch sinnbildlich für das gesamte Stadt-Land- Rock-Festival in diesem Jahr. Zwölf Bands haben an drei Abenden auf dem Tollwood-Festival gezeigt, wie eng vernetzt die Münchner Musikszene mittlerweile ist, wie sehr man sich gegenseitig schätzt und interessiert an der künstlerischen Arbeit des anderen ist – und einmal mehr, wie spannend und vielfältig die Szene ist.

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Dieses Jahr steht das Festival ganz im Zeichen der Singer/Songwriter. Ob begleitet mit Band, Backgroundsängern oder solo ist es diese Musikergruppe, die die Münchner Musikszene in den vergangenen Jahren so stark gemacht hat. Mit Bob Dylan als Prototypen entwickelte sich Mitte der Sechzigerjahre dieses Genre, das sich bis heute gehalten hat, ohne sich in den vergangenen 50 Jahren groß weiterzuentwickeln. In München ist es so beliebt wie lange nicht: Singer/Songwriter füllen ähnlich viele und große Konzerthallen wie die neuesten Electro-Künstler. Gut hundert von ihnen versuchen derzeit, sich in München einen Namen zu machen.

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Einer von ihnen ist Chuck Winter. Er stammt aus der klassischen Songwriter-Tradition, für Studioaufnahmen und Livekonzerte hat er sich jetzt jedoch eine Band zusammengesucht: Die Steuerfahnder. „Mit anderen Musikern zusammenzuspielen, macht einfach mehr Spaß und hat mehr Drive. Jeder kann was zum Song beitragen, durch die verschiedenen Einflüsse kann man vielfältiger arrangieren“, sagt er. “Und was könnte es Logischeres geben, als die Band dann `Die Steuerfahnder` zu nennen”, fügt er mit einem Schmunzeln hinzu.

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Über die drei Tage hinweg lässt sich bei allen Musikern ein schöner Trend erkennen: Die Künstler sagen sich gegenseitig an und bedanken sich bei der Vorband. Sie betonen den großen Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Bands. Nikolaus Wolf etwa, dessen Songs Filmmusik zu einem Roadmovie sein könnten, appelliert an die Zuhörer in der sehr gut besuchten Half Moon Bar: „Kauft euch von einer der Bands eine CD, muss auch gar nicht die Platte von uns sein. Jede der Bands hat es echt verdient.“ Und jede Band betont zudem, wie froh sie sind, hier spielen zu dürfen. Diese Dankbarkeit überträgt sich auch auf das Publikum: Wie schön, dass es so ein aufregendes, kostenloses Festival gibt.

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Beim Konzert von Jordan Prince kommt so fast eine Wohnzimmer-Atmosphäre auf. „Das ist das erste Konzert, das ich spiele, bei dem ich mit jedem Künstler befreundet bin“, sagt der aus Mississippi stammende Singer/Songwriter auf Englisch, „that’s so great!“ Normalerweise spielt er live mit einer Band, diesmal sind jedoch nur zwei von ihnen dabei – als Background-Sänger. Die gute halbe Stunde, die der große Mann mit Hornbrille auf der Bühne steht, verbringt er häufig scherzend mit seinen beiden Kollegen. Man merkt, der US-Amerikaner ist mittlerweile so richtig angekommen in München. Ob er solo
oder mit Band spielt, erzählt Jordan, hängt ganz von der Atmosphäre des
Konzertes ab. Bei kleinen Konzerten käme er alleine besser mit dem Publikum in
Kontakt, um vor großem Publikum zu begeistern, bräuchte es schon die ganze
Besetzung.

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Als einzige weibliche Solokünstlerin tritt Klimt auf. Barfuß
in Glitzer-Sterne-Kleid und mit blondiertem Pony, der ihr immerzu in die Augen
fällt, ist Verena Lederer an diesem Abend eine elfenartige Erscheinung.

Sie spielt träumerische Klaviermelodien, die sie mit souligem Gesang unterlegt. Da ist ganz viel Gefühl. Paare liegen sich in den Armen, die Gedanken kreisen. Auch Klimt ist Singer/Songwriterin, jedoch spielt sie nicht Gitarre, sondern Keyboard. Dass sie als Solomusikerin oft die einzige Frau ist, stört Verena Lederer. „Es gibt so viele Mädels auf der Bühne, aber die singen nur und machen sonst nichts“, echauffiert sie sich.

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Auch wenn Isabella Streifeneder, Sängerin der Band Mola in ihrem langen blaublümigen Sommerkleid die Style-Latte hochgesetzt hat, gegen die Alternative-Rocker von Matija kommt man schwer an. Stilmäßig erinnern die vier jungen Männer an eine englische Eliteklosterschule in den Sechzigerjahren. 20.11 Uhr, Bassist Johan Blake öffnet seinen obersten Hemdknopf. Jegliche Stilvorgaben sind über Bord geworfen. Die Band spielt ihren Klassiker „Mexico“, die Masse tobt. 20 Uhr 14, Bassist Johan Blake öffnet alle restlichen Hemdknöpfe. Die Masse kreischt. Zwischendurch Ansagen wie beim Meditationsseminar auf dem Yoga-Retreat: „Combine it with freedom, come on! Just let it out, yeah!“

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Andere setzen mehr auf Witz. Singer/Songwriter Liann fragt ins Publikum: „Gibt’s hier eine Eva?“ Um dann seinen nächsten Song „Eva“ mit den Worten „Sie hat mal wieder nicht geduscht und die halbe Nacht gesoffen“ anzufangen. Das zeugt von einer bemerkenswerten Lockerheit. Seine Trümpfe sind Ehrlichkeit und Direktheit, mit denen er an die Musik herangeht. Seine deutschen Texte sind frei von jeglicher uneindeutiger Pop-Philosophie und doch tiefgründig. Auch Akustik-Popper Flonoton ist den ganzen Abend bemüht, das Publikum bei Laune zu halten. Das schafft er tatsächlich hervorragend, indem er zu grandios schlechten Witzen ansetzt und diese dann auch noch bewusst versemmelt.

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Eliza wiederum spielt sehr düsteren, experimentellen Pop, der trotz des dafür viel zu schönen Wetters viele Interessierte ins Zelt lockt. Auch Wendekind ist nicht die Verkörperung von sommerlichen Hochgefühlen. Dafür macht der Blondschopf mit Hut schön melancholische Pop-Poesie, die er mit Gitarre und Laptop begleitet.

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Die zwei Künstler, die auf ihren Platten am elektronischsten klingen – About Barbara und Nick Yume –, gehen extrem unterschiedlich an das Konzert heran: Nick Yume versucht mit seinen zwei Mitmusikern und vielen elektronischen Elementen, dem Studio-Sound möglichst nahezukommen, was bemerkenswert gut klappt. About Barbara hingegen hat sich nur einen Gitarristen geholt und spielt all ihre Songs rein akustisch. So unterschiedlich klingt das zu ihren Aufnahmen, dass sie sich einfach nur mit „Ich bin die Babsi“ vorstellt.

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Das Muster der auf sich allein gestellten Musiker zieht sich über das ganze Festival, denn auch die Bands haben einen Protagonisten, um den sich alles dreht. Im Fall der Band Mola ist es Sängerin Isabella Streifeneder. Sie ist der kreative Kopf der Band. In ihren Texten bezieht sich vieles auf Herzensangelegenheiten: „Bei ’nem schlechten Date geht die Zeit furchtbar langsam rum. Ihr seid ein gutes Date“, sagt sie und strahlt. So viel Liebe.

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Text: Tilman Waldhier

Fotos: Käthe Dekoe

Pseudo-Rap im Flozirkus

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In wenigen Tagen ist Stadt Land Rock 2017. Hier geben wir Einblicke
in die Tiefen des diesjährigen Kosmos aus Britpoppern, Traumwandlern und
Chartstürmern. Heute im Kurzportrait: Flonoton.

Florian
Saur alias Flonoton macht Pseudo-Rap. So nennt er es zumindest von Zeit zu Zeit
selbst. All diejenigen, die dem Quasi-Erfinder des Pseudo-Raps Cro (er nennt es
Raop – ein Mix aus Pop und Rap) nicht ganz so positiv gegenüberstehen, können
jedoch beruhigt sein. Denn während Cro ganz bewusst das Harte-Jungen-Klischee
bedienen will, hat Flonoton gar nicht das Bedürfnis, irgendeine Rolle zu
spielen. Er sieht nicht besonders aus wie ein Rapper, begleitet sich mit
Akustikgitarre und nicht mit Hip-Hop-Beats und streut außerdem hin und wieder
eine schöne Ballade ein, was die eindeutige Genre-Findung umso komplizierter
macht. Die ist bei Florian und seiner Band, dem „Flozirkus“, aber vielleicht auch
gar nicht so wichtig. Wer auf humorvolle und zugleich anregend nachdenkliche
deutsche Texte steht, sollte Flonoton auf keinem Fall auf dem Stadt Land Rock
2017 verpassen.

Das Stadt Land Rock Festival findet dieses Jahr vom 29. Juni bis
zum 1. Juli statt, täglich von 19 bis 22:30 Uhr in der Half Moon Bar auf
dem Sommertollwood. Flonoton spielt am 1. Juli zusammen mit About
Barbara, Nick Yume und Eliza.

Text: Tilman Waldhier

Foto: Felix Weber

Stadt-Land-Rock-Festival 2017- Elektrosoul und ganz viel Bob Dylan

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Mit einer bunten Mischung aus natürlich-reduziertem Gitarren-Pop bis hin zu elektronisch-tanzbaren Klängen geht das Stadt-Land-Rock-Festival in die nächste Runde. 12 Bands machen sich auf, die Herzen der Zuhörer zu gewinnen.

München soll langweilig sein?
Kein Platz für Jugendkultur haben? Es Musikern unmöglich machen, Fuß zu fassen?
Stimmt nicht wirklich, das zeigen jedes Jahr eine Vielzahl von Festivals. Auch
das Stadt-Land-Rock-Festival ist seit 2004 Jahr für Jahr Beweis dafür, wie
spannend die Münchner Musikszene ist, welch tolle neue Bands darauf warten, die
Bühnen dieser Stadt zu erobern. Dort wird es heuer vom 29. Juni bis zum 1. Juli
an drei Abenden 12 verschiedene Münchner Newcomer-Bands zu hören geben.

Die drei Tage stehen dieses
Jahr ganz im Zeichen der Singer/Songwriter. Außerdem sorgen Bands wie Matija
oder Mola für die nötige Prise Tanzbarkeit.

Am Donnerstag, 29. Juni,
 wird es Singer/Songwriter Chuck Winter zu sehen geben, der am 1. Juni
seine erste EP rausbringen will. Mit seinem Mix aus den verschiedenen Popstilen
der vergangenen 60 Jahre, weiß der in München geborene Deutsch-Amerikaner, das
Publikum zu überzeugen. Der in der Tradition von 6 stehende Indie-Folker
Nikolaus Wolf wird den Abend träumerisch und voller Herzschmerz angehen.
Akustik-Gitarrist Jordan Prince wird Funken aus den Saiten schlagen und
Sängerin KLIMT wird mit souliger Stimme und Keyboard diesen ersten Abend als
Late-Night-Act beschließen.

Der Tag drauf verspricht ein
rockigeres Line-up: Der Pop-Poet Wendekind singt sich auf Deutsch die Seele aus
dem Leib – und das mit einem interessanten Mix aus Hip-Hop, Electronica und
Rock/Pop. Die Alternative-Rock-Band Matija, die mit neuem Namen (ehemals: The
Capitols) und neuer Frisur, aber mit altbekannter Kraft und Bühnenpräsenz
ausgestattet ist, wird die Raumtemperatur deutlich erhöhen. Die Gruppe Mola um
Sängerin Isabella Mola hat ihren ganz eigenen Stil gefunden: Er befindet sich
irgendwo zwischen Elektro, Deutschpop und Soul und klingt dabei so dermaßen
reif, als gäbe es ihn schon immer. Singer/Songwriter Liann wird den Abend mit
rührenden Texten über vergangene Kindertage und verlorene Liebschaften –
untermalt von seinem sanft-schönen Gitarrenpicking –  beenden.

Den dritten und letzten
Festivaltag bestreitet About Barbara, eine Sängerin, von der man in ihrer
Wahlheimat  München noch nicht so viel gehört hat. Das wird sich ändern:
Ihr Youtube-Hit „Bis der Himmel sich dreht“ hat schon jetzt knapp 650 000
Klicks. Eliza sorgt mit ihren stimmungsvollen Akustikliedern für träumerische
Atmosphäre, der Durchstarter Nick Yume gibt chartsverdächtige, mit souliger
Stimme unterlegte Elektrotunes zum Besten. Den Abschluss macht auf der
Late-Night-Bühne Singer/Songwriter Flonoton, der auf seiner Facebook-Seite bei
Auszeichnungen die Siegerurkunde bei den Bundesjugendspielen 2005 angibt – an
Humor mangelt es bei Flo und seinem sogenannten Flo-Zirkus schon mal nicht.

Text: Tilman Waldhier

Collage: SZ

Wider den Weltuntergang – so war der zweite Sonntag im Farbenladen

Während draußen zeitenweise die Welt mit dem Untergang droht, trotzen die Musiker von Flonoton dem großen Unwetter. Und siehe da: während der anschließenden Diskussionsrunde mit Münchner Bloggern kommt schon wieder die Sonne hervor.

“Ich
wollte neue Leute kennenlernen.” Das antwortet Vera Flück wie aus der
Pistole geschossen auf die Frage, warum sie denn als Model für die “10 im
Quadrat”-Ausstellung zugesagt habe. Genau dieser Wunsch scheint in
Erfüllung gegangen zu sein. Models und Fotografen begrüßen und verabschieden
sich mit Umarmung, stehen in den Pausen des Rahmenprogramms wie alte Freunde im
Kreis vor der Tür des Farbenladens.

Dabei
ist es keine Selbstverständlichkeit, bei solch einem fotografischen Experiment
mitzumachen. Denn zur Fotografie gehört auch die Aktfotografie. Und sich nackt
vor der Kamera zu präsentieren ist nicht jedermanns Sache. Vor allem bei
Models, die es normalerweise nicht gewöhnt sind, vor der Kamera zu posieren.

Das
weiß auch Amelie Satzger. Für ihr Projekt hat sie die Fotos der zehn Models zu
einem großen Gesamtkunstwerk zusammengebastelt. “Ich wollte schon immer
ein Gruppenbild machen”, sagt die Fotografin, die sich abseits der
Ausstellung meist selbst porträtiert. So entstand das Wimmelbild, auf dem man
die Models nackt schlafend eingehüllt in Teppiche sieht. “Ich habe alle
gefragt, wie weit sie gehen wollen”, antwortet Amelie, als sie Moderatorin
Katharina Hartinger fragt, wie sie die Models an das Thema Nacktheit
herangeführt hat. Wollte ein Model bestimmte Körperteile nicht zeigen, wurden
diese eben von einem Teppich verdeckt. Model Mona Vojacek Koper honoriert diese
Herangehensweise. Sie habe genau gewusst, was sie beim Shooting erwartet,
“ich fand das sehr ästhetisch, ich habe Amelie vertraut”.

Während
die Künstler sprechen, gewittert es. Weltuntergangsstimmung, Erinnerungen an
Alisha Gamischs Geschichte vom Vortag kommen auf. Der Platzregen wäre
Singer-Songwriter Flonoton beinahe zum Verhängnis geworden. Nur noch halbwegs
trocken schafft er es in den Farbenladen. Doch als wäre nichts gewesen, steht
er im nächsten Moment schon auf der Bühne und singt fröhliche, dem Hip Hop
ähnliche Songs gepaart mit leisen Herzschmerz-Balladen – und das komplett
akustisch.

Unterstützt
wird er dabei von Sängerin Ama Pola und dem “trommelnden Tobi” an der
Cajon. In familiärer Atmosphäre unterhält er sich zuerst mit seiner Band, dann
mit dem Publikum, dann wieder mit seiner Band – und widmet selbiger gleich
darauf sogar ein Lied. Es ist eins der fröhlicheren.

Als
die letzten Töne von Flonotons Gitarre verklingen, beginnt zum Abschluss des
Programms eine Gesprächsrunde. Auf Bierkästen in Halbkreis sitzend stellen sich
sechs Münchner Blogger und Moderatorin Katharina Hartinger die Frage
“München, bist du so lahm oder tust du nur so?”. Eine Frage, die
unter jungen Münchner Kunstschaffenden in letzter Zeit zum heißen Thema
geworden ist, spätestens seit der Inhaber des Plattenlabels “Schamoni
Musik” die Stadt München für ihr uncooles Image verklagt hat.

Und
als sei es Leidthema Nummer eins, beginnt auch die Diskussion der Münchner
Blogger direkt mit dem Thema “Musik”. “Seit das Atomic Café
geschlossen hat, sind Konzerte sehr unpersönlich”, kritisiert Itje
Kleinert, Autorin des Musikblogs “Tuneart”. Und auch in der Szene der
elektronischen Musik hinkt München hinterher. Zwar gehöre München zu den
Keimzellen elektronischer Musik, so Sascha Walk vom “Blog in Orange”,
doch das “ist schon eine Weile her. Die Clubs haben sich nicht in die
Breite entwickelt. Die Clubbetreiber spielen immer noch die gleiche Musik wie
vor 20 Jahren”, ergänzt Yana Matrosova vom TunefulBlog, “Konzepte,
die in ganz Deutschland etabliert sind, werden in München abgelehnt.”

Andere
Blogger hingegen sehen das Problem nicht bei den Kunstschaffenden, sondern bei
den Münchnern selbst. Regina Bruckschlögl vom Munichmag kritisiert:
“Münchner müssen ein bisschen mehr rausgehen. Subkultur nutzt nichts, wenn
keiner hingeht”, und Nadine Miller von Untypisch München fordert:
“München muss offener sein”.

Ein
bisschen mehr Offenheit wünscht sich auch Sascha Walk. Er bemerkt eine starke
Fragmentierung Münchens in verschiedene Interessensgruppen, “deshalb sieht
man auch immer wieder die gleichen Leute”. Eine Grüppchenbildung
beobachtet auch Nina Vogl. “Leute stehen drauf, wenn’s um ihr Viertel
geht”, sagt sie. Das sei anders als in Hamburg oder Berlin, wo es auch
Ableger ihres Blogs “Mit Vergnügen” gibt.

Doch
die Blogger sehen auch gute Seiten an München. Als Subkultur-Förderer fallen
Namen wie das Feierwerk, die Milla, das Container Collective am Ostbahnhof und
das Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft, das von der Stadt selbst
initiiert wurde. Auch lobt Nadine Miller: “München macht mit der
Zwischennutzung viel Gutes, das muss man den Leuten hoch anrechnen”.

Und
auch als in der Schlussrunde die Frage “Wenn Freunde zu dir nach München
kommen, wohin nimmst du sie mit?” im Raum steht, fällt jedem der Blogger
sofort etwas ein, worauf er an seiner Stadt stolz ist. “München hat eine
schizophrene Persönlichkeit”, meint Sascha Walk. An der Oberfläche sieht
man nur die Schickeria, “aber München kann viel mehr. Doch das versteckt
sich”.

Text und Fotos: Max Mumme

10 im Quadrat: Wohlfühl-Songs und moderne Lyrik

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Das zweite
Wochenende der „10 im Quadrat“-Ausstellung im Farbenladen verspricht
neben den immer noch fantastischen knapp 100 Fotografien Münchner
Nachwuchsfotografen wieder ein umfangreiches, spannendes und vielleicht sogar erhellendes
Rahmenprogramm.

Am Samstag,
13. Mai
, wird es ein entspanntes Doppelkonzert geben:
Indie-Folk-Sänger Nikolaus Wolf schafft Wohlfühl-Atmosphäre mit Songs im Stile
von Oasis oder Feist.
Singer/ Songwriter Paul Kowol mit seiner extrem sanften und im positivsten
Sinne lagerfeuertauglichen Stimme zieht Freunde von Jason Mraz oder James Blunt
an.

Außerdem gibt es unter dem Namen Modern Reclam Lyrik des 21.
Jahrhunderts von jungen Münchner Nachwuchsdichtern und –literaten zu hören.
Mit am Start: Rahmatullah Hayat, Alisha Gamisch, Johannes
Lenz u.a.

Auch am
Sonntag, 14. Mai
, spielt bei uns die Musik:
Flo und sein Flo-Zirkus von Flonoton sind bereit, den gesamten Farbenladen mal
mit nachdenklichen, mal mit gewitzten Songs in ihren Bann zu ziehen.

Die Diskussionen sind endlos: Gibt es in München Platz für Kultur jenseits der Staatsoper? Kann man hier erfolgreicher Musiker werden? Ist diese Stadt nicht viel zu versnobt für Subkultur?
Vor diesem Hintergrund haben wir es gewagt, verschiedene Münchner Blogger einzuladen, um über dieses Thema zu diskutieren.
Mit dabei: Blog in Orange, Mit Vergnügen München, MunichMag, Untypisch München,
T U N E A R  T und TunefulBlog.

Anschließend noch ein kurzer Ausblick über das Rahmenprogramm
der zwei letzten Farbenladen-Wochenenden:

Samstag, 20. Mai:
Studenten in Wohnungsnot – Endstation
Matratzenlager Audimax?
Eine Gesprächsrunde mit Journalisten von den Uni-Magazinen UNIKAT, CampusZeitung LMU München, kon-paper, Nomen Nominandum – Studentisches Magazin des Historischen Seminars
(LMU)
, Philtrat und Cogito
Doppelkonzert: Alisha Prettyfields & Chuck Winter Music

Sonntag, 21. Mai:
Schluss mit granteln! – Mit Münchner
Comedians und Kabarettisten die Lachmuskeln trainieren
Mit: ALEX DÖRING, Julian Wittmann – Liada und Kabarettt und Michael Mauder
Und: Powerpoint-Karaoke – Für Rampensäue und die, die es werden wollen
Konzert: Liann

Samstag, 27. Mai:
Junge Münchner Prosa
Mit: Desiree Opela, Julian C. Betz, Carolina Heberling u.a.
Doppelkonzert: KLIMT & Spring –
Music

Sonntag, 28. Mai:
Wer die Wahl hat – eine Gesprächsrunde über
PolitikverdrossenheitDoppelkonzert: Xavier Darcy & Matthew
Matilda

Die Öffnungszeiten: samstags von 16
– 22 Uhr, sonntags von 16 – 20 Uhr.
Der Eintritt ist frei.

Text: Tilman Waldhier

Foto: Amelie Satzger

Balladen als Death Metal-Version

„Freundschaftsbänd“: Auf Einladung der Junge-Leute-Seite und des Indie-Labels Flowerstreet Records

covern sich nächsten Samstag neun Münchner Bands gegenseitig.

Die Silhouetten der Musiker spiegeln sich in den großen Fensterscheiben. Scheinwerfer und die volksfestgleiche Beleuchtung des Cord Clubs tauchen Bühne und Zuschauerraum in einen Mix aus rotem und violettem Licht. Über die Lautsprecher erklingt der Song „Finally Alone“ von Claire Jul. Doch statt wie sonst Keyboard und Drumcomputer sind Gitarre und Cajon zu hören, die Komponistin des Songs steht vor der Bühne und filmt den Auftritt mit ihrem Smartphone. Denn gerade interpretiert Flonoton den Song der Electropop-Sängerin auf seine ganz eigene Weise.

Neunmal gibt es diese Szene so oder so ähnlich an dem Abend. „Freundschaftsbänd – ein Abend der Bändfreundschaften“ lautet das Motto des Konzerts, das von der Junge-Leute-Seite der Süddeutschen Zeitung zusammen mit dem Münchner Indie-Label Flowerstreet Records veranstaltet wird.

Das Konzept ist einfach: Jede der neun Bands, bunt gemischt aus allen Genres, spielt zwei Songs. Erst covert sie den Song der vorherigen Band, dann spielt sie einen eigenen, der dann wiederum für die nächste Band zur Neuinterpretation freigegeben wird. So hört man jeden Song zweimal – mit insgesamt 18 Originalen und Coverversionen ist der Abend gut gefüllt.

Einen Song zu covern, ist für die meisten Künstler nichts Neues. Viele Bands starten ihre Karriere als Coverband, und zu Übungszwecken hat nahezu jeder Musiker bereits die Songs anderer Bands nachgespielt. Doch „wenn man ein Lied nicht nur covert, weil man es cool findet, sondern man die Person, die es geschrieben hat und es sonst performt, auch noch kennt, das ist dann noch ein bisschen schöner, ein bisschen persönlicher“, sagt Singer-Songwriter Florian Saur alias Flonoton, der Claire Juls Song für seine Version sogar ins Deutsche übersetzt hat. „Normalerweise covert man ja seine eigenen Heroen oder seine gerne-spezifischen Sachen“, fügt Andreas Keymer hinzu, der mit seiner Band Lester bei der nächsten Ausgabe des Freundschaftsbänd den Song eines anderen Künstlers in eine energiegeladene Punkrock-Nummer verwandeln wird, „doch hier bekommt man einfach einen Song vor den Latz geknallt, den man nicht kennt. Das ist viel lustiger.“

Am Samstag, 29. April, dreht sich das Cover-Karussell wieder. Von 20 Uhr an stehen im Cord Club erneut neun Bands auf der Bühne, die sich gegenseitig neu interpretieren. Mit dabei ist auch die Bavaro-Indie-Truppe LischKapelle. Gitarrist und Sänger Andreas Torwesten freut sich am meisten auf die Coverversion seines eigenen Songs. „Das ist eigentlich das Herrlichste, weil es sicher ganz speziell wird, im Publikum zu stehen und den eigenen Song in einer komplett anderen Version zu hören.“ 

Selbst gecovert zu werden, ist für die meisten Bands ein Novum. „Das ist sehr spannend. Gerade in unserer Liga ist das was, was eigentlich noch nicht vorkommt“, sagt Florian Saur. Deshalb ist Andreas Torwesten „der Band, die unseren Song erwischt hat, auch dann nicht böse, wenn sie eine Death Metal-Version davon spielen“.

Noch immer hält sich das Gerücht, dass sich aufgrund des Konkurrenz- und Erfolgsdrucks in der Münchner Szene eine Art Ellenbogengesellschaft gebildet habe, dass die Bands eher gegeneinander arbeiten als füreinander. Auch damit möchten die Künstler an dem Abend aufräumen. „Ich hatte noch nie das Gefühl, dass unter den Bands Ungunst herrscht“, sagt Andreas Torwesten, und Florian Saur bemerkt: „Wir schieben uns gegenseitig die Gigs zu und tun uns auch mit dem Fahren zusammen. Das wäre überhaupt nicht der Fall, wenn die Leute so ein Ellenbogendenken hätten.“

Ganz im Gegenteil: So ein Abend dient auch dazu, neue Bandfreundschaften zu schließen. Zwar trifft man sich in der Szene immer wieder auf gemeinsamen Konzertabenden und lernt sich so kennen, „wenn du aber gegenseitig deine Songs coverst, dann kommst du dir schon noch ein bisschen näher“, sagt Schiwani Kakor, die das letzte Freundschaftsbänd-Konzert begeistert als Zuhörerin verfolgt und sich auch die zweite Ausgabe schon fest im Terminkalender eingetragen hat. „Dadurch, dass du von einer anderen Band einen Song coverst, fällt einfach diese Hürde total weg, bis du ins Gespräch kommst. Du bist einfach gleich auf einer Ebene“, sagt auch Michael Rieder, der als Singer-Songwriter Nikolaus Wolf am zweiten Freundschaftsbänd-Abend für sanfte Gitarrentöne sorgen wird. Neben Lester, LischKapelle und Nikolaus Wolf werden auch noch die Singer-Songwriter Sarah Sophie, Lost Name und Alisha Prettyfield sowie die Indie-Rocker von Die Sauna, die Folkband Eliza und die HipHop-Stepptanz-Combo Swango auftreten. Michael Wolf von Monaco Sessions wird zusätzlich für eine Videoaufnahme des Abends sorgen. In welcher Reihenfolge die Künstler jedoch spielen, und wer wen covert, bleibt bis zuletzt geheim. 

Freundschaftsbänd – ein Abend der Bändfreundschaften mit Alisha Prettyfield, Die Sauna, Eliza, Lester, Lischkapelle, Lost Name, Nikolaus Wolf, Sarah Sophie und Swango. Cord Club, Sonnenstraße 18, München. Beginn: 20 Uhr. Eintritt: 7 Euro.

Text: Maximilian Mumme

Foto: Jean-Marc Turmes

Mein Song? Dein Song? Unser Song!

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Der von der Junge-Leute-Seite gemeinsam mit Flowerstreet Records organisierte Abend “Freundschaftsbänd” wird zu einem wahren Fest der Bandfreundschaften. Neun Münchner Bands Covern sich gegenseitig- und so manche musikalischen Gegensätze prallen direkt aufeinander

Als die beiden Herren von Elektrik Kezy Mezy die Bühne betreten, müssen sie sich erst einmal entschuldigen. Für das, was sie mit elektronisch verzerrter Gitarre gleich aus dem freudig-erwartungsvollen Song L’éléphant von Henny Gröblehner alias Pour Elise machen werden. Die Sängerin selbst muss allerdings lachen. Sie freut sich einfach auf diese etwas andere Version ihres Liedes.

„Freundschaftsbänd“ heißt der Abend im Cord-Club. Die neun Künstler des Abends spielen nicht nur ihre eigenen Songs. Jeder hat die Aufgabe, ein Stück eines weiteren Künstlers des Abends in eigener Interpretation aufzuführen. Die Junge-Leute-Seite der Süddeutschen Zeitung hat das Festival gemeinsam mit der Münchner Plattenfirma Flowerstreet Records organisiert. „Abende wie diese sollen den Münchner Bands eine Plattform geben, um sich als Kollektiv zu präsentieren“, sagt Amadeus Böhm, der nicht nur mit seiner Gitarre für Elektrik Kezy Mezy die Wände erzittern lässt, sondern auch als Gründer von
Flowerstreet Records das Festival mitkuratiert hat.

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Und so verwandelt sich der Samstagabend im Cord Club in eine Art musikalischen Kreisel: Ein Künstler spielt ein eigenes Stück in Originalfassung, das von der darauffolgenden Band gecovert wird. Die gibt dann ebenfalls einen eigenen Song zum Nachspielen frei. Den Abschluss macht der Singer-Songwriter Flonoton, der Claire Juls düster wummernden Elektro-Soul-Pop in eine fröhliche Ballade verwandelt. Und – als wäre das keine große Sache – hat er den englischen Originaltext für diesen Auftritt ins Deutsche übersetzt.

Bereits beim Soundcheck sind viele der Künstler aufgeregt. Weil die andere Band direkt mitbekommt, „was man aus ihrem Song, aus ihrem Herzblut gebastelt hat. Das ist wirklich aufregend und sehr intim“, verrät Verena Lederer, die als Klimt auf der Bühne Flonotons gehetzt-verzweifeltes Lied „Prellung“ in eine ruhige mit hübschen Melodieläufen ausgestattete Klavierballade verwandelt. Ihr persönlich ausgearbeiteter Stil rückt selbst beim Covern deutlich in den Vordergrund. 

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Und genau das ist es, was diesen Abend der Band-Freundschaften so besonders macht. Alle Künstler geben sich größte Mühe, das ihnen anvertraute Lied in ganz neuem Licht zu präsentieren. „Dabei musste man den Song komplett auf das Wesentliche herunterbrechen und sich dann überlegen: Wie würde ich das schreiben?“, sagt Kilian Unger alias Liann, der wohl eine der härtesten Aufgaben zu bewältigen hat. Gemeinsam mit der Cellistin Elisa von Wallis verwandelt er Elektrik Kezy Mezys wummernde Blues-Rock-Nummer „This Is How“ in ein andächtiges Liebeslied. Statt lauten Gitarrensoli setzt Liann auf punktiertes Picking am Cello. Und das funktioniert hervorragend, auch die Zeilen des Refrains „This is how I love you / This is how I make you cry“ bekommen eine ganz neue Bedeutung. Die bildmalende Poesie des Liedermachers trifft auf harte Bluenotes der Münchner Garage-Rocker – derartige musikalische Kontraste gibt es an diesem Abend viele. Mola etwa, die Klimts intensives Stück „Loneliest Person On Earth“ in eine groovige Soul-Nummer verwandelt. Und so zeigen die Künstler einmal mehr, dass in München genauso großartige, bunte musikalische und kulturelle Impulse gelebt werden wie in anderen Städten.

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Auch mit einem weiteren Stereotyp räumen die Münchner Künstler auf. Noch immer hört man das Vorurteil, dass sich aufgrund des hohen Konkurrenz- und Erfolgsdrucks in der Szene eine Art Ellenbogengesellschaft gebildet habe. Dass die Bands hier mehr gegeneinander als für- und miteinander arbeiten würden. Wer am Samstagabend allerdings auf die Hingabe achtet, mit der sich die Künstler an den ihnen anvertrauten Liedern zu schaffen machen, der kann bezeugen, dass zwischen den Musikern eine ganz besondere Bindung herrschen muss. 

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Besonders nach diesem einmaligen Konzert ist diese Vertrautheit überall spürbar. Es wird gelacht, gedankt für die neuen Impulse, die jeder Künstler aus den Coverversionen mitnehmen kann. Karlo Röding etwa, Frontman der Indie-Band The Living, hätte Sängerin Claire Jul den eigenen Song „Sweet Melody“ fast geschenkt, als er ihre Version zu hören bekommt.

Auch das Publikum zeigt sich begeistert vom extrem kurzweiligen Verlauf des Abends. Viele Zuschauer wünschen sich eine Fortsetzung, besonders weil sich die Münchner Bandszene so familiär und freundschaftlich verbunden gezeigt hat. Bei all den neuen Eindrücken und Bekanntschaften freuen sich Bands und Publikum selbstverständlich auch über die ausgefalleneren Kontrastpunkte, die etwa Dobré setzen kann. Mit Cajons und Westerngitarre verwandeln sie Molas Electro-Pop in eine entspannte Lagerfeuerhymne. Und auch Pour Elise zeigt sich von der verzerrten Up-Tempo-Version ihres unbeschwerten Akustik-Songs begeistert. „Ich konnte noch immer alles mitsingen“, sagt die Sängerin. Und für den Stilbruch haben sich Elektrik Kezy Mezy ja bereits entschuldigt.

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Text: Louis Seibert

Fotos: Jean-Marc Turmes


Weitere Bildergalerien des Abends gibt es hier und hier.

Spotify Playlist: Freundschaftsbänd

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Ein einmaliger Abend soll es werden. Neun verschiedene Münchner Künstler und Bands, die sich gegenseitig covern lassen. Alle die sich die Musiker schon einmal vorab im Original anhören wollen sollten sich diese SZ-Junge-Leute-Playlist auf Spotify nicht entgehen lassen!

Die Musiker die am Samstag bei Freundschaftsbänd auf der Bühne stehen kennen diese Songs inzwischen sicherlich auswendig. Denn dann wird von jedem Künstler ein Song in völlig neuem musikalischen Gewand aufgeführt. Weil die Originale allerdings mindestens genauso spannend anzuhören sind, haben wir unsere Lieblingslieder von The Living, Liann, Flonoton, Dobré und Elektrik Kezy Mezy in eine wunderbare Playlist gepackt.

KLIMT, pourElise, mola und Claire Jul sind leider (noch) nicht auf Spotity vertreten. Dafür hier ihre Soundcloud-Seiten: 

 KLIMT: https://soundcloud.com/musicbyklimt 

 pourElise: https://soundcloud.com/pour-elise 

mola: https://soundcloud.com/molamusic 

Claire Jul: https://soundcloud.com/claireij

Viel Freude beim Hören!

Von: Philipp Kreiter und Louis Seibert

Foto: Yunus Hutterer / Grafik: Max Mumme

Band der Woche: Flonoton

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Rap mal anders: Der Münchner Singer-Songwriter Florian Sauer rappt als Flonoton mit einer Akustik-Gitarre. Zu seinen Hip-Hop-Singer Songwriter-Songs kommen auch klassische Balladen.

Nachdem Punk zum britischen Lokalkolorit geworden war, sprich: seine Berserker-Kraft ein wenig verloren hatte, wusste der Hip-Hop diese Lücke ein paar Jahre später genüsslich zu schließen. Wo im Punk nur der Klang in den Krach abrutschte – Harmonien und Songstrukturen aber im klassischen Pop-Songwriting verhaftet blieben – setzten die ersten Rapper sich vom Bauplan Popmusik strukturell noch viel stärker ab: keine Melodie, und wenn doch eine Melodie, dann in der gesampelten Loop-Form der Beats. Und die Worte und der Text werden vom Rhythmus getragen, nicht aber von der Harmonie. Dass Hip-Hop eine Geste der Rebellion inne hatte, ist so schon rein strukturell bedingt. Und inhaltlich traf sich das dann wunderbar mit Trotz, mit Bürgerrechts- und Freiheitsgedanken (seit den Sechzigerjahren quasi ein Rebellions-Abziehbild). Aber es fand sich auch Gangsterromantik und nihilistische Bandenkriminalität, die selbst die bereits rebellionserprobte Vorgänger-Generationen wirklich zu provozieren wusste.

Dass die Anfangszeit des Hip-Hops aber doch auch schon eine ganze Weile her ist, zeigt sich in der Musik des Münchner Songwriters Flonoton. Oder, vielleicht sollte man besser der Rapper Flonoton schreiben. So genau lässt sich das nicht bestimmen, weil Florian Saur Gitarre-spielend rappt. Und gleichzeitig ein Hip-Hopper ist, der sich seine Beats an der Akustik-Gitarre zu Recht klopft und darauf dann dichtet. Ja, Rap mag in seinem Ursprungsbild erst einmal gar nicht zu der Songwriter-Bewegung passen, die immer noch sehr in Hippie-Idealismen oder aber im Klischeebild der musikalischen Begleitung einer evangelischen Jugendfreizeit hängt. Eine Gefahr, die Flo auch nicht umschifft, sondern vielmehr umgarnt. Tracks, die gut gelaunt auch die schlechten Seiten des Lebens betrachten und in ihren schlechteren Momenten an die A-Cappella-Gute-Laune-Besserwisser Wise Guys erinnern.

Songwriter klingen per se meist eher freundlich – außer sie sind von der melancholischen Sorte, dann klingen sie traurig. Ausgesprochen selten klingen sie jedoch wütend. Flo hat sich nun einen Gesangsstil ausgesucht, dessen Grundstruktur eher aggressiv als einlullend ist. „Vor allem, weil ich gerne Reime und Emotionen suche, die ich in Liedern verwenden beziehungsweise ausdrücken kann“, antwortet er auf die Frage, wie er zu seinem Stil kam. Daraus entstehe der etwas gegensätzliche Mix aus Balladen und so einer Art akustischem Rap, erklärt er weiter, etwas, das er gerne als „Pseudo-Rap“ bezeichne. Gleichzeitig scheint es zu sein, als versuche er die Grund-Angriffslust, die den Rap kennzeichnet, durchweg zu zähmen und auf eine Art Gesamtverträglichkeit einzukochen. Die Musik, die er nun auf einer ersten EP namens „Flozirkus“ veröffentlicht hat, ist dementsprechend ambivalent: ein einfacher Wortwitz, ein Augenzwinkern, das irgendwie schon ein bisschen ausgelutscht klingt, aber dennoch klar definiert, von was hier die Rede ist.

Die Produktion dazu ist glatt, voll und gleichzeitig transparent. Da stört nichts, die Musik wird schmeichelnd vermittelt. Die Gitarre groovt als Beat unter Flos geschmeidiger Stimme, Percussions definieren den Flow, während Flo eine Mischung zwischen Rappen und Singen vollführt, die klare Tonhöhen kennt und definiert, aber gleichzeitig auf melodische Bögen verzichtet und sich in Rhythmik und Reimschema gezielt im Hip-Hop verortet. Zwischen den Hip-Hop-Singer-Songwriter-Songs finden sich klassische Balladen, wie etwa „Blind“, mit erwartbarem Text, Klavierbegleitung und Schnulzen-Timbre. Deutlich spannender wird es, wenn er seine Songwriter-Wurzeln verlässt, wie im Opener „Angehauchte Scheiben“.  

Stil: Akustik-Songwriter-Rap
Besetzung: Florian Saur (Gitarre, Stimme, Songwriting), Live manchmal mit Band
Aus: München
Seit: 2012
Internet: www.flonoton.de

Text: Rita Argauer

Foto: Flonoton