Geräuschkulisse der Zukunft

Reale Töne treffen auf Computer-Klänge: David Nowotny, 22, arbeitet als Sound-Designer auch für Autofirmen und nimmt daher Einfluss darauf, wie sich unsere Welt
in einigen Jahren anhören wird. Nebenbei macht er Musik bei Schlafkonzerten: Hypnotic Techno – die Gäste können Decken mitbringen und zu den Beats dösen.

Von Hubert Spangler

Die Stadt hat keinen Stummschalter. Wo immer man auf die Straße tritt, am Fenster sitzt oder dieses beim Schlafen gekippt hat, hört man ein Rauschen. Einen Geräuschcocktail – manchmal bedeckt von Vogelzwitschern, in der Regel dominiert von Autos, die in der Distanz röhren. Auch wenn wir ihn unfreiwillig ignorieren – es gibt ihn, den Klang der Stadt. Und wie er klingt, ist keine reine Willkür. Es hat sich eine ganze Profession darum gebildet, die Geräusche zu gestalten, die uns alle umgeben. Sound-Designer nennen sich die Menschen, die sich dem gewidmet haben. Ein besonders junger ist mit seinen 22 Jahren David Nowotny. Er ist als einer von vier Sound-Designern in der Firma tätig, die neben anderen Automobilherstellern auch BMW mit Klängen versorgt: Impulse Audio Lab.

David hat eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieben und darf nicht über konkrete Projekte oder deren Auftraggeber sprechen. Was er aber erzählen darf, ist, dass Sound-Design im automotiven Bereich in seiner Firma Tagesgeschäft ist. Dazu gehören künstliche Motorengeräusche für Elektroautos. Für seine Aufträge verwertet er Aufnahmen aus der realen Welt. Oder er synthetisiert mit dem Computer Klänge. Die Position, die er innehat, erlaubt es ihm, womöglich maßgeblich auf die urbane Geräuschkulisse der Zukunft Einfluss zu nehmen.

David sitzt in seinem Zimmer. Die Deckenlampe ist gedimmt. Ihr ungewöhnlich warmes Licht beißt sich mit dem des Monitors, der David ins Gesicht strahlt. Zum wiederholten Mal sieht er sich denselben kurzen YouTube-Clip an: eine 15-Sekunden-Sequenz aus „Star Wars“, in der Obi Wan Kenobi sein Gefährt durch die Galaxie rauschen lässt und mit einer seismischen Bombe umherschwebendes Gestein zerschellt. David ist kein „Star-Wars“-Fanatiker. Er sitzt da und genießt wieder und wieder die Geräuschkulisse, saugt Inspiration auf. „Wie genial wäre das, wenn die Stadt der Zukunft wie ein Science-Fiction-Film klingen würde“, sagt er und greift zur Maus, um noch einmal auf „Play“ zu drücken. Dass David in seinem kleinen Team daran arbeitet, die Automobile der nächsten Epoche mit Klängen auszustatten, ist damit gleichzustellen, dass er die nächste Epoche des urbanen Lebens mit Klängen ausstattet. Wie viel Inspiration er dazu aus Science-Fiction-Streifen zieht, will er nicht verraten.

David ist in einem Umfeld aufgewachsen, in dem das Gehör einer der wichtigsten Sinne ist. Seine Familie besteht seit fünf Generationen aus Komponisten. Sein Großvater war Schüler von Carl Orff, hat an der LMU doziert und dort Chor und Orchester geleitet. Und Davids Vater ist Notengrafiker bei einem großen Verlag. Im Alter von sechs Jahren äußert David dann selbst den Wunsch, Klavier zu lernen. „Mein Nachbar war Organist, dort habe ich konstant gespielt.“

Als Teenager pendelt David aus seinem Dorf im bayerischen Outback nach München, um auf das musische Pestalozzi-Gymnasium zu gehen. Ein Schulkamerad erzählt ihm, dass er ein Computerprogramm zum Musizieren entdeckt hat. „Ich habe die erstbeste Chance ergriffen, Musik zu produzieren, als ich erfahren habe, dass das mit dem Computer geht“, sagt David. In einer Zeit, in der pubertierende Jungs meist wirre, ungreifbare Dinge im Kopf haben, rückt er seine neue Leidenschaft in den Fokus und füllt die Festplatte seines Rechners mit fertigen Musik-Tracks. Er investiert seine Zeit in das Handwerk und lernt, wie man aufnimmt, mischt und Sounds austüftelt. Nach seinem Abitur lässt er sich an der SAE – der School of Audio Engineering mit Aus- und Weiterbildungen im Bereich der audiovisuellen Medien – zum Audio Engineer ausbilden.

Zurück in Davids Zimmer: Der junge Mann hängt zur Hälfte über der Lehne seines Stuhls am Schreibtisch. Zum Schreiben hätte auf diesem Tisch nicht mal ein kleiner Block Platz – er ist voll mit Klangerzeugern, anderen technischen Gerätschaften und Kabelsalat. Wenn er sich keine Gedanken zur Arbeit macht, macht er an diesem Ort hauptsächlich Musik. Sein Beruf und sein restlicher Lebensinhalt gehen Hand in Hand, beides zehrt voneinander.

In Davids Dunstkreis machen beinahe alle Hypnotic Techno – einschließlich ihm selbst. Techno wird gerne mit Hau-drauf-Feiermusik konnotiert: Was Hypnotic Techno auslösen will, ist das genaue Gegenteil. „Die Musik, die mich interessiert, ist diejenige, die einen Zustand von Meditation oder sogar Hypnose triggert“, sagt David.

Seine Affinität zu Geräuschen spiegelt sich im Detailreichtum und im Minimalismus seiner Musik wider. Jede Tonspur hat ihren Platz und klingt ausgefuchst und durchdacht. Nachdem er sich in anderen Stilen ausgetobt hat, ist er nun der Meinung, angekommen zu sein. „In anderen Musikrichtungen bin ich auf den Geschmack eines wiederkehrenden Stilmittels gekommen, dem Loslösen von vorhersehbaren Abschnitten“. Davids persönliche Mission ist es, so viel Musik wie möglich zu machen und diese Art von Musik so vielen Leuten wie möglich zu zeigen, um ähnliche Erfahrungen auszulösen, wie er sie selbst gemacht hat. Im Zuge dessen hat er mit seinen Freunden das Label „IO“, kurz für „Input Output“ gegründet.

Die Releases des Labels lassen sich auch auf dessen Events anhören: Schlafkonzerte. Gäste sind frei, ihre Schlafsäcke mitzunehmen und zu der Musik zu dösen, bis sie am nächsten Morgen aufgeweckt werden. Das scheint für David der richtige Kontext für seine Werke zu sein.

Bei all der Energie, die David darin investiert, andere verstehen zu lassen, was er spürt, wird klar: Seine Verbindung zu akustischen Reizen ist ungewöhnlich. „Natürlich lese ich auch Bücher, schaue Filme und spiele Videospiele, aber mit Sounds fällt es mir am einfachsten, in eine Welt abzutauchen, die ich nicht vor mir habe. Das einfachste Beispiel ist, wenn es beim Campen anfängt zu regnen und Tropfen auf das Zelt fallen – der Sound wird nie langweilig.“

Vor knapp zwei Jahren markierte ein Freund David unter einem Post auf Facebook. Eine Stellenausschreibung. Gesucht wurde ein Sound-Designer. So utopisch die Ausschreibung erschien – und obwohl David noch mitten im Studium steckte – bewarb er sich mit ein paar seiner Musikstücke. Und er bekam die Stelle.

Bei den Projekten, in die er involviert ist, geht es um die Innovation von Geräuschen und ihrem Einsatz. Es geht darum, Sound so anzuwenden, wie er bis jetzt noch nicht benutzt wurde. Das Ziel in seinem Team ist es, Sound mehr Relevanz zu geben.

Interactive-Sound-Designer nennt sich der Posten, den David innehat. Das Interaktive rührt daher, dass er nicht einfach Klänge erzeugt und diese aufnimmt. In seinem Team aus vier Programmierern und vier Sound-Designern entwickelt er vielmehr Installationen, die je nach den Informationen, mit denen sie gefüttert werden, eigenständig korrespondierende Klänge synthetisieren. Vereinfacht: Das Soundmodul für einen Elektroroller, an dem David mitgearbeitet hat, spielt also nicht einfach vorher aufgenommene Motorengeräusche ab, sondern erzeugt das Signal selbst, wenn man ihm sagt, wie schnell der Roller fährt.

Besonders interessant ist die Disziplin des Automotive-Sound-Designs für elektrobetriebene Fahrzeuge, weil die Klangtüftler eine leere Leinwand vor sich haben, auf der sie sich austoben können. Autos mit Elektromotoren emittieren nahezu keine Eigengeräusche. „Erst ab grob 30 Stundenkilometern kommen Wind- und Bodengeräusche dazu“, sagt David. Das Einzige, was die Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) zur Unterstützung der Verkehrssicherheit aber vorschreibt, ist das Einhalten von einer Gesamtlautstärke des Motors und der Lautstärke in gewissen Frequenzbereichen. Bei der endgültigen Klangcharakteristik, also dabei, ob ein Motor wie ein Rasenmäher krächzt, oder wie ein Spaceshuttle an uns vorbeirauscht, hat das Team freien Spielraum.

Eines steht fest: In der fernen Zukunft wird man sich, um den Sound seines aufgemotzten Polos auszureizen, nicht mehr die Finger schmutzig machen müssen.

Foto: Florian Peljak