Bitte nicht berühren

image

Als deutsche Frau mit krausen Haaren hat man häufig mit Klischees zu kämpfen – und mit Menschen, die sie anfassen wollen. Meki Fekadu und Linda Nübling haben deswegen das Projekt „Gurlz with Curlz – we are more than stereotypes“ umgesetzt.

Am Anfang hat sie geschwiegen. Kein Wort darüber verloren. Stattdessen hat sich Linda Nübling, 29, ihre Haare regelmäßig geglättet. „Das Thema, schwarz zu sein, habe ich ausgeklammert, verdrängt“, sagt sie heute. Sie sei sich sicher, „dass ich genau deshalb meine Haare geglättet habe, um nicht aufzufallen. Was im Nachhinein eine sehr traurige Erkenntnis für mich war. Aber das Schweigen habe ich jetzt gebrochen“, sagt die Kommunikationsdesignerin aus München. Heute trägt sie ihre Locken fast schulterlang und offen. Zusammen mit der Fotografin Meki Fekadu, 21, die ähnliche Erfahrungen gemacht hat, realisierte sie das Projekt mit dem Namen „Gurlz with Curlz – we are more than stereotypes“.

In Zusammenarbeit mit dem Coexist.Collective, das Künstlern eine Plattform bietet, um ihre Ideen in die Tat umzusetzen, verwandelte sich ein Brillenfachgeschäft in der Schellingstraße zu einem kleinen Ausstellungsraum. Im Schaufenster: zwölf Fotografien, die Detailaufnahmen von krausem und gelocktem Haar zeigen. Zusammen bilden diese Fotos einen großen Afro. Doch dieser große Afro, der sich wie ein Mosaik aus den verschiedenen Haararten zusammenfügt, ist nur die eine Seite. Beim Betreten des Ladens konnte man die Rückseite der einzelnen Haarfotografien sehen: Porträts von Frauen. Jede von ihnen mit einem anderen ethnischen Hintergrund. Mit unterschiedlichen Haarstrukturen, individueller Ausstrahlung und Persönlichkeit. Zusätzlich wurden auf dieser Seite Informationen zu den porträtierten Frauen verraten: Name, Alter, Beruf und ein themenbezogenes Zitat, wie etwa: „Black women’s biggest hair problem is that they think their hair is a problem.“ Die Frauen wurden ohne Make-up und mit offenem Haar fotografiert. Das war Linda sehr wichtig. Man merkt, dass die Models sich vor der Kamera wohl gefühlt haben, so entspannt wirken sie auf Mekis Fotos.

Bei „Gurlz with Curlz“ geht es aber um mehr als „nur“ um Haare. Das Konzept der Ausstellung hat Linda im Zuge der Gründung ihres Grafikstudios, des Studios Nüe, entwickelt. Ausschlaggebend waren ihre eigene Biografie und persönliche Erlebnisse. „Ich habe es lange vermieden, über meine Hautfarbe zu sprechen, weil ich wollte, dass es egal ist“, sagt sie. Als deutsche Frau mit ethnischem Hintergrund, wie sie es nennt, habe man häufig mit Klischees zu kämpfen. „Man wird auf Basis von stereotypischen Merkmalen verwechselt. Manche Leute denken, dass man miteinander verwandt ist.“
 Beide, Meki und Linda, berichten davon, dass es ihnen oft passiert, dass fremde Menschen sie fragen: „Darf ich mal deine Haare anfassen?“ Die Folge: „Wenn man auf die Frage mit Nein antwortet, stößt das bei vielen auf Unverständnis“, sagt die Kommunikationsdesignerin. Das Verhältnis zu ihren Haaren, so Linda, führte sie vor zwei Jahren zur Auseinandersetzung mit ihrer Identität.

Mit der Ausstellung wollte sie die Gesellschaft auf das Thema aufmerksam machen. Oft sei zu wenig Bewusstsein darüber vorhanden, wie bestimmte Fragen oder Anmerkungen auf das Gegenüber wirken und welche Gefühle dies auslösen kann. Eine naive Frage kann rassistisch sein, denn: „Die Menschen sollen mehr Empathie und Sensibilität entwickeln.“ Viele würden nicht merken, dass das Anfassen der Haare oder die Frage nach der ursprünglichen Herkunft ein Eindringen in die Privatsphäre ist und mit persönlichen Geschichten verbunden sei, die man nicht sofort jedem erzählen möchte. Würde man einer blonden Deutschen einfach in die Haare fassen? Deutsch und schwarz sein, das passt für manche Menschen nicht zusammen.
 Kennengelernt haben sich Linda und Meki im März 2017. Linda hat damals im Köşk ausgestellt, ihre Arbeiten sind autobiografisch, die Themen Identität und Rassismus tauchen hier bereits auf. Ein Freund von Linda, Emanuel Amoako-Jansen, zeigt dort Fotos von seiner Ghana-Reise. Er kennt Meki und möchte sie unterstützen, fragt sie, ob sie nicht auch Arbeiten von sich zeigen möchte. Hier also treffen Meki und Linda aufeinander. Zwei Frauen, die sich an unterschiedlichen Stationen in ihrem Leben befinden. Die eine beginnt bald ihr Studium in Berlin, die andere etabliert sich mit ihrem Grafikstudio.

Später bekommt Linda die Möglichkeit, im Funk-Optik-Store auszustellen. Das Konzept hatte sie bereits vor Augen, es musste nur noch umgesetzt werden. „Meki ist eine sehr talentierte Fotografin, mir gefiel ihr Blick auf Menschen.“ Dazu kam, dass die Fotografin die Thematik selbst gut nachempfinden konnte. Die Models, die für „Gurlz with Curlz“ porträtiert wurden, sind Freundinnen von Meki und Linda. Sie konnten sich mit dem Konzept identifizieren und waren dankbar, ein Teil des Projekts sein zu dürfen. Ein Gefühl von gemeinsamer Stärke entstand während des Shootings. „Das war fast wie eine Erleichterung, darüber zu sprechen. Ich wollte diesen Frauen eine Stimme geben und selbst nicht mehr schweigen“, sagt Linda.

Haare als etwas Persönliches und Emotionales. In den USA behandelte Solange Knowles mit ihrem Song „Don’t touch my hair“ die subtile Herabsetzung, der sich schwarze Frauen aufgrund ihrer Haare oder anderer Äußerlichkeiten oft ausgesetzt fühlen müssen. Dieser Song, der Anstieg von Gewalt gegen afroamerikanische Bürger in den USA, Filme wie „Moonlight“ und „Hidden Figures“ haben Linda geprägt. Jetzt hat sie ihre Weise gefunden, diese Problematiken anzusprechen und damit einen Dialog auf Augenhöhe zu suchen. „Stereotypen und Klischees sollten endlich der Vergangenheit angehören“, sagt sie.

„Ich bin noch nie irgendwo hingekommen, ohne dass ich gefragt wurde, ob man meine Haare anfassen darf.“ Meki empfand es lange als normal, darauf angesprochen zu werden. „Früher hieß es auch manchmal: Du bist aber hübsch für eine Schwarze.“ Erst in der Zusammenarbeit mit Linda merkt sie, dass es nicht normal ist, derartige Fragen gestellt zu bekommen. Dass man das auch gar nicht akzeptieren muss. „Es ist schade, dass man wegen seiner Hautfarbe manchmal, zum Beispiel bei Bewerbungsgesprächen, anders eingestuft wird. Man muss erst etwas beweisen, bevor man akzeptiert wird.“ Für ihre Fotografien lässt sie sich gern von Musik inspirieren. Vor kurzem fotografierte sie eine Serie, die Komplexion-Series, in Anlehnung an den gleichnamigen Song von Kendrick Lamar. „Ich wollte diese Gefühle visualisieren“, erklärt sie. Komplexion ist das englische Wort für Teint. So wortgewaltig wie Lamars Songtext ist, so stark und ergreifend sind Mekis Fotografien dazu. Auf ihrem Instagram-Account Zombienanny kann man die Bilder der Serie sehen. „Trotzdem soll das jeder für sich interpretieren. Wenn man das Album von Lamar kennt, versteht man die Serie vielleicht ein bisschen besser“, sagt die 21-Jährige.

Menschen sind nicht alle gleich, jeder ist anders und auf seine Weise einzigartig. „Wir können aber alle gleich und respektvoll behandeln“, sagt Linda.

Text: Ornella Cosenza

Foto: Sebastian Krawczyk

Gefunden

image

Eine Musical-Bühne ist ein hartes Pflaster. Ein Engagement bekommen nur die Besten – und oft auch nur dann, wenn sie bestimmte Stereotypen erfüllen. Vanessa Ehmann passt nicht in vorgefertigte Rollen, deshalb inszeniert sie ihr eigenes Musical.

München/Wien – Das Showbusiness ist mit Sicherheit ein hartes Pflaster. Ob in Hollywood, am Broadway oder in Wien am Konservatorium. Ob Theater, Film oder Musical. Das Aussehen ist oft wichtig – als Darsteller muss man in eine Rolle passen. Entspricht man jedoch nicht den gängigen Klischees, dann hat man es schwer. Dem Klischee der zierlichen Hauptdarstellerin entspricht Vanessa Ehmann, 26, nicht. Sie ist nicht blond, sie ist nicht klein und sie besitzt keine Modelmaße. Aber das Musical ist ihre große Leidenschaft – und Darstellerin zu sein ihr Traumberuf.

Schon zu Schulzeiten spielte sie im Schülertheater ihres Gymnasiums mit. Während ihres Magisterstudiums in Theaterwissenschaft in München, stand sie für das Nachwuchsförderprojekt des Theaters am Gärtnerplatz auf der Bühne, nun hat sie ihr künstlerisches Diplom am Konservatorium in Wien absolviert. Eigentlich beste Voraussetzungen für einen Einstieg in die professionelle Musical-Branche, aber Vanessa weiß: „Oft entscheidet nicht das Talent, sondern wie bekannt der Name schon ist, ob man eine Rolle bekommt oder eben nicht.“

Vanessa hat dunkelbraune Haare, hellgrüne Katzenaugen und ein Muttermal über der Oberlippe. Als sie von den Schwierigkeiten in ihrer Traumbranche berichtet, kann man ihre Empörung nicht übersehen. Sie reißt die Augen auf, ihre Stimme wird ein wenig heller und sie spricht plötzlich schneller. Junge Nachwuchsdarsteller hätten einfach keine Chance. Deswegen hat die 26-Jährige mit zehn Freunden und Kollegen einen eigenen Musical-Verein gegründet. Die Idee entstand bei einem Workshop für Musical und Operette von Andrea Mellis, im Moment sind die Mitglieder mit der Produktion des ersten eigenen Musicals beschäftigt. So können sich die „Aspiring Artists on Stage“ als Darsteller beweisen und den üblichen Vorsprechen entgehen.
Die jungen Musicaldarsteller stehen nicht nur auf der Bühne, sondern setzen sich mit jedem Aspekt einer professionellen Inszenierung auseinander: Verlagsrecht, Licht, Kostüm, Bühnenbild und Finanzierung. Doch es steht fast kein Budget zur Verfügung. Mit der Organisation von zwei Karaoke-Abenden mit Klavierbegleitung konnten sie Spendengelder sammeln. Seit Anfang August laufen die Proben von „City of Angels“ in einem Pfarrheim in Wien, das seine Räumlichkeiten kostenfrei zur Verfügung stellt. Die Premiere ist für den 3. September im Off-Theater geplant. Auch hier konnten Vanessa und ihr Team einen Sonderpreis für die sechs Vorstellungen aushandeln. „Uns ist klar, dass es dieses Jahr wohl noch keine Gage geben wird. Eine Eintrittskarte kostet zwischen 20 und 25 Euro. Der Saal hat etwa Platz für hundert Besucher. Erst mal müssen die Fixkosten gedeckt werden“, sagt sie. Außerdem hoffen die Darsteller, dass sie durch das selbst organisierte Stück nun auch beim Vorsingen für andere Produktionen größere Erfolgschancen haben als bisher.
Durch die Erfahrungen, die Vanessa schon vor ihrem Musical-Studium an verschiedenen Theatern gesammelt hat, weiß sie auch, was hinter der Bühne abläuft, kennt sich aus mit den in ihrer Branche gängigen Klischees. Sie hat ihre Magisterarbeit über die vier Archetypen im musikalischen Theater geschrieben. Dabei hat sie den Stimmlagen immer wieder vorkommende Rollen zugeordnet: Sopran, das Mädchen von nebenan; Mezzo, die Belt-Hexe; Tenor, der Held; Bass, der Unnahbare. Die Belt-Hexe, das war früher oft Vanessas Rolle.

Dennoch: Es scheint sich etwas zu bewegen in diesen festgefahrenen Klischees, die sehr von Äußerlichkeiten bestimmt sind. „Vor allem in der Broadway-Szene gibt es mittlerweile viele Musicals, die mit diesem Schema brechen. Es ist für jeden eine Nische da, in die er auch hineinpasst“, sagt Vanessa. Leider ist diese Art von Experimentierfreudigkeit noch nicht nach Deutschland übergeschwappt. Vielleicht wird das noch kommen, schließlich hat sich die Form des Musicals selbst auch erst in den vergangenen Jahren in Deutschland etablieren können. Doch noch immer werden Musicals eher als reine Unterhaltung betrachtet.

Aber auf die langsame Weiterentwicklung und Öffnung des deutschen Musicals will Vanessa nicht warten. In dem von Cy Coleman komponierten Stück „City of Angels“, das ihr Verein Aspiring Artists on Stage inszeniert, spielt sie die Hauptrolle.  

Stefanie Witterauf

Foto: Teresa Mitmahser

Mehr Information unter: www.aspiring-artists.at