Babys und Backpacker

image

Die Studienzeit soll man gut nutzen: Mit Reisen, bevor es zu spät ist und man mit Arbeit, Ehe oder Familie eingespannt ist. Oder mit Kindern, solange man noch frei über seine Zeiteinteilung verfügen kann. Und wenn man nichts davon unternimmt?

Gerade sind wir gekommen, da sollen wir schon wieder gehen. „Se van“, sagt meine kolumbianische Spanischlehrerin, „Gehen Sie!“ Das bedeutet nicht, dass sie uns aus dem Kurs schmeißen möchte. Nein, nur aus dem Land. Wir sollen alle in ferne Länder, solange wir noch können. Am besten sofort. Denn später geht das nicht mehr. Dann sind wir verheiratet – mit Jobs oder Menschen – oder haben gar Kinder. Dann ist die Chance vorbei und wir trauern in Lehnstühlen den Erfahrungen hinterher, die wir nie gemacht haben.

Apropos Erfahrungen, die ich noch nicht gemacht habe: Vor meinem Weltliteraturkurs erfahre ich, dass das Bäuchlein einer Kommilitonin nicht durch Schokotorte verursacht wurde. Es bewegt sich schon, sagt sie. 500 Gramm wiegt es, wie ein Pfund Butter im Uterus. Die Mädchen um sie herum quieken euphorisch und beginnen nach Geburtstermin, Name und Geschlecht zu fragen. Nur Mariella, die rechts von der werdenden Mutter sitzt, wirft mir heimlich einen verstörten Blick zu. Ich erwidere ihn, als Mama in spe erklärt, dass sie vorhat, in Zwei-Jahres-Abständen bis zum Alter von 30 Jahren mit den Kindern durch zu sein (damit meint sie die Erzeugung und nicht die Aufzucht ihres Nachwuchses – ich habe nachgefragt). Das Studium ist einfach der ideale Zeitpunkt fürs Kinderkriegen, sagt sie: Jetzt kann man sich die Arbeitszeit frei einteilen und später sind die Kinder alt genug, um sie mit der Karriere zu vereinbaren. Dann kann man nach der Arbeit im Lehnstuhl sitzen und den Zwei-Jahres-Abstands-Kindern beim Spielen zusehen. Darüber vergisst man sogar, den verpassten Fahrten in bolivianischen Bussen nachzutrauern.

Um das klarzustellen: Weder an Babys noch an Backpacking ist etwas auszusetzen. Das ist jedes für sich eine gute Sache. Wahrscheinlich sind die Erfahrungen sogar so gewinnbringend, dass davon Betroffene übersehen, wie unangenehm es ist, vorgerechnet zu bekommen, dass man Kinder und Reisen jetzt machen sollte. Denn dann trauert man verpassten Gegenwarten hinterher, für die es, so die Prophezeiung, in der Zukunft zu spät sein wird. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

image

Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.