Eine Frage des Geschmacks

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Clemens’ liebste Freizeitbeschäftigung: Essen. Selbst zubereitet, aber auch gerne im Restaurant. Ungünstig, wenn die eigene Freundin genau da einen besonders speziellen oder eben nicht vorhandenen Geschmack hat.

Was das Essen betrifft, hat Clemens einen guten Geschmack. Er kocht nicht nur leidenschaftlich gern, er kennt auch für jeden Anlass ein gutes Restaurant, ganz egal in welchem Stadtteil von München man sich gerade aufhält. Er weiß, wo die Nudeln perfekt und wo sie klebrig sind, er weiß, wo frische Kräuter verwendet werden und wo das Essen nach Dosenfutter schmeckt. Kurzum: Der Mann weiß, was gut ist. So jedenfalls die allgemeine Meinung in unserem Freundeskreis.

Die wird allerdings zutiefst erschüttert, als Clemens beim Abendessen seine neue Freundin vorstellt: Manuela-nichts-Grünes-bitte. Der Beiname tritt sich schon bei der Vorspeise fest: Caesar Salad. Mag sie nicht. Eigentlich möge sie gar nichts Grünfarbiges. „Alles zu gesund“, sagt sie mit einem verlegenen Lächeln. Man ist ein wenig verstört, freut sich aber über die zusätzliche Portion. Irgendeine Macke hat schließlich jeder. Dass es sich bei Manuela allerdings um mehr als nur einen Tick handeln könnte, lässt spätestens die Hauptspeise vermuten. Es gibt Rinderschmorbraten. Alles isst. Nur Clemens’ Freundin spießt erst einmal das Fleischstück auf und lässt langsam die Sauce abtropfen. Problem: In der Sauce sind klein gehackte Zwiebeln. Manuela mag keine Zwiebeln. Nicht aus Angst vor Blähungen – das Gefühl beim Draufbeißen sei ihr unangenehm, erklärt sie. Das ist bedauerlich, weil sie das trockengelegte Rind nicht einmal mit Wasser runterspülen kann. Manuela trinkt kein Wasser. Schmeckt nach nichts. Ach so.

Auf Manuelas roter Liste stehen auch noch Fisch, Pilze, Obst, Vollkorn und überhaupt alles, was auch nur annähernd vom guten alten Kinderessen abweichen könnte. Was geht: Spätzle mit Sauce (natürlich ohne Zwiebeln), Nutella, Tiefkühlpizza. Clemens japst. Das dürften einsame Restaurantbesuche für ihn werden. Wir geben der Beziehung ungefähr eineinhalb Wochen – Clemens hat ja schließlich einen guten Geschmack.

Von Lisi Wasmer