Zeichen der Freundschaft: Jojo

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Echte Freundschaft bleibt bestehen, über alle Distanz hinweg. Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Wir sind altmodisch. Moderne Kommunikationsmittel? Skype,
What’s-App, Snap-Chat: Brauchen wir nicht. Jojo, meine engste Freundin aus dem
Gymnasium und ich, wir sind auf einer viel, viel subtileren Ebene miteinander
verbunden. Egal, ob sie gerade in Regensburg ist und ich in München, oder sie
in Wien und ich in Madrid.

Bei unserem ersten und einzigen Skype-Versuch, saß ich in
Auckland auf meinem Bett, kurz vor Weihnachten. Ganz frische
Work-and-Travellerin und sie ganz frische Psychologie-Studentin in ihrer ersten
Studenten-WG. Sie war traurig, das weiß ich noch. Sie sah müde aus auf meinem
griseligen Laptop-Bildschirm und sagte: „Ich pack das alles nicht mehr und
jetzt bist du auch nicht mehr da.“ Fast ein Vorwurf. Am liebsten wäre ich durch
die Internetverbindung zu ihr nach Deutschland gekrochen. Stattdessen gab ich
ein lasches „Das wird schon wieder“ von mir. Vielleicht hat uns dieses
Vorgaukeln von Nähe bei gleichzeitiger Hilflosigkeit in der darauffolgenden
Zukunft immer davon abgehalten zu skypen.

Wir blieben eisern bei romanartigen E-Mails. Alle paar Wochen
ein Update über das Leben des anderen. Ich schrieb ihr Postkarten aus all den
Städten, die ich besuchte. Meine liebste Jojo, schrieb ich, immer und immer
wieder. Und sie likte meine Bilder auf Facebook (immerhin!), kommentarlos, aber
immer bei mir, irgendwie.

Manchmal, bevor wir beide wieder nach Hause kommen, habe ich
Angst, sie könnte mich nicht mehr mögen, wir könnten uns auseinandergelebt
haben, in all der Stille dazwischen. Aber dann klingle ich an ihrer Tür, sie
macht auf und alles in ihrem Elternhaus sieht noch so aus wie früher. Der Flur,
die Schuhe, die Treppe. Sie umarmt mich ganz fest. Die Grübchen auf ihren Wangen
ganz tief. In ihrem Zimmer um den Spiegel hängen all die Postkarten, die ich
ihr geschrieben habe.

Von: 

Theresa Parstorfer

Foto: Yunus Hutterer

Jenseits von Weichspüler – Plattenkritik: So Not Seventy “Please Rewind”

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Weichgespült sind die neuen Songs von So Not Seventy mit einiger Sicherheit nicht. Trotz harter Konkurrenz an diesem Samstag feiern die vier jungen Männer ihre neue EP “Please Rewind” mit Headbanging und harten Gitarrenriffs – und am Ende einem Regen aus Luftballons.

Die Konkurrenz ist hart an diesem Samstag. Das muss erst einmal gesagt werden. Sogar innerhalb des Backstage-Geländes. „Äh… Ne, ich will zum Emergenza“, heißt es immer wieder mit mehr oder minder verwirrtem Blick auf das Schild, das So Not Seventy plus Vorband City Kids Feel the Beat aus Ulm ankündigt.
“Zum Band-Contest die Tür auf der anderen Seite”, so die bald standardisierte Antwort. Draußen, im strömenden Regen beginnt die Südkurven-Meisterfeier nach dem FC-Bayern-Sieg in der ersten Bundesliga. Immer wieder müssen rotbeschalte-rotbejackte-rotbewangte Fußballfans aus dem Eingangsbereich gebeten werden.
Aber dennoch: wenn die Tür zum Club aufgeht, in dem So Not Seventy die Release-Party ihrer neuen EP „Please Rewind“ feiern, schwappen laute Musik und verschwitzte-geheadbangte Köpfe in den Vorraum.

Immer wieder beobachtet man ja eine interessante Weichspülung einstmalig „harter“ Rockmusik im Laufe der Veröffentlichungen bis hin zu Mainstream-Radio-Tauglichkeit. Erfrischend ist es da allemal, wenn eine Band von sich selbst behauptet, die neue EP sei „vom Sound her etwas härter als das vorherige Album 2014“. So ist es aber in der Tat bei „Please Rewind“ von So Not Seventy. Während auf der alten Platte „Every Goddam Sunday“ die Stimme des Sängers Tommy Eberhart noch klar und deutlich zu verstehen war, in beinahe ordentlichen Arrangements und immer mal wieder so etwas wie einer Ballade, sind die neuen Songs eine Weiterentwicklung Richtung noch lauterer, noch schrammigerer und hin und wieder von elektronischen Eingriffen überlagerter Gitarrenriffs. Gleichzeitig wird mit mehrstimmigem Gesang experimentiert, in dem hin und wieder Dinge wie „Take that Motherfucker“ ins Mikrophon gebrüllt werden – ganz in authentischer Hard-Rocker-Manier.

Aber was herauskommt ist spannende und vor allem ehrliche Rockmusik, von Musikern, die ganz bestimmt wissen, was sie da machen. Das merkt man spätestens bei einer mehr als hart-gespülten Version von “Love Yourself” von Justin Bieber. Dazu passen auch die Texte, die sprachlich von einiger Raffinesse und Originalität zeugen, und auch thematisch irgendwie zusammenpassen: Da geht es um „Not the brightest Kids in School“ und um „`Till someone gets fucked up“. Allerdings ist der Titel der EP „Please Rewind“ durchaus programmatisch zu verstehen: Einmal Hören reicht da nicht, weil es beim ersten Mal beinahe nicht möglich ist, alle Strukturen der Musik zu erfassen, die beim zweiten Mal Hören an den richtigen Stellen doch melodische Teile aufweist. Aber auch das ist ja positiv – als Abwechslung zu weichgespülter Rockmusik. Somit ist die EP-Release-Party von So Not Seventy mit Sicherheit eine mehr als annehmbare Alternative, sowohl zu Meisterfeiern als auch zu einem grandiosen Abend Fremdschämen beim weichgespülten Euro-Vision-Song-Contest. Und Luftballons-Konfetti-Regen gibt es auch bei ihnen.

Theresa Parstorfer

Foto: Philipp Herbster

Zeichen der Freundschaft: Liebe auf den ersten Bissen.

Bei Theresa und Hanna geht Liebe auch durch den Magen. Ein wunderschöner Einblick in eine tolle Freundschaft.

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Es zischt. Kaltes Wasser trifft auf heißes Metall. Ich
stelle die Bratpfanne ins Waschbecken und lasse mich auf meinen Stuhl fallen.
Hanna sieht mich seufzend an. „Do you want to marry me?“, fragt sie. Ich nehme
meine Gabel und lache. „Es sind nur Omelettes“, erwidere ich zwischen zwei
Bissen, aber sie lässt nicht locker. „Ich mein’s ernst.“

Hanna ist vielleicht die beste Freundin, die ich je hatte. Wir ergänzen uns
perfekt. Sie isst gerne, hat oft nicht die Zeit oder die Nerven zu kochen, aber
dafür immer Hunger, und ich, ich schlüpfe liebend gerne in meine schicke bunte
Schürze und koche für sie, auch wenn Hunger für mich ein Fremdwort ist.

Ich bin niemand, der sich mit seinen Fähigkeiten brüstet, eher
im Gegenteil. Aber wenn es etwas gibt, von dem ich mit ziemlicher
Wahrscheinlichkeit sagen kann, dass ich es gut kann, dann ist es Kochen und Backen.
Es ist mir ein Rätsel, warum manche Leute sich weigern, Zwiebeln zu schneiden,
Butter anzuschwitzen, Mürbteige zu kneten und Suppen zu pürieren. Für mich ist
das pure Meditation – und wenn ich damit auch noch jemand anderen so glücklich
machen kann, wie Hanna, die mir gerade schlemmend gegenüber sitzt, dann ist die
Welt für einen kleinen Augenblick eine bessere.

Das erste Mal, als Hanna mir einen Heiratsantrag machte,
saßen wir in meinem Zimmer auf dem Boden und aßen Kaspressknödel. Sie,
hochdeutsch sprechend und dialekt-unverdorben, hatte zwar einige
Schwierigkeiten, dieses Wort auszusprechen, aber das war kein Argument gegen
die Entscheidung, es zu ihrem neuen Lieblingsgericht zu erklären. Und mich zu ihrer
Heiratskandidatin erster Wahl. Vielleicht nach ihrem festen Freund.

Bevor ich Hanna kannte, dachte ich, diese
Mädchenfreundschaften, in denen man sich alles erzählt, in denen man sich
Zöpfchen flicht und Erdbeeren mit Schokolade isst, in denen man zusammen auf
dem Bett liegt, schnulzige Musik hört und Schauspieler und ehemalige
Freundinnen aus dem Gymnasium auf Facebook stalkt, sei eine Erfindung Hollywoods.

Aber mit Hanna macht das alles Sinn. Und jeder Augenblick,
den wir zusammen in meiner in kaltes Neonlicht getauchten Küche sitzen und
Omelettes essen, ist wertvoll, und es gibt nichts, das ich lieber tun würde.
Seit Hanna nicht mehr sagt „Mir schmeckt’s“, sondern mich fragt, ob ich sie
heiraten will, muss ich mir nicht einmal mehr Gedanken darüber machen, dass ich
für immer Junggesellin bleiben könnte.

Von: Theresa Parstorfer 

Foto: Yunus Hutterer

Mein München: Bernd-Eichinger-Platz

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Der richtige Trick am richtigen “Spot”, eingefangen und festgehalten von Niklas Keller.

Niklas Keller, 19, und zwei seiner Freunde, wollten sich nur unterstellen, als es wieder einmal regnete, in dieser verregneten Woche Ende April 2016. An der Hochschule für Fernsehen und Film, in einem Hinterhof. Aber dann riss der Himmel auf, und das Licht war auf einmal gut. Also stellte Niklas sich auf die Mauer am Eingang und fotografierte einen der beiden Freunde bei einem Heelflip. Total ungeplant.
Normalerweise plant Niklas seine Fotos genauer. Oft läuft er durch die Stadt und denkt in Bildern, bevor er seine Freunde fragt, ob sie Zeit für ein Shooting haben. Er spricht von „Spots“ und meint damit Orte, an denen man gut Skateboarder ablichten kann.
Über den Sport ist Niklas zur Fotografie gekommen. „Meine Freunde und ich waren ganz gute Skifahrer und irgendwann wollten wir davon auch Bilder haben“, sagt er. Und dann habe ihm das Fotografieren irgendwann fast mehr Spaß gemacht als das Skifahren.
Jetzt, ein Jahr nach seinem Abitur, das er in Grafing, vierzig Minuten Richtung Süd-Osten, „auf dem Land“ gemacht hat, entdeckt Niklas immer wieder neue dieser „Spots“ in München, einer Stadt, die ihn in ihrer Hektik motiviert, wie er sagt. Trotzdem bringt Niklas viel Ruhe in seine Bilder, seien sie geplant oder ungeplant. Die klaren Linien auf diesem Foto, die alle auf den Skater in der Mitte zuzulaufen scheinen, lassen eine gewisse Geometrie entstehen – und der junge Mann und sein Board werden nun für immer in einer unbekannten Höhe schweben.  

Von: Theresa Parstorfer

Neuland: Blue Haze

Die David Lynch-Liebhaber Rosa Kammermeier und Julian Riegl treten seit Neuestem gemeinsam als Blue Haze auf. Kennen dürften sie die meisten schon als Mitglieder der Bands Lilit and the Men in Grey und Kafkas Orient Bazaar. Mit Blue Haze gehen sie nun in Richtung düsterer Elektro-Pop und experimentellem Rock.

Bei David Lynch denkt man vermutlich an erster Stelle an „Mullholland Drive“ oder „Lost Highway“. Dass der US-amerikanische Kult-Regisseur jedoch auch selbst Musik schreibt und singt und spielt, ist nur besonderen Liebhabern bekannt. Rosa Kammermeier und Julian Riegl, beide Mitte 20, stellten fest, dass sie beide solche Liebhaber sind, und ließen sich von David Lynchs düsterem Elektro-Pop mit experimentellen Rock-Einflüssen inspirieren.

Die Musiker, die normalerweise in den Bands Lilit and the Men in Grey und Kafkas Orient Bazaar zu hören sind, haben sich vor ungefähr einem Jahr zusammengetan, um in Julians Zimmer einige Songs aufzunehmen. Nach nur vier Monaten gibt es mit „Moon“ nun schon die erste EP zu hören. Rosa und Julian nennen sich Blue Haze und arbeiten derzeit an ihrem ersten Live-Set. Am 25. April werden sie als Support von Radiation City im Ampere zu hören sein. Ein Termin für eine Release-Party ihrer EP steht allerdings noch nicht fest. Das geplante Musikvideo „sollte schon etwas Ausgefallenes sein“, sagt Julian – auch hier ganz in David-Lynch-Manier.  

Foto: Sophie Wanninger

Von: Theresa Parstorfer

Zeichen der Freundschaft: Klingelalarm

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Theresa hat eigenltich immer frisch gebackenen Kuchen zuhause. Ihr Freund Miguel weiß das, und steht nicht selten unangemeldet vor der Tür und klingelt Sturm. Trotz aller Unterschiede, gibt es keinen Menschen, dem Theresa lieber Kuchen auf den Teller häufen würde. Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Er steht einfach vor meiner Tür. Angekündigt nur vom ohrenbetäubenden Klingeln meiner Türglocke. Und meistens einer merkwürdigen Ansage durch die Sprechanlage: „Hier ist der Rettungsdienst, wir haben gehört, dass bei Ihnen ein Feuer ausgebrochen ist?“, „Hier der örtliche Metzger, Sie haben 10 kg Pferdefleisch bestellt?“

Meistens verstehe ich den Witz erst, wenn er vorbei ist, und ich einmal wieder auf ihn hereingefallen bin. Dann sitzt Miguel auch schon an meinem Esstisch und klopft sich mit seiner dünnen Hand auf seinen dünnen Schenkel vor Lachen. „Du hast es wirklich geglaubt.“ Ich ziehe eine finstere Miene und hebe den Zeigefinger „Aufpassen, oder du kriegst keinen Kuchen.“ Das zieht. Immer.

Manchmal witzelt Miguel, er würde nur zu mir kommen, weil er weiß, dass die Wahrscheinlichkeit zumindest nicht klein ist, in meiner Küche nicht nur mich in Jogginghose, sondern auch einen Kuchen anzutreffen. Apfelschmand, Käse-Pfirsich-Mohn, Kirsch-Streusel oder Karotte-Ananas-Walnuss.

Aber interessanterweise weiß ich, dass für Miguel meine Kuchen nur an zweiter Stelle, nach meiner Gesellschaft stehen. Das weiß ich, obwohl Miguel und ich ständig darüber streiten, ob Keira Knightly jetzt hübsch ist oder nicht, ob es fies ist, über dicke Menschen zu lästern oder ob es in Ordnung ist, an Halloween kleine Kinder zu Tode erschrecken, indem man sich eine dieser Messerattrappen aufsetzt, die aussehen, als hätte einem jemand den Kopf gezweiteilt. Ich weiß, dass Miguel mich mag, nicht nur weil er mir die schönste Zeichnung einer Ballerina zu Weihnachten schenkt oder mich mit dem Fuchs aus „Der kleine Prinz“ vergleicht. Das weiß ich, weil er der erste Mensch ist, bei dem ich nicht Angst habe, er könnte mich aufgrund meiner Aussagen verurteilen. Und weil er auf der anderen Seite der erste Mensch ist, dem ich es verzeihen kann, dass er Keira Knightly wunderschön findet, Übergewicht abstoßend und Kinder-Erschrecken am liebsten zur olympischen Disziplin erheben würde.

Und vielleicht weiß ich es auch, weil er trotz all unserer Unterschiede in unregelmäßigen Abständen unangekündigt an meiner Tür klingelt und ich ihm liebend gerne nicht nur ein, sondern zwei oder drei Stück Kuchen auf seinen Teller hebe.

Von: Theresa Parstorfer

Foto: Yunus Hutterer

Weil der Mensch ein Mensch ist

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Die Studentin Louisa Wagener dreht einen Film über Flüchtlinge, über Heimat und Familie – und über eine Freundschaft, die weder Nationalität noch Herkunft kennt. Im Herbst zeigt der BR das Debütwerk.

In einer Deutschklasse für geflüchtete Jugendliche in München hat alles angefangen. Louisa Wagener, 23, studiert im siebten Semester Regie an der Hochschule Macromedia in München. Sie war auf der Suche nach einem Thema für ihren Abschlussfilm, als sie im März vergangenen Jahres einen Bekannten ihrer Eltern in seinem Deutschunterricht für 25 junge Männer aus Syrien, Sierra Leone, Iran und Eritrea besuchte. „Damals hatte ich noch keine Ahnung, was für einen Film ich machen wollte. Ich bin da einfach hingegangen. Aber das war so ein eindrückliches Erlebnis, da bekomme ich heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke“, sagt Louisa.

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Louisa – groß gewachsen, schlank und blond – hat blaue Augen, ihr ordentlich gezogener Eyeliner hat die gleiche Farbe wie die dunklen Ränder ihrer Iris. Erst einmal habe sie die Reaktionen der jungen Männer interessant gefunden – von verhaltenem Kichern bis zu coolem Macho-Gehabe. Aber als sie dann angefangen hat, Fragen zu stellen, da sei es plötzlich ganz still im Raum geworden. „Ich habe erzählt, dass ich mir überlegen würde, einen Film zu machen, einen Film über Menschen auf der Flucht“, sagt Louisa und dreht die Enden ihres geflochtenen Zopfes in den schlanken Fingern. Ganz vereinzelt hätten dann die jungen Männer begonnen zu erzählen. Von den Familien, die sie vermissten, von der Wüste, in der es so heiß gewesen sei. „Da entstanden sofort Bilder in meinem Kopf“, sagt Louisa. Und ihr sei in diesem Moment klar gewesen, das dies das Thema ihres Abschlussfilms werden würde.

Dass es nicht einfach sein werde, ein so brisantes Thema zu bearbeiten, war ihr schon klar. Aber mit welchen Hindernissen sie tatsächlich zu kämpfen haben würde, konnte Louisa zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschätzen. „Die deutsche Bürokratie ist da echt einmal wieder unglaublich“, sagt sie. „Es ist beinahe unmöglich, Geflüchtete im Film mit einzubinden, weil man sie nicht offiziell anstellen darf, wir aber jeden am Set bezahlen müssen.“

Die Besetzung der Hauptrolle mit einem Geflüchteten sei unter anderem daran gescheitert. Und daran, dass das nötige Verfahren für eine Genehmigung der Ausländerbehörde, ihn mit ins Ausland nehmen zu dürfen (die Wüstenszenen sollen auf Fuerteventura entstehen), länger als drei Monate gedauert hätte. „Am Ende war es aber vielleicht für alle Seiten besser so. Er stand auch unter einem immensen Druck, weil er seinen Ausbildungsplatz nicht verlieren wollte“, sagt Louisa. Jetzt übernimmt Alexes Feelmo die Hauptrolle, der bereits seit seinem sechsten Lebensjahr in Deutschland lebt.

Für kleinere Rollen ist es Louisa und ihrem Team am Ende aber doch gelungen, einige Geflüchtete zu besetzen. Und Komparsen seien doppelt so viele gekommen wie sie gebraucht hätten. Denn jetzt, beinahe ein Jahr später, ist gerade die achte Drehbuchfassung fertig geworden. Und in diesen Tagen beginnen die Dreharbeiten.

In der Geschichte geht es um den 17- jährigen Eritreer Teke, dessen älterer Bruder auf der Flucht durch die Wüste gestorben ist. In Deutschland will Teke – von Schuldgefühlen geplagt – den großen Traum seines Bruders, Fußballprofi zu werden, verwirklichen. Er tritt in einen Fußballverein ein und trainiert hart, obwohl er mehr Talent für Mathematik als für Fußball hat. Die meisten Jungen in der Fußballmannschaft wollen nichts mit Teke zu tun haben, da sie geflüchteten Jugendlichen wie ihm ihr Jugendzentrum als Not-Unterkunft überlassen mussten. Nur der ebenfalls 17-jährige Anton, der unter seinem autoritären Vater leidet, freundet sich mit dem jungen Eritreer an. Am Ende wird jedoch auch der Rest der Mannschaft einsehen, dass ein Fußballspiel nur gewonnen werden kann, wenn alle zusammenhalten.

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In Our Country soll ein Film werden „über Heimat und Familie, über den Mut, zu sich selbst zu stehen“ und über „eine Freundschaft, die weder Rasse noch Herkunft kennt“, heißt es in der Projektmappe. 30 Minuten darüber, dass uns, „egal, wie fremd wir uns sind, die gleichen Sehnsüchte verbinden“.

Dabei möchte Louisa möglichst „neutral“ bleiben, da sie auch um die Ängste vieler Menschen in Deutschland weiß, und die politisch und emotional so aufgeladene Debatte nicht noch weiter verschärfen möchte. Sie will beide Seiten beleuchten und damit Verständnis schaffen.

„Am Anfang ging es mir wahrscheinlich ähnlich wie vielen, die Ausländern skeptisch gegenüber stehen“, sagt Louisa. Sie stammt selbst aus Ebersberg, einer kleinen Stadt am Ende der S-Bahn-Linie S 4. Als vor einem Jahr immer mehr dunkelhäutige Menschen dort ankamen, habe sie auch das merkwürdige Gefühl gehabt, die würden „da nicht hingehören“. Aber je besser sie die jungen Geflüchteten aus der Deutschklasse kennengelernt und je mehr sie für das Drehbuch recherchiert hat, desto klarer ist ihr geworden, „dass das alles Menschen sind wie du und ich“. Und dass die Deutschen sich noch dazu oft ein Beispiel an den Neuankömmlingen nehmen könnten.

Das ist ihr durch die Freundschaft mit Mülubrhan, einem jungen Eritreer, der das Vorbild für den Protagonisten darstellt, klar geworden. „Das sind so kleine Sachen. Egal, wie wenig Geld er hat: Wenn ich ihn zu Hause besuche, ist es für ihn selbstverständlich, dass er für mich kocht, und wenn es nur eine Tütensuppe ist“, sagt Louisa.

Die Dankbarkeit für Dinge, die uns selbstverständlich zu sein scheinen, hat sie tief beeindruckt. Ebenso wie die Geschichte eines Landes, dessen geografische Lage sie vor ihrem Abschlussprojekt nicht einmal kannte. Jetzt weiß Louisa, dass Eritrea faktisch eine Militärdiktatur ist, obwohl seit 20 Jahren immer wieder Wahlen versprochen werden. Human Rights Watch spricht vom „größten Gefängnis der Welt“, der Militärdienst gilt lebenslänglich. Da viele junge Menschen genau deswegen fliehen, wird Eritrea auch das „Land ohne Jugend“ genannt, während den Eltern der geflohenen Jugendlichen Gefängnis- und Folterstrafen drohen.

Diese Thematik zusammen mit der aktuellen Lage in Deutschland in einen 30-minütigen Fernsehfilm zu packen, ist ein gewagtes Unterfangen, das weiß Louisa. Mehrmals sei sie deshalb an einen Punkt gekommen, an dem sie dachte, sie könne das Drehbuch nicht weiterschreiben, weil die Handlung zu groß, zu komplex geworden sei. Angst vor den Dimensionen ihres Projektes hat sie heute trotzdem nicht mehr. „Man ist da eben drin“, sagt sie pragmatisch, „wenn ich jetzt Panik bekommen würde, dann wäre damit ja niemandem geholfen.“ An diesem Punkt lacht sie ein bisschen.

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Mittlerweile konnte sie nicht nur den Bayerischen Rundfunk, der den Film im Herbst ausstrahlen wird, von ihrem Projekt überzeugen, sondern auch Amnesty International, Refugio und „Brot für die Welt“, die den Film verleihen und für nicht-kommerzielle Zwecke nutzen wollen. Darüber hinaus stehen die Organisationen in Fachfragen beratend zur Seite. Auch von zahlreichen lokalen Vereinen und der Stadt Ebersberg wird „In Our Country“ unterstützt. Schauspieler wie Michael Altinger, Joseph Hannesschläger, Ferdinand Hofer und Christian Lerch werden in dem Film zu sehen sein.

Louisa möchte einen Beitrag leisten, auf kleiner Ebene. Es geht ihr nicht darum, die Politik zu verändern, sondern darum, zu zeigen, dass kleine Gesten ein Wirgefühl möglich machen können. Hier in Deutschland, aber auch im Ausland. Untertitel in Arabisch, Englisch, Französisch und Spanisch sind geplant, denn Louisa kann sich auch vorstellen, dass der Film sogar in einigen Herkunftsländern der Geflüchteten gezeigt werden könnte. „Viele Menschen, die kommen, haben ein völlig falsches Bild von Deutschland. Oft wird nicht geglaubt, dass es auch hier Probleme geben kann – auch das möchte ich mit meinem Film zeigen“, sagt sie ernst.

Fotos: privat

Von: Theresa Parstorfer

Mehr Pop für die Stadt

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Julia Viechtl spielte für die Indie-Band „Fertig, Los!“ Bass und schreibt ihre Masterarbeit über München und seinen Weg zur „Music City“. Nun organisiert sie ein Club-Festival, wie man es aus Hamburg oder Brighton kennt.

Klein, schwarz, ein wenig zerknittert und mit weißen, schnörkellosen Kleinbuchstaben bedruckt – die Masterstudentin Julia Viechtl zieht einen Sticker aus den Tiefen ihrer bunten Tasche. Der hat ein wenig gelitten im Flugzeug aus London, aus dem die junge blonde Frau mit den blauen Augen vor kaum zwei Stunden gestiegen ist. 

Auf dem schwarzen Zettel steht in weißer Schrift: „manic street parade“ 08/10/16“. Julia weiß, was das bedeutet. Im Gegensatz zu den Menschen, die diese Aufkleber seit einigen Wochen in München an den unterschiedlichsten Orten von Laternenpfählen bis U-Bahn-Rolltreppen gefunden haben könnten. Bisher ist das die einzige Werbeaktion, die Julia und ihre vier Kollegen Andreas Puscher, Stefan Schröder, Marc Liebscher und Fabian Rauecker – allesamt wichtige Namen in der Münchner Musik-Szene – mit ihrem Verein gestartet haben. Einem Verein zur Förderung der Popkultur in München, den sie eigens für die Organisation des Club-Festivals „manic street parade“ gegründet haben.
Club-Festivals gibt es mittlerweile in vielen Städten. Das Reeperbahnfestival in Hamburg ist wahrscheinlich das bekannteste in Deutschland. Julia kommt gerade vom „The Great Escape Festival“ in Brighton. „34 Mal“ unterstreichen will sie, wie unglaublich toll es da war, wie viel Input sie bekommen und wie viele neue Bands sie dort gesehen hat. „Es ist einfach wunderschön, wenn man in einem Moment eine Band aus Mali hören kann und dann geht man einen Club weiter und steht vor einem Singer-Songwriter aus Schweden“, sagt Julia. Sie kramt ein fingerdickes, ebenfalls leicht mitgenommen aussehendes Heft aus ihrer Tasche. Fünf Doppelseiten nimmt der „Stundenplan“ des Londoner Festivals in Anspruch.

Ganz so groß wird die „manic street parade“, die diesen Oktober zum ersten Mal – und danach jährlich – stattfinden soll, noch nicht sein. Aber es sollen auch internationale Künstler auftreten: Gebucht sind mittlerweile die Bands Carnival Youth aus Lettland, Avec aus Österreich und Fai Baba aus der Schweiz. Die Bands werden erstmals am Mittwoch bekannt gegeben. Münchner Acts werden nur angefragt, „wenn sie was Besonderes präsentieren“. Etwa die Rapperin Fiva, die mit der Jazzrausch Bigband auftreten wird. Diese und noch mehr wird man am 8. Oktober im Schlachthofviertel feiern können, im Strom, im Substanz, im Schlachthof, im Pigalle und in der früheren Boazn Zur Gruam.

Der Ansatz sei in München tatsächlich neu, findet auch Amadeus Gregor Böhm, Chef der Plattenfirma Flowerstreet-Records und wahrscheinlich einer der besten Kenner der Münchner Indie-Pop-Nachwuchs-Szene. „Ein Club-Festival mit internationalen Künstlern würde München vielleicht tatsächlich helfen, vom weltgrößten Dorf zu einer richtigen Stadt zu werden“, sagt er. Viele der schon existierenden Festivals, wie das Stadt-Land-Rock oder auch das Flowerstreet-Festival würden doch eher den Münchner „Dunstkreis“ repräsentieren, in dem jeder jeden kennt.

Julia geht es aber um mehr als nur die Organisation eines Festivals. Es geht ihr um Grundsatzfragen. Nach ihrem Bachelor in Musik für Lehramt hat sie ein Masterstudium in Kultur- und Musikmanagement begonnen. Gerade schreibt sie ihre Masterarbeit mit dem Titel: „Der Weg zur Music City. Status Quo und Potenziale der regionalen Pop-Musik-Szene“. Dass es hierbei um München geht, ist klar. Julia liebt München. Das sagt sie mit einem leichten Klopfen auf den Tisch und einem vergnügten Lachen. „Das ist Heimat. Außerdem ist München eine wunderschöne Stadt, in der die Verbindung zur Natur so stark ist wie sonst selten in einer so großen Stadt.“

Auch wegen der Musik liebt Julia die Stadt und sie möchte nicht weggehen, selbst wenn man sich in München als „Kreativer schon sein Schlupfloch suchen muss, um durchzukommen“. Wobei: Sie möchte nicht einmal sagen, dass irgendetwas in München wirklich „fehlt“, aber sie will ihren Beitrag dazu leisten, dass da noch viel mehr entstehen kann, was Musik und Kreativität angeht.
Deshalb die Masterarbeit über das Konzept der „Music City“, ein Titel, der von der Unesco vergeben wird. Mannheim und Hannover beispielsweise haben ihn schon. München noch nicht. Julia ist in Kontakt mit einigen der Verantwortlichen beim Kulturreferat der Stadt. „Man ist schon sehr interessiert an Kulturförderung und ich denke, die werden die Arbeit dann auch lesen“, sagt sie. Aber so gut wie beispielsweise in Amsterdam ist man hier eindeutig noch nicht. Wieder lacht Julia. „In Amsterdam gibt es einen Nacht-Bürgermeister, der ausschließlich die Aufgabe hat, sich Gedanken darüber zu machen, wie man das Nachtleben in Amsterdam besser machen könnte.“ Nicht offiziell sei dieses Amt, versteht sich, aber doch anerkannt. Diesen Nachtbürgermeister von Amsterdam hat Julia auf der Music-Cities-Convention, die ebenfalls in der vergangenen Woche in England stattgefunden hat, sprechen hören. Noch mehr Input, wie Münchens Pop-Szene lebendiger und attraktiver gestaltet werden könnte.

Es scheint keinen Aspekt in Julias Leben zu geben, der nicht erfüllt ist von Musik. „Ich habe damit angefangen, bevor ich darüber nachgedacht habe“, sagt Julia auf die Frage, ob sie schon immer gewusst hätte, dass das irgendwann einmal so sein würde. Natürlich, sie kann die Geschichten von der Schulband erzählen, mit 13 oder 14 Jahren, als der Bassist sie drei Tage vor der ersten Aufführung sitzen ließ, weil ihm die vier Sängerinnen zu schlecht waren. Deswegen hat Julia innerhalb von zwei Tagen angefangen, Bass zu spielen – und das hat ihr gefallen. Aber sogar wenn sie von dem Erfolg spricht, den sie mit ihrer Band Fertig, Los! bis zu deren Auflösung vor drei Jahren hatte, und von der großen Tournee mit Sportfreunde Stiller, bleibt sie dabei so ungezwungen und ohne Pathos, ohne Kitsch, ohne verträumte Augen, dass sie genauso gut erzählen könnte, sie würde ihren Abwasch immer gleich nach dem Essen machen, weil es dann eben gemacht ist. 

Ein ganz wichtiger Aspekt bei kreativer Arbeit ist in Julias Augen das Einfach-mal-machen, ohne viel darüber nachzudenken und ohne gleich ein mögliches Scheitern mit einzukalkulieren.

Und so ist wohl auch die Idee des Festivals entstanden. „Eigentlich reden wir da schon seit einem Jahr drüber“, sagt Julia, „und dann haben wir es irgendwann einfach gemacht.“ Bis jetzt scheint das wunderbar zu funktionieren und wenn sich die „manic street parade“ als eine jährliche Institution in der Münchner Pop-Szene etablieren kann, dann ist München vielleicht tatsächlich einen Schritt näher dran, eine Music City zu sein.

Von: Theresa Parstorfer

Foto: Stephan Rumpf

Webadresse Festival: http://manic-street-parade.com/

Nette Schapsidee

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56 „Amazing German Words“: Lina Augustin und Fabian Bross haben sich Gedanken über Wörter gemacht, die es so in anderen Sprachen gar nicht gibt – von Backpfeifengesicht bis Bratkartoffelverhältnis.

Von Theresa Parstorfer

Purzelbaum ist eines von Lina Augustins Lieblingswörtern. „Purzel hat etwas Entschlossenes und ein Baum ist eigentlich etwas Rundes und Weiches“, sagt Lina. Sie studiert in München an der Kunstakademie und hat sich zusammen mit Fabian Bross, der gerade in Linguistik promoviert, ein Jahr lang Gedanken über deutsche Wörter gemacht. Über Wörter, die es so nicht in anderen Sprachen gibt und die eine Metaphorik beinhalten, die im alltäglichen Sprachgebrauch völlig in den Hintergrund rückt.

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Dabei ist ein Buch entstanden: 56 „Amazing German Words“, jeweils mit einer wörtlichen Übersetzung ins Englische, einer englischen Erklärung der eigentlichen Bedeutung des deutschen Wortes und einer Schwarz-Weiß-Zeichnung von Lina. Besagter Purzelbaum wird durch eine Zeichnung veranschaulicht, in der sich die Zimmerdecke aufgelöst hat und Bäume auf zwei Menschen purzeln, dadurch Chaos verursachen, die Naturgesetze auf den Kopf stellen, aber auch „neue Qualitäten“ entstehen lassen. Übersetzt man „Purzelbaum“ wörtlich, kommt dabei „Tumbletree“ heraus. Kein Mensch würde wissen, was damit gemeint ist, denn im Englischen heißt Purzelbaum „Somersault“.

„Das Buch könnte als kleine Auflockerung beim Deutsch-Lernen verwendet werden“, sagt Lina. „Um zu zeigen, dass Deutsch nicht nur eine schwierige, sondern eine außergewöhnliche und auch eine lustige Sprache sein kann.“ Dass ein „Backpfeifengesicht“ wörtlich übersetzt auf englisch „cheek whistling face“ heißen würde, das könnten aber auch Deutsche lustig finden, hofft Lina.

Außerdem sei es doch interessant, wie ein Begriff seine Bedeutung erlangt hat. „Bratkartoffelverhältnis“ (fried-potato relationship) zum Beispiel. „Ich kannte das Wort auch nicht, aber ich glaube, meine Oma hätte das noch verwendet“, sagt Lina und schiebt sich eine dunkelblonde Haarsträhne hinters Ohr. „Das wurde wohl für eine Beziehung benutzt, die nur für einen bestimmten Zweck und ohne ernsthaften Hintergrund eingegangen wird.“ Da Fabian und Lina allerdings nicht für jedes der ausgewählten Wörter einen schlüssigen etymologischen Zusammenhang gefunden haben, hätten sie diesen Teil dann doch weggelassen.

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Lina schreibt selbst Gedichte und Kurzgeschichten, und auch auf ihren Zeichnungen kommen oft Sprache und Schrift vor. Für dieses Projekt habe aber vor allem Fabian die Wörter ausgesucht, das ist ihr wichtig. Sie habe sich dann von den Wörtern – aber auch von Personen und Erlebnissen in ihrem Leben – inspirieren lassen. Dann hat sie angefangen zu zeichnen. Lina war im vergangenen Jahr vier Monate auf Reisen und für das Buch habe sie sich oft Freunde und Menschen, die sie in Sri Lanka, in Lissabon oder in Madrid kennengelernt hat, „ausgeliehen“, um persönliche Geschichten, in dem Buch zu verstecken. „Wie Protagonisten für eine fremde Geschichte“, sagt Lina. Sie wollte die mit diesen Menschen geteilten Momente „archivieren und materialisieren“. Auf diese Weise wurde das Buch zu einem heimlichen Album ihrer Reise.

Genauso, wie Lina Lieblingswörter hat, hegt sie durchaus auch „Antipathien“ gegen bestimmte Ausdrücke. Sie lacht. „Ich weiß, manchmal wird man schon merkwürdig angeschaut, wenn man über Wort-Vorlieben redet. So eine Empfindlichkeit, was Worte angeht, hat bestimmt nicht jeder. Aber es gibt dann doch ganz viele, denen es genauso geht“, sagt sie.

„Gassenhauer“ ist für Lina ein furchtbares Wort. „Das ist doch schrecklich. Da sieht man wirklich, wie eine Melodie auf den Beton geschlagen wird.“ Sie runzelt ein wenig die Stirn. „Auf der anderen Seite ist das für die Bedeutung vielleicht aber auch ganz passend“, fügt sie hinzu. Das Bild für den Gassenhauer ist in Lissabon entstanden und überhaupt nicht furchtbar. Eine junge Frau hält einen Rechen und eine Schaufel in der Hand und scheint eine sich verflüssigende Straße zu bearbeiten. „Das bin ich“, sagt Lina, „in Lissabon war ich viel allein unterwegs, konnte also viel nachdenken und viel malen. Deswegen ist da auch das Fenster zu meinem kleinen Zimmer zu sehen.“ Sie deutet auf die rechte Ecke. Zwei Fische sind auch zu sehen. Warum? Sie lächelt und ihr Blick schweift ein wenig ab. „Es ist immer gut, einen Fisch dabei zu haben.“ Ein Symbol für Freiheit und Beweglichkeit seien die Tiere für sie.

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Manchmal verwendet Lina ganz selbstverständlich Worte wie „Fernvogel“ oder „Mondfisch“, bewegt dabei die schlanken Hände und lächelt, sodass die kleine Lücke zwischen ihren Vorderzähnen sichtbar wird. „Fernweh“ (distance pain) – ein weiteres Lieblingswort. „Wortschatz“ (word treasure) – als wären Worte ein Schatz, den man behüten muss. „Schnapsidee“ (liquor idea) – da muss sie an eine Nacht mit Freunden in einem verschlafenen Fischerdorf in Sri Lanka unter dem Sternenhimmel denken.

Das Suchen nach neuen interessanten, skurrilen und schönen Wörtern hat sich für Lina schon zu einer Art Automatismus verselbstständigt. Deshalb kann sie sich auch gut vorstellen, einen zweiten Teil von „Amazing German Words“ zu entwickeln. „Davor muss aber mit dem ersten Teil noch mehr passieren“, sagt sie. Sprich: Es muss sich besser verkaufen.

In der Zwischenzeit will Lina jedoch ihre Begeisterung für Worte anderweitig vermitteln: Mit einer Freundin plant sie einen Workshop für geflohene Jugendliche, der nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren soll wie Linas Herangehensweise an die Zeichnungen für das Buch. „Die Jugendlichen sollen auf experimentelle Weise einen Einstieg ins Zeichnen und kreative Schreiben finden“, sagt Lina. Dabei herauskommen soll ein Comic, eine Bildergeschichte oder ein Magazin. Ihren Workshop nennt sie Wortbild–Werkstatt. Eine Werkstatt für Wortbilder. Word pictures.

Zeichnungen: Lina Augustin

Foto: Flavia Resch

Von Freitag bis Freitag München –  Unterwegs mit Theresa

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Es gab Momente, da hätte es Theresa nicht mehr für möglich gehalten. Umso schöner ist jetzt das Gefühl, alle Hausarbeiten abgegeben zu haben und frei zu sein. Und ungehalten. Natürlich gibt es auch einigen Nachholbedarf. Deshalb fliegt sie auch förmlich von der Junge Leute-Ausstellung im Farbenladen, zum Krims Krams Flohmarkt im Bahnwärter Thiel. Und durch die Nächte tänzelt und tanzt Theresa abwechselnd in der Akademie der schönen Künste, im Cord und im STROM – als gäbe es kein Morgen mehr…

Seit vergangener Woche ist es offiziell: ich habe meine Hausarbeiten unter Weinen und Schreien und Haareraufen und Zähneknirschen, am Ende jedoch kapitulierend, abgegeben. Somit habe ich jetzt noch – ein ungläubiger Blick in meinen Kalender bestätigt es – beinahe einen Monat Zeit, um einfach mal das tun und lassen zu können, was ich schon immer einmal tun bzw. lassen wollte. Man glaubt es kaum, aber die Liste ist lang. Sehr lang.

Am Freitag gebe ich deswegen erst einmal ALLE meine ausgeliehenen Bücher über Wald- und Forstwirtschaft und Mentalitäten im 19. Jahrhundert ab und begebe mich unglaublich beschwingt, unglaublich leicht auf den Weg ins Einstein Kultur in die Einsteinstraße. Dort treffe ich mit einiger Wahrscheinlichkeit Jackie von der Junge Leute Seite, die auch schon letzte Woche angekündigt hat, den ungehaltenen Reden ungehaltener Frauen zu lauschen. Ich bin ja sehr für mehr ungehalten-Sein, außerdem hat es mich schon immer interessiert was Frau Briest wirklich denkt. Warum Klytämnestra Agamemnon umgebracht hat, das kann ich mir zwar denken, aber auch dem Monolog dieser Dame folge ich begeistert.

Am Samstag starte ich dann sowas von ungehalten in ein Wochenende, an dem wie an jedem Wochenende im März der Farbenladen grüßen lässt. Die Junge Leute Seite rückt den Rand Münchens in den Mittelpunkt oder den Mittelpunkt dieser großen, schönen Stadt an den Rand, oder vielleicht verbindet sie beides auch. Auf jeden Fall sind nicht nur die ausgestellten Kunstwerke der Hammer, sondern auch das Rahmenprogramm. Am Samstag lasse ich mich ab 17 Uhr von den „Randnotizen“ Münchner Autoren verzaubern, um danach in der süß-traurigen Musik von Antò Nio zu schwelgen.

Voller Worte und Klänge und Inspiration (morgen fange ich aber wirklich mit meinem Roman an…) schwebe ich nach Hause, um am Sonntag frisch ausgeruht und munter zuerst auf den „Krims Krams“ Flohmarkt im Bahnwärter Thiel zu gehen. Ich shoppe mich durch alt und neu und bunt und skurril und aufgehipstert wie ich nach diesem Trip bin, pilgere ich dann auch schon wieder zum Heimeranplatz. Ich freue mich auf den zweiten Teil dieses Kunst-Wochenendes, das sogar noch politisch wird: „Über Grenzen hinweg“ ist der Titel des heutigen Farbenladen-Programms. Junge Münchner Flüchtlingsinitiativen stellen ihre Projekte vor und unterhalten sich über unterschiedliche Ansätze von Integration. Mit dabei sind das Junge Bündnis für Geflüchtete, SocialRide, Equalhats, SAVE THE PLATE und die Refugee Law Clinic Munich. Ich hoffe ja insgeheim, dass die Gründer von Equal Heats auch ein paar Mützen dabei haben, so eine wollte ich nämlich schon lange haben.

Für Montag nehme ich mir erst einmal vor, gaaaaaaanz lange zu schlafen, einfach, weil ich es kann, weil keine Bibliothek und auch keine Hiwi-Stelle ruft. Wie immer, wenn ich mir so etwas vornehme, bin ich natürlich um halb acht putzmunter und höre dem Tag beim Wachwerden zu. Eigentlich wollte ich weiterhin ungehalten sein, und einfach total dekadent im Bett bleiben und meiner Seriensucht fröhnen, interessanterweise merke ich jedoch, dass auch das nicht wirklich funktioniert. Aus irgendeinem mir nicht ersichtlichen Grund räume ich lieber mein Zimmer auf, miste meinen Schrank aus, putze die Küche, wasche Wäsche und fahre dann noch eine Runde Rad. Am Abend schaffe ich es immerhin, mir einen Kinobesuch zu gönnen: „Colonia Dignidad“, oder vielleicht doch lieber „Hail, Caesar“? Vielleicht sogar beides? Das wäre doch mal ungehalten.

Am Dienstag lockt mich das unglaublich schöne Foto der Facebook-Veranstaltung von „Orientalic“ in die Akademie der schönen Künste. Balkan Sound meets Hummus. Klingt gut.
Ich tanze hüftwackelnd zurück nach Hause und träume von Aladin und Sindbad und nicht zuletzt von einer echten Wunderlampe. Ein paar Wünsche hätte ich schon an einen ganz persönlichen Dschinn.

Am Mittwoch packe ich meine Mama und meine kleine Schwester ein, die gerade aus Australien, Thailand und Bali zurückgekommen ist, und wir wühlen uns stundenlang durch’s Picknweight in der Schellingstraße. Am Abend geht es ins Milla. Dort lädt Bumillo zum Milla Sound Slam ein. „Alles darf, nichts muss“ ist das Motto des Abends, und das ist irgendwie kongruent zu meinem Ungehalten-Sein-Motto – finde ich.

Auf jeden Fall komme ich so richtig in Tanz-Fahrt und am Donnerstag gibt es kein Halten mehr. Es muss getanzt werden: ich beginne im Cord. Dort heißt es einmal wieder Supersonic Thursday und aufgelegt wird von Manuel Palacio und Mellowflex.

Weitergetanzt wird am Freitag im Strom. Bei MOMENTUM wird „mal Altbekanntes, mal Neues, aber immer tanzbares“ angekündigt. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, denn: es zählt nur der Moment und den sollte man ganz festHALTen.

Theresa Parstorfer

Foto: Gregor Amadeus Böhm