Liebestoll im Erdbeerfeld

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Zurückhaltung ist nicht Hannahs Stärke. Dabei weiß schon Aristoteles, dass die wahre Kunst im Leben die ist, das richtige Maß zu finden. Daran hätte Hannah sich halten sollen.

Wenn man „weiser Mann“ in die Internet-Suchmaschine eingibt, kommen 18 Bilder von alten Männern mit Bart. Dann kommt Bushido, weil ein kleines Mädchen ihn auf ihrem Pubertätsblog zitiert hat. Aristoteles kommt nicht. Dabei hätte der uns sagen können, dass die wahre Kunst im Leben die ist, das richtige Maß zu finden. Und das ist, wenn man sich Hannah heute anschaut, doch schon wirklich ziemlich weise gewesen. Bei „weise Frau“ kommt nach 18 Bildern übrigens ein 150-Kilo Fitnesshäschen im Leoparden-Einteiler. Was Bushido dazu sagen würde, ist nicht überliefert.
 
Hannah und ich sitzen im Erdbeerfeld in der Blumenau und reden über Clemens. Eigentlich wollten wir Erdbeeren pflücken, aber alles hat seine Zeit. Und jetzt ist gerade Clemens dran, findet Hannah, Erdbeeren gibt es morgen ja auch noch. Clemens hingegen gibt es schon seit vergangenem Montag nicht mehr. Da hatte Hannah ihn im Biergarten kennengelernt, ein Arbeitskollege einer Freundin. Nach der ersten Maß kamen beide ins Gespräch, nach der zweiten tauschten sie Telefonnummern aus. Noch vor der dritten wollte Hannah eigentlich mit ihm nach Hause. Doch als sie sich zu ihm umdrehte, um ihm noch ein „Das mache ich sonst nie, wirklich!“ ins Ohr zu kichern, war er verschwunden. Offensichtlich hatte sie – Achtung, das ist fast schon Aristoteles – nicht die richtige Maß gefunden, um sich bei ihm einzuladen.
 
Das war schade, aber nicht so schlimm, hatte sie sich doch immerhin seine Telefonnummer geben lassen. An die hat sie in den vergangenen Tagen insgesamt 27 SMS geschrieben, von „Wäre cool, sich mal wieder zu sehen“ bis „Sag doch gleich, dass Du mich nicht ausstehen kannst“ war alles schon dabei. Das richtige Maß für Follow-Up-SMS nach einem schönen Abend hat sie offensichtlich irgendwo im einstelligen Bereich aus den Augen verloren. Denn Clemens schweigt. Beharrlich. 
 
Derweil stellt Hannah ihren Erdbeerkorb zur Seite, um die Nummer 28 zu tippen, irgendwas in Richtung „Du hast mich doch nie wirklich geliebt“. Ich mutmaße, dass Clemens nicht zum Antworten kommt, weil ständig eine neue Nachricht von ihr eintrifft. „Was hat sie, was ich nicht habe?“, tippt Hannah SMS Nummer 29. Als er daraufhin bei ihr anruft, fällt ihr fast das Handy in die Erdbeeren. Sie hebt ab, hört zu, sagt „Okay“ und legt wieder auf. Am Telefon war eine alte Dame, die alle vier Tage auf ihr Handy schaut und gerade gesehen hat, dass ihr eine liebestolle Hannah schon fast 30 Nachrichten hinterlassen hat. Einen Clemens kenne sie nicht. Dafür empfiehlt sie Hannah dringend, ein bisschen maßvoller zu werden. Weise Frau. Ob sie auch einen Leoparden-Einteiler hat, ist übrigens nicht überliefert. Lisi Wasmer
 
Mal ehrlich: Jeder junge Mensch ist auf der Suche. Nach Liebe. Nach einem Lebensabschnittsgefährten. Vielleicht nach einer Affäre. Das Problem: Sobald sich das Leben um mehr als nur eine Person dreht, wird es verzwickt – eine Kolumne über die Tücken der Partnersuche. „Beziehungsweise“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Bei Krause zu Hause“.

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Lisi Wasmer setzt sich in ihrer Kolumne mit allen Tücken der Partnersuche auseinander. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, gibt uns Lisi Einblicke in verschiedenste Beziehungen. Die Lektüre endet bei uns oft mit Tränen in den Augen- sei es vor Lachen, Freude oder Traurigkeit.