Philipp Klemz, Christian Raab, Jonas Hofer und Philipp Albinger sind „Heroes und Ganoven“ – junge Musikproduzenten,
die Songs für andere Künstler schreiben. Für die Band „Glasperlenspiel“ haben sie nun einen Top-Ten-Hit gelandet
Es ist Mitternacht. Der Landtag in München ist in Dunkelheit gehüllt. Eine Tram fährt vorbei, leise quietscht sie in der Kurve. Währenddessen singt Philipp Klemz auf dem Vorplatz des Gebäudes, begleitet an einem der „Play Me I’m Yours“-Klaviere, die im Herbst wieder einmal an verschiedenen Orten in München aufgestellt wurden: „Ich wünsch’ dir noch ’n geiles Leben / mit knallharten Champagnerfeten / Vergiss den Fame, all die Villen und die Sonnenbrillen …“ Man könnte diese Songzeile kennen. Aus dem Radio. „Geiles Leben“ von der Band Glasperlenspiel, ziemlich erfolgreich, lange in den Charts.
Philipp Klemz’ melancholische Interpretation hat aber sonst nur wenig mit der Party-Version aus den Top-Ten zu tun. Dabei ist Philipp, 25, gemeinsam mit einigen Freunden, eigentlich der Autor des Liedes. Er gehört zu den „Heroes und Ganoven“, einer jungen Songwriter- und Produzentengruppe aus München, bestehend aus Philipp, Christian Raab, 30, Jonas Hofer, 24, und Philipp Albinger, 20. „Geiles Leben“ ist ihr erster großer Erfolg. Veröffentlicht Ende August, hält sich der Ohrwurm nach wie vor in den Top 10 der Charts, auf Youtube wurde er mehr als 16 Millionen Mal aufgerufen. Eigentlich nur gedacht als Party-Track über jemanden, der das Maß der Dinge verliert, verselbstständigte sich das Lied als Hymne gegen Liebeskummer.
Entstanden ist der Hit während eines dreitägigen Kompositionstreffens in der Küche „am Laptop neben dem Klavier“ – das ist die Realität des heutigen Musikgeschäfts.
Während Chris und Philipp ruhig ihre Kaffees schlürfen, wirken sie weder wie Helden noch wie Ganoven. Den Namen für ihr Team finden sie trotzdem passend. „Nur Ganoven wäre zu eindeutig gewesen“, scherzt Chris. Helden sind für sie „nette Jungs“, die sie selbst meistens auch sind, aber „die verändern auch was und sind Teil von was Großem“. Geträumt wird also groß, vielleicht sogar vom „geilen Leben“, von dem sie schreiben.
Kennengelernt haben sich Chris und Philipp, die Urgesteine der „Ganoven“, vor neun Jahren. Ihr erstes Album floppte. 500 CDs ließen sie pressen, gerade einmal 110 Stück verkauften sich.
Musikalisch verstanden sich die beiden jungen Männer auf Anhieb – persönlich könnten sie nicht unterschiedlicher sein, finden sie selbst. „Wir sind wie Yin und Yang – er war der Straßenjunge und ich der künstlerische Waldorfschüler“, erklärt Philipp.
Etwas gemeinsam haben sie dabei trotzdem: Keiner von beiden hat Musik oder überhaupt etwas studiert, auch keine Ausbildung im Musikgeschäft gemacht. „Das Hits-Schreiben bringt man sich selber bei“, stellt Chris fest. Sein Leben verlief bisher in vielen Schlangenlinien – inklusive Schulwechseln und Internat.
In der neunten Klasse brach er die Realschule ab, er hatte „einfach keinen Bock“ mehr und wollte nur noch Musik machen. Mit Nebenjobs als Florist, Elektroinstallateur, Feinmechaniker und Tontechniker schlug er sich danach durch – alles ohne Ausbildung.
Durch einen Zufall kam er zu musikalischen Auftragsarbeiten in der Werbebranche, gründete eine kleine Firma, stellte vor sechs Jahren Philipp als Songwriter an. Gemeinsam merkten sie dann, dass die Werbung „nicht ihre Welt“ sei und sie ihr Glück mit Popsongs versuchen wollten. Und schon der erste Versuch vor vier Jahren war ein Treffer. Der Interpret: Philipp selbst. Sein Song „Wo bist du hin“ lief bei Bayern 3 und anderen Radiosendern deutschlandweit, sie kamen in Kontakt mit Verlegern, Managern, Plattenfirmen, die ihnen Angebote machten. Doch auf einmal war es Philipp eine Nummer zu groß. „Das war eine aufregende Zeit für mich – bis ich mich entschieden habe, dass das Rockige nicht meine Musikrichtung ist und dass alles zu schnell geht“, erzählt er. „Ich dachte, ich bin noch nicht bereit dafür. Wenn ich auf die Bühne gehe, muss es hundertprozentig stimmen. Weil ich glaube, man hat nur eine Chance – und die muss man nutzen.“ Deswegen beschloss er, dass das noch nicht seine eine Chance war – die wurde einfach auf später verschoben.
Es war nicht das erste Mal, dass er Chancen ausschlägt und sich gern den eigenen, schweren Weg bahnt. Nach der Schule studierte er an der Münchner Musikhochschule klassischen Gesang. Nach kurzer Zeit brach er ab und sang stattdessen lieber wieder nur privat, neben der Ausbildung als Veranstaltungskaufmann – bis er bei Chris angestellt wurde.
Mittlerweile ist das Team aufgeteilt, die meisten sind nach Berlin gezogen, nur Philipp kann sich von seiner Heimatstadt nicht trennen. Er fährt weiterhin wochenweise in die Hauptstadt, kommt aber immer zu seinem „Ruhepol“, wie er München nennt, zurück. Der aufgezwungene Bruch der „Ganoven“ mit München kam gleichzeitig mit dem großen Durchbruch mit „Geiles Leben“ – ein Titel, zu dem sie ein zwiespältiges Verhältnis haben: „Der Text ist nicht hochphilosophisch, aber er verkauft sich gut und spricht eine breite Masse an“, erklärt Philipp. Als der Song in den Charts nach oben klettert, freuen sie sich dann aber doch wie kleine Kinder. Philipp gibt sogar zu: „Wenn ich ehrlich bin, schaue ich alle zwei Minuten nach, wie viel Klicks der Song hat und ob er in den Charts eine Nummer höher ist.“
Volle Distanz sieht anders aus; der erste große Hit ist eben etwas Besonderes. Er öffnet den „Heroes und Ganoven“ nun weitere Türen, auch in den USA – Interpreten dürfen aber noch nicht verraten werden. Bisher haben sie unter anderem schon Songs mit Cassandra Steen, Christina Stürmer, Psaiko Dino und den Söhnen Mannheims produziert. Auch für Schlagersänger wie Bernhard Brink sind sie sich nicht zu schade.
Eigentlich ist es in der Szene verpönt, alle Musikrichtungen zu bedienen, aber das stört die „Ganoven“ nicht. Jeder der vier hat sich auf einen Bereich spezialisiert. Philipp Albinger, der Jüngste, hat ein Faible für elektronische Musik. Jonas ist der Indie-Rocker der Gruppe, spielt selbst Gitarre und schreibe viele englischsprachige Songs. Philipp Klemz und Chris decken kommerziellen Pop ab.
Und selbst mal im Rampenlicht stehen? Für Chris hat die Autorenlaufbahn ihre Reize: „Du hast deine Ruhe, schreibst deine Sachen und kannst alles machen“, erklärt er. Als Künstler würde man mehr einem Trend oder Image unterliegen. Man sei schnell gebrandmarkt. „Ich werde aber zum Beispiel nicht ewig der Typ sein, der ‚Geiles Leben‘ geschrieben hat.“
Trotzdem reizt eine eigene Musikerkarriere doch. Besonders Philipp Klemz hat seinen Solo-Erfolg noch nicht ganz abgeschrieben. Er hat es nicht bereut, seine Chance nicht genutzt zu haben, hat die Zeit gebraucht, um die Fühler ins Musikbusiness auszustrecken. „Aber gerade in den vergangenen Wochen bin ich wieder ins Nachdenken gekommen – ich hab wieder Lust!“ Vielleicht singt Philipp also bald wieder seine eigenen Lieder mit Klavierbegleitung – nur diesmal nicht vor dem Landtag, sondern auf einer Bühne. Nach dem „geilen Leben“ mit dicken Villen und Sonnenbrillen greifen, wäre also vielleicht doch ganz schön.
Elisabeth Kargermeier
Foto: Conny Mirbach