Vollstes Vertrauen

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Zehn junge Fotografen treffen auf zehn junge Menschen mit Bühnenerfahrung. Das Ergebnis: „10 im Quadrat Reloaded“ – eine Ausstellung im Farbenladen des Feierwerks.

Kein Mensch ist im Raum. Der kleine Konzertsaal im Gasteig ist komplett leer. Reglos liegt sie in der Mitte der Bühne, die langen blonden Haare über dem Gesicht verteilt, das Kabel des Mikrofons schlängelt sich um ihre Hüfte. Der dunkelrote Rock aus Samt leuchtet unter dem Licht der Scheinwerfer. Lotte Friederich posiert gerade für Diego Reindel. Er fotografiert die junge Frau, die an der Hochschule für Musik und Theater Jazz-Gesang studiert, für die zweite Auflage der Ausstellung „10 im Quadrat“.

Nach dem Erfolg des Ausstellungskonzepts im vergangenen Jahr, wird die Rechnung im März nun erneut aufgestellt: Zehn junge Fotografen treffen auf zehn junge Künstler. Wer sind eigentlich die jungen kreativen Köpfe dieser Stadt? Was bewegt diese Menschen, wenn sie nicht auf der Bühne stehen oder hinter der Kamera? Und was passiert, wenn diese Menschen für ein kreatives Projekt aufeinandertreffen? Das Ergebnis dieser Begegnungen zeigt die Junge-Leute-Seite der Süddeutschen Zeitung vom 3. März an im Farbenladen des Feierwerks. Mit einer spannenden Neuerung: Die Fotografen versuchen, zusätzlich ein Selbstporträt im Stil der eigenen Fotostrecke zu schießen, und dieses ebenfalls auszustellen.

Bei Diego Reindel wird dies vermutlich surreal aussehen. Á la Salvador Dalì in etwa. Er fotografiert alle Models an ihrem Lieblingsort, mit ihrem Lieblingsgegenstand, in ihrer Lieblingskleidung. Ob auf der Bühne wie bei Lotte oder in der Badewanne wie bei Singer-Songwriterin Amira Warning – je ausgefallener, desto besser. „Ich will skurrile, aber einzigartige und witzige Bilder von den Künstlern schaffen“, erklärt Diego. Er liebe es, wie unterschiedlich Menschen doch sein könnten.

Dass man es bei diesem Projekt mit unterschiedlichen Charakteren zu tun hat, das hat auch Lara Freiburger schnell gemerkt. „Alle haben ein ganz unterschiedliches Verhalten vor der Kamera. Manchmal muss man die Leute erst auflockern.“ Lara hat die Models einzeln in ein lichtdurchflutetes Fotostudio in Giesing eingeladen. Die Vorgabe: den eigenen Schlafanzug mitbringen – das Shooting findet in einem Bett statt. „Die Herausforderung besteht für mich darin, zehn Menschen zu fotografieren, die ich nicht kenne, und dabei Vertrauen aufzubauen, sodass ein persönliches Porträt entstehen kann“, sagt Lara. Es sei aber eine schöne Erfahrung, mit unprofessionellen Models zu shooten. „Ich will, dass du mehr chillst“, sagt sie mit einem Lächeln und der Kamera vor dem Gesicht zu Natanael Megersa, während dieser im Schlafanzug vor ihr sitzt. Er hat seine Schlafmaske mitgenommen. „Ich geh ja manchmal auch erst um 6 Uhr morgens schlafen“, sagt der DJ. Während Lara konzentriert Anweisungen gibt und aus verschiedenen Positionen fotografiert, plaudert sie ein bisschen mit Natanael über das Leben als DJ. Viele würden sich wegen Drogen einiges versauen in dem Job, sagt er. „Stop!“, ruft Lara. „Bleib genau so“, sagt sie ruhig. Und drückt ab.

Musik, Schauspiel oder Stand-up-Comedy – aus diesen künstlerischen Bereichen kommen in diesem Jahr die Models. Was die Künstler eint: Sie alle sind zwischen 20 und 27 Jahre alt. Sie stehen regelmäßig vor Publikum. Sie haben keine professionellen Modelerfahrungen. Dementsprechend wichtig ist es, dass eine gute Stimmung herrscht und dass sich ein gegenseitiges Vertrauen einstellt. Von Anfang an wohlgefühlt hat sich Leon Haller, Schauspielstudent der Theaterakademie August Everding, beim Shooting von Alina Cara Oswald. „Sie hat eine tolle Präsenz“, sagt der Schauspieler, der nicht nur auf der Bühne des Residenztheaters im Stück „Die Räuber“ zu sehen ist, sondern ab und zu auch an den Turntables der Roten Sonne oder des Harry Kleins steht.

Alina hat den Models drei Möglichkeiten für das Shooting gegeben: bekleidet, nackt oder bei einem Orgasmus. Am liebsten mag sie die letzte Option. Wie in ihrer Fotoserie „Moments“, bei der sie Menschen während des Höhepunktes fotografierte. Ihr sei aber klar, dass es „nicht einfach ist, so etwas zu machen, wenn man sich noch fremd ist“. Nur wer sich dabei wohlfühlt und sich traut, darf das machen. Die 25-Jährige projiziert für die Fotos unterschiedliche Muster auf die Körper der Künstler. Dabei lässt sie sich von der Persönlichkeit der Künstler inspirieren. Sie sollen zum Charakter der Porträtierten passen. „Was innen ist, soll nach außen getragen werden“, sagt sie. Vor dem Shooting sucht Alina gemeinsam mit den Models nach geeigneten Mustern.

Die Persönlichkeit und Gefühlswelten der Künstler stehen auch in den Fotografien von Nadja Ellinger im Vordergrund. Zentrales Thema ihrer Arbeiten für die Ausstellung ist Zerbrechlichkeit. „Wann hast du dich schwach gefühlt?“, ist eine von den Fragen, die Nadja den Models vor dem Fotografieren in einem intensiven Gespräch gestellt hat. „Ich habe teilweise extrem persönliche Dinge über die Models erfahren“, erzählt sie. Auch deshalb handelt es sich bei ihren Fotografien um Symbolbilder. Sie zeigen nur Ausschnitte des Körpers der fotografierten Person. „Es ging mir darum, das Gefühl der Künstler auszudrücken und Verletzlichkeit als etwas zu zeigen, das einen ausmacht. Nicht als etwas Negatives.“ In Sozialen Medien und im echten Leben verstecke man diese Seiten gerne, erklärt sie. Gleich wird Nadja die 21-jährige Schauspielstudentin Anouk Elias im Körperraum der Otto-Falckenberg-Schule fotografieren. „Morgens machen wir hier drin Aikido, Thai Chi und so was“, erklärt Anouk, während sie sich eine schwarze, weite Hose für das Shooting anzieht. Nadjas Konzept findet sie spannend. „Als Schauspielstudentin muss man sich sehr viel mit sich selbst auseinandersetzen.“

Auf eine ähnliche Art der Auseinandersetzung hat Lorraine Hellwig gesetzt und den Models als Menschen der Generation Y Fragen zu ihrer Einstellung zu Themen wie Liebe, Religion oder Politik gestellt. Die Statements der Künstler sind als Schriftzug Teil des Porträts. Alle hätten sehr unterschiedlich auf die Fragen geantwortet, das sei das Spannende an der ganzen Sache. „Ich denke, der Antrieb und die Neugier, neue Leute kennenzulernen, ist die Kraft, die man bei diesem Projekt schöpft“, sagt die 24-Jährige.

So ganz ohne Reibung geht es auch in diesem Jahr nicht. Für Anouk Elias war die Vorstellung, mit Essen zu spielen, nicht mit ihrer Sicht auf Nahrung vereinbar. Das Essen aber ist in den Porträts von Julie March ein essentieller Bestandteil – bunt und ein bisschen verrückt sollen die Fotos sein. Wie die Künstler das Essen dabei inszenieren und was sie damit machen, stellt sie den Models frei. Nachdem Julie Anouk dann erklärt hatte, dass sie das fotografiert, „was der jeweilige Künstler mit dem Essen macht“, und es nicht darum geht, sich mit dem Essen zu behängen, stimmte Anouk am Ende doch noch zu.
 Nur noch wenige Tage bis zur Eröffnung der Ausstellung. Die Rechnung geht auf, zu 100 Prozent.

Text: Ornella Cosenza

Foto: Catherina Hess

Düsseldorfer Durchstarter

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Täglich porträtieren wir an dieser Stelle eine(n) der 20 mitwirkenden
KünstlerInnen unserer “10 im Quadrat”-Ausstellung im Farbenladen – mal
Fotograf, mal Modell. Heute: Schauspieler Kjell Brutscheidt.

Kjell
Brutscheidt, geboren 1996 in Düsseldorf, liebt es, auf der Bühne zu
stehen. Bereits während seiner Schulzeit sammelt er erste
Theatererfahrungen am Düsseldorfer Schauspielhaus. Vor drei Jahren
begann er sein Schauspielstudium an der Theaterakademie August Everding
in München. Dort wirkte er in Stücken wie „Die Schöne und das Biest“,
„Hauptsache Arbeit!“ oder „Die ganzen Wahrheiten“ mit. Momentan spielt
Kjell im Stück „Die Räuber“ von Friedrich Schiller am Münchner
Residenztheater (Regie: Ulrich Rasche). Diese Inszenierung wurde zum
diesjährigen 54. Berliner Theatertreffen eingeladen.

Die Ausstellung “10 im Quadrat” ist an allen Wochenenden im Mai, samstags von 16 – 22 Uhr, sonntags von 16 – 20 Uhr, im Feierwerk Farbenladen geöffnet. Neben den Fotografien werden Konzerte, Lesungen und Diskussionen veranstaltet. Für weitere Infos klickt unsere Junge-Leute-Facebookseite.
Der Eintritt ist frei.

Text: Amelie Völker

Foto: Michael Färber

Zeichen der Freundschaft: Analog connected

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Seitdem der technikverweigernde Jugendfreund unseres Autors nach Leipzig gezogen ist, herrscht so gut wie Funkstille zwischen den beiden. Trotzdem schaffen sie es, ihre Freundschaft am Leben zu halten – durch eine eher analoge Herangehensweise.

Er ist mehr Neandertaler als Weltenbürger des 21. Jahrhunderts. Einen
Computer besitzt er nicht, auch keinen Laptop, geschweige denn ein Tablet oder
ähnlich smarte Scheiben. Sein Mobilfunkgerät stammt noch aus Zeiten, in denen
dieser altertümliche Begriff noch üblicher war als das Wort Handy oder gar
Smartphone. Aus einer Zeit weit vor der Erfindung des World Wide Web. Einen
Festnetzanschluss besitzt er auch nicht, und somit bleibt im Grunde nur der
Briefkasten als Pforte zur Außenwelt.

Und auf den
bin ich im Fall meines Freundes Philipp ziemlich angewiesen, um mit ihm nur
irgendwie in Kontakt zu bleiben. Denn er ist weggezogen, nach Leipzig, um dort
seinen Weg als Theaterschauspieler zu machen.

Damals,
bevor er aus meinem Leben so plötzlich verschwand, wie die Sonne hinter den
Wolken an einem windigen Oktobertag, taten wir beide nie viel um uns zu sehen.
Es geschah einfach. Man traf sich zufällig im Viertel und ging spontan Eis
essen. Man sah sich auf Jamaram-Konzerten, zu denen eh der gesamte
Freundeskreis pilgerte. Man klingelte mal schnell an die Haustüre, wenn man
gerade zu hochgradig lebensentscheidenden Themen einen engen Vertrauten brauchte.
Wie viele laue Sommernächte verbrachten wir gemeinsam an den verschiedensten
Lagerfeuern dieser Welt. Mal ganz stumm, jeder für sich in den Bann des Meeres
aus Flammen, Glut und Funken gezogen. Mal lauthals johlend: „Country roads,
take me to my sweet home Alabama, on a stairway to heaven“. Er über seine
Cajon, ich über meine hoffnungslos verstimmte Gitarre gebeugt. Unendlich
glücklich. Und wissend, dass auch diese Phase unseres Lebens mal vorbei sein
wird.

Kennengelernt
hatten wir uns mit 14 in der Konfirmationsgruppe, in einer Phase voller
pubertärer Verwirrung und geistiger Umbrüche, und ich denke wir halfen uns
damals gegenseitig, in dieser zunehmend absonderlich erscheinenden Welt Fuß zu
fassen. Von daher rührt noch dieses Urvertrauen, das wir seitdem ineinander
hatten und ihn zu einem meiner engsten Freunde machte.

Doch seit uns
diese eigentlich läppischen 430 Kilometer trennen, existiert unsere
Freundschaft in der Praxis so gut wie gar nicht mehr. Unser, jedoch vor allem
sein Alltag, hat mich einfach aus dem Kalender gestrichen. Ich verliere so
langsam die Hoffnung auf einen Brief, eine Mail oder zumindest eine
klitzekleine SMS von meinem guten alten Freund – und frage ich mich, was ich
wohl falsch gemacht habe, um nach Jahren voller Dauerpräsenz scheinbar so
austauschbar geworden zu sein.

Und doch,
während ich so in meinem Gedächtnis grabe und dem Menschen Philipp nachforsche,
fällt mir etwas auf: Es musste so kommen. Und es ist gut so. Denn ein
gezwungenes Kontakt-Aufrechterhalten durch regelmäßiges Schreiben und Telefonieren
hätte unsere Freundschaft auf Dauer nur belastet. Er ist einfach ein ewiger
Eigenbrötler, und ich bin es vermutlich auch. Sobald beide Seiten diesen
Charakterzug nicht allzu persönlich nehmen, kann auch solch eine Freundschaft
gleiche Intensität behalten – nur eben ist sie die meiste Zeit im
Stand-by-Modus.

Und je öfter
Philipp mal eben ganz spontan nach vier Monaten ohne jegliches Lebenszeichen im
eigenen Wohnzimmer auftaucht, die Stimmung zwischen uns genauso ausgelassen ist
wie vor fünf Jahren, er ebenso schnell wieder nach Leipzig abhaut und für eine
Zeit lang komplett abtaucht, bis sich das Ganze nach fünf Monaten wiederholt;
ja, desto weniger Sorgen mache ich mir um unsere Freundschaft. Denn es ist ein
Irrglaube, permanente gegenseitige Informationsflut über WhatsApp, Facebook
oder Skype würde eine echte, mit Händen zu greifende Freundschaft nur
ansatzweise ersetzen. Die sozialen Medien helfen dabei, gegenseitig auf dem
Stand zu halten, manchmal auch sich nicht komplett aus den Augen zu verlieren.
Doch tiefe freundschaftliche Verbundenheit können sie auch nicht erhalten –
darum muss man sich schon selber kümmern.

Und bei all
dem Sinnieren überwiegt dann doch immer wieder die Vorfreude auf den Moment,
wenn Philipp urplötzlich vor mir steht und ich erst mal drei Sekunden brauche,
um die Erscheinung vor mir zu begreifen.

Er ist meine
Sonne an einem windigen Oktobertag.


Text: Tilman Waldhier

Foto: Yunus Hutterer

„Kunst braucht Überforderung“

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Nach München zu gehen, war für Schauspielschüler Bekim Latifi, 22, ein Kulturschock. Jetzt bricht er vorzeitig seine Ausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule ab – wegen eines Engagements in Hamburg. Ein Besuch.

Alle Augen sind auf ihn gerichtet. „Diese Kuh, die blöde Fotze, Fotze, Fotze“, ruft er voller Verachtung. Bekleidet mit schwarzer Lederjacke und Schlaghose steht Bekim Latifi, 22, auf der Bühne und schreitet lässig von links nach rechts. Er ist jetzt Andreas Baader in einer Szene aus „Maria Ulrike Stuart“ von Elfriede Jelinek. Beim Szenenvorspiel in der Kammer 3 der Münchner Kammerspiele präsentieren an diesem Abend die Schauspielstudenten des dritten Jahrgangs der Otto-Falckenberg-Schule Arbeiten aus dem szenischen Unterricht. Bekims Monolog ist kurzweilig, doch in jedem Wort spürt man die Energie des Nachwuchsschauspielers, die Lust am Spielen. Die Monate an der Schauspielschule sind für ihn jedoch fast gezählt. Er wird München vorzeitig verlassen.

Es ist schwer, einen Platz an einer Schauspielschule zu bekommen. Die Bewerber: zahlreich. Die Konkurrenz: hoch. An der Otto-Falckenberg-Schule in München werden zehn bis zwölf Glückliche in einen Jahrgang aufgenommen, nach dem vierten Jahr endet die Ausbildung. Manchmal gibt es allerdings Ausnahmen, Bekim zum Beispiel. Er wird zum Sommer seine Schauspielausbildung abbrechen – er wird zur kommenden Spielzeit als festes Ensemblemitglied am Thalia Theater in Hamburg engagiert sein.

Um zu verstehen, wie es dazu gekommen ist, muss man einen Blick in die Vergangenheit werfen. Aufgewachsen ist Bekim in einer Kleinstadt in der Nähe von Dresden. Schon früh hat der junge Mann mit den dichten Augenbrauen und den braunen Augen am Schultheater mitgespielt. „Aber einfach nur zum Spaß, da wusste ich noch nicht, dass ich vielleicht einmal Schauspieler werden möchte.“ Die Begeisterung für die Schauspielkunst wächst in ihm, und deshalb sucht er nach Möglichkeiten, sich endlich auf einer Bühne ausprobieren zu können und Gleichgesinnte zu treffen. In der Kleinstadt geht das nicht. Also macht er neben der Schule bei Jugendtheaterclubs in Dresden mit. Dafür nimmt er die lange Zugfahrt in Kauf. Mehrmals die Woche.

Natürlich habe er darüber
nachgedacht, ob es das Richtige
sei, die Ausbildung abzubrechen

Nach dem Abitur bewirbt er sich an Schauspielschulen – und wird 2014 an der Otto-Falckenberg-Schule aufgenommen. Im Sommer 2016 spielt Bekim gerade mit seinem Jahrgang das Stück „Pony Camp: Troilus & Cressida“ bei einem Festival für Regie-Studenten am Thalia Theater in Hamburg. Ungefähr ein halbes Jahr später, im Februar dieses Jahres, bekommt er eine Einladung zum Vorsprechen in Hamburg. Ein Dramaturg des Hauses habe ihn vorgeschlagen. Offenbar ist er den Theatermachern in Erinnerung geblieben. Das Thalia Theater sei auf der Suche gewesen nach Schauspielern für eine neue Produktion.

Zwischen Schule und abendlichen Vorstellungen bereitet sich Bekim vor. So gut es eben geht. Anstrengend sei es schon gewesen, „aber Kunst braucht Überforderung“, sagt der Schauspielschüler. Um vier Uhr morgens macht er sich auf den Weg nach Hamburg, geht im Zug alles durch und zieht sich sogar dort schon für das Vorsprechen um. Er spürt das Adrenalin und die ungebremste Lust, gleich spielen zu können – kurz vor Hamburg-Altona konnte der Zug dann nicht mehr weiterfahren. Kein schönes Gefühl, diese Mischung aus Übermüdung, Aufregung und Zweifel. Rechtzeitig setzt sich der Zug dann doch in Bewegung, Bekim schafft es zum Termin. „Das Vorsprechen hat Spaß gemacht. Es hat auch schon welche gegeben, bei denen ich total versagt habe“, sagt er.

Bekim überzeugt in Hamburg, und das, obwohl er in seiner Ausbildung noch nicht einmal eine intensive Vorsprech-Vorbereitung hatte. Die steht erst im vierten Jahr auf dem Plan.

„Das Rausgehen passiert meist erst mit dem Absolventenvorsprechen. Da kommen Leute von außen und schauen sich die Schüler an“, erklärt Andreas Sippel, Sprecherzieher an der Otto-Falckenberg-Schule. Der 57-Jährige ist seit dreißig Jahren in der Theaterwelt unterwegs. Es könne hin und wieder passieren, dass die Theater junge Talente entdecken. Maike Droste beispielsweise erhielt ihre Ausbildung ebenfalls an der Otto-Falckenberg-Schule und ging früher. Heute spielt sie erfolgreich an verschiedenen Theatern in Deutschland, Österreich und der Schweiz und ist im Fernsehen zu sehen.
 Das Theaterhaus aus Hamburg ist nicht gerade für sein junges Ensemble bekannt: „Das Thalia nimmt selten Anfänger auf. Die besseren Chancen haben ältere Schauspieler mit Erfahrung“, ergänzt Sippel.

Für eine Produktion soll Bekim in Hamburg engagiert werden. Doch für die Probezeit so lange von der Schule freigestellt zu werden ist nicht möglich. Also wird ihm direkt ein Vertrag angeboten. Bekim nimmt an.

Natürlich habe er darüber nachgedacht, ob es das Richtige sei, die Ausbildung abzubrechen. „Das ist eine große Sache, aber am Ende ist man als Schauspielstudent insgeheim auch ein bisschen froh, wenn man beim Intendantenvorsprechen nicht dabei ist. Das ist ja schon ein richtiges Fleischgeschaue“, sagt Bekim und muss grinsen.

Ob es ihm schwer falle, München zu verlassen? „Ich freue mich auf Hamburg. Schwieriger war es, nach München zu kommen aus meiner Kleinstadt.“ Damals hat er zum ersten Mal seine Heimat verlassen und wurde auf der Maximiliansstraße – in dessen unmittelbarer Nähe sich die Otto-Falckenberg-Schule befindet – erst einmal von dem ganzen Reichtum und Schicki-Micki erschlagen. „Das war schon ein kleiner Kulturschock. Aber so ist es ja zum Glück nicht überall in München.“

Mit Dreitagebart und dem schwarzen Rollkragenpullover ist er nicht einer, der durch sein Aussehen sofort auffällt. Wohl aber durch sein Handwerk, wenn er auf der Bühne steht und in einer Rolle aufgeht. Gibt es ein Erfolgsrezept? Bekim ist überzeugt, dass man sich beim Vorsprechen selbst treu bleiben sollte. Auch die Lockerheit im Spiel sei wichtig, die Begeisterung. So etwas merken Theatermenschen. Es sei für ihn ein sehr großes Kompliment, nach Hamburg gehen zu dürfen. Was er gerade erlebt, davon träumen viele. „Das ist kein Ruhekissen für mich, die Ausbildung hört nie auf. Jetzt geht es erst richtig los“, sagt Bekim. Er lächelt. 


Text: Ornella Cosenza


Foto: Robert Haas