Studenten helfen Schüler
Foto: Privat

„Wir werden ziemlich überrannt“

Student Adrian Fleidl, 23, unterstützt mit seinem Verein „Studenten bilden Schüler“ Jugendliche, die es nicht so gut haben. Der Verein versteht sich aber nicht als reine Wissensvermittlung, es ist vielmehr ein Buddy-Programm

Von Max Fluder

Es klingt unglaublich: Vor anderthalb Jahren seien sie noch beim Einmaleins gewesen, jetzt arbeiten sie an den Grundlagen der Elektrotechnik, wollen anhand des elektrischen Widerstands errechnen, welches Material verbaut wurde. Cangin Memkelo, 21, weißer Pullover, schwarze eckige Brille, sitzt an einem runden Tisch in der Stadtbibliothek im Gasteig und schaut auf sein Lehrbuch und den Aufgabenzettel vor ihm. Beim Überlegen dreht er in seinen Händen einen Stift. Neben ihm sitzt Adrian Fleidl, 23. An diesem Dienstagabend wird noch gearbeitet, man möchte eigentlich nicht stören.

Adrian und Cangin nehmen am Programm „Studenten bilden Schüler“ des gleichnamigen Vereins teil. Einmal in der Woche treffen sich jeweils ein Schüler oder Berufsschüler und ein Student, um gemeinsam zu lernen. Mathe, Deutsch, Englisch, Naturwissenschaften. Auf eine Stunde sind die Treffen angesetzt. Wenn Adrian und Cangin mit dem geplanten Inhalt nicht durchkommen, gibt Adrian auch mal Hausaufgaben auf.

Die Schüler werden dem Verein überwiegend von sozialen Einrichtungen vermittelt: von der Caritas, der Diakonie oder etwa von Flüchtlingshilfswerken. „Wir werden, ehrlich gesagt, ziemlich überrannt“, sagt Jakob Trauer. Der 26-Jährige ist einer der Standortleiter des Vereins und kümmert sich um organisatorische Angelegenheiten. Seit 2016 ist er im Verein aktiv. Dass sie momentan nicht mehr Kapazitäten hat, scheint ihn schon länger zu bewegen, Jakob sucht nach Lösungen: Sie wollen mehr werben, an den Hochschulen präsenter werden – doch das kostet. Zudem kommt hinzu, dass sie eine hohe Fluktuation an Studenten haben. „Studis planen meist nicht über sechs Monate hinaus.“

Vor dem Beginn der Nachhilfe machen Schüler und Studenten einige Angaben. Zu den Fächern, zu ihrem Alter und Wohnort. Anhand der Kriterien werden die Paare einander zugeordnet. Vor allem Fächerwahl und örtliche Nähe entscheiden. Die Fahrtkosten, um zu den Treffen zu kommen, bezahlt der Verein aus Spenden. Am Anfang steht den neuen Lernpaaren immer ein Ansprechpartner im Verein zur Verfügung, sollten Fragen oder Probleme auftauchen. Und auf einer persönlichen Ebene müssen Schüler und Student natürlich auch zueinander passen. Bei Adrian und Cangin scheint das der Fall zu sein. Seit Sommer 2018 arbeiten sie zusammen. Ein Freund hat Cangin von dem Verein erzählt, dann hat er auch daran teilnehmen wollen. Cangin stammt aus Syrien, auf seinem Weg nach Deutschland hat er vereinzelt als Mechaniker ausgeholfen. Um sich aber hier für die Ausbildung zu qualifizieren, musste er Abschlüsse nachholen und viel lernen. Adrian studiert Elektrotechnik, genau darin und in anderen Naturwissenschaften unterstützt er seinen Schüler. Mathe falle ihm schwer, sagt Cangin. In der Berufsschule schreibe er manchmal mit, ohne ganz zu verstehen, was er da notiert. Aber: „Mathe macht mir Spaß, wenn ich es verstehe. Und mit Adrian verstehe ich es.“

Der Verein versteht sich aber nicht als „reine Wissensvermittlung“, wie Standortleiter Jakob es nennt. „Es ist vielmehr ein Buddy-Programm.“ Es komme nicht darauf an, auf Anhieb die richtige Lösung zu haben, sondern für die Schüler da zu sein. Das kann auch bedeuten, sich Bewerbungen der Schüler anzuschauen, mit ihnen nach Ausbildungsstellen suchen oder bei Formularen in Beamtendeutsch zu helfen.

„Die Studis müssen bei uns etwas für andere leisten“, sagt Jakob, das ist schon eine Anstrengung. Dafür seien die Schüler einem gegenüber oft sehr dankbar, man baue sich ein soziales Netzwerk auf.

„Studenten bilden Schüler“ organisiert mit seinen Spenden auch Aktivitäten, sodass einzelne Lernpaare sich besser kennenlernen oder die Schüler sich vernetzen können: Besuche von Theateraufführungen zum Beispiel, Ausstellungs- oder Kinobesuche. Vergangenen Sommer kamen verschiedene Gruppen des Vereins zusammen und haben sich Münchens Kulturinstitutionen angesehen. Das Ziel: „Irgendetwas Cooles anzubieten, was Spaß macht und kulturell etwas vermittelt. Etwas, was sich die Schüler im Alltag vielleicht nicht leisten können“, sagt Jakob.

Für das Material der Schüler kommt der Verein teilweise auch auf: Schulranzen, Federmäppchen, Blöcke, Übungshefte, Bücher. „Teilweise fehlt es da vorne und hinten“, sagt Jakob und obwohl er sich schon lange damit beschäftigt, meint man, immer noch den Schock über die Tatsache in seiner Stimme zu hören. „Wir haben eine sehr gute Ausbildung genossen und haben, im Gegensatz zu den Kindern, die wir unterstützen, eine privilegierte Vergangenheit. Es ist einfach ungerecht, wenn nicht alle Nachhilfe haben können“, sagt er.
Ob die Schüler erfolgreich sind, hängt von vielem ab. Ein Vorteil gegenüber anderen Nachhilfeanbietern hat das Konzept: Der Altersunterschied ist sehr gering. Das vermeide Hemmungen, sagt Jakob. Bei Adrian und Cangin sind es gerade mal zwei Jahre, so tauscht man sich schnell auch über Themen aus, die fernab der Mathematik oder der Elektrotechnik liegen. Adrian war schon zweimal bei Musiktheateraufführungen in der Staatsoper, an denen Cangin mitgewirkt hat.

Cangin hofft, seine Ausbildung abschließen zu können. Auch wenn es manchmal kompliziert sei, fasse er nach jeder Stunde mit Adrian neuen Mut, sagt Cangin. Adrian sagt, er sehe großen Fortschritt bei Cangin, und er bekomme sehr viel Dankbarkeit zurück.

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