Zeichen der Freundschaft: Independent-Filme

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Die Liebe zu guten Filmen – das verbindet Theresa und Mira. Milch und Kuchen gehören aber auch dazu. Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Wir starren auf den Bildschirm. Der Abspann läuft. Dann schauen wir uns an. Mira zieht eine Augenbraue nach oben. Das konnte sie schon immer besser als ich. Also ziehe ich beide Augenbrauen nach oben und sage: „Aha.“ Das Schweigen geht weiter. Ich setze mich aufrechter hin und versuche, das gerade Gesehene zu ordnen. Norwegischer Independent-Film. Original mit Untertiteln. Leise, traurig, ein bisschen verstörend. Selten reden Mira und ich viel, nach einem Film. Oft brauchen wir beide ein bisschen Zeit, um zu verarbeiten
und uns eine Meinung zu bilden.

Drei Stunden zuvor: Es müffelt nach Käsefüßen – das ist der unverkennbare Geruch der kleinen Videothek unseres Heimatstädtchens. Schon zum dritten Mal innerhalb der letzten 15 Minuten sind Mira und ich vor dem erschreckend kleinen Regal gelandet, über dem steht „Auslesefilme“. Das Sortiment ist beschränkt, da unser Heimatstädtchen unsere langjährige Vorliebe für anstrengende, kleine Produktionen, die in deutschen Kinos oftmals nicht einmal gezeigt wurden, nicht zu teilen scheint. Die Auswahl der Auslesefilme reduziert sich noch weiter, da die meisten der vorhandenen Filme entweder sie oder ich
oder wir beide schon gesehen haben.

Trotzdem brauchen Mira und ich oftmals ebenso lang, uns für einen Film zu entscheiden, wie der Film dann letztendlich dauert. Aber das gehört schon zu unserem in unregelmäßigen Abständen durchgeführten Ritual. Mira zerwuschelt ihre dunklen zu einem Undercut geschnittenen Locken – das macht sie immer, wenn sie nachdenkt – und liest noch einmal den Klappentext der DVD-Hülle in ihrer Hand. Der wird es sein, das weiß ich jetzt schon. Norwegisch. Drama. Immer gut.

Eine halbe Stunde später: Mira, ich, zwei Stück Kuchen, zwei Gläser kalte Milch und es kann losgehen. Mit niemandem sonst kann ich mir dermaßen anstrengende Filme anschauen, niemand sonst, den ich kenne hat einen dermaßen hohen Anspruch an Filme und niemand sonst gibt mir das Gefühl, dass ich diesen Anspruch eigentlich auch habe. Niemand sonst kennt mich
schon so lange und so gut und niemand sonst ist so treu und so nah, trotz aller örtlichen und zeitlichen Distanz dazwischen. Wir können uns immer darauf verlassen, dass wir immer einen kleinen, melancholischen Film finden werden über den wir dann zusammen nachdenken können, bei einem Glas Milch und einem Stück Kuchen.

Von: Theresa Parstorfer

Foto: Yunus Hutterer

Das wird groß. Sehr groß

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Musikfans haben Anfang Novemer ein Festival in ihrem Kalender dick unterstrichen: das Sound-Of-Munich-Now-Festival, veranstaltet vom Feierwerk und der Süddeutschen Zeitung. Auch dieses Jahr werden wieder 40 unterschiedliche Künstler auf der Bühne stehen – und doch ist etwas neu: Erstmals wird auch der “Sound Of Augsburg Now” und der “Sound Of Regensburg Now” präsentiert.

 Von Theresa Parstorfer

Der
Sound der Stadt ist immer frisch, immer neu und immer hörenswert – und das hat
sich auch im achten Jahr des Festivals „Sound Of Munich Now“ nicht geändert.
Seit 2009 haben es sich die Süddeutsche Zeitung und das Feierwerk zur Aufgabe
gemacht, der Vielfalt der Münchner Bandszene nachzuspüren und auch neue Musiker zu entdecken. 131
unterschiedliche Münchner Bands haben seitdem auf dem „Sound Of Munich Now“
gespielt – und heuer kommen einige Neuentdeckungen dazu. Das Line-up strotzt
vor neuen Gesichter, wird aber auch dieses Jahr unterstützt von mittlerweile –
zumindest lokal – bekannten Größen.

Während
Les Millionnaires mit Retro-Charme und Hipster-Schick und Nick And The
Roundabouts
mit melancholischen Liebesliedern zuvor auch schon in anderen
Bandkonstellationen mit Musik made in Munich überzeugen konnten, stehen Nick
Yume
und Die Sauna gerade erst am Anfang einer sehr vielversprechenden
Musikkarriere. Nick Yume hat Mitte August Rihanna in Bukarest supportet, 
sein Remake des Songs „Allein, Allein“ von Polarkreis 18 wurde allein im ersten
Monat 210000 Mal gestreamt. Die sechs jungen Männer von Die Sauna wiederum
schafften es ins Finale des Sprungbrettwettbewerbs und machen bei Konzerten
ihrem Namen alle Ehre, indem sie das Publikum gehörig zum Schwitzen bringen –
mit Musik, die voller Kraft, Ehrlichkeit und Innovation steckt. The Sound of
Munich Now ist also auch dieses Jahr wieder am Puls der Zeit – und wer Künstler
gesehen haben will, von denen im kommenden Jahr bestimmt noch die Rede sein
wird, der ist am 4. und 5. November im Feierwerk mit Sicherheit richtig.

Das Festival „Sound
of Munich now“ ist „eine gute Plattform für den Austausch der Münchner Szene“ –
so lautete das Presseurteil nach der Auftaktveranstaltung im Herbst 2009. Und
das gilt auch heute noch. Oder wie hieß es in der SZ so schön über das
Festival: „Das ist das Schöne an Sound of Munich now, das Sich-Kennen und Kennenlernen,
egal ob Musiker oder Zuhörer. Wer wegen einer bestimmten Band kommt, geht
garantiert mit der Musik einer Neuentdeckung im Kopf nach Hause, wer sich
spontan in eine Sängerin verliebt, kann diese nach ihrem Auftritt noch an der
Bar treffen.“

Dass
man sich in der Landeshauptstadt aber auch dafür interessiert, was anderswo im
Freistaat passiert, wird mit “The Sound of Regensburg Now” und “The Sound of
Augsburg Now” gezeigt. Zum ersten Mal werden Bands aus nicht minder schönen
Städten auftreten. Aus
Augsburg reist beispielweise We Destroy Disco an – natürlich wollen die fünf
jungen Männer nicht den Club demolieren. Vielmehr bringen sie melancholische
Songs in die Weltschmerzstadt mit Herz. King The Fu (ebenfalls aus Augsburg)
dagegen spielen sehr melodiösen Elektro-Pop, mit einer starken Stimme, die auch
in nachdenklichen, akustischen Balladen überzeugen kann. 

Cato
Janko
aus Regensburg präsentieren live geschnitzte Loops, Gitarrenmelodien und
schöne Texte, die mal zerbrechlich klingen und dann wieder Lust aufs Tanzen machen und fröhlich in der Dunkelheit leuchten. Wie viel Liebe und Mühe und Zeit die Musiker
von containerhead in ihre Songs legen, sieht man nicht nur an einigen
Überlängen (8 Minuten!), sondern auch an den kunstvoll arrangierten Melodien,
aus Klavier, Gitarre, Loops, Synthesizern, die manchmal Minutenlang einen
Teppich aus Klang weben, in dem immer wieder neue Facetten entdeckt werden
können.

Diese,
und noch viele andere Künstler aus Augsburg und Regensburg werden am 5.
November 45-Minuten-Sets vorstellen können, während der Sound of Munich wie
auch in den vergangenen Jahren im 15-Minuten-Takt versetzt auf zwei Bühnen
präsentiert werden wird.

Zum
Sound Of Munich Now gehört natürlich auch die Club-Musik. Münchens Szene für
elektronische Tanzmusik hat sich nach Pionieren wie Giorgio Moroder oder DJ
Hell maßgeblich weiterentwickelt. Heute muss sich München im Vergleich zu
anderen Städten sicherlich nicht verstecken. Der Abend „Sound of Munich now
Electronica“ präsentiert die vielzähligen Spielarten: zwischen House, Techno,
Drum and Bass und Ambient-Klängen deckt das Festival die bunte Szene ab, die
München momentan repräsentiert. Zu hören sein wird beispielsweise der
junge Münchner Leon Weber, der sich LCWA nennt und mittlerweile mehr als 74000
Likes auf Facebook vorzuweisen hat. Der junge Künstler, der mittlerweile von
Sony unter Vertrag genommen wurde, wird zeigen, dass es auch in München den
Zeitgeist aus geremixten Akkustiksongs mit Deep-House Einflüssen a la Alle
Farben
und Robin Schulz gibt.

Hier das Programm im Überblick:

Freitag, 4. November, Kranhalle, Sound Of Munich Now Electronica, Einlass/Beginn 22 Uhr:
jean blanc, Arta Narini, Marcella, Pech & Schwefel, Shime, Essika, Mindsight und LCAW

Samstag, 5. November, Orangehouse, Sound Of Augsburg Now, Einlass 18 Uhr / Beginn 19 Uhr:  Endlich Blüte, King the Fu, Maybellene, SAN Antonio KID, WE DESTROY DISCO,
YAWL

Samstag, 5. November, Kranhalle, Sound Of Regensburg Now,
Einlass 18 Uhr / Beginn 19 Uhr:

Cat Stash, CATO JANKO, containerhead, Desmond Myers, short story sports

Samstag, 5. November, H 39, Sound Of Munich Now,
Einlass 18 Uhr / Beginn 19 Uhr:

Antun Opic, Bavarian Blast, Claire Jul, Die Sauna, Emmi King, Future Days, Gaddafi Gals, GrGr, Julia Kautz, Les Millionnaires, Lisaholic, Matthew Austin, mola, Monaco F, MURENA MURENA, Nick & The Roundabouts, Nick Yume,  Pour Elise, Rapid, The Irrigators, Tom Wu

Der Eintritt ist frei. Daher wird mit mehr Gästen gerechnet als Platz haben – von daher gilt: früh kommen!

Archiv-Foto vom Festival 2015: Käthe deKoe

Kurzinterview: Nick Yume

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Am Sonntag stand er als Support für Rihanna in Bukarest auf der Bühne – heute erzählt uns Nick Yume, wie er dieses Event erlebte.

SZ: Rihanna – Bukarest wir war das in drei Worten?
Nick: Unfassbar geil.

SZ: Was war das Tollste?
Nick: Auf so einer riesen Bühne zu stehen, vor so einer Menschenmasse. Außerdem war die Kulisse unfassbar schön: die Bühne war vor einem Palast aufgebaut und da ging dann die Sonne unter. 

SZ: Hast du mit Rihanna selbst gesprochen?
Nick: Nein, mit ihr selbst nicht, aber wir haben danach total gutes Feedback von Leuten aus ihrem Team und auch von den Veranstaltern selbst bekommen – das hat uns eigentlich am meisten gefreut.

SZ: Wie fandest du Rihanna? Wäre das ein Konzert gewesen, das du auch so hättest sehen wollen?
Nick: Ja, auf jeden Fall. Lustigerweise hatte ich ein paar Tage davor gesagt, ich hätte voll Lust, sie mal life zu sehen. Und das war auch echt irre. Eine total tolle Show.

SZ: Hast du etwas aus deinem Auftritt gelernt?
Nick: Es war eine total neue Erfahrung – auch weil wir zum ersten Mal ein längeres Set, also ganze 45 Minuten und auch einige neue Lieder gespielt haben. Ich dachte vor allem, es wäre ultra-scary, vor so einem großen Publikum zu spielen. Es war dann aber eigentlich total schön und sogar einfacher. Normalerweise finde ich es schwierig, mit dem Publikum zu reden. Aber wenn das so viele sind, hat man auf einmal viel mehr Motivation, etwas zu erzählen.
Kurz davor war uns zwar schon ein bisschen mulmig, aber auf der Bühne dachte ich mir dann: Wenn 30000 Leute schon so geil sind, wie geil ist es dann vor 80000 Leuten zu spielen?

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Interview: Theresa Parstorfer

Foto: http://alexcsiki.com

Von Freitag bis Freitag München – Unterwegs mit Theresa

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Das viel beschworene Münchner Sommerloch versucht Theresa in dieser Woche mit einem straffen Wohlfühl-Sommer-Programm zu füllen. Dazu gehört Musik von den Stray Colors unter einem sommerlichen Sternenhimmel, Vintage-Klamotten zum Kilo-Preis im Wanda und Akkordeon-Pop der österreichischen Band folkshilfe auf dem Theatron.

Immer wieder hört man es munkeln: das berüchtigte Sommerloch in München. Zugezogene Studenten pilgern in ihre Heimatorte und die von andernorts heimkehrenden Menschen räkeln sich an den Badeseen im Umland, während die Touristen in Kolonnen durch die Innenstadt walzen.
Mir ist das egal, ich genieße diese schöne, saubere Stadt, bevor ich ihr im Oktober wieder einmal für einige Zeit den Rücken kehren werde, und mache mich auf die Suche nach kulturellem Partyleben trotz vorlesungsfreier Zeit.

Sehr entspannt fange ich damit am Freitag Abend an. Am Stadtstrand bei Young Fast Running Man, einem jungen Mann, der Musik macht, die verdammt alt klingt – nach „traditionellem Blues, Rock der 60er Jahre, Country und Folk“. 

Dieser Groove befördert mich dann auch gleich in die richtige Stimmung für den Samstag, an dem ich mich voller Nostalgie und Hipster-Wahn in den Vintage Kilosale im Wanda stürze. Mir werden Levis’ Jeans für 10 Euro versprochen – da lohnt sich das Wühlen in jedem Fall, vor allem weil alle meine Jeans neuerdings Löcher an Stellen aufweisen, an denen keine Löcher sein sollten. 
Noch einen Schritt weiter zurück in der Zeit wage ich dann am Nachmittag beim Viktorianischen Picknick vor dem Monopterus im Englischen Garten. Man will sich an den „hübschen Gewändern erfreuen“, heißt es in der Einladung, wobei dezidiert nicht auf historische Korrektheit geachtet wird. Insgeheim hoffe ich ja, dass irgendwo Hugh Grant rumläuft, ganz im Sinne von „Sinn und Sinnlichkeit“. (Es lebe die Wort-Wiederholung) 

Am Sonntag spule ich wieder vor in der Zeit und packe meine neuen, alten Vintage-Levis-Jeans von gestern aus, um im richtigen Outfit beim ersten Münchner Indie Air Festival auf einer angeblich „wunderschönen Terrasse“ direkt am Englischen Garten aufzukreuzen. Das Line Up hört sich gut und vor allem sehr indie-sommerlich an. Neben I Heart Sharks aus Berlin, William’s Orbit aus Weiden, The Strayin Sparrows aus Regensburg und Jasper Flynn aus München freue ich mich vor allen Dingen auf die Stray Colors, die ich schon ewig nicht mehr life gehört habe. Danach wird unterm Sternenhimmel getanzt, wie sich das für Indie-Kinder gehört. 

Am Montag hole ich nach, was ich im letzten halben Jahr nicht geschafft habe. Und ich meine es erst: ich habe es nicht und zwar niemals geschafft, ins Kino zu gehen. Mit einem dicken Eis und vielleicht sogar Begleitung traue ich mich in „Verräter wie wir“. Wegschauen, wenn’s zu spannend wird, das kann ich eigentlich ganz gut.

Am Dienstag besuche ich die Surfer am Eisbach und lasse mich dann ins kühle Innere im Haus der Kunst schwappen, wo sich die französische Künstlerin Laure Prouvost „einfallsreich und mit unnachahmlichem Humor sowohl auf die Architektur der Mittelhalle als auch auf das Haus der Kunst als Institution bezieht“. Nicht dass ich etwas von Architektur und ihrer Verbindung und Umsetzung mit Humor verstehen würde, aber wirken lassen kann man das Ganze ja trotzdem.

Humorig geht es am Mittwoch weiter, denn ich beschließe, dass eine Band, die sich Fuck Yeah nennt, das Leben nicht allzu ernst nehmen kann. Das Theatron wird mit ihnen zur Kulisse für eine Mischung aus Hunter S. Thomson und Lou Reed, die „sich von Wire, T-Rex, Babyshambles und Velvet Underground die Gitarren verstimmen“ lassen, „um dann Graham Coxon aufs Effektpedal zu kotzen“. Schon allein wegen dieser Bandbeschreibung bin ich gespannt auf die Show.
Davor und danach und dazwischen mache ich einen Abstecher zum Kurzfilmfestival, das zeitgleich auf dem Theatron-Programm steht. Vor allem „Lialou“ hört sich spannend an. Lebensgeschichten, die aus Schuhen gelesen werden und wahrscheinlich auch die Geschichte einer großen Liebe.

Weil es mir so gut gefallen hat, auf der Seebühne, mache ich mich am Donnerstag ein zweites Mal auf den Weg in den Olympiapark, diesmal um herauszufinden, was „Akkordeon-Pop“ ist – und auch warum die drei Österreicher ihre Band folkshilfe klein und mit „f“ schreiben – ich hoffe wirklich, die haben sich dabei etwas wirklich Schlaues gedacht.

Am Freitag wird es noch einmal richtig spannend, denn ich warte darauf, ob ich zur Supper night garden club party im Glockenbach eingeladen werde. Mitgemacht habe ich bei der Platzverlosung, und interessieren würde es mich allemal, wie so ein Supper Club abläuft.
Sollte ich nicht zu den Glücklichen gehören, dann koche ich mir einfach selber etwas zu essen und wenn ich wirklich nett zu mir sein will, dann zaubere ich eine Oreo-Tiramisu. Und das alles nur, weil Sommerloch ist – irgendwie könnte ich mich daran sogar fast gewöhnen.

Theresa Parstorfer

Foto: Emil Fink

Neuland: Aus Dose wird Firmenfeier

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Philipp Christov fing vor knapp einem Jahr an, sich hochzutauschen. Aus einem Dosentelefon wurde jetzt ein Gutschein für eine Firmenfeier. Ein Update zum Projekt “Das Dosentelefon.”

Ein Haus bekommt man für 10 000 Euro in München noch lange nicht. Das wäre das Ziel gewesen, das sich Philipp Christov, 23, gesteckt hatte, als er vor beinahe einem Jahr angefangen hatte, Dinge zu tauschen. Ein Haus für geflüchtete Menschen. Eigentlich hätte er laut seiner selbst formulierten Deadline auch noch bis Weihnachten Zeit gehabt, um das zu erreichen, aber „ich hatte mir einige Meilensteine aufgezeichnet, und als ich merkte, dass es nicht mehr recht weiterging, habe ich umdisponiert“, sagt Philipp. 10 000 Euro sind jedoch auch eine Menge Geld. So viel kostet die Firmenfeier, die er in Form eines Gutscheins ertauscht hatte und die jetzt von einer Münchner Firma gekauft wurde.

Den Erlös wird Philipp nun dem Münchner „Willkommenszentrum“ „Bellevue di Monaco“ spenden, das sich für einen humaneren Umgang mit geflohenen Menschen einsetzt. Den Abschluss der Aktion, die mit einem selbstgebastelten Dosentelefon startete, wird am 21. Juli im Bellevue di Monaco von 18 Uhr an bei Sekt und Brezen gefeiert.

 

Text: Theresa Parstorfer

Foto:

Schiwani Kakor

Geteiltes Leid

Melanie Lerchl hatte mit 18 Krebs und musste erkennen, dass viele junge Erwachsene mit dieser Krankheit alleine gelassen werden. Jetzt gründet sie einen Verein, in dem sich Betroffene mit ehemaligen Patienten austauschen.

Den Geschmack von Metall wird Melanie Lerchl, 23, nie vergessen können. Den hatte sie während ihrer Chemotherapie vor nunmehr mehr als vier Jahren ständig im Mund. Deshalb reagiert sie heute beinahe allergisch auf Volvic-Wasser mit Apfelgeschmack. „Das und drei verschiedene Kaugummisorten waren meine Mittel gegen den Geschmack“, sagt Melanie. Heute wecken diese Dinge jedoch Erinnerungen an ein „Kapitel“ in ihrem Leben, das sie zu einem anderen Menschen gemacht hat.

Mit 18 Jahren, als Melanie sich gerade im dritten Jahr ihrer Ausbildung zur Hotelfachfrau befand, suchte sie wegen Bauchschmerzen ihren Hausarzt auf. Nichts Schlimmes, dachte sie. Bei der Frauenärztin, zu der sie der Hausarzt schickte, wurde jedoch festgestellt, dass Melanie an einer sehr seltenen Tumorart litt. Dysgerminom heißt dieser Krebs, er sitzt an den Eierstöcken und er wächst sehr schnell.

Deshalb wurde die erste Operation unverzüglich durchgeführt. Die Ärzte stellten erst während des Eingriffs fest, dass es bei dieser einen Behandlung nicht würde bleiben können. „Ich habe lange gebraucht, bis ich realisiert hatte, dass nicht-gutartig bösartig heißt und dass bösartig Krebs bedeutet“, sagt Melanie. „Das große Wort, das im Kopf immer mit dem Tod verbunden wird, war da lange nicht präsent.“

Ihre Augen sind dunkelbraun, am Rand der Iris beinahe grün und sie richtet sie immer völlig ruhig auf ihr Gegenüber. Ihr mache es nichts aus, über die Krankheit zu sprechen, in vielerlei Hinsicht sei es ihr sogar ein Anliegen. Denn bereits im Aufwachraum nach der ersten Operation zeichnete sich etwas ab, das sich durch Melanies gesamten Krankheitsverlauf ziehen sollte: die Unfähigkeit der Ärzte, mit einem so jungen Krebs-Patienten umzugehen. „Von den Ärzten hat niemand mit mir gesprochen“, sagt Melanie. „Die haben es meiner Mutter überlassen, mir beizubringen, dass ich eine Chemo machen sollte, dass ich beide Eierstöcke verlieren könnte, selbst wenn ich den Tumor überleben würde.“

Ihrer Erfahrung nach gibt es kaum Angebote für junge Menschen, die an Krebs erkranken. „Sobald man 18 ist, fällt man aus allem raus, was mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat. Aber dass man sich nicht erwachsen fühlt, auch wenn man es offiziell ist, das wird selten berücksichtigt“, sagt Melanie. Außerdem werde Krebs nach wie vor zumeist als „Alte-Leute-Krankheit“ abgestempelt. Jugendpsychiater Daniel Drexler sieht diese Lücke auch: „Bis 18 gibt es sehr viel Betreuung für junge Menschen, danach eher nicht mehr, das stellt nicht nur bei Krebsleiden ein Problem dar.“

Eine ähnliche Meinung vertritt auch die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs, eine Organisation, die erst vor zwei Jahren in Berlin gegründet wurde. Das ‚„Junge Krebsportal“, ein Beratungsangebot, das die Stiftung ins Leben gerufen hat, sei „sehr erfolgreich und gut frequentiert“, sagt eine Vertreterin der Stiftung. „Dennoch stellt die Gründung regionaler Gruppen ein ausgesprochenes Interesse der Stiftung dar, da in diesem Bereich definitiv noch zu wenig Angebot existiert und die jungen Leute sich untereinander austauschen wollen.“

Diese Idee hatte auch Melanie: Sie ist gerade dabei, einen Verein zu gründen. Wie in einer Partner-Vermittlung oder einem Tandem-Programm sollen bei „Kampfgeist. Jung & Stark“ ehemalige Krebspatienten mit gerade an der Krankheit Leidenden zusammengebracht werden. Melanie hat selbst erlebt, wie bestärkend es sein kann, jemanden zu haben, der weiß, wovon man spricht, wenn einem die Haare ausfallen, wenn man nichts mehr essen will, wenn man diesen Metallgeschmack im Mund und noch dazu das Gefühl hat, eine Koffeintablette und eine Schlaftablette gleichzeitig genommen zu haben.

Eine ehemalige Klassenkameradin hatte sich zwei Jahre, nachdem Melanie den Krebs überstanden hatte, an sie gewandt. Ob sie sie um Rat fragen dürfe, da sie an einem Tumor erkrankt sei. Zuerst hatte Melanie gezögert. „Man hat da so Schubladen“, sagt sie. „Die oberste kann man relativ einfach wieder aufmachen. Aber je tiefer man geht, desto schwieriger wird es.“ Für Melanie hat sich dieses „Graben“, wie sie es nennt, in den Erinnerungen an die Zeit ihrer Krankheit jedoch gelohnt, denn das Wissen, dass es andere Menschen gibt, die, jeder auf seine Art, den gleichen Weg gehen, gibt ihr auch jetzt, nachdem die Krankheit überstanden ist, immer wieder von Neuem Kraft.

Kraft, die sie etwa vor den Kontrolluntersuchungen braucht. „Vor allem in der Woche vor so einem Termin, da kann ich einfach nicht so viel leisten“, sagt sie. „Denn die Gedanken sind da. Was, wenn wieder was ist?“ Deshalb lässt sie auch ihre Arbeitgeber und Menschen, die sie neu kennenlernt, wissen, dass sie Krebs hatte. „Dadurch erspart man sich viele ungute Situationen, weil manche Leute, wenn sie es nicht wissen, doch manchmal unangebrachte Kommentare fallen lassen.“

Melanie spricht meistens von „man“, als wäre es nicht ihre persönliche Leistung, mit all dem klar zu kommen. Auch betont sie immer wieder, bei ihr sei alles noch „verhältnismäßig gut gelaufen“ und „nicht so schlimm gewesen, wie es hätte sein können“, obwohl auch sie Geschichten von menschlich unfähigen Ärzten, überlasteten Krankenschwestern und Fehldiagnosen erzählen kann. Vielleicht liegt diese Bescheidenheit darin begründet, dass Melanie eine Kämpferin ist. Die den Krebs besiegt, ihre Ausbildung mit nur einem halben Jahr Verzögerung abgeschlossen hat, mittlerweile in einem Hotel arbeitet und jetzt ihren Kampfgeist in den eigenen Verein steckt. Eine wichtige Erkenntnis aus ihrem Austausch mit anderen Betroffenen ist jedoch auch, dass es nicht den einen Krankheitsverlauf gibt und dass jeder anders mit der Krankheit umgeht. „Ich persönlich wollte eigentlich gar nicht so viel darüber wissen. Das mag naiv gewesen sein, aber so konnte ich mir meine positive Einstellung bewahren“, sagt Melanie. „Für mich war immer klar, dass ich es irgendwie schaffen würde.“ Eine Freundin hingegen wusste in kürzester Zeit alles über ihre Krankheit, über Therapien und Heilungsaussichten.

Doch auch für Melanie ist es jedes Mal wieder schlimm, sich mit einem weiteren Schicksal auseinanderzusetzen. Hilflos fühlte sie sich, als bei ihrem Vater ein Tumor gefunden wurde. „Wie eine falsche Welt kommt einem das vor, wenn man dann im Krankenhaus steht und einen der eigene Vater um Rat fragt“, sagt Melanie. Mittlerweile hat auch er die Krankheit überstanden, aber „wenn man an Schicksal glauben will, könnte man fast meinen, es würde mir befehlen, mich jetzt um den Verein zu kümmern“, sagt sie und lacht, auch wenn es nicht zum Lachen ist.

Melanie war und ist nicht ihre Krankheit. Sie mag ein Teil von ihr sein und es auch bleiben, denn „sie hat mich zu der gemacht, die ich heute bin,“ sagt sie. Auch wenn Dankbarkeit ein merkwürdiges Wort in diesem Zusammenhang ist, weiß sie jetzt vieles im Leben sehr viel mehr zu schätzen. „Klar, man rutscht schon immer wieder in die Kurzsichtigkeit des Alltags, in der einen Kleinigkeiten nerven“, sagt sie, aber vor allem durch die Arbeit für den Verein, die ständige Beschäftigung mit der Thematik wird sie sich der Schönheit und der kleinen Dinge im Leben wieder verstärkt bewusst.

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Robert Haas

Zeichen der Freundschaft: Tassenränder

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Er hat blaue Augen und einen irischen Akzent. Sie kann ihm nicht widerstehen. Ein typischer Abend auf einer WG-Party, bei der man nicht nacht alleine nach Hause gehen will. Im Urlaub treffen sie sich wieder – kann er sie wieder so beeindrucken?  Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Ich könnte ihn jetzt küssen. Niemand würde es merken. Der Flur der Hausparty ist überfüllt und er betrunken genug. Wir trinken billigen Sangria aus Kaffeetassen und reden über Erasmus-Erfahrungen. Er hat unglaublich blaue Augen. Wie ein Husky. Er sieht mich auch mit einem sehr gekonnten Hundeblick an. Dennoch weiß ich, heute werde ich alleine nach Hause gehen.

Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich mich an dieser Stelle anders entschieden. Damals gefielen mir seine blauen Augen und sein irischer Akzent einfach zu gut. Ich hörte nicht auf meinen Verstand. Auch wenn der damals schon merkte, wie besserwisserisch und nervig dieser hübsche Ire sein konnte.

An jenem Abend ging ich nicht allein nach Hause und auch an den Abenden danach nicht. Nach ein paar rosaroten Wochen, wurde es allerdings auf einmal furchtbar kompliziert, weil er gerade aus einer Beziehung kam und seine Ex-Freundin in derselben Stadt ihr Auslandsjahr machte wie wir und ihm das alles zu schnell ging.

Und da sagt noch einer, Frauen sind kompliziert.
Frauen schaffen es aber auch, irgendwann mit ehemaligen Liebhabern befreundet zu sein.

Das Schicksal hat dennoch einen gewissen Sinn für Humor, denn als unser Freundeskreis zusammen in den Urlaub fuhr, und ich eines Nachts gut gelaunt mit ein paar Südamerikanern Salsa tanzte, kam er auf einmal angeschlichen. Reue im Hundeblick.

Ich bin keine schadenfreudige Person, aber ich merkte, wie gut mir das tat. Denn interessanterweise wusste ich, dass diesmal ich diejenige war, die „nein“ sagen würde. Seine Augen waren zwar immer noch blau, aber mein Verstand deutete mit immer unverschämter werdendem Zeigefinger auf seine neunmalklugen Erklärungen und die Witze und Geschichten, die er mir immer und immer wieder erzählte, während er sich nicht einmal merken konnte, wie viele Geschwister ich hatte.

Trotzdem waren wir füreinander da. Er besorgte mir Augentropfen, wenn ich mit Bindehautentzündung jammernd im Bett lag, ich kochte ihm Nudelsuppe, wenn er über seine Unikurse jammernd in meiner Küche saß.

Er sieht mich über seine Tasse hinweg an. „Wir hatten schon eine schöne Zeit, oder?“. Ich lächle und verdrehe die Augen. Ja, hatten wir. Haben wir immer noch. Als Freunde. Vielleicht wird da immer eine nicht aufgelöste Spannung sein. Ein Wenn in Verbindung mit einem Hätte-sein-können. Die Möglichkeit, immer vielsagende Blicke über Tassenränder werfen und zweideutige Andeutungen fallen lassen zu können. Aber vielleicht ist es das wert, denn Freundschaften sind manchmal langlebiger als Beziehungen und wer hat nicht gerne einen irischen Kumpel mit strahlend blauen Augen und süßem Akzent?

Von: Theresa Parstorfer

Foto: Yunus Hutterer

Von Freitag bis Freitag München – Unterwegs mit Theresa

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Unsere Autorin hat gerade ihre Bachelor-Arbeit abgegeben und ist völlig begeistert von ihrer neugewonnen Freizeit, ein Wort, dass es für sie in den letzten Wochen nicht gab. Ihre Tipps für die nächste Woche führen zur Ausstellung The Future is this – at a different time, zum Konzert G.Rag und die Landlergeschwister an einer Eisenbahnbrücke, zu Songwriter Matthew Austins und ins Milla, wo Sängerin Lilié die Veröffentlichung ihres ersten Albums feiert. 

Das mit dem Sommer ist ja so eine Sache in diesem Jahr. Wahrscheinlich ist es auch schon total langweilig über das Wetter zu sprechen oder zu schreiben. Deshalb lasse ich das bleiben, indem ich es doch tue. Oder tue es, obwohl ich es eigentlich bleiben lasse?
In jedem Fall lasse ich mir weder Laune noch Lust noch Kreativität von etwaigen Sommergewittern, -stürmen, -ausbrüchen, -überfällen und was dieser Tage nicht sonst noch so alles möglich ist, verderben.
Denn: ich habe vor ein paar Tagen meine Bachelor-Arbeit abgegeben und muss mich derzeit noch jeden Morgen von Neuem an den Gedanken gewöhnen, dass kein 12-Stunden-Tag in der Bibliothek oder am heimatlichen Schreibtisch vor mir liegt, sondern die Möglichkeit, völlig frei zu entscheiden, was ich wann und wie mit meiner Zeit anfangen will. Beängstigend ist diese Freiheit für ein kleines Planungsmonster wie mich, deshalb schnappe ich mir meinen Kalender und organisiere frohen Mutes meine Woche.

Den Freitag starte ich bei gutem Wetter gegen 11 Uhr mit einem kleinen Abstecher beim Friseur, der mir meinen Pony wieder auf eine annehmbare Länge stutzt. Mit völlig freier Sicht auf die Welt mache ich mich auf zu einem Schaufensterbummel durch die Maxvorstadt. Dort haben in den letzten zwei Monaten zwei neue Eisdielen aufgemacht und so schlemme ich mich durch den Nachmittag. Gegen 18 Uhr trudle ich im Köşk in der Schenkstraße ein, um der Vernissage von Michael Pfitzner und David le Viseur beizuwohnen. The Future is this – at a different time. „Es geht um Kunst. Zufall. Zukunft. Lachen. Medien. Leid. Politik. Spiel. Und Kunst.“ – Heißt es. Na da bin ich ja mal gespannt.
Zu etwas fortgeschrittenerer Stunde ziehe ich weiter zur Fuckin Yeah DJ-Night ins Polka. Yeah man – fuck any thoughts about Bachelorarbeitsnotenbekanntgaben. Ich tanze mich ins Jetzt, das tut gut.

Deshalb muss ich am Samstag erstmal lange ausschlafen, was für mich routinierte Frühausteherin schon eine echte Herausforderung darstellt. Ich bin fast ein bisschen froh, dass ich gegen 14 Uhr für die super+ Unholzer Open Ateliers aufgehübscht sein muss. Hier gibt es Kreativität aus den Bereichen Bildhauerei, Design, Architektur, Mode und Filmkunst in einer ehemaligen Trachtenfabrik zu bestaunen. Außerdem verspricht die Einladung nicht nur Essen von Ruffs Burger, sondern auch einen Swimmingpool, eine Hüpfburg und eine rauschende Afterparty bis 4 Uhr morgens.
Immer wieder muss ich mich, während ich fröhlich auf der Hüpfburg Richtung Morgen hüpfe, daran erinnern, dass es völlig egal ist, wann ich zuhause ankomme, solange ich es noch schaffe, einen Geburtstagskuchen für meine Mama zu backen, die am Sonntag Geburtstag hat.

Backen geht aber immer und so hülle ich unsere Küche im Morgengrauen am Sonntag in eine süß duftende Wolke aus Zimt, Erdbeeren und Mascarpone. Am Nachmittag wird gechillt. Punkt.

Den Montag lasse ich langsam angehen. Ich lese sogar wirklich akademischen Anspruch. „Displacement and Dispossession in the Modern Middle East“. Meine Gehirnwindungen dürfen nicht rosten und man kann nicht zu wenig informiert sein, was Flucht und Migration angesichts der aktuellen politischen Debatten angeht.
Am Abend gönne ich mir dagegen ein etwas leichteres Programm, denn G.Rag und die Landlergeschwister spielen an der Braunauer Eisenbahnbrücke. Und irgendwie fand ich die schon immer gut.

Am Dienstag lösen meine Schwester, mein Papa und ich unser Geburtstagsgeschenk ein und entführen die Mutter in die „Star Wars Identities“-Ausstellung. Ja, SIE wollte da hin – ich nur ein gaaaaaanz kleines bisschen.
Wir verlieren uns in der Unendlichkeit der Galaxien und ich hoffe insgeheim, dass sich irgendwo ein Fenster in Raum und Zeit öffnet und mich endlich nach Naboo befördert.

Allzu traurig bin ich jedoch auch wieder nicht, als ich am Mittwoch wieder in meinem eigenen Bett lande und nicht neben Anakin Skywalker. Denn so kann ich mich am Abend auf den Weg ins awi in der Müllerstraße machen, um einmal wieder in den Genuss von Matthew Austins süßer Songwriting-Kunst zu kommen, den ich zum ersten Mal auf dem letztjährigen Stadt-Land-Rock Festival gehört hatte. Träumen und Schwelgen, das geht hier wunderbar – und das bei freiem Eintritt.

Am Donnerstag bin ich deshalb auch wieder ausgeruht und voller Tatendrang. Im Kreativquartier findet ab heute beim URBAN das Sommerfest der Münchner Kunst und Kultur statt, bei dem sich „die Utopie des Matriarchats, der partizipative Lehmbau, ein Maschinenraum, der elegisch-folkloristische Rumpeljazz, ein Wegwerfdinner, die Bühnenpoesie“ weder „Ordnung, Angst noch Zwang antun“. Das klingt so spannend, dass ich es kaum erwarten kann, dass die Tore um 15 Uhr geöffnet werden.

Nach all diesen neuen Eindrücken, bin ich am Freitag ein wenig erstaunt, wie voll mein Terminplaner am Ende geworden ist, und das – und diesen Aspekt möchte ich an dieser Stelle besonders hervorheben – ohne ein einziges Mal in die Nähe eines EM-Spieles gekommen zu sein. Ich halte das für eine große Leistung, angesichts der Tatsache, dass es dieser Tage sogar möglich ist, beim S-Bahnfahren life-Zeuge des Elfmeterschießens zu werden.
Ein gebührender Wochenabschluss erscheint mir schließlich noch ein Besuch im Milla zu sein, denn dort feiert die Münchner Sängerin Lilié die Veröffentlichung ihres ersten Albums. Deren sanfte, leicht rauchige Stimme zu erstaunlich vielseitigen Songs zwischen Pop, Blues, R’n’B und Folk sind bunt wie ein sommerlicher Blumenstrauß, so wie meine Sommerlaune in dieser Woche.

Theresa Parstorfer

Foto: Cammy Liu

Zeichen der Freundschaft: Senne

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Bei Freundschaften zwischen Mann und Frau besteht die Gefahr, sich in alten Geschlechterrollen zu verstricken. Aber echte Gleichberechtigung bedeutet auch, die Freiheit zu haben einfach mal typisch Mädchen oder Junge zu sein, ohne darauf reduziert zu werden. Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Emanzipation ist wichtig. Frauen sollen und müssen im 21.
Jahrhundert die gleichen Rechte haben wie Männer. Das verfechte ich rigoros
– nicht nur, wenn es um Heidi Klum und ihre „Mädchen“ geht, die sich auf ihren
weiblichen Körper reduzieren lassen.

Trotzdem trage ich gerne Kleider mit Blümchen drauf, kichere,
wenn ich angetrunken bin, und werde rot, wenn man mir ein Kompliment macht.

Ich musste zu dem Schluss kommen, dass das in Ordnung ist, weil
die Menschen, die wirklich wichtig sind in meinem Leben – oder das werden
wollen – schon von selbst merken, dass ich nicht nur kichernd und blumig bin,
sondern dass ich weiß, dass das bürgerliche Familienmodell eine Konstruktion
des 19. Jahrhunderts ist, auf der Polarisierung der Geschlechtscharaktere
beruht und es einen Unterschied zwischen „sex“ und „gender“ gibt.

Deshalb würde auch keiner der Menschen, die mir wichtig sind,
mich als eine „chica“ bezeichnen (Spanisch für „Mädchen“, was letztendlich eine
ständige diskursive Reproduktion und Reduktion meiner Person auf mein
natürliches Geschlecht darstellen und nur den Unterschied zur männlichen Natur
hervorheben würde). Ein Anachronismus, würde man sagen. Nicht mehr zulässig im
21. Jahrhundert.

Nur Senne. Senne darf das.

Senne ist einer der besten Freunde, die ich während meines
Erasmus-Jahres in Spanien kennengelernt habe.

Senne ist ein bisschen jünger als ich, Senne weiß unglaublich
viel, ist unglaublich wortgewandt und kennt unglaublich viele Leute – was schon
eine Leistung ist, in einem Land, dessen Sprache er am Anfang des Semesters
noch weniger beherrschte als ich.

Senne verdreht die Augen und legt beim Lachen den Kopf in den
Nacken, wenn ich Angst habe, dass ich durch die Prüfung gefallen sein könnte. Und Senne hält mir ein Glas Wasser hin, wenn ich seiner Meinung nach zu viel
Sangria in zu wenig Zeit getrunken habe. Und Senne nennt mich nie bei meinem
richtigen Namen. Senne sagt immer „chica“. Dabei klingt das „i“ wie ein
leichtes Glucksen und das „c“ wie ein doppeltes „g“.

Ja, vielleicht nennt er mich nicht nur „chica“, vielleicht
behandelt er mich manchmal sogar so, aber das ist mir herzlich egal. Denn ich
weiß, dass er mich niemals im Stich lassen würde, dass er mich niemals
vergessen würde und dass er mir immer wieder zeigen wird, dass Freunde
aufeinander aufpassen. Vielleicht gerade dann, wenn ich mich selbst benehme wie
eine „chica“, für die Emanzipation ein Fremdwort mit einem „z“ und einem „p“
irgendwo in der Mitte ist. Wenn ich tatsächlich viel zu schnell viel zu viel
Sangria getrunken habe, weil ich einmal wieder viel zu schnell viel zu verguckt
war in den Jungen, der mir all die Komplimente für mein Blümchenkleid gemacht
hat und über dessen Witze ich viel zu auffällig gekichert habe. Vor Senne
schäme ich mich nicht einmal dafür, dass ich nicht umhin kann, manchmal ein
unemanzipiertes Mädchen zu sein. Vor allem dann nicht, wenn er zufällig einen
seiner Kumpels auf der Straße sieht und ihm lauthals zuruft: „eh… tío“
(Spanisch für „Onkel“).

Denn wenn ich es mir recht überlege, bin ich noch lieber
einfach ein Mädchen als irgendjemandes Onkel.

Von: Theres Parstorfer

Foto: Yunus Hutterer

Bis die Bierdosen wackeln

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Große Auftritte bei Festivals, Release-Show in der Muffathalle, Musik für Fernsehwerbung: Die Kytes sind gerade auf der Erfolgsspur – für die Junge-Leute-Seite haben sie ein WG-Konzert in Obergiesing gespielt.

Von Theresa Parstorfer

Normalerweise würde Michael Spieler, Sänger der Münchner Band Kytes, das Publikum vor dem letzten Song ihres Konzerts auffordern, „die Bude einzureißen“. Das wäre an diesem Freitagabend jedoch tatsächlich sehr schade, denn die Wohnung am Tegernseer Platz, in der das erste Wohnzimmerkonzert der Kytes stattfindet, könnte gut auf dem Cover einer Einrichtungszeitschrift für junges Wohnen abgebildet sein. Altbau, verwinkelt, aber lichtdurchflutet, hohe Decken, helles Parkett, weiße Möbel – schlicht, stilvoll und unglaublich hip.

Verena Lederer, 23, und Marie-Therese Listmeier, 22, wohnen hier und Verena hat vor mehr als einem Monat das erste von der Junge-Leute-Seite der Süddeutschen Zeitung verloste WG-Konzert gewonnen. „Das ist natürlich total cool, ich hatte noch nie eine ganze Band in meinem Schlafzimmer“, sagt sie.

Die Musik der Kytes kannte sie davor schon – die vier jungen Männer aus München noch nicht. Aber gegen 22.30 Uhr, als die Band aufgehört hat zu spielen und langsam wieder Sauerstoff durch die geöffneten Fenster strömen kann, die während des Konzerts geschlossen bleiben mussten, hat sich Michael bereits eine Jogginghose der Gastgeberin ausgeliehen und unterhält sich lachend mit ihren Freunden.

Verenas Freunde bevölkern die beiden Schlafzimmer, den Gang und die Küche, in der liebevoll zubereitete Häppchen und die Getränke bereitstehen. Das Bier steht in der Dusche, sodass jeder, der kein Bier will, erst einmal den Toilettenbesuch ankündigen sollte, bevor er die Tür hinter sich schließt. Vier Paletten Dosenbier hat ein Harlachinger Brauerei-Start-up an diesem Abend vorbeigebracht. Die Gründer des jungen Unternehmens versorgen die Kytes auf ihren Touren mit dem in der „Garagen-Brauerei“ hergestellten Hellen.

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„Das ist natürlich total cool, ich hatte noch nie eine ganze Band in meinem Schlafzimmer“, sagt Verena Lederer (Foto oben).  Für das WG-Konzert der Kytes hat eine Münchner Start-up-Brauerei Getränke zur Verfügung gestellt – so was nennt man dann vermutlich Bierdusche. Fotos: Yunus Hutterer

Zwei Stunden zuvor: Das ohrenbetäubende Schrillen der Klingel will gar nicht mehr verstummen. Das ist keine Metapher. „Ach, das passiert manchmal“, sagt Verena und läuft barfuß in ihrer kurzen Lederhose und dem leicht bauchfreien, geblümten Oberteil die Treppe hinunter, um die Klingel zu reparieren, die sich manchmal verklemmt, wenn man zu fest draufdrückt.

Die Gäste werden immer zahlreicher und man drückt sich die Türklinke in die Hand. Auch das keine Phrase: Auf einmal hält Michael, der Sänger der Kytes, den inneren Griff der Tür in der Hand. Das passiert wohl manchmal. Schallendes Gelächter.

Timothy Lush, der Schlagzeuger, baut gerade die letzten Drums auf. Auf der größten steht „Not Blind Freddy“. Blind Freddy – so hießen die Kytes bis vor ein paar Jahren. Aber dann: neuer Name, neues Image, neuer Sound. Doch nach wie vor ganz viel Vertrauen von vier langjährigen Freunden in den gemeinsamen Wunsch, wirklich gute und erfolgreiche Musik zu machen.

Dass sich dieser Schritt gelohnt hat, zeigt sich an dem sich anbahnenden Erfolg der jungen Band: die Single „On the run“ von den Kytes läuft derzeit im Fernsehen als Hintergrund der Fernsehkampagne eines Mobilfunkanbieters. Im März standen die vier Musiker in Austin, Texas, beim SXSW 2016 auf der Bühne, dem größten Music-Showcase-Festival der Welt. Für den Rest des Jahres sind weitere 36 Konzerte geplant, unter anderem beim Melt! Festival, dem MsDockville und bei ihrem CD-Release-Konzert im Oktober in der Muffathalle.

Dass sich Michael Spieler, Timothy Lush, Kerim Öke und Thomas Sedlacek trotzdem nicht zu schade sind, ohne große Planung ein Wohnzimmerkonzert zu spielen, zeigt, was der wirkliche Charme der Band ist: Ohne Starallüren, unverfälscht und witzig machen sie ihr Ding – und das ist Gute-Laune-Musik irgendwo zwischen Indie-Pop und Rock mit überraschend vielfältigen, elektronischen Einflüssen, sodass sich die Musik nicht unbedingt in eine bestimmte Schublade stecken lässt.

An diesem Abend klingt das Ganze natürlich noch einmal ein bisschen anders. Nicht nur, weil da nur ein kleiner Verstärker in Verenas Schlafzimmer steht und dieser der Nachbarschaft zuliebe nicht auf volle Leistung aufgedreht wird und der elektronische Teil der Musik fehlt, sondern auch, weil die Band nicht ganz vollständig auftreten kann. Kerim, der zweite Gitarrist, ist krank geworden, und „ein Dude von vier Dudes ist dann doch ganz schön viel“, sagt Sänger Michael bei der Eröffnung des Konzerts. „Aber er wäre auch viel lieber hier“, beeilt er sich zu sagen. Wieder wird gelacht.

Zumindest für das Raumproblem ist die kleinere Besetzung beinahe ein Glücksfall, denn das Schlagzeug steht eng an den Schreibtisch gedrängt, für wildes Tanzen ist kaum Platz. Einen „Mini-Pogo“ bekommt das begeisterte Publikum dann aber doch hin, unterstützt von Michael selbst, sodass die Bierdosen neben den feinsäuberlich geordneten Lippenstiften in einem Karton auf dem weißen Schminktischchen bedenklich wackeln.

Bis zum Ende des Gigs fallen aber nur ein Bild von der Wand auf den Schreibtisch und ein paar von Verenas Ketten und Ohrringen auf den Boden. Zumindest nach der knappen Stunde Kytes-Genuss steht die „Bude“ noch – und ein Foto von dem Zimmer, dem Band-Equipment und den leeren Bierdosen würde sich gut machen auf dem Cover von „junges wildes Wohnen“.