Neustart

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Drei junge Menschen krempeln ihr Leben komplett um – kündigen ihren Job, schmeißen die Uni. Warum tun sie das?  Und was machen sie, wenn sie jetzt scheitern?

Beauty-Redakteurin ➢ Musikerin

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Sie hatte einen festen Job. Einen unbefristeten Vertrag in einer Branche, in der eine Festanstellung zur Seltenheit geworden ist. Und trotzdem spürte sie diese innere Unruhe. Wenn Verena Lederer, 25, davon spricht, beschreibt sie diesen Zustand als „inneren Kampf“.

Vielen dürfte Verena als Musikerin und unter ihrem Künstlernamen Klimt bekannt sein. Erst vor Kurzem veröffentlichte sie ihre neue Platte „Dear Sirens“ bei einem Konzert im Lost-Weekend. „Es waren sogar ein paar meiner ehemaligen Kollegen da“, sagt sie. „Und meine Mutter hat zu mir gesagt, dass sie stolz auf mich ist.“ Dass all das hätte möglich sein können, das hätte Verena vor ein paar Jahren nicht gedacht. Denn bevor sie sich dazu entschied, sich voll und ganz der Musik zu widmen, sah ihr Leben ganz anders aus.

Noch während Verena den Studiengang Ressort-Journalismus in Ansbach belegte, ging sie für ein Praktikum bei einem Frauenmagazin nach München. Dort wurde ihr nach Ende des Praktikums eine befristete Redakteursstelle angeboten: Beauty-Redakteurin. Zu diesem Zeitpunkt war sie gerade Anfang 20. „Ich habe dort wohl einen echt guten Eindruck hinterlassen“, sagt sie. Sie nahm das Angebot an, denn solche Stellen sind hart umkämpft. Sie schloss ihr Studium ab, schriebt ihre Bachelorarbeit, wurde finanziell unabhängig. Als der befristete Vertrag auslief, bekam Verena von ihrem Frauenmagazin das Angebot für einen unbefristeten Vertrag. Und sie unterschrieb. Das war Anfang 2017.
„Ich habe mich natürlich schon darüber gefreut“, sagt sie. Doch mit der Freude kamen auch die Zweifel. „Ich habe mich gefragt: Ist das wirklich das, was du willst?“, sagt sie. Man muss wissen: Verena nutzte schon damals jede Minute in ihrer Freizeit, um Musik zu machen. Ihr Musik-Projekt Klimt gab es schon seit 2015. Sie haderte mit sich selbst „Man muss sich das mal vergegenwärtigen: Ich musste nicht einmal ein Volontariat machen, was normalerweise üblich ist, um dort hinzukommen, wo ich war“, sagt Verena. Sie fühlte sich manchmal auch so, als wäre sie undankbar, weil die Euphorie einfach doch nicht so groß war. „Mir hat etwas gefehlt. Das habe ich sehr lange für mich behalten, bis ich es meinen engsten Freunden erzählt habe.“ Mit „es“ meint Verena eben diesen Wunsch, Musikerin zu werden, mit Klimt durchzustarten, sich nur noch auf die Musik zu konzentrieren. Ihre Freunde hätten sie dazu ermutigt und an sie geglaubt, aber „meine Eltern waren total schockiert von der Idee“, erzählt sie.

Trotzdem entscheidet sie sich für die Musik. „Ende Mai 2017 habe ich gekündigt. Das war die anstrengendste und aufregendste Zeit in meinem Leben“, sagt Verena. Es sei eine regelrechte innere Tortur gewesen. „An einem Tag bin ich aufgewacht und war unglücklich, am nächsten Tag war es wieder okay“, eine Achterbahn der Gefühle also. „Am Ende ging es mir aber mit der Entscheidung wirklich besser. Weil ich es mir so auch selbst zugestanden habe“, sagt sie.
 Und jetzt? Sie sei wieder mehr auf die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern angewiesen, denn mit ihrer Musik verdient sie noch nicht genug. „Außerdem habe ich noch ein Netz aus mehreren Nebenjobs“, sagt Verena. Sie hat angefangen, ein zweites Mal zu studieren, diesmal Musikwissenschaften und Philosophie. Und wenn das mit der Musik so gar nicht klappt? „Einen Plan B gibt es nicht. Das ist vielleicht auch das Geheimnis. Ich habe ja eine abgeschlossene Ausbildung, vielleicht komme ich irgendwann wieder in den Journalismus“, sagt sie. Jetzt steht aber erst einmal eine dreiwöchige Tour durch Italien an.  

Text: Ornella Cosenza


Student ➢ Globetrotter

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Lasse Korbanka, 25, kratzt sich im Nacken. Er macht das sehr oft, vielleicht auch, um sich zu entspannen. Zur Ruhe zu kommen ist gar nicht so einfach. Den November verbrachte er in Berlin, die vergangenen Wochen in Kiel und Hamburg.

Acht Semester lang studierte Lasse an der LMU Kunst und Multimedia im Bachelor. Ohne Abschluss. Jetzt ist er Mitte 20. Sein Ziel ist es, in kurzer Zeit so viel Geld wie möglich zu verdienen, um einen Sprinter zu seinem neuen Zuhause auf vier Rädern umzufunktionieren. Startschuss für den neuen Lebensabschnitt ist Dezember 2018. Bis dahin müssen mindestens 7 000 Euro in die Spardose. Deshalb nimmt Lasse neben Moderationsjobs auch Tätigkeiten als Model und Komparse an.

Die ersten drei Semester liefen beim ihm noch ziemlich gut. Im vierten Semester kam dann der Werkstudentenjob dazu: Grafiker in einer großen Unternehmensberatung. „Die Arbeit hat unglaublich Spaß gemacht, ich habe so viel mehr gelernt als in der Uni.“ In den Semesterferien arbeitete er als Vollzeitkraft. Zurück an der Universität kam ihm alles „ein bisschen unprofessionell und nicht zielorientiert vor“. Aus diesem Grund stellte er das Studium hinten an. Manchmal verbrachte er mehr Zeit bei der Arbeit als ursprünglich vereinbart. Das wirkte sich auf seine Studienleistungen aus. Lasse grinst. „In der Uni hatte ich diesen Drive nicht“, sagt er.

Der entscheidende Moment, das Studium abzubrechen, kam im achten Semester bei der Anmeldung der Abschlussarbeit. Der Druck wurde größer, die Anzahl der bestandenen Prüfungen blieb gleich. Die Anmeldung der Abschlussarbeit boxte Lasse dann noch mit der Mindestanzahl der benötigten Punkte durch. Dann verließ ihn der Kampfgeist. „Ich glaube, wenn ich die Bachelorarbeit durchgezogen hätte, dann hätte ich auch das Studium gemacht.“ Einen Ratschlag von außen holte er sich nicht. Vielmehr hatte er das Gefühl, von anderen nicht verstanden zu werden. Er traf die Entscheidung mit sich selbst und zog einen Schlussstrich. Bis heute bereut er es nicht. Schlaflose Nächte hatte er keine. „Es ist eine extrem große Energieverschwendung, wenn man Sachen bedauert.“

Wer studiert, erwartet nach dem Abschluss bessere Berufsaussichten. Das hat Lasse während seiner Zeit an der Universität beobachtet. Die Realität ist aber eine andere, gerade in kreativen Berufsfeldern. Neugierde und Wissenshunger sind ein Muss. Bei vielen seiner ehemaligen Kommilitonen, die ihr Studium erfolgreich beendet haben, vermisste er genau das. Stehenbleiben darf niemand, das gilt auch für ihn. Der Abbruch des Studiums bedeutet nicht, mit dem Lernen aufzuhören.

Unterstützung für seine Entscheidung, das Studium abzubrechen, bekam er von seinem besten Freund. Das half ihm, optimistisch zu bleiben – und es erleichterte ihm, seiner Familie den Entschluss mitzuteilen. Vor allem seinem Vater. Lasse macht eine kurze Pause. „Es war fast wie eine Beichte“, sagt er. Sein Vater hatte bereits eine Ahnung, er reagierte verständnisvoll und unterstützend. Zukunftsängste hat er keine. Bis jetzt ist er immer über die Runden gekommen, warum sollte sich das ändern?

Das Handy leuchtet auf, möglicherweise ein neues Jobangebot. Schnell tippt Lasse eine Nachricht. Mit dem Abbruch des Studiums musste er auch seine Werkstudententätigkeit beenden. Deshalb die vielen Jobs. Sein Ziel lässt er nicht aus den Augen. „So weit fahren, wie der Sprinter durchhält.“ Unterwegs möchte er sein Leben mithilfe von Film und Fotografie finanzieren, das geht von überall – und dafür braucht er auch kein abgeschlossenes Studium. Welchen Job er nächste Woche hat? Wo er sich im nächsten Monat aufhalten wird? Er weiß es noch nicht, es ist ihm auch egal. Dennoch ist er sich seiner Selbst sicherer denn je.   

Text: Eser Aktay


Student ➢ DJ

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Am Ende blieb nur noch der Weg zum Arzt. Ein Jahr lang hat Kiawash Sallehsari, 22, mit sich gehadert, hat mit Freunden diskutiert, hat sich immer wieder überlegt, was er denn nun tun soll. Er spürte eine innere Unruhe, war antriebslos, kam Tag für Tag nur schwer aus dem Bett. Er quälte sich in die Vorlesungen. Die Zweifel wuchsen, ob Ingenieurwissenschaft das richtige Studium für ihn sei. „Einerseits bin ich von Naturwissenschaften und Technik weiterhin begeistert, ansonsten hätte ich nicht mehrere Semester lang studiert und die Prüfungen geschrieben“, sagt er. „Ich habe aber gemerkt, dass ich nicht mehr aus Überzeugung studiert habe. Es hat sich nicht richtig angefühlt, so viel Energie darin zu investieren, obwohl ich wusste, dass mir das Studium finanzielle Sicherheit und Erfolg bringen würde. Wenn ich in der Bibliothek war oder im Vorlesungssaal mir die Folien der Dozenten angesehen habe, haben mir der Antrieb und die Motivation gefehlt. “

Aber warum? Kiawash ließ sich untersuchen, doch körperlich war mit ihm alles in Ordnung: „Die Ärztin meinte, dass diese Antriebslosigkeit eher daher kommt, dass mich etwas beschäftigt und ich gestresst bin“, sagt er. Kiawash ist sich sicher, dass es an dem inneren Widerspruch lag zwischen dem, was von ihm erwartet wurde und dem, was er eigentlich machen wollte. Denn während des Studiums ist er auf elektronische Musik aufmerksam geworden – nicht als Clubbesucher, sondern als Musikproduzent.

Die Möglichkeit, mit minimalistischer Musik den eigenen Sound zu kreieren, sagte ihm sehr zu, vor allem Genres zu kombinieren, die an sich gegensätzlich sind, gefiel ihm: Heute spielt er einen Mix aus House und Down Temple mit Einflüssen von Rock-Elementen, orientalischer Musik und Sounds der Achtzigerjahre. Aber das Musikgeschäft ist schwierig, Aussicht auf Erfolg gering. Deswegen eine Karriere aufs Spiel setzen? Er hat oft mit guten Freunden über seine Situation gesprochen, alle haben ihn von der Entscheidung abgeraten, das Studium zu schmeißen. Er beschreibt es als ein Gefühl von „me against the world“ – er stellte sich gegen den Rat seiner Freunde.

Mittlerweile ist er sich sicher, damit das Richtige getan zu haben. Es gab Momente, in denen er sich gefragt hat, ob die Entscheidung nicht doch noch die falsche war: Nicht nur, weil er nun nachts viel unterwegs ist, wenn er auflegt. Sondern weil es auch schwierig ist, in der Musikszene anzukommen. Anfangs hat er auf Studentenpartys aufgelegt. Inzwischen ist er regelmäßig im Kunstblock Balve zu hören, einer Plattform in Laim für kulturellen und sozialen Austausch. Er hatte auch schon Gastauftritte im Harry Klein und in der Minna Thiel. Geld verdient er mit seiner Musik noch nicht, aber das ist ihm egal.
 Um sich seinen Musikertraum finanzieren zu können, arbeitet er in einem Café. „Ich werde so lang nebenbei arbeiten wie notwendig, damit ich meinen Lebensunterhalt bestreiten kann, aber ich werde keinesfalls die Musik aufgeben, nur um mehr Geld verdienen zu können.“ Und wenn sein Traum nicht wahr wird? Kiawash hat keinen Plan B. „Wenn ich viel Zeit und Herzblut darin investiere, um diesen Traum wahr zu machen, dann wird es auch funktionieren“, sagt er. „Wenn es nicht funktioniert, dann heißt es, dass ich nicht genug dafür getan habe.“   

Text: Serafina Ferizaj


Fotos: Sophie Wanninger, Stephan Rumpf

Zwischen Wirklichkeit und Traum

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Wir porträtieren an dieser Stelle bis zur Vernissage alle 20
mitwirkenden KünstlerInnen unserer Ausstellung
“10 im Quadrat Reloaded”
 im Farbenladen – mal Fotograf, mal
Modell. Heute: Fotografin Anna Heimkreiter.

Statt zehn Fotos macht Anna Heimkreiter, geboren 1993, nur
fünf. Sie fotografiert immer zwei Models zusammen, weil sie die Verbundenheit
zweier Menschen durch Körperkontakt darstellen möchte. Das ist nicht nur für
Anna spannend, sondern gerade auch für die Models, da sie sich vorher noch nicht
kennen und sich plötzlich in einer Situation wiederfinden, in der man sich
normalerweise nur mit bereits vertrauten Menschen befindet. „Gerade dadurch
möchte ich aber auch zeigen, dass alle Menschen etwas gemeinsam haben“, erklärt
Anna, „und dass jeder eine Geschichte hat, die es wert ist, erzählt zu werden –
wir müssen uns nur trauen, aufeinander zuzugehen.“

Nach dem Abitur hat Anna Kulturwirtschaft studiert und
arbeitet inzwischen im Bereich Stiftungen. Die Fotografie ist nur ein Hobby.
Ihre Fotos haben eine mystische, geheimnisvolle Atmosphäre. Schon als Kind
liebte sie es, sich in Büchern und Geschichten zu verlieren. Die Fotografie
gibt ihr die Möglichkeit, dort weiterzumachen, wo ihre Worte aufhören. „Sie ist
ein Medium, um sowohl Erinnerungen einzufangen als auch surreale Szenarien zu
schaffen“, sagt Anna. „Die Fotografie befindet sich irgendwo zwischen
Wirklichkeit und Traum und genau das mag ich an ihr.“

Viele ihrer Fotos sind Selbstporträts, und wenn sie jemand
anderen ablichtet, dann meistens Frauen. Für die junge Fotografin sind Frauen
faszinierend und stark: „In den letzten Jahren habe ich mich viel damit
beschäftigt, wie Frauen durch die Geschichte bis in die Gegenwart in der
Fotografie dargestellt wurden und werden, und das ist gerade im Bezug auf
Geschlechterstereotypen sehr aufschlussreich. Seitdem betrachte ich auch meine
eigenen Fotos kritischer. Auch unsere heutige visuelle Kultur spiegelt in
großen Teilen uralte Muster wider.“

Die größte Herausforderung war es für diese Ausstellung nicht,
ausnahmsweise auch Männer vor der Linse zu haben, sondern das Wetter: „Kreativ
zu sein, ist definitiv leichter, wenn man nicht schon halb zum Eiszapfen
erstarrt ist und die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen hat, weil man seine
Models gerade frieren lässt“, sagt Anna, die ihre Models zu zweit draußen
fotografiert hat. „Es war ein bisschen wie eine Wundertüte – man weiß nicht
genau, was man kriegt, aber genau das ist ja der Spaß daran.“

Text: Lena Schnelle

Foto: Anna Heimkreiter

Subkultur retten

Julian Hahn, 25, will Arzt werden – wenn er Zeit hat und einen Studienplatz bekommt. Bis dahin macht er Zwischennutzungen: im Westpark, bald in Giesing und vielleicht sogar in einem ganzen Haus im Glockenbachviertel.

Eine kleine heruntergekommene Holzhütte, blau und rot gestrichen, knallgelbe Tür. Der Garten dahinter verwildert, vermüllt. Einige sagen, das kleine Grundstück an der Pilgersheimer Straße nahe der Zugbrücke sei der Schandfleck von Giesing. Für Julian Hahn ist es eine brachliegende Fläche mit viel Potenzial, perfekt für sein neuestes Projekt.

Wenn er einen anderen Bruder hätte, wäre der 25-Jährige jetzt vielleicht angehender Arzt – was immer sein Traum gewesen ist. Doch sein Bruder heißt Daniel Hahn, in München bekannt für den Bahnwärter Thiel und die MS Utting. Schon 2012 gründeten die beiden Hahns zusammen mit dem jüngsten Bruder Laurin und drei Schulfreunden den Wannda e.V. Erst wollte Julian nicht. „Alles, was mit Daniel zu tun hatte, war immer irgendwie anstrengend“, sagt Julian. Der ältere Bruder rief Julian nach der Schule öfter spontan an, damit er ihm bei einer Hausentrümpelung oder dem Aufbau einer Veranstaltung helfe. Als Schüler nicht immer die schönste Freizeitbeschäftigung.

Heute ist Julian froh, dass er sich für Wannda entschieden hat. Nach seiner Ausbildung zum Rettungssanitäter studierte Julian deshalb nicht Medizin, sondern organisierte Veranstaltungen, baute den Märchenbazar im Viehhof auf, wieder ab und wieder auf. Heute betreibt er das Café „Gans am Wasser“ im Westpark und plant gerade sein neuestes Projekt in Giesing.

Vergangene Woche unterzeichnete er den Vertrag für die Zwischennutzung in der Nähe des Kolumbusplatzes an der Pilgersheimer Straße. Aus dem bunten Bretterhaufen soll ein verwunschenes Hexenhäuschen werden. Neue Fenster, vielleicht ein bisschen schief. Ziegel aufs Dach, hinten im Garten eine kleine Bühne – für Kabarett, Theater, Lesungen, Open Stage. Einen Blumengarten wollen sie anlegen, im Gebäude soll es eine kleine Gastronomie geben. Sie – das sind Julian, sein Geschäftspartner Florian Jund, mit dem er auch das Café Gans am Wasser betreibt, und Philipp Behringer. Ihn kennt Hahn aus seiner Zeit als Rettungssanitäter. Dazu kommen noch viele weitere Freunde und Helfer. Die Umbauten stemmen sie alle selbst. Eine handwerkliche Ausbildung hat Julian nicht, aber bisher haben sie noch alles hinbekommen. „In der Waldorfschule haben wir schon in der dritten Klasse ein kleines Haus gebaut“, erzählt er. Das sei vielleicht nicht ganz das Gleiche, aber sie scheuen sich nicht vor Herausforderungen. Auch bei ihrem Café „Gans am Wasser“, direkt am Mollsee, haben sie alles selbst gemacht, Bauwägen renoviert, Sessel aus alten Badewannen gebaut.

Mit dem Rumbasteln bei ihrem Café hören sie nie ganz auf. Ein neuer Hingucker ist fast fertig. Meterhohe Stahlblumen begrüßen die Besucher auf der einen Seite. Auf die andere Eingangsseite sollen zwei Gänse, vier Meter hoch, in 3-D-Optik, die sich mit den Schnäbeln berühren und den Namen des Cafés als Tafel über die Besucher halten.

Julian könnte gestresst sein. Ist er aber nicht, oder zumindest wirkt er nicht so. Er spricht ruhig und entspannt. Dann klingelt das Telefon. Partner Florian Jund gibt Bescheid, dass er sich gerade den Klowagen anschaut, den Julian im Internet gefunden hat. Sie brauchen ihn für ihr Hexenhaus in Giesing. Leider ist das in die Jahre gekommene Modell undicht, es regnet rein, der Verkäufer hatte das verschwiegen. Wir werden ihn wohl trotzdem kaufen, meint Julian. „Der passt zu gut ins Konzept, der Wagen ist komplett mit Holz verkleidet.“ Florian schickt ihm Bilder. An der Decke des Klowagens sind bereits dunkle Flecken zu sehen. „Der ist schon länger undicht. Das hätte der Verkäufer schon reinschreiben können.“ Seine Stimme hebt sich kaum. Auch die Aussicht, bald einen Klowagen renovieren zu müssen, sieht er locker. „Schön ist es nicht, aber wir haben das auch schon mal gemacht. Beim Café steht auch einer.“ Vergangenes Jahr beim Aufbauen des Märchenbazars habe er ein kleines Tief gehabt, aber so etwas geht vorbei, sagt er. Freizeit hat er kaum, dafür arbeitet er nur mit Freunden zusammen. Dann macht Arbeit Spaß, und alles ist nur halb so schlimm.

Für ihr neues Projekt an der Pilgersheimer Straße kommen noch weitere Baustellen und Kosten auf die jungen Männer zu. Bis Januar 2023 gehört ihnen der kleine Fleck. Ob sich diese Investition für fünf Jahre überhaupt lohnt? „Wenn wir vorher alles durchkalkuliert hätten, hätten wir noch gar kein Projekt angefangen.“ Die jungen Männer hoffen einfach, dass ihr Gartenhäuschen von den Menschen in Giesing angenommen wird.

Die Fläche gehört Privatleuten. „Sie hätten sie auch an einen Autodantler geben können oder an einen Dönerladen.“ Der Bezirksausschuss hatte sich dafür stark gemacht, dass der Schandfleck zu einem Ort gemacht wird, der den Anwohnern etwas bietet. Er sollte nicht an den Mieter verschachert werden, der am meisten zahlt. Julian und seine Freunde bekamen den Zuschlag, geplant ist ein Konzept ähnlich dem vom Café im Westpark – und hoffen, dass sie auch in Giesing mit Vandalismus wenig Probleme haben. Julian glaubt, das liegt dort daran, dass alle ihr Café „ganz cool“ finden. Junge Familien, Rentner, Jugendlichen – alle kommen zu ihnen an den See, je nach Uhrzeit und Programm. Mit Selbstbedienung haben die Gäste auch keinen Druck, ständig etwas bestellen zu müssen. Julian erzählt von älteren Stammgästen, die jeden Tag kommen und auch gerne länger sitzen bleiben. Zumindest solange bis es regnet. Bei ein bisschen Regen bietet das Zelt noch Schutz, bei Dauerregen ist das Café geschlossen.

Auch das Projekt in Giesing ist wetterabhängig. Julian hat vier Wetter-Apps auf dem Handy. Jeden Tag wird gecheckt und verglichen. „Ich beschäftige mich so viel mit dem Wetter wie sonst kaum jemand.“ Bei einem anderen Projekt wird das nicht mehr nötig sein. Julian hat gute Chancen, einem ganzen Haus in der Pestalozzistraße seinen Stempel aufzudrücken, es wieder kulturell zu beleben. Ein Vertrag ist noch nicht unterschrieben, sie basteln aber schon an einem Konzept. Endlich wetterunabhängig, vielleicht eine Bar, Raum für Kleinkunst, alles ganz zentral. Für Julian ein Traum. Spannend wird es, wenn in diesem Jahr vielleicht noch ein Schreiben der Uni hereinflattern sollte. Für das Medizinstudium bewirbt er sich noch immer.

Text:
Julia Haas 

Foto: Alessandra Schellnegger

Weg mit den Klischees

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Eine Webserie als Imagewerbung: Sebastian Stojetz, 28, dreht in Kooperation mit der TU und der HFF München die Reihe “TUM – Täglich unter Männern”. Der Plot: Eine Frau will an der Technischen Universität studieren.

Es ist die Stunde der Wahrheit. Den Schauspielern liegen die Drehbücher vor, alle sitzen zusammen und beginnen die Szenen zu lesen. Dann ist Sebastian Stojetz, 28, am glücklichsten. “Das ist wie eine Droge”, erzählt er über den Moment, wenn die Figuren und die Geschichte, die er sich monatelang ausgedacht hat, durch die Stimmen der Schauspieler zum Leben erweckt werden. Der junge Regisseur und Drehbuchautor feiert gleich dreifache Premiere. Er hat gerade als erster die Förderung des Film-Fernseh-Fonds Bayern in der Kategorie Webserie erhalten – und das in Höhe von 50 000 Euro. Das Projekt ist die erste Kooperation zwischen der Technischer Universität (TU) München und der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF). Und es ist Sebastians erster eigener Film als Regisseur.

Unter dem Arbeitstitel “TUM – Täglich unter Männern” hat er in Kooperation mit der TU und der HFF München eine Geschichte entwickelt über das Studium an der Technischen Universität als Frau. Es geht um die taffe Juli, die wegen ihres Wunschs, Elektrotechnik zu studieren, von ihrem Freund verlassen wird. Humorvoll erzählen die Drehbuchautoren Sebastian Stojetz und Madeleine Fricke von dem Konflikt ihrer Protagonistin, trotz Hindernissen zu ihrem Traum zu stehen – und ihr Traum ist eben ein technisches Studium.

Die Webserie, also kurze Filmsequenzen, sind das Format der Zukunft. Das sagt zumindest Sebastian. Schon jetzt sehen immer mehr junge Menschen Serien. Für ihn ist das Format interessant, da es noch alle Freiheiten offenlässt. Die Länge der Folgen, der Handlungsaufbau und -ablauf, alles ist flexibel. Er kann experimentieren.

Angestoßen hat das Projekt der damalige TUM-Vizepräsident für Diversity und Talent Management, Klaus Diepold. Als Verantwortlicher für das Thema Gendergerechtigkeit wollte er, dass endlich Schluss ist mit dem Klischee, Frauen seien für technische Studiengänge nicht geeignet. “Es stört mich schon lange, dass in Fernsehen und Werbung Frauen nur bestimmte stereotype Rollen zugewiesen bekommen”, sagt Diepold. Deswegen habe er versucht, Filmschaffende davon zu überzeugen, mal ein Projekt über Ingenieure mit starken Frauen in Hauptrollen zu verwirklichen. Damit sei er auf Granit gestoßen. “Da habe ich mir gedacht, das machen wir jetzt einfach selbst”, sagt Diepold. “Es ist an der Zeit, dass auch im Film dargestellt wird, was schon lange Realität ist: starke Frauen in den Ingenieurwissenschaften.”

An der HFF hat Sebastian Stojetz von 2009 bis 2014 Drehbuch und Dramaturgie studiert. Als Dramaturg arbeitet er bei den Bavaria Filmstudios, seine Drehbücher waren schon Grundlage zahlreicher Filmproduktionen. In seinem neuesten Projekt ist er als Regisseur und Drehbuchautor involviert. Die Tätigkeit als Regisseur habe ihn völlig begeistert. “Da habe ich schon Blut geleckt”, sagt er mit einem Augenzwinkern. Denn nur so kann er eine Idee in ein Gesamtkunstwerk nach seinen Vorstellungen verwandeln.

Vor allem das Paket aus talentierten und engagierten Beteiligten vor und hinter der Kamera, dem aktuellen Thema und dem Auswertungspotenzial haben den Vergabeausschuss des Film Fernsehfonds Bayern überzeugt. “Dass wir diese Förderung vom Film-Fernseh-Fonds bekommen haben, war der Wahnsinn”, sagt Sebastian. Damit konnte er das Projekt so professionell aufziehen, wie er es sich gewünscht hat. Mit richtiger Kinovisualität und nicht nur von einer Spiegelreflex gedreht.

Helena Hofer, eine gute Freundin von Sebastian, hat mit ihrer Produktionsfirma Cocofilms die Produktion geleitet. Um alle anderen Dinge, wie etwa das Casting, hat sich Sebastian selbst gekümmert. Die Hauptrolle spielt Alina Stiegler. Auch der Kabarettist Maxi Schafroth ist mit von der Partie. Maria Furtwängler, die sich selbst mit ihrer Stiftung für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzt, ist die Idealbesetzung für die Rolle der Professorin für Regelungstechnik an der TU und als starke Frau das Vorbild der Protagonistin.

“Ich war schon immer ein Geschichtenerzähler”, sagt Sebastian. Während der Schulzeit habe er bereits kleine Prosa geschrieben. Nach dem Abi, während einer Interrail-Tour durch Europa, hat er mit einem Freund Ideen für zwei Theaterstücke gehabt. “Ich mag es am liebsten, Geschichten in dieser Dialogform zu erzählen”, sagt er. Danach ein Jahr der Orientierung. Studium der Komparatistik und Jura, journalistische Tätigkeit, eine Tour mit seiner Indie-Alternative Band durch Frankreich. “Aber ich wollte Geschichten erzählen, ich wollte selbst etwas tun und nicht nur wie in der Schule Dinge beigebracht bekommen”, sagt er. Dann kam die Zusage von der HFF.

Die Webserie um die Frau in der Männerwelt ist jetzt abgedreht und soll Anfang des kommenden Jahres in fünf Folgen à acht Minuten erscheinen. Klaus Diepold kann es kaum erwarten, erste Szenen fertig geschnitten zu sehen, nachdem er das Projekt nun schon seit fünf Jahren verfolgt. Tobias Grabmeier, ein Student von ihm, hat den Kontakt zu der Coco-Films Produzentin Helena Hufnagel und Sebastian Stojetz hergestellt. Die Kooperation mit der HFF ergab sich durch Zufall, als die heutige Präsidentin der HFF Bettina Reitz als Kuratorin der TU in einer Besprechung von dem Projekt informiert wurde. “Das war ein langwieriger Prozess mit vielen kleinen Impulsen, bis wir da angekommen sind, wo wir heute stehen”, sagt Diepold.

Gedreht wurde ausschließlich an Originalschauplätzen: Vorlesungssaal, Mensa, Bibliothek. Alle Szenerien entsprechen denen des echten Studentenlebens an der TUM. Den Filmemachern ist aber wichtig, dass ihre Webserie
über die TUM hinausgeht, dass sie sich überall für Genderförderung in
naturwissenschaftlichen Studiengängen einsetzen.

Mitten im Unialltag zu drehen, führt zudem zu lustigen Zwischenfällen. Beim Dreh in der TU Bibliothek bei vollem Betrieb durften selbst die Schauspieler nur miteinander flüstern, bis Stojetz in voller Konzentration und mit den Kopfhörern auf laut: “Und bitte!”, durch die gesamte Bibliothek rief. Bei einem Dreh Anfang November konnten die TU-Studenten als Komparsen auch selbst Teil der Serie werden. Für die erste Folge wurde eine Schlange Studenten, die auf ihre Student-Cards warten, nachgestellt. Mit 50 Leuten zu drehen, sei schon sehr aufwendig gewesen. “Die Schlange war uns deshalb so wichtig, da wir die verschiedenen Studi-Gruppen charakteristisch überspitzt zeigen wollten”, sagt Stojetz.

Aber was halten die Studierenden der TUM von der Idee? “In meinem Master in Kerntechnik und Astrophysik sind wir etwa fünf Prozent Frauen”, sagt Karina Bernert, 22, “da gibt es also eindeutig ein ungleiches Verhältnis. Ich habe mich nicht zurückhalten lassen und auch noch nie als Frau in den Naturwissenschaften einen Unterschied erlebt. Ich finde es wichtig, dass andere Mädchen dazu ermuntert werden. Dafür ist die Webserie ein gutes Zeichen, das die Uni sendet.” Leon Stütz, 24, macht seinen Master in Maschinenbau und Management an der TUM und schätzt den Frauenanteil auf unter zehn Prozent. Er gibt zu bedenken: “Ich glaube nicht, dass so eine Serie bei einem Mädchen in der elften Klasse, die sich vorher noch nie für Technik interessiert hat, plötzlich den Wunsch weckt, sich doch für Elektrotechnik einzuschreiben. Trotzdem ist eine Serie, die solche Klischees aufbricht, ein wichtiger erster Schritt.”

Heute ist Sebastian seinem Ziel, Menschen mit seinen Geschichten zu unterhalten, schon zum Greifen nahe. “Irgendwann will ich im Kino den Leuten von der ersten Reihe aus zusehen, wie sie zu meinen Filmen lachen. Das ist mein Traum”, sagt er. Am meisten faszinieren ihn die Charaktere, die für etwas brennen, in einem Thema “richtig nerdy” sind, seien es nun die Fußballergebnisse oder Elektrotechnik. So wie er selbst, mit seinem Talent zu schreiben und dem Traum, in der Filmwelt zu arbeiten. In seinem nächsten Projekt geht es dann um einen Mann, der sich in eine reine Frauendomäne vorwagt: Er will Hebamme werden.

Text: Anne Gerstenberg

Foto: Joshua Park