Ein Leben am Beckenrand

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Statt Provinz für die Großstadt einzutauschen, führt Hanna nun ein Vagabundenleben dazwischen. Ihr Zimmer im Wohnheim steht sowieso meistens leer, weil sie als Bademeisterin in der Provinz arbeitet. Jetzt wünscht sie sich eine Wohnung in der Kleinstadt.

Man ist nie dort, wo man gerade lieber wäre. Klingt blöd, ist aber so. Vor zwei Jahren wollte Hanna nur raus aus der Provinz, wo sie sich bei öden Frühschichten im Kleinstadt-Freibad Geld für ihr Studium in der Metropole zusammensparte. Nirgends wollte sie damals lieber sein als in München. Mittlerweile lebt Hanna seit zwei Jahren in der bayrischen Hauptstadt. Sie hat ein Zimmer ergattert, ihre anfängliche Dorfkind-Furcht vor den Großstadt-Radlern überwunden und sich auch sonst ganz gut in Stadtbild eingefügt. Hanna ist in München angekommen. Und nun?

Nun wünscht sich Hanna – wie könnte es anders sein – eine Wohnung in der Kleinstadt. Ihr hart erarbeitetes Zimmer in einem Münchner Wohnheim steht sowieso meistens leer, weil Hanna nach ihrem letzten Seminar zum Hauptbahnhof hetzt und den nächsten Zug gen Nirgendwo nimmt. Denn dort steht sie nach wie vor mehrmals die Woche als Bademeisterin am Beckenrand. Hanna hat den Absprung nicht geschafft. Ich weiß, plumpe Metapher, aber wahr: Statt Provinz für die Großstadt einzutauschen, führt Hanna nun ein Vagabundenleben dazwischen – in Regionalzügen mit einem Rucksack, in dem sich irgendwie stets so gut wie alles befindet bis auf genau das Buch, das sie jeweils fürs Seminar am nächsten Tag bräuchte. Mit Dingen ist es auch oft so, dass sie nicht da sind, wo man sie gerade lieber hätte.

Mit Freunden verhält es sich ähnlich: Die meisten von Hannas Freunden sind am Kleinstadtbeckenrand stehen geblieben. Klar, München ist spannend. Aber München kann plötzlich ziemlich öde wirken, wenn sich all deine Freunde zur Gartenparty des Jahrhunderts in einer Reihenhaussiedlung am Feldrand treffen. Und eine WG in einer Reihenhaussiedlung am Feldrand wirkt unter diesen Umständen auf einmal wie eine saumäßig aufregende Angelegenheit. Findet zumindest Hanna. Ich vermute ja, WGs in Kleinstadtreihenhaussiedlungen gehören ganz weit oben auf die Liste von Orten, an denen man nur lieber wäre, wenn man gerade nicht da ist. Aber ich sollte vermutlich den Mund halten. Wahrscheinlich erscheint mir München auch nur spannend, weil ich gerade nicht dort wohne.

Von Susanne Krause