Unsere Autorin Clara hat gerade ein Master-Studium begonnen. So richtig wohl fühlt sie sich in dieser neuen alten Rolle noch nicht. Dabei hat das Studium den Ruf, die beste Zeit des Lebens zu sein. Was das konkret bedeutet, will sie diese Woche herausfinden: Auf Konzerten, im Theater, im Kino und auf Ausstellungen.
23 ist ein merkwürdiges Alter. Ich habe Bekannte, die sind bereits verheiratet und haben Kinder. Mein erster Impuls war, ihnen mein Beileid auszusprechen. Aber diese Kinder waren tatsächlich gewollt. Nun ja, und dann gibt es eben noch Menschen wie mich. Ich habe gerade einen Master angefangen. Ich bin jetzt wieder ein Ersti. Die Studierenden aus den höheren Semestern schauen mit einer Mischung aus Belustigung und Abscheu auf mich herab. Ich muss mich jetzt wieder melden, wenn ich etwas sagen möchte. Und die Texte, die ich schreibe, werden benotet.
So richtig wohl fühle ich mich in dieser neuen alten Rolle noch nicht. Dabei heißt es doch immer, das Studium, das sei die beste Zeit des Lebens. Das sagt zumindest meine Tante, wann immer ich mit ihr telefoniere. Manchmal beschleicht mich das leise Gefühl, dass die Zeit da ein wenig an den Erinnerungen geschraubt hat. Aber was weiß ich schon, ich habe fünf Semester in einem immer wiederkehrenden Lockdown verbracht. Was auch immer diese Boomer unter „der besten Zeit des Lebens“ verstehen mögen, ich bezweifle, dass man es vom Sofa aus herausfinden kann.
Wahrscheinlich hat es irgendetwas damit zu tun, seine Jugend wertzuschätzen. „Genieße deine Jugend, alt wird man von ganz allein“, um noch einen Boomer (meinen Vater) zu zitieren. Ich gebe ihm ja Recht. So wenige Verpflichtungen, so viel Energie wie heute, werde ich wohl nie wieder haben. Und die verwende ich an Freitagen am liebsten auf lange Nächte, in denen ich durchtanze. Angefangen in der Glockenbachwerkstatt beim Konzert der Band shā mò (沙漠). Ihre Musik setzt sich mit einem weiteren dieser verklärten Lebensabschnitte auseinander: Der Schulzeit. Die vier Mitglieder haben sie in Shanghai verbracht. Eine Frage, die im Sound stets mitschwingt: Wie geht man damit um, wenn die Identifikation mit dem Heimatland politisch und sozial immer schwieriger wird?
Jungsein wird oft mit frei sein gleichgesetzt. Aber jung zu sein kann auch bedeuten, wenig Geld zu haben. Mit Geld kann man sich zwar nicht die „beste Zeit seines Lebens“ kaufen, aber kein Geld zu haben bedeutet auch, nicht all das tun zu können, was man möchte. Umso erfreulicher also, wenn Veranstaltungen kostenlos sind, besonders in München. So wie die Ausstellung EMBRACE der Künstlerin Mercedes Corvinus im Farbenladen, in den es mich am Samstag verschlägt. Corvinus stellt den weiblichen Körper in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten und versucht so, ihn zu entsexualisieren. Auch das ist eine Form von Freiheit: den eigenen Körper zu zeigen und sich dabei sicher zu fühlen.
Mitunter ist es gar nicht wichtig, wo man seine Zeit verbringt, sondern mit wem, um die „beste Zeit seines Lebens“ zu haben. Die engsten Vertrauten sind doch meist die, mit denen man einfach mal nichts tut und sich trotzdem nicht langweilt. Am Sonntag lade ich deshalb Freunde zu mir nach Hause ein. Seit ich vor ein paar Wochen umgezogen bin, habe ich dafür auch endlich genug Platz. Und sollte uns doch der Sinn nach einem Tapetenwechsel stehen, schlendern wir über die Hofflohmärkte in der Maxvorstadt oder statten dem Café Franca in der Nähe des Josephsplatz einen Besuch ab.
Ich glaube, was mich am meisten daran stört, ein Studium als die „beste Zeit des Lebens“ zu bezeichnen, ist die einseitige Sicht auf die Dinge, die damit verbunden ist. Als ob das vom formalen Bildungsabschluss abhängen würde. Der Film In einem Land, das es nicht mehr gibt, den ich am Montag im Kino anschaue (der Eintritt ist an diesem Tag in vielen Münchner Kinos günstiger), zeigt, dass es auch anders kommen kann. Im Sommer 1989 wird die Protagonistin Suzie kurz vor ihren Abiturprüfungen von der Schule verwiesen. Doch ein zufälliges Foto öffnet ihr unverhofft die Tür in die glamouröse Welt der Mode und die schillernde Subkultur des Ostberliner Untergrunds. Auch eine autoritäre Diktatur wie die DDR wird junge Menschen nicht davon abhalten sich auszutoben.
„Die beste Zeit des Lebens“ – jeder assoziiert damit etwas anderes. Für mich persönlich braucht es dazu vor allem den richtigen Soundtrack. Den liefern in diesem Monat die Sound Of Munich Now-Live-Sessions – von Montag bis Freitag um 20 Uhr auf YouTube. Am Dienstag ist Miss Mellow an der Reihe. Psychedelischer Sixties-Rock, wie ihn The Doors geprägt haben, trifft auf melodisch-süße Indie-Pop-Ästhetik. Ich bin kein Fan von Superlativen, denn was kommt danach? Aber ich will es mal so formulieren: Ich durfte bei den Dreharbeiten im Sommer dabei sein und hatte eine ziemlich gute Zeit.
Sieben Jahre ist es her, dass ich das Konzert einer anderen Band besucht habe, nämlich das von Alt-J. Kaum eine Musik hat meine Schulzeit so sehr geprägt wie die ihre. (Ich meine, welches Symbol beschreibt die Jugendkultur der 2010er-Jahre besser als das Dreieck?) Jetzt sind sie wieder in München, am Donnerstag im Zenith. Ich schreibe diese Zeilen, während ich mir das neue Album der drei anhöre und bin überrascht, dass sich ihr Stil kaum verändert hat. Aber wird mir das Konzert den gleichen Kick geben wie damals mit 15? Einen Versuch ist es wert. Und weil ich an dieser Stelle unbedingt noch einen nicht-musikalischen Tipp loswerden wollte: Am selben Tag wird an den Münchner Kammerspielen Die Freiheit einer Frau nach dem Buch von Édouard Louis aufgeführt. Anleitung ein anderer zu werden vom selben Autor ist immer noch das (Achtung, Superlativ!) beste Buch, das ich dieses Jahr gelesen habe. Und irgendwie passt es ja auch zum Thema Studium.
Aber zurück zur Musik: Am Freitag nehme ich an Listen to Munich teil, einem von der Fachstelle Pop organisierten Popkultur-Gipfel mit Workshops, Panels und Vorträgen rund um die Münchner Musikszene. Ihr fragt euch, wo da noch Zeit für die Uni bleibt? Für 250 Seiten wissenschaftliche Texte, die ich jede Woche lesen muss? Für Hausarbeiten und Referate? Die Nächte sind ja schließlich lang. Und wenn ich es dann immer noch nicht schaffe, muss ich zu meinen Dozierenden wohl sagen: Tut mir leid, ich war zu sehr damit beschäftigt, „die beste Zeit meines Lebens“ zu haben. Das ist es doch, was ihr von mir wolltet, oder?