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Von Freitag bis Freitag München: Unterwegs mit David

Es gibt viel zu tun in München. Fast zu viel. Das Angebot an Freizeitaktivitäten wirkt oftmals erdrückend. Die neuesten Filme wollen gesehen werden, zahlreiche Museen besucht, und am Nachttisch stapeln sich ungelesene Bücher. Alles zu machen, was man sich vorgenommen hat, scheint ein unmögliches Unterfangen. Unser Autor hat eine Woche Zeit und versucht es trotzdem.

Zeit – die gefragteste Droge überhaupt, und ich kann nicht genug davon kriegen. Aber der Reihe nach. Mit Anfang Februar trete ich einen neuen Job an. Bis dahin habe ich noch eine Woche Zeit, um eine To-do-Liste abzuarbeiten, deren Linien im Unendlichen verlaufen. Mir läuft die Zeit davon. Aber wenn es etwas gibt, das dich zwingt endlich aktiv zu werden, dann ist es der Zeiger auf dem Ziffernblatt, der sich in Richtung Deadline bewegt.

Los geht’s mit Kultur umsonst. Es ist der letzte Freitag im Monat. Das heißt, freier Eintritt im Haus der Kunst. Ich besuche die Gruppenausstellung „In anderen Räumen. Environments von Künstlerinnen 1956—1976“. Elf Künstlerinnen präsentieren Räume, angesiedelt zwischen Kunst, Design und Architektur. Aber vergesst eure Socken nicht. Die Ausstellung wird ohne Schuhe besucht.

Am Samstag ist Internationaler Holocaust Gedenktag. Das NS-Dokumentationszentrum München widmet sich an diesem Tag den Schicksalen der Menschen, die unter der NS-Herrschaft verfolgt und ermordet wurden. Der Eintritt ist frei.

Sonntags schlafe ich aus, nehme ein spätes Frühstück und lege mich mit einer Tasse Kaffee nochmals ins Bett, um ein Buch von meinem Stapel zu lesen. Ich wohne in der Nähe des Frankfurter Rings und manchmal, wenn ich spätabends noch wach liege und genau hinhöre, dringt der Lärm des Rings und seiner Raser bis an mein Ohr. Quietschende Reifen. Aufheulende Motoren. Am nächsten Morgen nur noch die Gummispuren auf dem kalten Asphalt. Laut Verkehrszentrum gibt es 605 illegale Straßenrennen jährlich in Bayern. Die Sonderausstellung „Wahnsinn – Illegale Autorennen“ nähert sich diesem Thema. Weil ich noch nie im Verkehrszentrum des Deutschen Museums war, kann ich das auch gleich von meiner Liste abhaken.

Bis Montag, 18 Uhr, soll der Bahnstreik noch anhalten. Am Hauptbahnhof tummeln sich daher wohl zahlreiche Reisende und bemühen sich um Rückerstattung ihrer Fernreisetickets. Die Zeit, das ist das Blöde daran, bekommt man nicht zurück. Deshalb verlasse ich mich heute auf das Fortbewegungsmittel, welches bis jetzt noch nie streikte: meine Beine. Mit der App „Munich Art to Go“ mache ich mich zu Fuß auf den Weg. Die App lädt zur kunsthistorischen Entdeckungsreise ein. Mithilfe einer interaktiven Karte navigiere ich durch die Stadt und erhalte dabei interessante Einblicke in die Geschichte Münchens. Wer des Starrens aufs Smartphone müde wird, kein Problem. München hat einiges zu bieten, auch wenn man sich einfach treiben lässt. Denn wer kein Ziel hat, und viel Zeit, für den ist kein Weg der Falsche. Am Abend steuere ich dann allerdings doch gezielt das ABC-Kino an. Dort läuft „Perfect Days“ von Wim Wenders. Und seit ich zum ersten Mal „Paris, Texas“ sah, verfolge ich interessiert alle Werke des Autorenfilmers mit der blauen Hornbrille.

Am Dienstag gehe ich ins Beans and Book. Ein Büchercafé, in dem es neben Kaffee und Gebäck auch Bücher für 1,50 € das Stück gibt. Ich bestelle schwarzen Kaffee und lese in meinem mitgebrachten Buch. Schließlich muss ich irgendwann fertig werden. Den Rest des Tages faulenze ich.

Am Mittwoch habe ich ein schlechtes Gewissen aufgrund der Untätigkeit des Vortages. Wenigstens habe ich mein Buch ausgelesen. Trotzdem muss ich einiges nachholen. In der Galerie Deborah Schamoni gibt es eine Ausstellung mit dem Titel: „Some Borrowed Time“. Ich finde, das klingt genau richtig. „Ein bisschen geliehene Zeit“ – und obwohl Leihe eine Rückgabe zu späterem Zeitpunkt impliziert, werde ich mir die Werke der Galerie in Bogenhausen in Ruhe ansehen. Wenn man etwas getrunken hat, läuft die Zeit langsamer. Oder schneller? Jedenfalls trinke ich am Mittwochabend Bier im Backstage und warte, bis das Konzert beginnt. Transmission, die britische Joy-Division-Coverband, spielen zum 45-jährigen Jubiläum von „Unknown Pleasures“ alle Songs ihres legendären Debütalbums. Tickets ab 25 Euro. Für manche viel Geld, aber wenn Zeit ohnehin Geld ist, ist mir die Zeit lieber.

Donnerstag ist es dann so weit. Ich trete meine neue Stelle an. Obwohl an einem ersten Arbeitstag in der Regel nicht viel passiert, ist man am Ende doch ziemlich überfordert von der Flut an neuen Informationen. Am Heimweg lege ich also einen Stopp in der Stadtbibliothek ein, um mir ein neues Buch für den Abend zu holen. Immer brav die Liste anreichern. Da trifft es sich gut, dass in einigen Standorten der Münchner Stadtbibliothek eine Ausstellung zum Mitmachen angeboten wird. „Du bist die Aufgabe“ heißt das Projekt, bei dem bis zum 16. Februar Kafka-Textstellen ausliegen, aus denen der Besucher seine Lieblingszitate wählen kann. Die Zitate mit den meisten Stimmen fließen in eine Ausstellung ein, die anlässlich Kafkas 100. Todestages vom 16. Mai bis 12. Juli 2024 im Gasteig HP8 gezeigt wird.

Der Freitag wird ähnlich verlaufen. Meine erste Arbeitswoche, mit nur zwei Arbeitstagen, endet hier. Ich habe einiges von meiner Liste geschafft. Doch nicht alles. Ein Kafka-Zitat ist mir hängengeblieben: „Was kann man am Vormittag besseres thun als mit Blinzelaugen zwischen dunklen Feldern und blühenden Wiesen liegen? Nichts.“ Es ist Winter und nirgends blühen die Wiesen. Vielleicht fahre ich trotzdem am Wochenende raus nach Feldmoching und lege mich in Winterjacke auf den gefrorenen Erdboden. Dann könnte ich bereits etwas von meiner Frühlingsliste abhaken.

David Holzner