Mut zum Tackling

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Bei den ersten Football-Trainingseinheiten in Starnberg zeigte sich Jasper Friis, 18, noch extrem schüchtern. Jetzt spielt er in der ersten College-Liga in den USA.

Auf dem Tisch liegt ein Tablett, darauf ein beachtlicher Berg Pommes. „Heute ist Cheat-Day“, sagt Jasper Friis und beißt von einem triefenden, panierten Hähnchenteil ab. Er sitzt in einem Münchner Fast-Food-Restaurant und genießt eine Woche Heimaturlaub. Der 18-Jährige hat pro Woche einen Tag, an dem er sich um seinen strikten Ernährungsplan schummeln darf. Man sieht Jasper an, dass er gerne isst. Auf seine zwei Meter Körpergröße kommen knapp 150 Kilo. Verzichten fällt ihm im Moment aber besonders leicht: Seine Karriere als Leistungssportler ist in jüngster Zeit sehr schnell sehr ernst geworden: Die University of California, auch bekannt unter dem Namen „Berkeley“, hat den jungen Mann aus Gauting für ihr Football-Team rekrutiert. Er spielt kommende Saison in der ersten College-Liga. Football trainieren Amerikaner gerne schon im Kindesalter – nicht nur erstaunlich, dass ein Deutscher den Sprung schafft, Jasper ist erst im Teenageralter zu diesem Sport gekommen.

Ein Blick zurück: Zwei Dutzend Jungs zwischen 14 und 19 hatten gerade die zweite Runde um den Platz gedreht und warfen sich für ihre Dehn- und Aufwärmübungen in den Matsch. Sie waren mit dem Warm-up fast fertig, da eilte ein Nachzügler aus der Kabine die Treppe hinunter auf den Rasen. Er hatte jemanden mitgebracht – Jasper. Dieser wolle einmal probehalber mittrainieren. Der damals noch Zwölfjährige zog den ein oder anderen unauffällig musternden Blick auf sich. Manch einer war zwei Köpfe kleiner als er. Seine wuchtige Statur hätte es ihm erlaubt, bei den Herren mitzuspielen. Die Trainer erkannten angesichts seiner körperlichen Voraussetzungen Potenzial und wollten den Neuling ins Team aufnehmen. Sie stellten ihn in die Offensive Line, jene Reihe von Spielern, die den Spielführer, den Quarterback, beim Werfen beschützt und für den Ballträger, den Runningback, Gegner aus dem Weg schaufelt. Die schweren Jungs im Football.

Seinen Teamkameraden – vor allem den unerfahrenen – kostete es erst einmal Überwindung, die Karambolage mit solch einem Schwergewicht zu suchen. Aber das legte sich im Training schnell, beim „Big-Cat-Drill“ etwa. Hier stehen zwei schwere Spieler nur eine Ball-Länge entfernt in einer Pose gegenüber, die an einen Sumokampf erinnert. Wer es auf Pfiff schafft, den anderen mit gebündelter Kraft weiter nach hinten zu schieben, gewinnt. Eine Aufgabe, bei der man davon ausgehen würde, dass Jasper es durch seine körperliche Überlegenheit einfach gehabt hätte – dem war aber keineswegs so: Sogar die Schmächtigsten unter seinen Teamkollegen schoben den Riesen über das Feld, als wäre es ein Schachspiel. Sie bemühten sich beim Drill sogar um den Platz in der Schlange, der sie gegen Jasper antreten ließ, er galt als leichtes Ziel.

Jasper selbst hatte damals seinen Körper nicht verstanden. Die Schere zwischen seiner Physis und seiner Persönlichkeit klaffte weit auf. Öffnete er den Mund, um sich vorzustellen, so kam ein sanftes Piepsen an die Oberfläche, wo man ein maskulines Grummeln erwartet hätte. Es wirkte, als könnte er nicht einmal einer der aggressiven Starnberger Moor-Mücken einen Flügel krümmen, die in dichten dunklen Wolken den Footballern beim Training das Leben erschweren. „Ich war traurig, weil ich wusste, dass ich besser sein könnte“, sagt er heute.

Jasper arbeitete in Starnberg zwei Jahre lang an sich. An seiner Explosivität und seiner Technik. Von diesem Punkt an ging alles unglaublich schnell: Er wurde in die Bayerische Landesauswahl aufgenommen, in der Saison darauf rekrutierte ihn die Jugend-Bundesliga-Mannschaft der Razorbacks aus Fürstenfeldbruck. Videomaterial von seinen Spielen geriet in die Hände amerikanischer Coaches und überzeugte. Er wurde nach San Bernardino eingeladen, um für die Aquinas-Highschool aufzulaufen. Einmal in Amerika Football spielen – in seinem bisherigen Freundeskreis war das der Traum aller. Als er den Vertrag in Berkeley unterzeichnete, verpflichtete er sich dazu, diesen Traum zur täglichen Routine zu machen.

Momentan muss er dreimal die Woche um 5.30 Uhr aufstehen. Er verlässt das Wohnheim früh am Morgen, um zum Stadion zu gehen. Die Ernährungsschulungen haben ihm beigebracht, dass ein Stück Ananas oder ein Energieriegel an dieser Stelle als Frühstück reichen muss. Zwei Stunden lang trainiert er, während seine Kommilitonen noch schlafen. Danach muss er wie jeder andere Student in die Vorlesung. Berkeley gilt akademisch als Elite-Uni, das macht die Sache für Jasper nicht gerade leichter. Angewandte Mathematik studiert er. Um 16 Uhr hat er wieder für die nächste Trainingseinheit auf dem Platz zu stehen. Noch hat die Saison nicht begonnen, aber spätestens dann findet das Programm täglich statt.

Zurück im Fast-Food-Restaurant: Jasper saugt an einem Strohhalm, um die letzten Tropfen Sprite aus dem Becher zu ziehen. Jasper merkt, dass auf einmal jeder mit ihm befreundet sein will, jetzt, wo er zu den aufsteigenden Sportlern gehört. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass aus Jasper in den kommenden Jahren einer von den ganz Großen wird. Reserviert bleibt seine Freundschaft aber denjenigen, sagt er, die den Willen und die Arbeit sehen, die Jasper in seine Leidenschaft steckt – und nicht nur das Logo auf seinem Trikot.  

Text: Hubert Spangler

Foto: Ariel Nava