In zwei Wochen zieht Radio 80 000 aus dem Container Collective. Zwar gibt es eine Übergangslösung, aber die Zukunft ist ungewiss. Schon viele alternative Initiativen sind am Mangel von bezahlbarem Freiraum gescheitert. Droht dem Online-Sender dasselbe Schicksal?
Abweichungen sind nicht gestattet. Der Container ist 12,19 Meter lang, 2,43 Meter breit und 2,89 Meter hoch. Ein Bausteinchen des globalisierten Warenverkehrs, wenn man so will der erfolgreichste Norm-Gegenstand der Welt. Aber ist das der richtige Ort für ein subversives, junges Online-Radio? Für ein Team, das bewusst jenseits des Mainstreams unterwegs ist? In zwei Wochen zieht Radio 80 000 aus dem Container Collective am Ostbahnhof. Ein Abschied, der sich angebahnt hat. Aber wie geht es weiter?
„Ohne diesen Ort wäre das Radio nicht, was es heute ist“, sagt Jakob Braito, 27, der 2016 seine erste Show bei Radio 80 000 gespielt hat. Rosa Luckow, 24, seit letztem Jahr mit eigener Show, stimmt ihm bei: „Der Container war einfach ein kleiner Freiraum. Hier konnten sich Menschen treffen, die ein Interesse an Musik haben, unabhängig davon, wer man ist und was man sonst so macht.“ Am 14. Dezember läuft der Mietvertrag für den Container aus, dann müssen sie ihre Plattenspieler abgebaut haben.
Radio 80 000, das sind Felix Flemmer, 27, und Leo Bauer, 28. Sie haben den Online-Sender vor fünf Jahren gegründet. Und es sind die knapp 140 weiteren Menschen, die nach und nach dazugestoßen sind und das Radio 80 000 zu dem machen, was es heute ist: Die wichtigste musikalische Anlaufstelle für all jene in München, die sich jenseits des Mainstreams bewegen, die sich nicht mit dem Wohlfühl-Gedudel der Massensender zufriedengeben wollen und auf der Suche nach Gleichgesinnten irgendwann bei Container Nummer 13 in der Atelierstraße 4 angekommen sind. „Das Radio war extrem wichtig für meine persönliche Entwicklung“, sagt Rosa. „Es ist der erste Ort, an dem ich mich kreativ entfalten konnte.“
In das Container Collective im Werksviertel am Ostbahnhof sind sie vor dreieinhalb Jahren gezogen — und schon damals war klar, dass sie nicht für immer dort bleiben würden können. Der Ort ist als Zwischennutzung konzipiert, die zunächst auf drei Jahre angelegt wurde. Das Kollektiv besteht aus 27 Containern, die das Werksviertel an das Gastronomen-Trio Robinson und Neville Kuhlmann sowie Markus Frankl vermietete, die dort eine Bar und ein Café betrieben. Die restlichen Container vermieteten sie für kreative Nutzungen weiter, zum Beispiel an das Radio 80 000. Doch im Frühjahr gaben sie die Untervermietung auf, im Herbst folgte dann die Gastronomie. „Durch die Pandemie ist ein sinnvoller Betrieb unmöglich geworden“, sagt Robinson.
Für das Radio 80 000 bedeutet diese Veränderung, dass sie sich auf die Suche nach einem neuen Zuhause machen müssen. Vielleicht hätte die Möglichkeit bestanden, den Container weiterhin zu mieten, genau wissen sie das nicht. „Aber wir haben auch nicht darum gebettelt, dort bleiben zu können“, sagt Felix. Im vergangenen halben Jahr war die Stimmung auf dem Gelände nicht besonders gut, erzählt er. Außerdem habe man zunehmend mit der Entwicklung des Viertels gefremdelt. Er erzählt von Stadtführungen, die vorbeikamen, um „das Online-Radio und die Künstlerinnen“ anzuschauen oder von der Après-Ski-Hütte, die nebenan gebaut wurde.
Allerdings gibt es ein Problem: Mit Robinson hatte das Radio einen Freundschaftsdeal. Sie mussten keine Miete bezahlen. „Das ist das Ding an der ganzen Geschichte“, sagt Leo. „Wir können nicht davon ausgehen, dass wir an einem anderen Ort wieder keine Miete zahlen müssen.“ Dazu kommt, dass es im Container Collective lange Zeit keine Nachbarn gab, die sich über den Lärm beschwerten. „Wild east“, nannten sie das Werksviertel deshalb auch. „Wir konnten eigentlich machen, was wir wollen. Das war natürlich geil“, sagt Hannah Weiss, 28, die seit zwei Jahren eine Jazz-Sendung bei Radio 80 000 hat.
In München gibt es unzählige alternative Initiativen, die am Mangel von bezahlbarem Freiraum gescheitert sind. Könnte dem Radio ohne seinen Container dasselbe Schicksal blühen? „Diese Angst hat eigentlich keiner von uns“, sagt Felix. Er vertraut darauf, dass die Community auch in Zukunft zusammenhalten wird. Und notfalls könnten sie immer zu ihren Anfängen zurückkehren und vorübergehend von daheim streamen. „Trotzdem ist der Ort wahnsinnig wichtig“, sagt Leo. „Vom ersten Tag an war es immer das Ziel, die Offline- und Online-Komponente miteinander zu verknüpfen.“ Auch deshalb weigern sie sich, das Ende im Container Collective als Unglück zu sehen. Vielmehr soll es der Startpunkt zu einem neuen, noch größeren Projekt sein.
„Unser großer gemeinsamer Nenner ist natürlich die Musik, aber in den letzten Jahren haben wir immer öfter gemerkt, dass wir uns auch in andere Bereiche ausbreiten möchten“, sagt Felix. Zum Beispiel war dieses Jahr eine große Kooperation mit dem Goethe-Institut in Frankreich geplant, die dann coronabedingt doch nicht stattfinden konnte. Auch Demonstrationen haben sie schon organisiert, Partys sowieso. Vor knapp zwei Jahren installierten sie für neun Tage einen öffentlichen „Listening Room“ im Foyer des Kunstvereins. Dort trafen die Gäste der gleichzeitig stattfindenden Jahresgaben-Auktion auf die junge, alternative Rave- und Partyszene. „Es war cool zu sehen, dass das funktionieren kann, dass sich die Szenen nicht immer gegenseitig absnobben müssen“, sagt Jakob.
Etwas Ähnliches schwebt ihnen auch für ihr nächstes Radiostudio vor, dass dann eben nicht mehr nur ein Studio, sondern eine Art Kultur- und Begegnungszentrum sein soll, möglicherweise mit zusätzlicher Live-Location, Bar und einem Ausstellungsraum. An Ideen mangelt es ihnen jedenfalls nicht. Aber das alles ist natürlich davon abhängig, ob sie auch einen passenden und vor allem bezahlbaren Ort finden. Die geringen monatlichen Fixkosten, die sie haben, konnten sie bisher mit den Einnahmen von Partys abdecken. Deshalb können sie sich auch grundsätzlich vorstellen, sich mit anderen kreativen Kollektiven zusammenzutun. Außerdem sind sie dabei, einen gemeinnützigen Verein zu gründen. „Wir haben null Euro Budget, aber alles ist möglich“, sagt Serafine Januček, die sich beim Radio 80 000 um die Vereinsgründung kümmert und aufrichtig optimistisch klingt. Eigentlich wollten sie sich mit dem Verein bereits für verschiedene Förderungen beworben haben, aber das Finanzamt hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. In ihrem Antrag hatten sie die „Förderung der Sub- und Clubkultur“ als gemeinnützigen Zweck angegeben. In der Abgabenordnung ist von so einem Zweck allerdings keine Rede, weshalb sie den Antrag erneut stellen mussten. Ein Problem, das ihnen auf ähnliche Weise immer wieder begegnet. „Aktuell tun wir uns noch schwer damit, das Projekt Radio 80 000 in die klassischen Förderstrukturen einzuordnen“, sagt Felix. Eine weitere Hürde: Es werden kaum laufende, sondern meist nur zeitlich begrenzte Projekte gefördert.
Ein Donnerstagnachmittag in der Favorit-Bar. Die Gardinen sind zugezogen, das Licht ist wie immer schummrig, an der Bar unterhält man sich über Alkohol, im Hintergrund sind gedämpfte Stimmen zu hören. Aber so wie sonst ist hier nichts. Der große Getränkekühlschrank in der Ecke ist ausgeschaltet, die Stimmen sind gedämpft, weil alle Anwesenden einen Mundschutz tragen. Die Unterhaltung am Tresen dreht sich um das beste Desinfektionsmittel. Leo, Felix und Jakob sind hier, weil die Favorit-Bar das neue Zuhause für das Radio 80 000 werden wird, zumindest übergangsweise, bis sie etwas Anderes gefunden haben. „Wir schauen, dass der Raum sinnvoll genutzt wird, soweit das möglich ist“, sagt Lennart Laule von der Favorit-Bar, die seit März für den normalen Barbetrieb geschlossen ist.
Man kennt und schätzt sich, viele Menschen beim Radio 80 000 sind Gäste der Favorit-Bar und haben hier auch schon als DJ aufgelegt. Außerdem finden in der Favorit-Bar seit Jahrzehnten regelmäßig kulturelle Veranstaltungen zu den unterschiedlichsten Themen statt. „Für mich sind die nächsten drei Monate vielleicht auch ein Ausblick, wohin sich unser Verein entwickeln kann“, sagt Jakob. „Ich finde es interessant, was die Favorit-Bar für die Kultur in der Stadt tut – und was wir vielleicht auch irgendwann mal tun wollen.“
Von Wolfgang Westermeier