Franziska Bär, 26, durchquerte mit ihrem Freund die mongolische Einöde – zu Fuß. In ihrem Buch berichtet sie über das Leben der Nomaden – und umweltbewusstes Reisen
Von Max Fluder
An diesem Abend bestellt Franziska Bär, 26, eine Pizza Capricciosa: Schinken, Champignons, Peperoni – frisch aus dem Holzofen. Die Ränder sind teilweise verbrannt. Dazu einen Spezi. Ganz alltäglich. Zumindest in München.
In anderen Weltgegenden ist es das allerdings nicht. Erst recht nicht in der Mongolei. Was in Jurten, den Zelten der Nomaden, so gespeist wird, kann Franziska mittlerweile berichten. Pizza eher nicht. Wie auch, ohne an die Zutaten zu gelangen? Das Gericht aber kennen einige Nomaden vom Namen her, von Deutschland haben sie noch nichts gehört. Und München? Kennen sie erst recht nicht. Zusammen mir ihren Freund, Felix Consolati, ist die damals 22-jährige freiberufliche Journalistin im Sommer 2015 durch den Westen der Mongolei gewandert. Es war nicht ihre erste gemeinsame Reise und sollte auch nicht die letzte sein – aber es ist die erste, über die Franziska ein Buch geschrieben hat: „Ins Nirgendwo, bitte!“ (Conbook Verlag).
Was aber treibt zwei Menschen aus Deutschland ins „Nirgendwo“, in die gut 6000 Kilometer entfernte Region Chowd-Aimag? „Zum einen ist es der Drang, einfach etwas Neues zu sehen,“ begründet Fransiska die Entscheidung zur Reise. Sie hält kurz inne, dann sagt sie: „Es ist auch dieses Zurück zu den Wurzeln.“ Für manche mag das abgedroschen klingen, für sie nach einem kurzen Moment auch. Deswegen ergänzt sie rasch: „Zurück auf Null, in Orte, wo nichts anderes wichtig ist.“
Die Mongolei ist das am dünnsten besiedelte Land der Welt. Zwei Einwohner kommen auf einen Quadratkilometer. In Deutschland sind es 237. In München mehr als 4000. Die Stadt sei ihr zu groß, sagt Franziska. Für den krassen Gegensatz – die weite Steppe – findet Franziska ein passendes Wort: Mond. Auf die fehlende Infrastruktur kann sie verzichten: „Ich glaube, dass es jedem Menschen guttun würde, nicht sofort das zu kriegen, was er will. Sich auf sich selbst verlassen zu müssen.“ Kein Bett, keine Anrufe, kein Google Maps.
Vor der Abreise kamen selbstverständlich Kommentare von Familie und Bekannten, die den Sinn für derart Abenteuer nicht verstanden. „Spinnt ihr?“ Oder etwas milder: „Was, echt?“ Aber viele hatten sich schon mit der Reiselust der beiden abgefunden und waren über diesen Trip weniger überrascht. Die heftigen Reaktionen gab es hinterher, wenn sie von ihren Erlebnissen berichteten – also von jenen, die in einer Stadt wie München nicht passieren würden: „Also so genau hättest du es jetzt nicht erzählen müssen.“
Das Buch beginnt mit den ersten Reiseplanungen in Franziskas WG-Zimmer in München. Durch das Buch kann man an den akribischen Vorbereitungen teilhaben. Alte russische Militärkarten werden erst aus dem Kyrillischen übersetzt und dann mehrfach mit Satellitenbildern abgeglichen. Die Packliste wird erstellt. Jedes Gramm ist ein Gramm mehr, das in der mongolischen Ödnis auf den Schultern lasten wird. „Wir haben überlegt, Zahnbürsten abzuschneiden, damit wir weniger Gewicht haben“. Einen kleinen Luxus gönnen sich die beiden: Kaffee kommt mit.
Auch die Ängste vor dem Scheitern werden dem Leser bewusst gemacht. Sei es an der gewählten Route, den eigenen Ansprüchen oder an der Beziehung. Eine zu Reisebeginn angefertigte „Bedienungsanleitung“ soll helfen. Die wichtigsten Punkte: „Der andere ist alles, was man hat. Aufs Bauchgefühl achten. An die Essensrationen halten.“ Der letzte Punkt war mit der schwerste. Und der fettige Schafsschwanz, zu dem sie von Nomaden in einer Jurte eingeladen wurden, war nicht wirklich ein kulinarischer Genuss. Auf ihrer Wanderung wurden Franziska und Felix mehrmals von Nomaden eingeladen. Diese waren zuerst sehr zurückhaltend. Als „schüchterne Gastfreundschaft“ beschreibt Felix die Situation. Reden konnten sie mit den Mongolen in den meisten Fällen nicht. Die Sprachbarriere überwanden sie durch ein Ohne-Wörter-Buch. Verschiedene Begriffe sind darin als Bild zu sehen: Von A wie Auto bis Z wie Zug.
„Wenn das Eis gebrochen war, haben uns die Nomaden so viel gezeigt“, sagt Franziska. Auf ihrer Reise hat sie einer mongolischen Frau beim Zubereiten einer Ziege geholfen, nachdem diese vor ihren Augen ausgenommen wurde – mit der bloßen Hand. Erinnerungen für immer, Bekanntschaften allerdings nur für den Augenblick: Da sie sich kaum mit den Nomaden unterhalten konnten, tauschten sie keine Adressen aus – und soziale Medien wie Facebook sind in dieser Einöde so etwas von unwichtig und unbekannt.
Hier zählt nur die Natur – und die wollen Franziska und Felix auch bewahren. Franziska bezeichnet sich als Umweltschützerin. Und sie weiß um den Widerspruch, der in ihrer Aussage steckt. Ein Flug ans andere Ende der Welt pustet so viel CO₂ in die Luft, wie manch andere im Jahr verbrauchen. Auf ihrem Blog, der unter den gleichen Namen läuft wie ihr Buch, hat sie darüber einen längeren Beitrag geschrieben. Eine mögliche Lösung: Zertifikate. Über die Fluglänge und den Maschinentyp wird der CO₂-Ausstoß ermittelt und Maßnahmen unternommen, die die gleiche Menge einsparen. „Wichtig ist, dass man nicht nur den Flug, sondern die ganze Reise ausgleicht“, sagt Franziska – also auch Autofahrten, Stromverbrauch und Hotelübernachtungen. Verbraucht werden die fossilen Brennstoffe trotzdem, es ist halt nur ein Kompromiss. Deswegen setzt auch sie ihrer Reiselust Grenzen.
Ihre Grundregel: „Die Orte genauso verlassen, als wäre man nie dagewesen.“ Dazu gehört, alles, was man hinterlässt, zu verbrennen. Aber auch, dass man umweltverträgliche Shampoos und Waschmittel verwendet. Hier muss man aufpassen. Denn je nach Ökosystem fällt die beste Wahl auch hier verschieden aus.
Die Idee für das Buch kam erst viel später – drei Jahre nach der Reise. Im April 2018 fing sie an zu schreiben; motiviert durch einen Preis, den sie für einen anderen Text auf dem Reiseblog „The Travel Episodes“ erhalten hatte. Dabei war es nur ein konsequenter Schritt. Sie ist in der Gegend zwischen Starnberger See und Ammersee aufgewachsen und wollte ein Buch über Pferde schreiben – das hat sie aber nie zu Ende gebracht. Ein Buch kann man nicht mal schnell schreiben, das ist eine langwierige Aufgabe. Sie war in diesem Prozess auf sich gestellt und ist erleichtert, mit anderen über ihr Buch zu reden. Wenn sie die Reise auf eine einzige Kenntnis herunterbrechen soll, dann diese: „Man soll das erreichen, was man sich vorgenommen hat.“ Immer noch ist sie beeindruckt von den Kräften, die man in einem so unwirtlichen Gebiet entwickelt. Mittlerweile kommen auch Fremde auf sie zu und stellen Fragen. Zum Beispiel nach dem besten Rucksack für eine Wanderung durch ganz Schweden.
„Nach der Reise“, gibt Felix zu, „wird man aber auch schnell wieder bequem.“ Das heißt, Auto fahren statt Rucksack schleppen und Pizza essen, ohne zu rationieren. Aber lange halten die beiden es im Alltag nicht aus. Die nächste Reise geht in die Wüste nach Oman. Vor ein paar Tagen sind sie abgeflogen. Was sie da machen? „Das wissen wir noch nicht“, sagt Franziska. Ein nächstes Buch ist nicht geplant. Noch nicht.
Foto: Felix Consolat