Die elektronische Musikproduktion hat das klassische Konzept der Band infrage gestellt. Flor and the Sea sind irgendwie beides: die Musik des Münchner Quintetts klingt nach moderner Popästhetik und ist doch ausgereifte Band-Arbeit.
Bands sind im Jahr 2016 ein wenig zum Auslaufmodell der Popmusik geworden. Nicht etwa, dass der Einfluss der Popmusik und Popkultur auf einen Großteil der Welt immer schwächer würde. Auch nicht, dass Lebensstil, Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung sich weniger an aktueller Popästhetik orientierte. Das Popzeitalter hat seinen Zenit noch lange nicht überschritten. Aber die Produktionsweisen haben sich seit den Sechzigerjahren, als es mit den Beatles und der Popkultur im großen Stil begonnen hat, verändert. Denn bis noch vor zehn Jahren gehörte die Bandbesetzung, die die Beatles oder die Rolling Stones vorlegten, zu einem Standardmodell der Musikproduktion: Von Pop, Rock und Funk zu Punk und frühem Hip-Hop, die Grundbesetzung, aus der diese Musik entstand, war ein Schlagzeug-Set, ein E-Bass und eine E-Gitarre. Hinzu kommen diverse Erweiterungen: Je nach Stilrichtung gibt es Bläsergruppen, Keyboards, Sampler oder ausufernde Background-Sängertruppen.
Von Mitte der Achtzigerjahre an trat jedoch immer mehr elektronisch produzierte Musik gegen die klassische Live-Band-Besetzung an. Und nach einem kurzen Gitarren-Band-Hype zu Beginn des neuen Jahrtausends setzte sich die elektronische Produktion mehr als gleichwertig zu den Bands durch. Die Künstler, die singen, Musik produzieren und veröffentlichen, und das nicht mehr in lärmgeschützten Kellerräumen und Bandbesetzung praktizieren, sondern am Laptop im heimischen Wohn- respektive Schlafzimmer sind wohl mittlerweile in der Überzahl.
Flor and the Sea sind da anders. Die Münchner Band ist eine Band-Band, also eine klassische besetzte Truppe mit Gitarre, Bass, Keyboard und Schlagzeug. Die Musik aber, die daraus entsteht, klingt zeitgenössisch nach all der digital-produzierten Musik, die die Popästhetik eben spätestens seit zehn Jahren maßgeblich bestimmt: Verhallte harmonische Flächen, darunter ein sanfter Groove und die dominierende und recht eigene Stimme von Sängerin Chaem. Die schafft Synkopen und Betonungen, die jenen Schmerz und die gleichzeitige Distanziertheit davon ausdrücken, den man von Portisheads großartiger Beth Gibbons kennt. Und mit Portishead, obwohl die rein musikalisch nicht viel mit Flor and the Sea zu tun haben, hat das Münchner Quintett ein wunderbares Vorbild für ein digitalästhetisches Klangbild, das aber zu einem Großteil noch in Bandbesetzung erzeugt wird. Der Grundsound von Flor and the Sea orientiert sich dabei aber weniger an den modularen Strukturen der Hip-Hop-Beats (wie das bei Portishead der Fall war), sondern an den sphärischen Spannungsbögen des Postrocks. Doch anstatt den Höhepunkt im E-Gitarren-Exzess zu suchen, stellen Flor and the Sea ihre Sängerin in den Vordergrund: Die Songs der Band entspinnen und entwickeln sich um die Gesangsdramaturgie herum.
Seit April 2015 spielen die Musiker zusammen. Gefunden haben sie sich ganz pragmatisch über eine Facebook-Gruppe mit Musikergesuchen. Schlagzeuger Eric Demiriz und Gitarrist Marc Aretz hatten jedoch schon vorher gemeinsam in einer Band gespielt und auch die anderen Musiker haben alle seit ihrer Jugend Erfahrung im Musikmachen. Und darin zeigt sich weiterer Unterschied zur digitalen Musikproduktion. Musik, die über Bandarbeit entsteht, reift an der jahrelangen Arbeit des Zusammenspiels. Live dürfte sich das bei Flor and the Sea, die am Donnerstag, 5. Januar, beim Winterfest im Muffatwerk auftreten, jedoch auszahlen. Denn die Kraft, die eine gut eingespielte Live-Band in einen Zuschauerraum schicken kann, besticht noch immer, gerade neben so viel elektronisch produzierter Musik.
Flor and the Sea
Stil: Post-Indie
Besetzung: Marc Aretz (Gitarre), Eric Demiriz (Schlagzeug), Tilman Bona (Keyboards), Emanuel Klempa (Bass), Chaem (Gesang)
Aus: München
Seit: 2015
Internet: soundcloud.com/florandthesea
Text: Rita Argauer
Foto: Emanuel A. Klempa