Simon Schötz war erfolgreicher Testfahrer, dann kündigte er. Jetzt produziert er elektronische Musik – für die USA, denn Dubstep tut sich in München schwer
Schwitzende Menschen. Tanzend wie in Trance. Eine meterhohe Wand aus Lautsprechern. Nebel. Blitzlichter. Eine Alarmsirene, ein Schrei, und dann: Bass. So tief, dass man ihn nicht mehr hört. Man spürt ihn, und das so heftig, dass sich Nackenhärchen aufstellen, dass das Atmen schwerfällt, dass manchmal sogar die Sicht ein wenig verschwimmt. Schnitt. Ein Wohnzimmer, mit Schwarzlicht ausgeleuchtet. Eine kleine Gruppe junger Menschen sitzt entspannt auf Bett und Boden. Im Vordergrund Turntables, eine Kamera überträgt das Geschehen live ins Internet.
An den Decks in beiden Welten: Simon Schötz alias „Busted Fingerz“. Der 28-jährige Münchner produziert Dubstep, ein Subgenre der elektronischen Musik, das dem breiten Publikum meist nur durch einen kurzen Hype im Jahre 2011 bekannt ist. „Wenn man Dubstep sagt, denken alle sofort an Skrillex“, sagt Simon in bairischem Dialekt. Denn das war der US-amerikanische DJ und Produzent, der das Genre kurzzeitig in die Charts und Clubs brachte. Doch der ursprüngliche Dubstep, wie auch Simon ihn produziert, ist minimalistischer, weniger aggressiv und noch stärker fokussiert auf das Kernelement, den Bass, der tief wabernd auf teilweise unhörbaren Frequenzen spielt.
Aufgewachsen ist Simon in der Nähe von Straubing. Durch seinen Vater, von Beruf Volksmusikpfleger, hat er seit frühester Kindheit Kontakt zur Musik. Mit der urtümlich bayerischen Musik allerdings „hab’ ich nie was anfangen können“, sagt er. Simon trägt Kapuzenpulli, Mütze und eine auffällige Brille. Zehn Jahre lang lernte Simon Klavier und spielte Posaune in der Schulbigband. Mit Ende der Schulzeit jedoch „hat sich das alles verlaufen. Aber Musik kriegst du halt nicht raus. Selbst wenn ich nur fünf Minuten ins Zimmer reingelaufen bin, um was zusammenzupacken, hab’ ich die Stereoanlage eingeschaltet und irgendwas laufen gelassen.“ Über einen Freund entdeckte er den Dubstep, kaufte sich Produktionssoftware und arbeitete sich in die Grundlagen ein.
Doch professionell Musik zu produzieren, daran dachte Simon damals noch nicht. Er machte eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker und zog für eine Arbeitsstelle nach München. Er arbeitete sich hoch, wurde Testfahrer und übernahm mehr und mehr Verantwortung. „Der Job ist geil“, erzählt er, „in irgendeinem Februar vor drei oder vier Jahren bin ich durch sechs Länder gekommen, das war schon krass.“ Allerdings machten ihm der entwurzelte Lebensstil als Testfahrer und vor allem die mangelnde Wertschätzung durch seine Vorgesetzten zu schaffen.
Zu einem Ende kam all das 2013. Bei der Arbeit an der heimischen Kreissäge verlor er das vorderste Fingerglied von Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand. „Im Leben kann dir jederzeit was passieren. Du hast da überhaupt nicht die Kontrolle drüber“, sagt er in ruhigem, abgeklärten Tonfall, „das hat mich zum Umdenken gebracht.“ Heute bezeichnet er den Unfall als „glückliche Fügung“. In der U-Bahn sah er ein Plakat der Deutschen Pop und beschloss, von diesem Moment an das zu machen, was ihm „wirklich liegt“. So begann Simon ein Studium in „Music Technology“. Ein mutiger Schritt, hatte er zuvor noch keinen einzigen Song produziert.
„Eine Guideline und Leute, mit denen ich reden konnte.“ So beschreibt er das, was die Privatakademie ihm nach wie vor bietet. Denn das Wichtigste ist hierbei Eigeninitiative. Doch das sieht Simon eher positiv. „Ich bin kein Akademiker im Sinne des deutschen Systems, weil ich nicht auf eine Abschlussarbeit hin lernen kann“, erklärt er, „aber wenn mich was interessiert, dann les’ ich mich ein bis zur atomaren Ebene.“ Doch auch nach Beginn des Studiums dauerte es noch mehr als ein Jahr bis zum Release der ersten Songs. „Ideen hab’ ich schon immer gehabt, und mich hat es extrem geärgert, dass ich die nie umsetzen konnte. Aber nach viel trial and error macht’s halt dann Schnack.“
Das „Schnack“ in Simons Karriere passierte im Internet, auf der Streaming-Plattform Twitch. Der erfolgreiche US-amerikanische Dubstep-Produzent „The Widdler“ entdeckte seine Musik und gab ihm in einem Livestream Feedback. „Das hat mir sehr geholfen, weil du da halt wirklich Leute hast, die deine Musik hören und Ahnung von deiner Musik haben.“ Denn auch unter den Zuschauern des Streams waren große Namen der Szene. „Du triffst viele Leute, mit denen du Collabs machen kannst. Dadurch lernst du auch wieder viel, weil du siehst, was die für Produktionen machen.“ Denn Leute zu treffen, die die gleiche Musik hören oder sogar produzieren, ist für Simon nicht einfach. „Die Musik ist sehr speziell. Man tut sich schwer, andere da mit reinzuziehen.“ Zusätzlich stellt der Dub-step durch den Fokus auf den massiven Bass besondere Anforderungen an Locations. „Eine normale Club-Anlage hält da nicht mit“, sagt Simon, „jeder Veranstalter, der so was spielen möchte, bringt mindestens Zusatzboxen. Am geilsten ist es auf einem Soundsystem.“ Ein Soundsystem, das sind meterhohe Boxen-Wände, die die Leistung einer Club-Anlage oft um das Zehnfache übertreffen.
Besonders in München ist es für Newcomer wie Simon schwer, Zugang zur lokalen Szene zu finden. „Die machen halt nur für sich die Party, und damit die Leute kommen, buchen sie größere Namen von außerhalb“, sagt er, „support your local artist“ gebe es in München nicht. „So bleibt die Szene bei denen – und wenn es die nicht mehr gibt, dann ist die Szene auch weg.“
Erfolg hat Simon dennoch. Er produziert Tracks für zwei US-amerikanische Labels und legt zusammen mit seinem Bruder auf Underground-Festivals auf. Vergangenen Monat spielte er seinen ersten Support-Auftritt – in Nürnberg.
Gerade schreibt er an seiner Abschlussarbeit. Sein Wunschziel danach: ganz klar Berlin. „Ich war von meinem Studium aus schon in vielen Städten unterwegs, und da hat mir Berlin am meisten gefallen. In Berlin ist Dubstep jetzt auch nicht so mega riesig, aber da hast du wenigstens die Zugangspunkte.“
Von der Musik leben kann und will Simon jedoch noch nicht. Eine Arbeit als Testfahrer kommt für ihn allerdings nicht mehr in Frage. Denn die Wochenenden möchte er sich freihalten für seine Leidenschaft: den Bass.
Foto: Alessandra Schellnegger
Text: Maximilian Mumme