Wir wollen euch die Zeit zu Hause ein bisschen schöner machen. Unsere Rubrik “Von Freitag bis Freitag München” heißt deswegen ab sofort “München hat Hausarrest”. Denn, zusammen ist man weniger allein ❤
Wenig wird in diesen Tagen so romantisiert wie der Blick aus dem Fenster. Ob in schriftstellerischen Ergüssen oder semikreativen Instastorys – jeder beschreibt, was er so sieht, während er zu Hause sitzt, und sich angeblich auf sich besinnt. Manche sehen das Meer, andere die weiten Felder in ihrem Heimatdorf. Ich sehe nur den mir gegenüberliegenden Häuserblock. Und darin andere Menschen, die genauso zu Hause sitzen wie ich, die allerdings im Gegensatz zu mir einen gemütlichen Balkon haben. Ich dafür die Abendsonne.
Romantisch finde ich das nicht. Gehe ich allerdings in die Küche – denn das sind ja die großen Ausflüge in diesen Tagen, also Küche, Flur, Bad, Schlafzimmer und zurück – dann sehe ich gegenüber von mir ein paar Büros, in denen weiterhin Menschen arbeiten. In weißen Kitteln, unter grellem Licht. Vereinzelt tritt ein Mensch mit Maske an das Fenster. In meiner Vorstellung leisten sie dort gerade einen wichtigen Beitrag, während ich tendenziell nutzlos in meiner Jogginghose umherschlurfe.
Überhaupt ist das Bild einer Gesellschaft in Masken eines, das mir in diesen Tagen häufiger in den Sinn kommt, wenn ich an die Zukunft denke. Da gab es diesen Moment im Supermarkt: eine Frau und ich in der Dosenabteilung, sie mit Maske, ich ohne. Beide irgendwie ratlos, ich wollte zu den Kichererbsen neben ihr, sie wohl einfach schnellstmöglich an mir vorbei. Ich habe mich dann an eine Regalseite gedrängt – oder hätte ich besser rückwärts gehen sollen? So wie der Mann ein Regal weiter, der bei meinem Anblick sofort wieder zurück in die traurig-leere Teigwarenabteilung hüpfte? An der Kasse helfen die Linien auf dem Boden, die den Abstand von 1,5 Metern regeln sollen. Aber ansonsten ist man mit der veränderten Etikette eben ganz auf sich gestellt. Im Supermarkt und auf den Straßen zirkeln wir alle plötzlich umeinander herum. Wie nah man fremden Menschen stets war, das merke ich erst jetzt.
Gleichzeitig scheinen mir viele Menschen aus meinem Umfeld viel näher, vermutlich da ich sie gerade in sämtlichen Lebenssituationen höre. Das alles ist dann so selbstverständlich, dass keiner von uns auflegt, selbst wenn wir uns nach einigen Stunden nun wirklich nichts mehr zu sagen haben. Wir hören uns dann gegenseitig einfach nur zu, während wir nebenbei kochen, essen oder sogar lesen. Wir durchleben sämtliche Emotionen gemeinsam. Irgendwann haben wir angefangen, nebenbei ein gemeinsames Quizspiel über Facebook zu spielen – dabei lassen sich sogar Wutausbrüche mitverfolgen, wenn die andere Seite mal wieder eine Niederlage einstecken muss. Das ist natürlich kein Ersatz zu einem gemeinsamen Abend in einer Bar oder bei Freunden, aber vielleicht lernt auch ihr euch so noch mal ganz anders kennen.
Schön ist, dass wir dabei das ganze Spektrum an Gedanken und Sorgen teilen können – von der Sorge, was wir heute Mittag kochen könnten, bis zu der um die vielen Menschen, die gerade wirkliches Leid erfahren müssen. Von Alltagsproblemen bis zum großen Weltschmerz. Statt wie sonst gemeinsam zu kochen, könnt ihr das nun live über Skype machen und euch dabei fühlen wie Gennaro Contaldo. Falls ihr ihn noch nicht kennt, kann ich euch seine Kochvideos gerade jetzt unbedingt empfehlen – wenig kann mich so melancholisch stimmen und gleichzeitig so sehr aufmuntern wie die Präsentation seiner Pastarezepte.
Da das Wochenende jetzt wegfällt, und damit ja auch die Vorfreude darauf, habe ich den Sonntag zu meinem Cheatday auserkoren. Nicht, dass ich den Rest der Woche asketisch leben würde – aber der Sonntag soll mit schönen Dingen gefüllt werden. Dazu gehört auch, sich ein gutes Abendessen zu gönnen. Vergangene Woche gab es Pizza von dem italienischen Restaurant um die Ecke, diesen Sonntag wird es Nr. 52 von meinem Lieblingsasiaten. Wenn ihr könnt, unterstützt eure lokalen Restaurants und Läden! Für München hat die SZ eine digitale Karte zusammengestellt, auf der ihr Geschäfte in eurer Nähe finden könnt.
Ein bisschen wehmütig werde ich wohl sein, wenn ich das Essen dort abhole, bei dem unscheinbaren Imbiss, in dessen Inneres ich bereits viele meiner guten Freunde geschleift habe – und die sich alle einig waren, dass das vermutlich der beste, preisgünstige Asiate in München sein könnte. Aber, es wird sie geben, eine Zeit nach Corona. Wenn es so weit ist, freue ich mich darauf, Nr. 52 nicht mehr nur zu Hause und mit dem Schmatzen meiner Freunde im Hintergrund essen zu können, sondern wir uns dabei wieder ganz selbstverständlich gegenübersitzen, uns über die kitschige Einrichtung des Restaurants freuen und versuchen können, mit dieser alten Normalität gegen den neuen Weltschmerz anzukämpfen.
Anna-Elisa Jakob