Je suis Dichter

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Elena Kaufmann, 23, organisiert einen Lyrik-Workshop in Paris: Sprachhindernisse stören nicht, es geht um den Klang

Es mutet wie ein schlechter Sketch an: Hocken fünf Deutsche,
die kein Französisch können, in Paris. Kommen ebenso viele Franzosen, die kein
Deutsch können, setzen sich dazu und reden mit denen – über Lyrik, die sie selbst
geschrieben haben. Nein, sie reden nicht nur, sie übersetzen die Gedichte auch
aus einer Sprache, die sie nicht verstehen, in eine Sprache, die die anderen
nicht verstehen. Und am Ende gibt es dann eine Lesung, bei der sich ein
Publikum anhört, wer was nicht verstanden hat.

Was zunächst etwas absurd klingt, ist Elena Kaufmanns Vision
eines literarischen Arbeitswochenendes: Die 23-Jährige organisiert derzeit
einen Lyrik-Workshop, der Mitte Februar in Paris stattfinden soll. Das Konzept:
Gedichte übersetzen in und aus einer Sprache, die die Teilnehmer kaum bis gar
nicht sprechen. Auf die Idee kommt die Komparatistikstudentin während eines
Auslandssemesters in Paris – die Studentin schreibt schon seit einigen Jahren
im Münchner Lyrikkollektiv Junge Lyrik in der Stadt (July) mit und will das
Schreiben während ihrer Zeit im Ausland nicht ruhen lassen, übersetzt einige
ihrer Texte ins Französische und merkt, wie schwierig das manchmal sein kann.

Unterstützung für den Workshop erhält sie von Mathieu
Gabard, den sie in Paris kennenlernt (Foto: Romuald Nicolas). Mathieu, 29, ist Gemüsehändler und „ein
Typ, der auch findet, dass das Obst dieser Welt zu wenig gestreichelt wurde“,
sagt Elena und grinst. Doch Mathieu mag nicht nur Gemüse, sondern auch das
Schreiben: Zusammen mit Freunden hat der Franzose eine Schreibwerkstatt
gegründet – die École Internationale Supérieure de Poésie Intercontemporaine (EISPI).
Der hochtrabende Name soll Persiflage sein auf jene Grandes Écoles, in denen
Frankreich in alter Tradition seine intellektuelle Elite heranzüchtet. Doch so
ernst, wie der Name klingt, geht es bei jungen Dichtern nicht zu: Der Zugang
der Franzosen zum Schreiben sei ein sehr spielerischer, erklärt Elena – da wird
zusammen an Gedichten geschrieben. Und regelmäßig veranstalten Mathieu und
seine Freunde ein „literarisches Catchen“. Da schreiben dann zwei Autoren live
vor Publikum zu einem Thema gegeneinander an. Die spinnen doch, die Franzosen,
könnte man meinen. Aber in der französischen Literatur hat es solche Experimente
bereits früher gegeben: Schreibtechniken wie die Écriture automatique, bei der
der innere Kritiker ausgeschaltet werden soll, etablierten sich von 1920 an in
der surrealistischen Literatur – und werden – zumindest bei EISPI – auch heute
noch gerne zur Texterzeugung genutzt.

Es ist genau diese Abwechslung, die sich Elena von ihrem
Lyrikworkshop erhofft: In München, erklärt sie, werde sehr viel allein
geschrieben, oft mit dem Druck dahinter, es müsse unbedingt gut werden. Eben
diesen Druck will Elena nun aus dem Schreiben nehmen. „Einfach mal an die
Grenzen der eigenen Sprache gehen und assoziativ mit diesen spielen“ ist ein
Ziel des Workshops, bei dem sich das junge München und das junge Paris begegnen
sollen.

Das spielerische Übersetzen, das Elena sich wünscht, soll
auf zwei Ebenen ablaufen. Einerseits möchte sie ein „assoziatives Übersetzen“
ausprobieren: „Oft schnappt man in einer völlig fremden Sprache zwei oder drei
Wörter auf, die man zu kennen glaubt und schon hat man dazu Ideen“, erklärt
Elena das Konzept.

Auch die Vortragsweise der Lyriker soll die Phantasie der
anderen beflügeln, denn die Hochgestochenheit oder das Understatement, mit der
in anderen Sprachen Gedichte vorgetragen werden, kann man lyrisch durchaus
parodieren. An einer direkten „klanglichen“ Übersetzung wolle man sich während
des Workshops ebenfalls versuchen – übertragen wird also nicht der Inhalt eines
Textes in eine andere Sprache, sondern lediglich dessen Klang, mitunter auch
die Form eines Gedichtes. Elena und Mathieu probieren das derzeit mit
türkischen Gedichten, bei denen wohl immer sehr unterschiedliche Texte
herauskommen. Angenehmer Nebeneffekt: „Man entdeckt in der eigenen Sprache
immer wieder Wörter und Konnotationen, die man vorher wenig genutzt hat“, sagt
die junge Lyrikerin.

Neben dieser Übersetzungsarbeit sollen die Teilnehmer auch
einen literarischen Blick auf die Stadt werfen, in der sie arbeiten: Paarweise
– ein Deutscher, ein Franzose – werden die Autoren losgeschickt an unterschiedliche
Pariser Orte, die sie zu einem Text inspirieren sollen. Dahinter die Frage: Wie
sieht ein Einheimischer die Plätze und Straßen, wie ein Tourist? Gerade in
Zeiten, in denen Paris Synonym für Terror und Je-suis-Charlie-Bekundungen ist,
kann eine solche Nabelschau spannend sein. Am Ende dieses Arbeitswochenendes
sollen dann jene Eindrücke der Stadt zusammen mit den Übersetzungsversuchen in
dem kleinen Pariser L’Ogresse-Theater gelesen werden.

Ob etwas Gutes dabei rauskommt, weiß Elena noch nicht, doch
wenn sie von ihrem Plan erzählt, strahlt sie. Sie lacht auch viel – schließlich
geht es ihr um den Spaß am Schreiben, nicht um das Ergebnis. Und falls es dann
doch schief geht, gibt es auf jeden Fall noch einen zweiten Versuch. Im Sommer
wollen die Franzosen zum Gegenbesuch nach München kommen und dort das Konzept
des Lyrikkollektivs July kennenlernen: Lesungen an ungewöhnlichen Orten.

Carolina Heberling

Dichter und Querdenker

Marie Bruns. Foto: Anne Puhlmann

Vom Bierradl-Unternehmen bis zum Uni-Chor, vom Freestyle-Fußballer bis zum Party-Girl, vom Aktivisten bis zum Verleger-Duo: Diese jungen Menschen sorgen 2015 dafür, dass München bunt, spannend und lebenswert bleibt.

Luise Aschenbrenner
Schauspielerin

Sie ist zierlich, aber mit ihren langen roten Locken kaum zu übersehen: Schauspielerin Luise Aschenbrenner hat mit ihren gerade einmal 19 Jahren schon einige tolle Filme gemacht – so war sie 2014 zum Beispiel an der Seite von Birte Hanusrichter, Frontfrau der Young Chinese Dogs, in der ZDF-Produktion „Seitensprung“ zu sehen und hat in diversen Kurzfilmen mitgespielt. Seit April studiert Luise, die ursprünglich aus Altomünster bei Dachau stammt, Schauspiel an der Universität der Künste in Berlin. Nebenher dreht sie weiterhin Filme, so auch einen Thriller für die ARD.

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Luise Aschenbrenner. Foto: Stefan Klüter
 
Tristan Marquardt
Dichter

Lyriker Tristan Marquardt, 27, stellt im neuen Jahr wieder einmal unter Beweis, wie vielfältig die Münchner Literaturszene sein kann: Der Initiator der Lesereihe „meine drei lyrischen ichs“ geht 2015 als Mitorganisator des „großen Tags der jungen Münchner Literatur“ noch einen Schritt weiter – junge Münchner Autoren aller Sparten haben einen Abend lang Zeit, sich zu präsentieren. Bei diesem literarischen Marathon lesen unter anderem Juno Meinecke, Fabian Bross, Elias Wagner und Anya Steigerwald. Nebenher arbeitet Tristan an einem neuen Lyrikband.

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Tristan Marquardt. Foto: Katja Zimmermann

Abaco-Orchester
Uni-Musiker

Es war bloß so eine Idee, die jemand nach einem Auftritt aussprach. „Doch wir waren so begeistert, dass wir uns sofort an die Planung gemacht haben“, sagt Anna Leibinger. Nach mehr als zwei Jahren Vorbereitung wird das Abaco-Orchester am 28. Februar 2015 die 2. Symphonie von Gustav Mahler aufführen. Die Philharmonie ist der einzige Ort, an dem in München für dieses Stück Platz ist. Doch allein die Raummiete beträgt 13 000 Euro. Per Crowdfunding auf startnext (mahler2.de) sammelt das Universitätsorchester nun Geld. 9000 Euro sind bereits zusammengekommen. Bis zum 15. Januar freuen sich die 400 Musiker über jede Spende.

 
Elizaveta Porodina
Fotografin

„Ein gutes Foto – das geht auch ohne Sternenstaub“, beschreibt Elizaveta Porodina, 27, ihre fotografische Entwicklung. Zauberhaftes und Verspieltes musste ihren Bildern in den vergangenen zwei Jahren zunehmend weichen. Mittlerweile sieht sich die Fotografin, die zwar für große Magazine engagiert wird, immer mehr im Bereich der Kunst: mit Kanten und Schwarz-Weiß-Bildern. Die Münchnerin ist erwachsen geworden – und mit ihr die Fotografie. Für 2015 plant sie ihre erste große Ausstellung. Dafür reist sie zu Beginn des Jahres einige Wochen durch die Welt.

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Elizaveta Porodina. Foto: Elizaveta Porodina
 
Konrad Bauer und Korbi Schmaus
Unternehmer

Wen in Berlin, Köln oder Hamburg zu später Stunde der Bierdurst packt, der verlässt die Wohnung und deckt sich im Späti um die Ecke ein. Weil in München fast jeder Kiosk um 20 Uhr schließt, fahren Lieferdienste das Bier direkt zum Kunden. Mit dem Auto durch die Stadt? Das wollen Konrad Bauer, 23, und Korbi Schmaus, 26, vermeiden. Sie eröffnen 2015 ein Bierradl-Unternehmen. Das Bier kommt dann direkt aus der Stadt, ohne Umwege, ohne CO₂-Ausstoß. Bis zu acht Kästen können auf dem selbstgebauten Rad transportiert werden. Die erste Party an der Isar wurde im vergangenen Sommer schon auf diese Weise beliefert – das Konzept geht auf. Im Frühjahr soll Rad Nummer zwei folgen.
 
Alice M. Huynh
Modedesignerin

Designerin und Bloggerin Alice M. Huynh, 24, startet mit dem Abschluss an der Modeschule AMD ins neue Jahr. Im Februar wird sie ihre Bachelor-Kollektion „Fresh off the Boat“, eine Interpretation der Flüchtlingsgeschichte ihrer vietnamesischen Mama und ihres chinesischen Papas, präsentieren und im Internet zum Kauf anbieten. Um Ideen für kommende Werke zu sammeln, treibt es die 24-Jährige zunächst selbst nach Asien. „Inspiration findet man nicht auf dem Laufsteg, sondern auf der Straße“, sagt Alice. Von ihren (modischen) Erlebnissen wird sie auf ihrem Blog und einem frisch gestarteten Youtube-Kanal „Bun Bao“ berichten.

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Alice M. Huynh. Foto: The Alpha Kiks

Sven Fielitz
Freestyle-Fußballer

Seit Sven Fielitz in München studiert, sind die U-Bahn-Stationen zu seinem Trainingsplatz geworden: „Es ist warm, trocken und hell. Vor allem im Winter ist das ein perfekter Platz zum Trainieren“, sagt er. Freestyle ist eine Form des Fußballs, die Kreativität, Style und Performance verbindet. Wie ein Tänzer kreiert der Sportler eine Kombination aus verschiedenen Tricks. Bei Wettbewerben misst sich Sven mit Freestylern aus aller Welt. Mit Gleichgesinnten hat Sven die Filmgruppe „TekNeek“ gegründet. Sie begleiten Events mit der Kamera und erstellen Recap-Filme. „Ein persönliches Ziel von mir ist es, in Zukunft eine große Doku über den Sport zu drehen, über die Entstehung und Entwicklung der Szene in den vergangenen Jahren“, sagt Sven. 2015 will er auch bei internationalen Wettbewerben starten: „Nach dem Ende meines Studiums werde ich mehr Zeit für Freestyle haben und bei den nächsten Meisterschaften meine Ziele wieder erreichen.“
 
Marie Bruns
Model

Vergangenes Jahr im November wurde Marie Bruns, 23, bei ihrem Nebenjob bei einer schwedischen Klamottenfirma von einer Agentur angesprochen. Von da an wurde Marie immer wieder zu Test-Shoots eingeladen, bei denen Fotodesignstudenten das Shooting organisieren. Auch privat kennt Marie Fotografen und stand schon ab und zu vor der Linse. Doch seit 2014 wird Marie immer häufiger für professionelle Shootings gebucht. Ihr Gesicht taucht regelmäßig auf – auch im aktuellen Lookbook der Münchner Designerin Ayzit Bostan. „Ich studiere im fünften Semester Jura. Das ist interessant, aber nervenaufreibend. Die Uni soll mein Hauptthema bleiben, jedoch braucht man auch Abwechslung von dem Juragedöns“, sagt Marie. Für nächstes Jahr hat sie in den Semesterferien einen längeren Auslandsaufenthalt geplant, um zu modeln.
 
Maxime Weber
Blogger und Aktivist

Der Luxemburger Maxime Weber, 21, ist ein Multitalent, auf seinem Blog schreibt er über Musik, Kultur und besonders gesellschaftliche Themen. Der an der LMU immatrikulierte Philosophiestudent erregt besonders durch sein Engagement gegen die rechte Szene in Luxemburg Aufsehen, die er durch eine kritische Analyse ihrer Texte und Pamphlete regelmäßig bloßstellt. Momentan arbeitet er an einem weiteren Artikel, um einen Überblick über die – größtenteils in sozialen Netzwerken stattfindenden – rechten Aktivitäten in seiner Heimat zu geben. 2015 will Maxime auch in München gegen die Neonazis aktiv werden und „deren hanebüchenen Argumente wie immer mit Rationalität und Humor demontieren“.
 
Nadia Khan
Tänzerin

Aus einer klassischen Tänzerfamilie kommt Nadia Khan, 23, nicht. Weder Mutter noch Vater sind Ballett-Tänzer. Doch auch ihre drei Geschwister Maria Sascha, Julian und Nicholas haben eine Ballettkarriere eingeschlagen. Getanzt haben sie schon in der Kindheit. „Meine Mutter musste mich mal vom Kindergarten abholen, weil ich während der Ruhezeit eine komplette Cinderella-Choreografie aufgeführt habe“, sagt Nadia. Ihr erster Job als Ballerina war im Bayerischen Staatsballett in München im Herbst vor vier Jahren. Auch ihre ältere Schwester wurde in München engagiert – und so konnten die Schwestern Zeit miteinander verbringen. Ihre Brüder trainieren auf der Bolschoi-Ballett-Akademie in Russland, um in die Fußstapfen der erfolgreichen Schwestern zu treten. Mittlerweile tanzt Nadia im Compañía Nacional de Danza in Madrid, Maria Sascha blieb in München. Vor einem Monat hat das amerikanische Tanzmagazin Dance Informa Nadia als „Ballerina Sensation“ gekürt. In der Ballett-Welt werden Nadia und die außergewöhnliche Geschichte ihrer tanzenden Familie immer bekannter.

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Nadia Khan. Foto: Annett Poppe

Xenia Richter
Party-Girl

Ob man in München auf der richtigen Party ist, weiß man erst, wenn man auf Xenia Richter, 22, trifft. Vor zwei Jahren zog es die Augsburgerin nach München, wo sie zunächst Praktika in der Modebranche machte, dann aber in eine Veranstaltungsagentur wechselte. „Die Veranstaltungsbranche ist um einiges ehrlicher als die Modebranche“, sagt sie. Die angehende Veranstaltungskauffrau schlägt sich wacker in dem von Männern dominierten Beruf. „Als einziges Mädchen in der Agentur überlassen mir die Jungs trotzdem sehr viel Verantwortung“, sagt sie. „Was eine Party ausmacht? Man muss eine besondere Stimmung hinzubekommen, die im Gedächtnis bleibt“, sagt Xenia. Sie treibt sich nicht nur auf den angesagtesten Partys herum, sondern kümmert sich um Pressearbeit und um die Event-Organisation. Zusätzlich arbeitet sie am Wochenende im Club Kong an der Bar.

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Xenia Richter.  Foto: Privat

 
Stefanie Hammann und Maria von Mier
Verlegerinnen

Künstlerinnen gibt es viele, aber als Duo mit eigenem Verlag sind Stefanie Hammann und Maria von Mier quasi ein Unikat. Die beiden geben Künstlerbücher heraus, die selbst Kunstwerke sind. Auf einer Buchmesse in New York hatte der Verlag „Hammann & von Mier“ 2014 bereits einen Stand. Eine ihrer Spezialitäten: Overnight-Highspeed-Bücher, die in einer Nacht entstehen und den künstlerischen Status quo des Duos widerspiegeln – ihre Kunst bezeichnen sie im Spaß als „Hochleistungskunst“. Noch studieren die beiden an der Akademie in München in der Klasse Metzel, im Januar 2015 werden sie ihr Diplom machen. Es wird ein Jahr des Umbruchs für sie: neues Atelier, neue Wohnung, neue Projekte – zum Beispiel ein Künstlerbuch mit Angela Stiegler, das schon in Arbeit ist. Warum sie sich zusammengetan haben? „Zu zweit sind wir viermal so schnell. So können wir viel mehr ausprobieren“, sagen sie.
 
Xavier D’Arcy
Singer-Songwriter

Es gibt verschiedene Erklärungen für das, was passiert, wenn Xavier D’Arcy, 19, eine Bühne betritt: Charisma, Präsenz, oder vielleicht auch einfach nur Talent. Doch nur eine schöne Stimme und ein gutes Händchen fürs Songwriting reichen nicht aus, um die Atmosphäre in einem Club derartig zu verändern. Der Münchner mit französisch-britischer Abstammung, der sich als Musiker schlicht Darcy nennt, bannt mit seinen Songs das Publikum in andächtige Ruhe. Die Energie, die Hingabe und die Unbedingtheit, mit der er sich in seine Musik wirft, heben dabei die einfache Machart seiner Musik – Akustikgitarre und Stimme – auf eine andere Ebene. Seit seinen ersten Konzerten ist viel passiert: Musikmanager Rainer Tarara wurde auf den jungen Künstler aufmerksam. Und der brach daraufhin sein Studium, das er in England begonnen hatte, im vergangenen Sommer ab, um sich in München ganz auf seine Musik zu konzentrieren. Es folgte eine Support-Tour für MarieMarie. Gerade arbeitet Darcy an seiner ersten EP, die den trotzig-schlichten Titel „Extended Play“ tragen soll. Die Veröffentlichung ist für das Frühjahr geplant – weitere Touren und ein großes Veröffentlichungskonzert inklusive. Darcy könnte sich als ein weiterer Münchner Musiker etablieren, der für die großen Plattenfirmen interessant ist. Mit Exclusive und Jesper Munk, deren Major-Debüts beide im Frühjahr 2015 erscheinen werden, wäre er da in guter Gesellschaft.

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Xavier D’Arcy. Foto: Robert Schuster

 
Autoren: Rita Argauer, Katharina Hartinger, Carolina Heberling, Matthias Kirsch, Philipp Kreiter, Friederike Krüger, Natalie Mayroth,
 Bettina Pfau, Stefanie Witterauf

Abseits von Krieg und Gewalt

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Der Fotostudent Stefan Loeber lebt für seine Bachelor-Arbeit ein halbes Jahr lang in Tel Aviv. Er möchte mit seinen Bildern andere Seiten von Israel entdecken – ein Gespräch.

Es ist Krieg, als Stefan Loeber, 26, (Foto: Johannes Gerblinger) in den Flieger nach Israel steigt: Fast ein halbes Jahr will er bleiben, um das Land zu entdecken, um dort Fotos zu machen. Als der Münchner im August in Tel Aviv ankommt, sind es die brutalen Kämpfe in Gaza, jener „Krieg der Bilder“, die die ganze Welt medial verfolgt. Die militärischen Auseinandersetzungen sind zwar inzwischen vorbei, dennoch sind es die Bilder von gegenseitiger Gewalt, die man außerhalb Israels momentan wahrnimmt: Es sind Anschläge wie jene auf eine Synagoge in Jerusalem vergangenen Dienstag, die ein Öffentlichkeit finden. Doch Fotostudent Stefan möchte mit seinen Fotos andere Seiten von Israel entdecken, Bilder abseits von Krieg und Gewalt einfangen.

SZ: Israel ist ja momentan nicht das sicherste Reiseland. Was war die Motivation, ausgerechnet dort auf Fotoreise zu gehen?
Stefan Loeber: Ich studiere Fotografie und bin jetzt in Israel, um meine Bachelorarbeit zu machen. Mein Interesse liegt im Bereich der Porträt- und Reportagefotografie und deswegen wollte ich eben für längere Zeit in ein anderes Land, um dort etwas Neues zu sehen. Es hat sich dann angeboten, nach Tel Aviv zu gehen, weil meine Freundin ursprünglich aus Israel kommt und es natürlich spannend ist, sich mit den aktuellen Konflikten fotografisch auseinanderzusetzen.

Was für ein Gefühl war es, in ein Land zu fahren, in dem Krieg herrschte?
Ich kannte schon vorher Leute aus Tel Aviv und hatte so einen ganz guten Einblick, wie die Situation vor Ort ist – deswegen wusste ich, dass es „okay“ ist, dort hinzufahren, was die Sicherheit anbelangt. Aber klar, der Krieg lässt einen natürlich nicht so schnell los. Wenn man anderseits dann in den Alltag abtaucht, merkt man, dass hier auch vieles sehr normal ist und man vom Krieg gar nicht so viel mitbekommt. Manchmal kam ein Alarm, aber im Prinzip ist Tel Aviv eine sehr große, sichere Blase – der Krieg war hier eher eine emotionale Sache, denn die Gedanken daran kann man nicht ausblenden.

Die militärischen Auseinandersetzungen sind zwar vorbei, dennoch gibt es immer wieder Anschläge in Israel: Anfang November in Tel Aviv, vorigen Dienstag auf eine Synagoge in Jerusalem. Verändert so etwas das Sicherheitsgefühl?
Ich merke schon, dass ich viel darüber nachdenke und vorsichtiger bin als vorher. Bei uns in München wäre das ganz anders, aber hier haben sich die Leute an so etwas gewöhnt. Natürlich ist die Angst da, dass es wieder zu größeren Unruhen kommt, doch andererseits ist das ja auch nichts Neues: Es hat ja immer wieder Zuspitzungen des Konflikts gegeben – das ist im Prinzip nur eine Wiederholung von alten Tatsachen. Aber dass solche Anschläge wieder gehäuft passieren, zeigt eben, dass es auf beiden Seiten eine wahnsinnig große Radikalisierung gibt. Gerade wenn man mit Leuten darüber spricht, hört man oft ganz beiläufig sehr radikale Dinge. Häufig kann man diese Aussagen dann gar nicht einordnen, weil sie eigentlich von ganz normalen Leuten kommen. Das zeigt einfach, wie kaputt und gewalttätig die Ansichten der Gesellschaft hier mitunter sind.

Und die Eltern? Die sind vermutlich nicht so glücklich, wenn sich der Sohn entscheidet, nach Israel zu gehen.
Meine Eltern hätten mich wahrscheinlich lieber in München gesehen, dennoch haben sie immer respektiert, was ich tue. Aber natürlich kann man sich nicht vorstellen, wie es ist in Israel zu leben, wenn man in Deutschland ist und die Situation nur aus den Nachrichten kennt. Es ist wahrscheinlich schwer zu verstehen, dass man hier auch einen Alltag hat.

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In der Bachelorarbeit sollen keine Kriegsbilder reinszeniert werden, die das Israel-Bild vieler Deutscher geprägt haben – warum?
Ich sehe mich nicht als Kriegsfotograf oder dergleichen. Ich wollte eine Arbeit machen, die komplexer ist als die täglichen Nachrichten. Da ich noch nie in Israel war, wollte nicht schon mit einer fertigen Idee für meine Bachelorarbeit hier ankommen. Mir ist wichtig, das Land wirklich kennenzulernen und mir das Thema dann hier vor Ort zu suchen, ohne schon mit einer vorgefertigten Meinung aus den Medien an das Projekt heranzugehen. Dazu lerne ich gerade Hebräisch, unterhalte mich mit vielen verschiedenen Leuten und dabei merke ich eben, wie viele Themen und Geschichten es hier gibt, von denen man in Deutschland gar nichts mitbekommt – ich glaube, das ist es, wonach ich eher gesucht habe.

Bei dieser Suche sind unter anderem Fotos von der Organisation „The Parents Circle" entstanden. Worum geht es dieser Gruppe?
„The Parents Circle“ wurde 1995 gegründet und besteht aus circa 600 Familien sowohl jüdischer als auch arabischer Herkunft, die durch den Konflikt zwischen Israel und Palästina ein Familienmitglied verloren haben. Während des aktuellen Krieges haben sich die Mitglieder mehr als 50 Tage jeden Abend zu einer Demo in Tel Aviv getroffen, zu der sie Gesprächspartner eingeladen haben, um im Dialog einen anderen Weg der Konfliktlösung aufzuzeigen. Es ist leider so, dass der Gazakrieg von vielen israelischen und palästinensischen Bürgern unterstützt wurde und man vorsichtig sein musste, wie man sich dazu äußert.

Dennoch versuchen die Mitglieder des „Parents Circle“ durch verschiedene Aktionen den Dialog zu fördern.
Ja, ein wichtiger Teil ihrer Arbeit besteht zum Beispiel darin, in Schulen zu gehen, sowohl auf israelischer, als auch auf palästinensischer Seite und dort Aufklärung zu leisten. Konkret heißt das: Sie gehen mit einem Israeli und einem Palästinenser zusammen in die Schulen, diskutieren dort mit den Schülern, hören ihnen zu – Zuhören ist für sie eine Grundvoraussetzung, denn man muss wissen, wie der andere tickt und was ihn bewegt, wenn man etwas verändern will.

Wie reagieren die Schüler darauf?
Die Diskussionen sind meist ziemlich hitzig, denn für manche der Schüler ist das wirklich die erste Konfrontation mit der „Gegenseite“, aber sie haben die Klasse immer im Griff. Diese Menschen haben erlebt, wie es ist, ein Familienmitglied zu verlieren – denen hört man ganz anders zu.

Im September gab es ein Gespräch der Mitglieder des „Parents Circle“, das besonders emotional war.
Ja, das war ein sehr spezielles Treffen, weil sich die beiden Seiten das erste Mal nach dem Krieg wieder begegnet sind. Dementsprechend waren sehr viele Emotionen da und bei dieser Begegnung ging es auch darum, Luft rauszulassen und gegenseitig wieder Verständnis aufzubauen. Dieser Prozess ist einfach mit sehr viel Arbeit verbunden und muss immer wieder im Gespräch erneuert werden.

In einer so komplizierten Auseinandersetzung wie der zwischen Israel und Palästina ist es schwer, eine neutrale Position einzunehmen – wie geht man in seiner fotojournalistischen Arbeit damit um, dass man nicht neutral sein kann in dieser Situation?
Es gibt sehr viel einseitigen Journalismus über den Konflikt, aber das Thema ist einfach sehr komplex. Es ist eine Utopie zu glauben, dass es leichter wird, das zu verstehen oder eine klarere Meinung zu dem Thema zu haben, wenn man selbst in Israel ist. Deswegen fand ich „The Parents Circle“ so interessant, weil dort beide Seiten gleich stark vertreten sind. Wenn ich eine Position gegenüber diesem Konflikt habe, dann die, dass auf beiden Seiten sehr viel Schlechtes passiert ist und es nichts hilft, sich all diese Dinge immer wieder vorzuwerfen. Man muss jetzt nach einer konkreten, möglichst gerechten Lösung suchen und die Gewalt- und Hassspirale beenden. Interview: Carolina Heberling

Mehr über Stefans Reise erfahrt ihr unter http://www.stefanloeber.de/ und https://www.facebook.com/StefanLoeberPhotography.

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Vom Hot Button auf den Regiestuhl

Es ist nicht einfach, nur mit Hauptschulabschluss an der Filmhochschule zu studieren. Ersin Cilesiz hat es geschafft und ist mit dem Starter-Filmpreis ausgezeichnet worden.

Sie wartet. Sie wartet darauf, dass jemand anruft. Minuten vergehen, ohne dass etwas geschieht. Endlich das erlösende Klingeln. Der Hot Button hat wieder zugeschlagen. 9Live sucht an diesem Tag nach Automarken mit B, und die Moderatorin quatscht sich durch die Sendezeit. Es ist eine Situation, die Ersin Cilesiz gut kennt, so hat der Mittzwanziger, der derzeit Regie an der Hochschule für Fernsehen und Film in München (HFF) studiert, angefangen: als Praktikant beim Privatfernsehen.

Es ist ein ungewöhnlicher Weg, den er beschreitet, um Filmemacher zu werden: Die meisten seiner Kommilitonen kommen aus dem gehobenen Mittelstand, machen ihr Abitur, gehen dann irgendwann an die HFF. Er hingegen wächst in Untergiesing auf, beendet die Schule nach dem qualifizierten Hauptschulabschluss. Ersin weiß schon früh, dass er etwas beim Film machen möchte: „Ich hatte einen dritten Elternteil, das war der Fernseher“, sagt der junge Mann mit dem dunkeln Bart und den dicht tätowierten Armen.

Zunächst will er Schauspieler werden, spielt in einer Laientheatergruppe – von seinen damaligen Freunden darf das aber keiner wissen, denn Theater gilt in seiner Clique als uncool. Doch Ersin merkt, dass sein Talent nicht reicht, um professionell in diesem Beruf zu arbeiten. Er geht schließlich zum Fernsehen, macht verschiedene Redaktionspraktika bei der Produktionsfirma Janus TV. „Zu der Zeit dachte ich immer, ich sei der Größte, nur weil ich beim Fernsehen bin.“ Dieses Gefühl überträgt sich auch auf sein Privatleben – mit seinen Freunden trinkt er viel, zieht fast jede Woche durch die Clubs. Manchmal fließt das gesamte Praktikantengehalt eines Monats in eine durchzechte Nacht. Was in ein paar Jahren kommt, scheint egal zu sein, nur die Gegenwart zählt.

Dass sein Praktikum bei Janus TV nach zwei Jahren nicht mehr verlängert wird, trifft ihn hart. Plötzlich ist da in ihm das Gefühl, „verkackt zu haben“, er fühlt sich unglücklich, leer, ist zum ersten Mal gezwungen, sich mit seinem Verhalten auseinander zu setzen. Diese Auseinandersetzung beginnt bereits mit der Art, wie er redet: „Für so ein Redaktionspraktikum musst du perfektes Deutsch sprechen, aber ich kam mit meinem Gossen-Slang von der Hauptschule – damit schafft man es nicht weit.“ Er weiß, dass er seine Sprache anpassen muss, um weiterzukommen, fängt an, viel zu lesen, lernt, sich gewählter auszudrücken, kommt über Kontakte schließlich zu jenem Job bei 9Live, wo er bei Gewinnspielsendungen mitarbeitet, später dann für eine eigene Show verantwortlich ist.

Als der Sender von ProSieben übernommen wird, bietet man ihm sogar ein Volontariat an. Ersin darf fortan bei Galileo und NTV mitarbeiten, der Job bei 9Live wird immer mehr zur Nebensache. Doch wenn er von dieser Zeit erzählt, merkt man, dass ihn seine Tätigkeit als Jungredakteur beim Privatfernsehen nicht wirklich erfüllt, er sich chronisch unterfordert fühlt, sich nach etwas anderem sehnt.

Dieses Andere findet er schließlich erneut in einem Praktikum: Er arbeitet am Kinofilm „In jeder Sekunde“ mit, beobachtet Regisseur Jan Fehse sehr genau bei seiner Arbeit. „Da war ich das erste Mal in meinem Leben eifersüchtig, weil ich dachte, Fuck, genau das, was er macht, will ich auch machen dürfen.“

Es ist die Vorstellung, eine eigene Idee in einem Film umzusetzen, die Ersin fasziniert. Einen Tag nach Ende des Praktikums kündigt er den Job bei 9Live, konzentriert sich nur noch darauf, sich an der Filmhochschule zu bewerben. Doch ein Studium aufzunehmen, wenn man nur einen Hauptschulabschluss hat, ist nicht so einfach: Um an der HFF genommen zu werden, muss er als Ersatz für ein Abitur den Nachweis erbringen, 36 Monate in einem Medienberuf gearbeitet zu haben – und darüber hinaus besondere künstlerische Begabung zeigen.

In seinem Bewerbungsvideo für die Filmhochschule sagt Ersin, er sei nicht der, für den er immer gehalten wird. Der Wunsch, nicht nur oberflächlich wahrgenommen zu werden, rührt auch aus der Biografie seiner Eltern. Die wachsen als Muslime in Montenegro auf. Jene slawischen Muslime, von denen es im ehemaligen Jugoslawien viele gibt, fühlen sich unter der sozialistischen Herrschaft des Tito-Regimes in ihrer Ethnizität oft nicht ausreichend respektiert – zwischen 1950 und 1960 emigrieren deswegen viele von ihnen in die Türkei, so auch Ersins Eltern. Sie werden mit einem Mix dieser beiden Kulturen groß, kommen schließlich als Gastarbeiter nach Deutschland, wo Ersin und seine Geschwister geboren werden. Der Vater arbeitet auf dem Bau, die Mutter ist Hausfrau. Obwohl die Eltern konservative Werte haben, sagt Ersin, hätten sie ihre Kinder immer mit großer Offenheit erzogen. „Zu Hause wurden teilweise drei Sprachen in einem Satz gesprochen, oft konnte man gar nicht zuordnen, was zu welcher Sprache gehört.“ Dass Ersin mehr ist als jener Klischee-Türke, den die Leute in ihm sehen wollen, sondern eben auch der junge Mann, der zur Selbstfindung nach Asien reist, der Typ, der abends in der Bar ohne Namen die Drinks mixt, das merkt auch die Aufnahmekommission der HFF: 2009 nimmt er dort sein Regiestudium auf.

Menschen in ihrer Persönlichkeit wirklich sichtbar zu machen, ist ihm wichtig und so verwundert es nicht, dass Ersin in seinem Film „Shaitan“ (2013 ausgezeichnet mit einem Starter-Filmpreis der Stadt München) erzählt, was passiert, wenn der Blick anderer nur an der Oberfläche einer Person haften bleibt: Da ist der junge Palästinenser Faris, der als Aushilfe in einer deutschen Restaurantküche arbeitet. Das Fremde, das Ersin in dieser Figur inszeniert, ist bedrohlich: Wenn Faris im Bild ist, dann begleitet ihn oft ein Knacken, ein Sirren, ein Rauschen, ein Atmen – er sagt nichts, ist einfach nur da und sieht seine Kollegen mit leerem Blick an. Sie reagieren auf diese Art mit Ablehnung, nennen ihn „Bakschisch“, sperren ihn schließlich sogar in die Kühlkammer ein. „Ich hasse so Leute wie dich“, sagt Jungkoch Andrej ganz offen und schlägt Faris dann ins Gesicht. Es ist die Furcht vor dem Anderen, die hier Gewalt motiviert.

Was Faris’ Kollegen nicht sehen, sind dessen traumatischen Erinnerungen, die Ersin in beklemmenden Bildern fasst: Da steht der kleine Faris in der Mitte eines verwüsteten Wohnzimmers. Der Fernseher flackert, sein T-Shirt ist blutverschmiert. Auf dem Boden: die Leichen seiner Eltern, die bewaffnete Männer kurz zuvor ermordet haben. Es ist ein Kriegstrauma, das dieser Tage wohl viele Palästinenser nachvollziehen können, ein Trauma, das Faris fortan wie einen Dämon – einen Shaitan – begleitet und das doch niemand so richtig wahrnimmt. Dennoch, das ist Ersin wichtig, will er nicht eine „typisch palästinensische“ Geschichte erzählen. „Mobbing, nur weil du anders bist, kann dir überall passieren – auch unter Deutschen.“ Wenn er das sagt und mit seinem hippen blauen Jeanshemd in einem angesagten Schwabinger Café sitzt, dann versteht man, dass es oft eben jene oberflächliche Wahrnehmung einer Person ist, die darüber entscheidet, wie jemand behandelt wird.

Ein Bewusstsein für genau solche Strukturen zu schaffen, ist gar nicht so einfach, wenn man nicht ständig den moralischen Lehrer geben will, das weiß auch Ersin: Für sein aktuelles Projekt, einen Spielfilm, recherchiert er derzeit gemeinsam mit der Drehbuchautorin Britta Schwem über das Leben von Sinti und Roma – ein schwieriges Thema, das er erzählen will, ohne den Zuschauer zu belehren: „Ich habe keine Lust auf Klugscheißerfilme.“ Carolina Heberling

Superheld zum Selbermachen

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Die Improvisationstheatergruppe “Bühnenpolka” (Foto: Tom Amon) verlost regelmäßig unter dem Titel “Heimspiel” Auftritte in Wohngemeinschaften. Zu der Show gehört auch der bayerische Superheld Captain Bavaria, mit dem sie die „die Bajuwarisierung der ganzen Welt“ erreichen wollen.

Nur mal kurz die Welt retten? Für Captain Bavaria ist das kein Problem. Er, der bayerische Superheld, hat eine Mission: die Menschheit unterhalten. Hierzu zieht er im hautengen blauen Kostüm los. Darüber trägt er eine Lederhose, an seinen Schultern flattert ein Superhero-Cape mit bayerischem Rautenmuster. Hinter dieser Kunstfigur verbirgt sich Theaterwissenschaftsstudent Tobias Zettelmeier. Als sein Alter Ego Captain Bavaria steht der Student regelmäßig auf den Bühnen dieser Stadt. Doch damit ist er nicht allein: Captain Bavaria ist Teil einer ganzen Show um den bayerischen Superhelden, die Tobias mit seinem Schauspielensemble „Bühnenpolka“ entwickelt hat.

Bühnenpolka, das sind neben Tobias: die drei Schauspieler Christine Sittenauer, Sophie Meinecke und Dave Wilcox, die beiden Musiker Lukas Maier und Matthias Pittrich, sowie Sherin Kharabish, die für das Organisatorische zuständig ist. Die Gruppe ist vor allem bekannt für ihre Improvisationstheaterabende – das heißt: rauf auf die Bühne und losgespielt, was das Publikum spontan vorgibt. „Man braucht kein Bühnenbild, man braucht keinen Text, man kann einfach 100 Prozent das wiedergeben, was man vom Publikum an Wünschen bekommt. Das ist so aufregend, weil man nie weiß, was gleich auf der Bühne passieren wird“, schwärmt Tobias von dieser Art des Stegreifspiels.

Doch anders als man vermuten würde, steckt auch hinter so einem Impro-Abend jede Menge Inszenierung. Dafür sind die Mitglieder der Bühnenpolka bekannt: Im Gegensatz zu vielen anderen Münchner Gruppen entwickeln sie gemeinsam Showkonzepte mit fester Dramaturgie und vorher ausgearbeiteten Figuren wie die des Captain Bavaria. „Wir wollen nicht einfach nur spielen, sondern den Leuten eine Geschichte erzählen“, erklärt Tobias das Konzept des Ensembles. So spielen sie dem Zuschauer unter dem Titel „Beachpolka“ die Feriengeschichten von Dauercampern, Ballermann-Reisenden und Cluburlaubern vor, dann eifern sie mal amerikanische Serien wie „Desperate Housewives“ nach. Für ihre Show zum Thema „Grey’s Anatomy“ locken sie das schaulustige Publikum sogar in einen Vorlesungssaal der Pathologie. „Vor der Show wurde so eine Leiche in Formalin an uns vorbeigefahren, das war schon ein Nervenkitzel“, sagt Tobias.

Aber: Sie wollen Serien und Filme nicht nacherzählen, sondern lediglich ihre dramaturgische Struktur übernehmen. „Du glaubst, du weißt, wie ein bestimmtes Filmgenre funktioniert und dann lernst du oft erst beim Spielen, wie diese Filme wirklich erzählen“, beschreibt Tobias diesen Prozess. So funktioniert auch ihre Show um Captain Bavaria – das Ensemble imitiert die Strukturen des klassischen Superheldenfilms. Und die Zuschauer dürfen dann bestimmen, was sie sehen möchten: „Bei Captain Bavaria kann das Publikum entscheiden, was für eine Superkraft der Held hat, wie es in seinem Privatleben so aussieht und wer der böse Schurke ist, den er besiegen muss. Das letzte Mal hat er durch das Jonglieren von Maßkrügen die Welt gerettet“, erklären Sherin und Tobias: „Wir wollen einfach die Bajuwarisierung der ganzen Welt.“ Sie lachen. Dass dieser Witz vielleicht doch ein bisschen ernst gemeint ist, zeigt ein Urlaubsfoto: Tobias hat einen ernsten Blick aufgesetzt, sich im Heldenkostüm in Pose geworfen und steht mitten in New York in Erwartung eines Bösewichts, mit dem es zu kämpfen gilt.

Dieser ironische Mix aus bayerischer Heimatverbundenheit und amerikanischer Erzählweise kommt bei den Fans an: In Freising spielen sie regelmäßig in der Gaststätte „Furtnerbräu“, in München locken sie das Publikum ins „Heppel & Ettlich“. Dazu kommen Auftritte bei Firmen, Hochzeiten und Weihnachtsfeiern. Der Erfolg verblüfft, wenn man bedenkt, dass die Bühnenpolka sich erst 2011 gegründet hat. Doch Sophie, Tobias und Christine sind schon länger in der Impro-Szene unterwegs – vor acht Jahren lernten sie sich bei einem Impro-Workshop kennen und spielten einige Jahre in derGruppe „Mix it“. Als sie merkten, dass sie sich künstlerisch neu positionieren wollen, riefen die drei die Bühnenpolka ins Leben und holen Dave, Lukas und Matthias mit auf die Bühne.

Was sie verbindet, ist in erster Linie die Freude am Spiel, denn anders als zu erwarten, haben die jungen Theatermacher einen sehr unterschiedlichen künstlerischen Background: Sophie, Dave und Lukas studieren Schauspiel beziehungsweise Musik, Christine arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bauklimatik der TU, Musiker Matthias studiert Bauingenieurwesen und Sherin und Tobias sind für Theaterwissenschaft eingeschrieben. Tobias, der schon ausgebildeter Sozialarbeiter ist, findet diese Mischung an unterschiedlichen Erfahrungen gut. Ihm habe sein erstes Studium geholfen zu verstehen, wie er beim Spiel besser auf die Fans eingehen könne, sagt er.

Für diese Fans hat sich die Gruppe etwas ganz Besonderes ausgedacht: Unter dem Titel „Heimspiel“ verlosen sie regelmäßig Auftritte in den WGs und Hobbykellern ihres treuen Publikums. Die Idee dahinter: Dem Zuschauer auf der Couch die gleiche Qualität bieten wie in einem richtigen Theater. Dafür rücken die Schauspieler mit einem großen Bus voller Licht- und Tontechnik an, mit der sie die Wohnung des Gewinners in eine Bühne verwandeln. An diesem Abend warten fast siebzig Gäste auf den Beginn der Show: Die Gewinnerinnen der jüngsten Verlosung, die Schwestern Nikola und Julia Wenner, haben nach Freising zur gemeinschaftlichen Geburtstagsparty geladen. Auf dem Tisch steht ein Geburtstagskuchen in Penisform, draußen beschweren sich die Nachbarn über den Lärm und drohen mit der Polizei.

Viele der Gäste kennen Christine noch von Auftritten in ihrer alten Schule, haben die Gruppe bereits mehrmals gesehen. Die Britin Natalie Berry ist extra aus England angereist: „Die sind super. Dieses Klischee, dass die Deutschen gar keinen Humor haben, stimmt echt nicht, wenn man die Bühnenpolka sieht.“ Die Menge geht spätestens dann richtig ab, als Tobias und Christine eine kleine Einlage zum Thema „Bärte“ spielen: Geburtstagskind Nikola, die wie alle Gäste mit schicker Unternasenfrisur rumläuft, erklärt, so einen Bart wie sie habe Salvador Dalí auch schon getragen. Als Tobias dann „Bart“ Simpson spielt, lachen erst nur die flinken Denker, später dann alle.

Mit High Heels in der Halfpipe

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Gabi Schumann (Foto: Jonas Funck) ist eine der wenigen Frauen, die in München profimäßig auf dem Skateboard stehen. Manchmal auch mit Stöckelschuhen. Als Hommage an München ist sie Ende Juni im Dirndl aufs Brett gegangen.

Am Ellenbogen: Hämatome, Kratzer, halb verheilte Wunden. Es sieht schmerzhaft aus. Für Gabi Schumann, 18, gehören solche Verletzungen dazu: Die junge Münchnerin skatet. Selbstverständlich, dass man da auch mal hinfällt und sich die Arme aufschürft. Was nicht selbstverständlich ist: als zierliches Mädchen einem echten Männersport nachzugehen, denn Gabi ist eine der wenigen Frauen, die in München profimäßig auf dem Brett stehen – Sponsoringvertrag inclusive.

Gabi verschafft sich mit waghalsigen Aktionen auf dem Board Respekt bei den Jungs: So hat sie mit ein paar Freundinnen einen Skate-Clip gedreht, der die Mädchen in High Heels auf ihren Boards zeigt. „Wir wollten einfach zeigen, dass auch Mädels skaten können“, sagt sie. In München, schätzt Gabi, gibt es vielleicht drei oder vier Mädchen, die genauso professionell auf dem Brett durch die Stadt sausen wie ihre männlichen Kollegen. Frauen fahren ihrer Meinung nach auch ganz anders: „Jungs verstehen oft nicht, dass wir beim Skaten einen ganz anderen Körperschwerpunkt haben als sie, klar, dass das dann anders aussieht.“

So lässig sie mittlerweile auch auf dem Brett wirkt, angefangen hat alles doch mit einer Angst. Der Angst vor dem Skaten. Sie ist vierzehn, als sich ihre Zwillingsschwester ein Skateboard kauft. „Damals“, sagt Gabi, „war es total in, ein Skater-Girl zu sein.“ Zunächst sieht sich Gabi nicht selbst auf dem Board: Sie ist eher ruhig, spielt Geige, ein bisschen Basketball, traut sich nicht an Sportarten ran, die stark die Beine beanspruchen. Doch inspiriert von ihrer Schwester, will es Gabi dann irgendwann doch probieren. Schnell merkt sie, wie leicht ihr das Skaten fällt, lernt rasch zahlreiche Tricks, übt täglich: „Mein Ehrgeiz ist halt ziemlich ausgeprägt. Dann wollte ich einfach immer üben und konnte gar nicht mehr aufhören“, sagt Gabi, „auch, weil ich anfangs Angst hatte, dass ich mich beim Skaten nicht weiterentwickle.“ Und während ihre Schwester das Skaten irgendwann aufgibt, wird Gabi kontinuierlich besser.

Doch der Sport kann auch frustrierend sein. 2012 zieht sich Gabi beim Skaten einen Kreuzbandriss zu, auch das Knorpelgewände wird beschädigt. Es dauert, bis die Verletzung geheilt ist: Dreizehn Monate darf sie keinen Sport treiben. Das Skaten fehlt ihr. Um sich abzulenken, zeichnet sie, macht einen Motorradführerschein, doch nichts ersetzt während der Skate-Pause die Leidenschaft zu fahren. Als sie dann 2013 endlich wieder auf das Board darf, spürt sie zunächst noch Schmerzen. Und Angst. „Dann war ich zwei Wochen in Brasilien und konnte dort wieder richtig viel fahren, sechs Kilometer jeden Tag.“ Das hat Gabi die Angst genommen. Inzwischen, sagt sie, sei sie fast wieder auf dem Niveau von früher, an die Verletzung erinnert nur noch ein kleiner Verband an ihrem linken Knie.

Vor der Verletzung nimmt sie auch an Skate-Contests teil, doch das Angebot spezieller Contests für Frauen ist sehr klein. Deshalb fährt Gabi meistens spaßeshalber bei den Jungs mit, hinterher gibt es bei einigen der Wettkämpfe dann den „Girls Award“ – einen Preis, weil man als Mädchen überhaupt teilgenommen hat. Und dass sie bei den Männern locker mithalten kann, davon ist man in der Münchner Skate-Szene überzeugt: „Gabi ist einzigartig. Es gibt wenige sehr gute weibliche Skater. Klar, die Jungs sind natürlich stärker. Aber Gabi ist auch noch ein gutes Vorbild – sie ist bescheiden, freundlich, auch zu den Anfängern. So etwas gibt es auch bei den Männern nur noch sehr selten“, sagt Ricardo Friesen, dessen Surf- und Skate-Shop „SantoLoco“ sie sponsert: Gabi bekommt sowohl das Material gestellt, ebenso wie die Reisekosten, wenn sie zu einem Contest fährt. Und diese Unterstützung ist auch nötig: Im Durchschnitt verfahre sie ein Board pro Monat, sagt Gabi.

Wenn die junge Frau vom Skaten redet, muss man schon genau hinhören, um ihren Akzent zu bemerken. Er verrät, dass sie nicht aus Deutschland kommt. Geboren und aufgewachsen die Wahl-Münchnerin in Brasilien. Ihr Nachname klingt nicht brasilianisch – und erinnert daran, dass sie deutsche Vorfahren hat. Dieser Umstand ermöglicht es ihrer Familie dann auch, deutsche Pässe zu bekommen, mit denen sie nach Deutschland auswandern. Damals ist Gabi zehn. „Wir haben einfach vier Koffer gepackt und sind hergekommen. Wir haben als Familie einfach mal ein Abenteuer gebraucht“, sagt die Brasilianerin mit den dunklen Augen und den vollen Lippen, die sich – wie so oft, während sie erzählt – zu einem großen Lächeln formen. Wie abenteuerlich die Unternehmung ist, zeigt sich schnell: Als sie herkommen, können ihre Eltern weder Deutsch, noch Englisch, die Kinder ebenso wenig. Schnell muss Gabi sich eingliedern, die Sprache lernen. Eigentlich wollen sie nur zwei Jahre in Deutschland bleiben. Inzwischen ist Gabi achtzehn und lebt mit Mutter und Schwester noch immer hier.

Das soll sich im September nun ändern: Ihre Abenteuerlust zieht die 18-Jährige für ein halbes Jahr in die USA. Dort will Gabi skaten und eine Bibelschule des so genannten „YWAM“ besuchen. „Youth with a mission“, heißt diese christliche Organisation, die in der ganzen Welt Missionsarbeit leistet und wegen ihres Missionsstils auch immer wieder in die Kritik gerät. Klingt zunächst nicht so, als habe das viel mit Skateboarden zu tun. Aber: Idee des YWAM sei es, so die Organisation, auf kreativen, zeitgemäßen Wegen einen Zugang zu Gott zu finden – so zum Beispiel über das Skaten. Hierfür bietet die Organisation in Los Angeles eine Schule für skate-affine Gläubige an.

Gabi, die ein lässiges Top trägt, wirkt nicht so, wie man sich jemanden vorstellt, der auf eine Bibelschule geht. „Wenn man hier sagt, man ist gläubig, dann ist man gleich so komisch, so ein Alien“, sagt Gabi verärgert, „in Brasilien sind die Leute viel respektvoller, aber in Deutschland hat man als Christ gleich einen Stock im Arsch.“

Dass sie anders ist, merkt man ihr beim Skaten an, denn bis sie abreist, will sie auf dem Board noch so einige Experimente durchführen: Als Hommage an München, den Austragungsort der diesjährigen X Games, ist sie Ende Juni im Dirndl aufs Brett gegangen. Doch damit nicht genug: Auch ihre Musik möchte Gabi mit aufs Board nehmen – sie will fahren und gleichzeitig Geige spielen. Ob das tatsächlich klappt, weiß sie noch nicht so genau. Nicht, dass die Geige hinterher genauso aussieht wie ihr Ellenbogen.

Bitte nicht stören

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Smartphone oder Lernstoff? Die Ablenkung durch das Handy ist groß. Deswegen haben Johannes Stolberg, 21, und Benjamin Gilg, 23, eine Konzentrationshilfe entwickelt – ausgerechnet eine App.

Eine schöne junge Frau in einer Bibliothek: Sie steht auf einer Leiter, reckt sich so sehr nach einem Buch, dass man unter ihr knappes Kleidchen sehen könnte. Doch genau dort, wo der Betrachter einen wohlgeformten Po vermutet, bedeckt ein Schild ihr Gesäß, Aufschrift: „Stay Focused“. Mit diesem Bild bewerben Johannes Stolberg, 21, und Benjamin Gilg, 23, ihr gleichnamiges Start-up: Die App „Stay Focused“ soll Studenten dabei helfen, sich beim Lernen besser zu konzentrieren.

Konzentrationsstörend ist nach Ansicht der beiden Physikstudenten vor allem eines: das Smartphone, das beim Lernen zur echten Konkurrenz für schnöde Wissenschaftstexte wird. Nur mal kurz drauf gucken. Immer und immer wieder. Die App der beiden jungen Männer soll das nun verhindern: Der Nutzer legt einen Zeitraum fest, in dem er ungestört lernen möchte, und stellt dann ein, welche Funktionen des Telefons in der Zeit unterbunden werden – Anrufe, SMS, Apps.

Klingt zunächst nicht anders als der Flugzeugmodus, den die meisten Smartphones integriert haben. Aber: Bei ihrer App könne man alles viel präziser einstellen, erklärt Benjamin. „Wenn man zum Beispiel einen wichtigen Anruf erwartet, kann man diesen zulassen, wohingegen beim Flugzeugmodus einfach alles geblockt ist“, sagt er, „außerdem wird eine Liste aller auf dem Handy installierten Apps angezeigt, aus der man dann ganz genau auswählen kann, welche gesperrt werden sollen.“ Und: Wer vor Ende der festgelegten Lernzeit wieder auf das Handy zugreifen will, muss erst einen sehr langen Text abtippen, um das Telefon wieder freizuschalten.

Unterstützung für ihr Vorhaben haben die beiden Physiker beim so genannten „Fünf-Euro-Business“ bekommen. Das ist eine Initiative, die junge Unternehmensgründer wie Johannes und Benjamin in der Anfangsphase unterstützt – so zum Beispiel mit Hilfe von Wirtschaftscrashkursen und der Zuteilung eines Wirtschaftspaten, der die Jungunternehmer berät.

Etwas Eigenes machen, ein Start-up gründen und sehen, was daraus wird, das ist vor allem Johannes wichtig. Der 21-Jährige trägt einen dunklen Pullover und ein Karohemd, ist etwas zurückhaltender, hört viel zu, während sein Kollege Benjamin spricht. Dennoch weiß er, was er will: „Wir sind ja beide Physiker und wollten einfach mal etwas anderes machen. Ich will nicht am Ende aus meinem Studium rausgehen und sagen müssen‚ ich habe nur Physik gesehen.“ Benjamin nickt zustimmend.

Die Idee für die App kommt natürlich aus der eigenen Erfahrung: „Wir sind beim Lernen wirklich dauernd abgelenkt“, gibt Benjamin zu. Und anscheinend sind die beiden damit nicht allein: Circa 1500 Mal ist die App bisher heruntergeladen worden, 50 Prozent der Nutzer kommen aus Amerika. Die Kundenzufriedenheit ist unterschiedlich, wie die Rezensionen im Google Play Store zeigen, wo die App gratis zum Download steht. Der Markt hier ist allerdings etwas eingeschränkt: Stay Focused gibt es nur für Android, eine iPhone-Version wird auch nicht folgen, da Apple den Zugriff auf andere Apps nicht zulässt.

Jedoch haben die beiden Physiker schon längst eine zweite App auf den Markt gebracht. Mit „Care 4 your kid“, das vom Konzept her an die erste App angelehnt ist, können Eltern die Handynutzung ihrer Kinder kontrollieren. „Es gibt viele Apps, die Kinder in ihrer Handynutzung einschränken, aber keine von denen sperrt konkret Funktionen, wie zum Beispiel, dass man ein bestimmtes Spiel nur eine halbe Stunde am Tag spielen kann“, sagt Benjamin. Anders als die Lern-App, die sich durch Werbung finanziert, ist diese Anwendung allerdings kostenpflichtig.

Auch eine dritte App ist schon in Planung. Zuvor wartet auf die zwei Studenten allerdings noch eine Hürde: die Bachelor-Arbeit, die dieses Semester geschrieben werden muss. Auch dafür lassen sie sich dank ihrer App nicht vom Geblinke ihres Telefons verleiten. Die einzige potenzielle Ablenkung: Die Bibliotheksnutzerin im kurzen Rock, die auf der Leiter steht und den Bachelor-Kandidaten ihren Po präsentiert. Dagegen gibt es keine App, aber das ist auch gut so.

Leise Bilder, laute Klage

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Die Nuklearkatastrophe, die sich vor zwei Jahren in Japan ereignete, hat sich in einem Wort in unser Gedächtnis gebrannt: Fukushima. Auch in das der Halbjapanerin Mariko Minoguchi (Foto: Philipp Trauer), die deshalb für zwei Monate nach Japan reiste und einen bewegenden Film über das Leben nach Fukushima drehte.

Ein Kraftwerk an der Küste, aus dem riesige dunkle Wolken aufsteigen. Auf den Fotos sieht das Bauwerk fast so aus wie ein Spielzeug. Es sind diese Bilder aus Fukushima, Japan, die am 11. März 2011 um die Welt gehen. Sie dokumentieren den Beginn einer nuklearen Katastrophe. Jetzt, zwei Jahre nach dem Reaktorunfall, hat die Halbjapanerin Mariko Minoguchi, 24, einen Film über das Leben nach Fukushima gedreht. Die junge Frau aus München zeichnet Japan in leiseren Bildern, die nicht weniger berühren: Da ist zum Beispiel das Bild einer Mutter, die mit ihrem Teenager-Sohn noch immer in Fukushima City wohnt. Wie viele der Menschen in der Region ist sie zu arm, um wegzuziehen aus der strahlenbelasteten Stadt, und lebt dort nun in dem Wissen, dass ihr Kind wahrscheinlich eines Tages an den Folgen des Atomunglücks erkranken wird.

Acht Wochen lang bereist Mariko gemeinsam mit ihrem Vater dessen Heimatland, weil sie das Gefühl hat, dass sie Mitgefühl zeigen muss. Sie nimmt sich Zeit, um etwa 40 Interviews zu führen, hauptsächlich mit Ortsansässigen, die knapp außerhalb der „20-Kilometer-Zone“ leben, also dem Bereich, der von der Regierung evakuiert worden ist. Eigentlich, sagt die zierliche Mariko, sei sie gar keine Dokumentarfilmerin. Eigentlich möchte sie Spielfilmregisseurin werden.
Sie, die mit einem Mix aus beiden Kulturen hier in München aufwächst, erfindet von klein auf gerne Geschichten, bettelt ihre Eltern so lange an, bis sie ihr eine Kamera schenken, mit der sie kleine Familienfilmchen macht. Doch dass Filmemachen ein richtiger Job sein kann, versteht sie erst, als sie mit 16 ein Schnitt-Praktikum macht. Nach dem Abitur wird ihr Wunsch, Filme zu machen, durch Regie-Praktika und Assistenzen weiter verstärkt. Aber sie dreht auch erste eigene szenische Kurzfilme, durch die sie sich in München zunehmend einen Namen macht: Ihr bisher bekanntestes Werk „Karlstod“ läuft auf renommierten Festivals wie den Hofer Filmtagen oder dem Max-Ophüls-Preis – diesen Samstag ist die Filmpremiere an der HFF München gewesen.
„Karlstod“, das ist die Geschichte eines Paares, das Abschied voneinander nehmen muss, weil einer der Partner an Krebs leidet und bald sterben wird. „Trauer ist so eine unglaublich einsame Sache, weil man es so schwer teilen kann“, sagt Mariko, die sich nach dem Tod einer Freundin mit dem Abschiednehmen beschäftigt. „Gerade hier in Deutschland. In Japan haben viele einen Schrein für ihre verstorbenen Verwandten, da wird die Trauer viel präsenter gehalten. Hier darfst du zwar eine Zeit trauern, aber dann muss du auch irgendwann damit fertig sein.“
Im Film trauert der Schauspieler Matthias Brandt („Polizeiruf 110“) um seine todkranke Frau, den Mariko ebenso für das aus Fördergeldern finanzierte Projekt hat gewinnen können wie Juliane Köhler („Nirgendwo in Afrika“), die weibliche Hauptrolle. „Das Ungesagte wiegt hier viel schwerer als das Gesagte“, urteilt die deutsche Film- und Medienbewertung, von der Marikos Film das Prädikat „besonders wertvoll“ erhält. Es ist eine leise, bedrückende Erzählung, die Mariko hier auf 15 Minuten Länge realisiert hat.
Nun kommt also von ihr eine nicht weniger bedrückende Dokumentation über den Umgang der Japaner mit dem Unglück in Fukushima. „Eigentlich bin ich mit meinem Film ein bisschen gescheitert“, gibt sie zu. Und eigentlich sei sie mit der Hoffnung einer globaleren Erkenntnis über die Atomproblematik nach Japan gereist, vor allem in Hinblick darauf, wieso ein Land, das selbst Opfer von zwei Atombomben geworden ist, derart euphorisch den Bau von Kraftwerken auf der so erdbebengefährdeten Insel unterstützt hat. Schnell merkt sie, dass diese Frage viel zu komplex ist, um in einem Film eine eindeutige Antwort zu finden.
Was sie aber will: den Menschen und deren Lebensgefühl gerecht zu werden. „Die Leute waren so froh, dass jemand sich für die Problematik interessiert, ihnen zuhört“, erinnert sich Mariko. Sie weiß, dass diese Form der Öffentlichkeit in Japan keine Selbstverständlichkeit ist. Es macht sie wütend, wie in den dortigen Medien mit dem Unfall umgegangen wird. In ihren Augen sind gerade zu Beginn der Katastrophe zu viele Informationen gezielt zurück gehalten worden, angeblich um Panik zu vermeiden. Auch sei in Japan das Vertrauen in die Politik oft viel stärker als in Deutschland. „Wenn da die Regierung sagt, die Situation sei nicht so gefährlich, dann ist es natürlich eine schwierige Entscheidung, sein Zuhause zurückzulassen und seinen Job zu kündigen“, sagt Mariko.
Doch anders als ihre Interviewpartner ist Mariko nicht gezwungen, dort zu bleiben: Viele der Japaner sind besorgt, dass sie freiwillig in die Gefahrenzone reist, um einen Film zu drehen. Während sie so von diesen Befürchtungen erzählt, sitzt sie wieder in Deutschland, in einem Münchner Hinterhofhaus, das von Efeu umrankt wird. Hier, im schicken Nymphenburg, hat die unprätentiöse Frau mit dem Karohemd und den blauen Turnschuhen seit Kurzem das Büro ihrer Firma, denn das ist eigentlich ihre Welt.
Mit ihren Freunden Philipp Trauer und Trini Götze hat sie die Produktionsfirma Trimaphilm gegründet, die nach Kurzfilmen nun Marikos Langfilmdebüt realisieren möchte: eine Coming-of-Age-Geschichte für junges Publikum, die in der nahen Zukunft nach dem Untergang der Zivilisation spielen soll. „Es soll schon ein Überlebenskampf sein“, beschreibt Mariko ihre Vision, „aber es geht auch um so Sachen wie: das erste Mal verliebt zu sein.“ Für die Produktion der Geschichte bekommt das Team Unterstützung von Produzent Thomas Wöbke, der Filme wie „Crazy“ gemacht hat. Bis zum Dreh dauert es aber noch – die Finanzierung gestaltet sich schwierig.
Genug Zeit, um weiter an ihrer Fukushima-Doku zu arbeiten, die noch in der Postproduktion ist. Vieles in Fukushima hat sie emotional so sehr berührt, dass sie noch gar nicht weiß, wie sie das im Film genau erzählen soll und was mit der Doku passiert, wenn sie fertig ist. Was sie möchte: Ein großes Publikum mit ihren Bildern erreichen. Bilder, wie das eines verwaisten Landstrichs. Bilder, die so sehr nach Filmkulisse aussehen, dass sie fast die Vorarbeit zu ihrem geplanten Spielfilm sein könnten, wenn man es nicht besser wüsste.

Danke für die Tränen

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Anja Schaubergers Mutter hat Krebs – jetzt hat die 22-Jährige ein Buch darüber geschrieben, wie man als Tochter damit umgeht. Ein Interview.

Der Gedanke, dass man irgendwann einmal die eigenen Eltern beerdigen muss, ist sicher keiner, mit dem man sich gerne auseinandersetzen möchte. Anja Schauberger (Foto: Stefanie Heider) muss jedoch genau das tun: Als ihre Mutter vor einigen Jahren an Brustkrebs erkrankt, werden Gedanken um Krankheit, vielleicht auch Tod, für die heute 22-Jährige, zum alltäglichen Begleiter. Nun, nachdem ihre Mutter wieder genesen ist, hat die Jungautorin aus ihren Erlebnissen ein Buch gemacht: In „Und wieder Winter“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf-Verlag) erzählt sie die Geschichte der 18-jährigen Anna, die mit eben dieser Situation konfrontiert wird: Ihre Mutter bekommt schon zum zweiten Mal Krebs – und Anna steht plötzlich vor einem moralischen Konflikt: Darf man das Leben noch genießen, wenn es einem Familienmitglied so schlecht geht?

SZ: Deine Mutter hat zweimal Krebs bekommen. Wie hast du den Moment erlebt, in dem er zum ersten Mal diagnostiziert wurde?
Anja Schauberger: Ich habe damals bei meinem Vater gewohnt und bin deswegen zurück zu meiner Mutter gezogen. Aber eigentlich weiß ich gar nicht mehr, wie das damals war, weil man so schlimme Sachen ja auch verdrängt. Ich glaube, ich habe mit allem anderen gerechnet, nur nicht damit.

Abgesehen von dem Umzug zu deiner Mutter, wie verändert sich nach so einer Diagnose das Alltagsleben?
Damals hat sich, leider, wenig für mich verändert, was im Nachhinein schlecht und gut ist: Ich bin trotzdem ausgegangen, hatte meine Freunde, war selten zu Hause, habe mich mit meiner Mutter gestritten. Manchmal war ich echt launisch und anstrengend. Im Nachhinein bedauere ich, dass ich ihr nicht mehr unter die Arme gegriffen habe. Man nimmt es sich zwar immer wieder vor und dann zieht man es doch nicht so richtig durch. Aber andererseits wäre es auch übertrieben gewesen zu sagen: Ich bleibe jetzt Freitagabend daheim, weil Du hast ja Brustkrebs und dann kümmere ich mich jeden Tag 24 Stunden um Dich. Das hätte sie auch nicht zugelassen. Richtig verändert hat sich erst später etwas.

Wie meinst du das?
Da wurde mir bewusst: Ab dreißig muss auch ich zur Vorsorge. Und vielleicht ist es mit einer Erkrankung nicht getan – wie man ja bei der zweiten Diagnose meiner Mutter gesehen hat. Dadurch lernte ich, die Dinge schon mehr zu schätzen, gerade die Treffen mit meiner Mama.

Wenn ein Elternteil Krebs hat, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass eines der Kinder auch daran erkrankt. Hast du Angst, ebenfalls Krebs zu bekommen?
Natürlich, aber ich werde deswegen jetzt nicht mein Leben umkrempeln. Ich glaube, dass Krebs eine Krankheit ist, die vor allem durch Stress oder eine psychische Belastung verursacht wird. Abgesehen vom Rauchen versuche ich deswegen, gesund zu leben und auf mich zu achten. Der andere Gedanke, der im Raum steht, ist dann auch: Wenn nur einer von uns Krebs bekommt, wünsche ich es dann mir oder meiner Schwester?

Malt man sich Szenarien aus, was passiert, wenn die Mutter tatsächlich stirbt?
Ich kann ich mir das gar nicht vorstellen, das wäre das wirklich Schlimmste, was passieren könnte. Wenn ich schon daran denke, macht mich das sehr traurig, auch wenn ich mich damit irgendwann zwangsläufig auseinander setzen muss.

Ergibt sich aus so einer Krankheit der Druck, früher erwachsen werden zu müssen?
Druck war nicht da, aber ich bin es irgendwie automatisch geworden. Man fragt sich eher: Bin ich vielleicht daran Schuld, dass meine Mama krank ist? Zwei Jahre nachdem ich bei ihr eingezogen bin, hat sie noch einmal Krebs bekommen und dann denke ich schon, dass ich leider dazu irgendwie beigetragen habe.

Was hat dich jetzt, mit dem zeitlichen Abstand, dazu bewegt ein Buch über deine Erlebnisse zu schreiben?
Für mich ist es sehr wichtig, meine Gedanken aufzuschreiben. Dieses Buch war für mich wie eine kleine Therapie. Ich habe dabei noch mal alles so durchlebt, auch wenn im Buch natürlich vieles verändert ist. Aber vor allem finde ich, dass über dieses Thema wahnsinnig wenig gesprochen wird. Ich habe einige Freunde, bei denen die Mutter auch Brustkrebs hatte, aber das habe ich immer erst erfahren, wenn ich selbst von meinen Erfahrungen erzähle. Und da frage ich mich warum? Krebs ist die Krankheit überhaupt, das ist doch seltsam, dass die Leute so wenig darüber sprechen können, so als würde man keine Schwäche zulassen wollen. Das ist ja irgendwie auch ein Eingeständnis. „Meine Mutter hat Krebs“ ist nichts, was man jetzt gerne so groß herumerzählt. Aber das ist auch eine Erziehungssache: Es gibt einfach Menschen, die sehr behütet aufwachsen und denen vorher noch nie etwas Vergleichbares passiert ist, die sind dann schnell emotional überfordert.

Wie war die Kommunikation bei euch?
Bei uns wurde darüber sehr offen geredet. Ich konnte immer zu meiner Mutter kommen, wenn ich eine Frage hatte. Auch wenn sie krank war. Sie war für mich da, hat mich in den Arm genommen, auch wenn ich immer wieder dieselben Fragen gestellt habe, weil ich es noch nicht ganz verstanden hatte. Ich war dann auch bei einer Bestrahlung dabei und habe sie damals auch für ein Fotoprojekt oben ohne fotografiert und da sah man schon, dass die eine Brust kleiner ist.

In der Danksagung deines Buches schreibst du: „Danke an Mama für die vielen Tränen“. Wie geht deine Mutter damit um, dass jetzt viele fremde Leute, einen Teil ihrer Geschichte lesen?

Sie hat kein Problem damit, ich glaube sogar, sie freut sich über das Buch. Sie ist stolz. Das ist das größte Geschenk, das man seiner Mama machen kann. Ich glaube, sie liebt mich seitdem noch ein bisschen mehr.

Also hat das Buch eure Beziehung verbessert?
Total. Deswegen schreibe ich auch von den vielen Tränen: Ich habe ihr, während ich das Buch geschrieben habe, immer wieder ein bisschen was vorgelesen und das ging keine halbe Seite, ohne dass sie nicht in Tränen ausbrach. Sie hat es auch noch immer nicht geschafft, es fertig zu lesen, weil sie einfach bei jeder Seite weinen muss.

Schluss mit Puppe

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Wie ist die Frau? Anfänglich macht Jana Baaske, 25, nette Mädchenmode. Heute heißt Weiblichkeit für die Designerin auch: kämpfen, provozieren, zweifeln. Jana bricht mit einer Modeindustrie, bei der schnell vergängliche Trends und überhöhte Körperbilder das Aussehen definieren.

Wäre Jana Baaske (Foto: Tobias Leipnitz) eine Blume, dann ein Maiglöckchen – denn das ist der lateinische Name ihres Modelabels: Jana Majalis. Grund für den Namen sind die Ballonröcke in Form von Maiglöckchen, die sie zu Beginn gefertigt hat – als Projektarbeit für ihren damaligen Studiengang „Kunst und Multimedia“ an der LMU in München. Anfangs kann sie noch nicht wirklich nähen, fabriziert deswegen etwas Einfaches wie Ballonröcke. Doch die Lust am Modemachen bleibt, Mitte 2010 folgt dann eine erste Kollektion, die sich sehen lassen kann.

Leicht, irgendwie zufällig, mädchenhaft wirken die Designs aus dieser Zeit: Auf den Fotos von damals tänzelt eine junge Frau in Weiß ganz gedankenverloren durch ein Kornfeld, reitet ein Pferd, genießt den Sommer. Das Mädchenhafte dieser Bilder hat die heute 25-Jährige inzwischen abgelegt, ist erwachsener geworden und fragt mit ihren Kleidern: Wie ist die Frau? Oder, wie Jana es formuliert: „Wie ist die Rolle der Jana als Frau?“

Eine Kollektion aus dem Jahr 2011 versucht sich an einer Antwort: In Tänzerpose steht das Model neben einer Ballettstange, die Haare streng nach oben gebunden, den Blick erstaunlich scheu gesenkt, sich in Spiegeln doppelnd, doch statt eines Tutu trägt sie ein durchsichtiges Kleid aus Abdeckfolie, das mit zwei breiten, schwarzen Trägern befestigt ist. Im ersten Moment: gewöhnungsbedürftig, hart, unzufrieden. Auch ein kleines bisschen steif wirkt das Frauenbild, das sie hier entwirft, so als müsse die Frau sich, ohne es zu wollen, an die Ballettpose anpassen. Eine ganze Reihe von Einzelteilen entsteht in dieser Zeit – mit Materialien aus dem Baumarkt. Das mag Jana: Materialien, die fordern. Für einen Wettbewerb ihrer Universität umhüllt die Studentin an der Modeschule Esmod eine Frau komplett mit PVC. „Wie ein Panzer, der sich um sie herum legt“, kommentiert Jana, deren Haar lässig zu einem Dutt gebunden ist, „im Endeffekt sah das aus wie eine verhüllte Muslimin.“ Damit gewinnt sie die Ausschreibung.

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Foto: Sima Dehgani

Wenn Jana spricht, macht sie oft lange Pausen, denkt nach, man merkt: Sie sieht Mode nicht einfach nur als Design, die Frau nicht nur als eine Puppe, der man anzieht, was den Designern von H&M und Zara gerade einfällt. Für sie repräsentiert Kleidung auch ein Kunstverständnis, sie fragt: Wie ist Weiblichkeit? Doch „weiblich“ ist für Jana gerade nicht das, was die ersten Kreationen und der Labelname noch vermuten lassen: unbeschwert, zart, einfach nur ästhetisch schön. Damit bricht sie, als sie das Studium an der Esmod beginnt.

Nicht nur handwerklich reift sie, sondern auch persönlich: Rückblickend ist das für sie eine schwierige Zeit, eine Zeit der Trennung von Menschen, von Sehgewohnheiten auf die Mode, von der bisherigen Studiumsumgebung, eine Zeit, in der sie in ihrer neuen Lebenswelt als Jana, als Frau, erst wieder erstarken muss. „Man nimmt Dinge plötzlich viel differenzierter wahr, geht mit einer größeren Ernsthaftigkeit an sie heran“, beschreibt sie diesen Prozess ihrer Rollenfindung. Deshalb heißt Weiblichkeit für sie fortan auch: kämpfen, provozieren, zweifeln, suchen, widersprüchlich sein, brechen mit einer Modeindustrie, bei der schnell vergängliche Trends und überhöhte Körperbilder definieren, wie „Frau sein“ und „als Frau schön sein“ funktioniert – ohne dabei der Persönlichkeit der Trägerin Rechnung zu tragen.

Dieser Bruch mit den standardisierten Designs der Massenmode zeigt sich auch in der neuen Kollektion, die gerade erschienen ist; auch hier wird der Zwang eines normkonformen Kleidungsstils wieder ein Thema: „In Deutschland möchte man möglichst angepasst sein. Nicht nur in der Mode. Uns wird vorgegeben, dass wir eine perfekt eingerichtete Wohnung brauchen, wo alles zueinander passt. Und genauso sollen wir auch angezogen sein. Das ist so eine Kaufhofmentalität“, ärgert sich die Studentin. Wenn es um diesen Zwang geht, was läge da näher, als sich sinnbildlich von Zwangsjacken inspirieren zu lassen?

Die Silhouetten ihrer neuen Kleider brechen das Modediktat auf, was Männer oder Frauen zu tragen haben. Janas Mode kann mal maskulin, mal feminin sein, je nach der Art, wie ein Kleidungsstück getragen wird – sogar beides zugleich. Mit der Folge, dass man sich beim Anziehen entscheiden kann, ob man heute gern als Mann oder als Frau auftritt. Hinzu kommen, wie sie es nennt, „harte Materialien“: Leder, grobe Wolle, Reißverschlüsse, große Schnallen, Denim. Eine Herausforderung.

Doch wieso fordert Jana den Betrachter so heraus, warum arbeitet sie sich immer wieder an denselben Themen ab? „Mode ist für mich eine ganz krasse Auseinandersetzung mit mir selbst“, erklärt sie, „und eine krasse Reflexion meiner Persönlichkeit. Mir geht es nicht darum, etwas zu revolutionieren, sondern eigentlich geht es um die kleine Jana-Welt, die sich dann in der Mode ausdrückt.“ Genau diese Ausdrucksmechanismen macht sie sich zu Nutze: „Man kann sich selbst inszenieren. Mode ist auch eine Art Schutz“, gibt sie zu. Selbstinszenierung, das heißt, sich zu kleiden, um man selbst zu sein, indem man sich als jemand anderes in Szene setzt. Schutz, das heißt, sich zu kleiden, um jemand anderes als man selbst zu sein, damit man versteckt bleiben kann, keine Intimität preisgeben muss.

Genau das fällt bei Janas Kleidern zusammen. Einerseits verkünden sie: Schau mal, so bin ich als Frau. Andererseits sagen sie: Guck nicht hin, eigentlich weiß ich doch gar nicht genau, wie ich bin. Schaut man dennoch hin, findet man vor allem eines: außergewöhnliche Einzelstücke, inspiriert von einem Auslandssemester in Paris.