München darf zwar raus, doch normal ist das Leben noch lange nicht. Da aber zum Glück kein Hausarrest herrscht, führen wir unsere Rubrik “Von Freitag bis Freitag” weiter. ❤ Unser Autor Louis freut sich, dass München langsam aus dem kulturellen Winterschlaf erwacht. Wie er diese Woche das Isolationsgefühl besiegt.
Sich derzeit einen richtigen Veranstaltungskalender zu überlegen, ist wirklich alles andere als leicht. Die Münchner Kulturszene ächzt ein weiteres Mal unter der Pandemie, der daraus entstandenen Isolation sowie einer allgegenwärtigen Frühjahresmüdigkeit. Überall in der Stadt entfallen Konzerte und Aufführungen: Im Feierwerk, dem Backstage oder auch dem Schwere Reiter Theater ist tote Hose. Dabei werden die Tage doch schon länger! Die Wintersonne wärmt die Haut, wenn sie sich zeigt, was an der Isar doch deutlich häufiger passiert als im übrigen Deutschland. Kopf hängen lassen ist keine Option, deshalb kommen hier meine Top-Tipps für euer Münchner Kulturleben in der kommenden Woche. Auch ich will möglichst viel unterwegs sein und erleben, trotz, oder gerade wegen der derzeit etwas verfahrenen Situation.
Den Freitag beginne ich gleich bei einer wahren Münchner Institution: der Glockenbachwerkstatt. Indoor-Konzerte müssen hier zwar genauso wie der legendäre Freitags-Jam entfallen. Dafür haben die Macher*innen hinter dem Stadtteilprojekt aber den Innenhof mit Feuertonnen schön hergerichtet und DJ* Alicea zusammen mit dem WUT Kollektiv eingeladen. An diese entspannte Art der durchzechten Clubnächte könnte ich mich geradezu gewöhnen. Schade nur, dass schon um 22 Uhr Schluss sein muss.
Am Samstag peppe ich meine Kochkünste auf. Und das ganz bequem in der eigenen Küche – Steam and Stream, das neue Social-Cooking-Format des Kulturprojekts Kösk macht es möglich. Zusammen mit Luis Abler kochen die Macherinnen vegane Köstlichkeiten aus Sri Lanka – die exotischen Zutaten rechtzeitig einkaufen nicht vergessen! Danach wird es allerdings etwas ernster: in den Kammerspielen besuche ich die Aufführung von „9/ 26 – Das Oktoberfestattentat“, in dem sich kritisch mit der fehlenden Aufarbeitung der Ereignisse aus dem Jahr 1980 auseinandersetzt – und den Geschichten von Opfern und Betroffenen einen Raum geben will. Die düsteren Gedanken vertreibe ich zum Schluss mit einem Livestream aus dem Harry Klein – hier zeigen Absolvent*innen des Instituts für Kunstpädagogik auf, wie die Zukunft des VJings aussehen könnte. Durch die bunten Lichter träume ich mich in eine Welt, in der die Clubs wieder geöffnet haben und ich wild durch die Nächte tanze.
Am heutigen Sonntag fliehe ich aus der Großstadt. Mit der S Bahn fahre ich nach Starnberg und drehe eine ausgedehnte Runde an der großzügigen Uferpromenade, mitsamt bestem Alpenpanorama. Auf dem Heimweg lege ich einen kurzen Zwischenstopp in Gauting ein. Im hiesigen Kulturzentrum, dem „Bosco“, führt die Fotografin junge Miriam Mayer durch die Ausstellung gefüllt mit Bildern, die sie während ihrer Alpendurchquerung vom Tegernsee bis Verona geschossen hat. Der Titel: Bergseele. Wem würde das hier wohl das Herz nicht höher schlagen lassen? Ich würde gerne hier vor den tollen Aufnahmen noch ein bisschen länger verweilen. Ein wichtiger Termin wartet in München allerdings auf mich: das neu gegründete Unknown Future Kollektiv organisiert eine Demonstration für mehr Freiräume und kreative Entfaltungsmöglichkeiten in München. Diese sind, besonders durch die Pandemie, extrem selten geworden. Mich interessiert, wer die jungen Menschen hinter dem Projekt sind und ich freue mich auf ein paar laute Beats und ein buntes Treiben, wenn auch mit Maske und Abstand.
Kultureller Winterschlaf? War da was? Zumindest das Wochenende habe ich wirklich vollgepackt mit spannenden neuen Erlebnissen. Am jetzigen Montag heißt es: ausschnaufen, lernen, Prüfungen meistern. Um abends auf etwas andere Gedanken kommen zu können, besuche ich das Lustspielhaus. Heute tritt der Nachwuchscomedian Julius Fischer mit seinem Programm „Ich hasse Menschen“ auf. Menschen hasse ich zwar die meiste Zeit über nicht, trotzdem lasse ich mich gerne darauf ein. Denn: das Programm verspricht einen heiteren Abend.
Auch am Dienstag kämpfe ich gegen Kälte und dumpfe Wintergefühle an. Hoffnung gibt mir da der vom Alpenverein veranstaltete Vortrag „Bergvisionen“, der im Augustinerkeller an der Hackerbrücke stattfindet. Es soll um eine der längsten Alpenüberquerungen auf dem Fahrrad gehen, ein Erfahrungsbericht zweier junger Menschen von Bayern bis Nizza. Ich merke, dass ich mich tatsächlich noch gar nicht um meine Sommerplanung gekümmert habe und hole das sofort heute Abend nach. Inspiration finde ich hierfür genug.
Am heutigen Mittwoch erwartet mich ein regelmäßiger Museums-Tag. Ich fliehe vor der Kälte und mache es mir zwischen Kunst und Protest gemütlich. Dafür besuche ich die Ausstellung „Pop Punk Politik“ im Hildebrandhaus über die literarischen Protestbewegungen in München aus der damaligen Zeit. In der bayerischen Staatsbibliothek läuft gerade die Foto-Ausstellung „Facing the Balkans“ und im Lenbachhaus die Kunstausstellung „Gruppendynamik – Kollektive der Moderne“. Viel Auswahl. Und sollte die Sonne sich doch noch zeigen, unternehme ich einfach einen Street-Art-Spaziergang dank des umfangreichen Stadtplans des Vereins Positive Propaganda e.V.
Am heutigen Donnerstag will ich meine handwerklichen Fähigkeiten ausbauen. Welchen besseren Ort könnte es dafür geben als die alte Färberei in der Au? Hier finden immer wieder kostenlose Workshops statt, bei denen man von den vielen Künstlern des Atelierhauses lernen kann. Die Kurse richten sich vor allem an Jugendliche, heute kann man die feine Kunst des Siebdrucks lernen. Am Abend schaue ich dann beim Südosteuropa Science Slam in der bayerischen Staatsbibliothek vorbei. Ich freue mich, den ausgedehnten Kulturtag von gestern noch ein bisschen zu verlängern.
Und schon ist wieder Freitag. Wahnsinn! Corona habe ich zwar nicht besiegen können, das erdrückende Gefühl der Isolation aber zum Glück schon. Zur Feier des Tages gehe ich ins Theater. Genauer gesagt, ins nagelneue Schwere Reiter Theater im Kreativquartier an der Dachauer Straße, das inzwischen wieder geöffnet haben soll. In „We love to entfern you“ erkunden die Künstlerinnen die Kulturgeschichte der Vulva – ich freue mich auf einen außergewöhnlichen Theaterabend. Ein perfekter Abschluss, wenn man so will, für eine außergewöhnliche Woche in einer außergewöhnlichen Zeit.
Louis Seibert