Gastfreundschaft? Gastfeindschaft!

image

Gastfreundschaft hin oder her. Ihrem aufdringlichen Referatspartner ein Abendessen zaubern, das kommt für Hanna nicht in Frage. Von nun an herrscht strikte Arbeitsteilung, so wird’s gemacht.

Eigentlich hätte sie misstrauisch genug sein können, um kein zweites Treffen in ihrer Wohnung zu genehmigen. Als sie mit dem ersten Treffen fertig sind, sagt der Referatspartner, sie solle einfach sagen, wann er gehen soll. Wann? Na jetzt! In einer halben Stunde muss Hanna los, sagt sie, sich mit einer Freundin treffen. Wie der Referatspartner es schafft, diese Aussage als eine Aufforderung zum Verweilen zu verstehen, ist rätselhaft. Aber er kann es. Er sagt nur: „Super, dann bleibe ich so lange und wir gehen zusammen zur U-Bahn.“ Manchmal ist der Wink mit dem Zaunpfahl nicht genug. Manchmal müsste man den Zaunpfahl nehmen und damit schreiend zum Angriff übergehen.

Hanna jedoch bleibt zivilisiert. Sie geht ins Bad, um sich fertig zu machen. Währenddessen durchstöbert der Referatspartner ihre Schränke. Als er dabei auf Hannas Lebensmittelvorräte stößt, beschließt er kurzerhand, dass sie ihm beim nächsten Treffen ein Abendessen kochen wird. Er schafft es sogar, ihren empörten Protest – „Das glaubst du doch wohl selbst nicht!“ – zu überhören. Dann, bei seinem folgenden Besuch, ist er zutiefst gekränkt, dass kein Menü auf ihn wartet. Vielleicht hätte er Hanna diesen Sitzstreik erspart, wenn sie ihre Gastgeberpflichten ernst genommen und ihm ein Soufflé gezaubert hätte.

Wie ist das gleich noch einmal mit der Gastfreundschaft? Gilt sie auch gegenüber Gästen, die weder Freunde noch freundlich sind? Und wenn ja, warum nennt man Gastfreundschaft in solchen Fällen nicht einfach Selbsterniedrigung? Nach einer Viertelstunde Schweigen platzt Hanna jedenfalls der Gastgeberkragen. Sie zählt die zehn Sekunden herunter, die sie ihrem Wohnzimmerdemonstranten gibt, um sich zu entscheiden, welche Hälfte des Referats er fortan ausarbeiten möchte. Alleine. Wo auch immer er möchte. Aber nicht in ihrer Wohnung! Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

image

Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.