Studentenwohnheim-Chic trifft Google-Office-Atmosphäre: In Münchens erster Start-up-Wohngemeinschaft „Hyprspace“ vereinen 17 junge Menschen Arbeits- und Privatleben.
Holzzäune, Vorgärten, Vogelgezwitscher. Der Neubau mit dem grauen Schrägdach scheint gut in die Gegend zu passen: schlichte, weiß-beige Fassade, akkurat gemähter Rasen rechts und links des Eingangs. Doch hinter der roten Tür von Hausnummer 58 verbirgt sich eine ganz besondere Wohngemeinschaft: Im sogenannten „Hyprspace“ wohnen Menschen, die gründen wollen. Nach Vorbild von WGs aus dem Silicon Valley vereint das Haus in der Hofangerstraße 17 junge Münchner, die selbst ein Start-up gründen oder bei einem arbeiten. Sie alle sind zwischen Anfang zwanzig und Mitte dreißig, manche haben schon gegründet, andere sind noch in der Planungsphase.
Eingezogen sind die Bewohner des Hauses im Frühjahr diesen Jahres. „Das ist unser Co-Working-Space“, erklärt Psychologie-Studentin Julia Dillard bei einer Führung durch die WG. Die 26-Jährige zeigt auf einen Bereich, in dem zwei abgerockte Sofas stehen. Nur wenige Wochen nach Bezug wirkt alles noch etwas provisorisch. Nebenan, in der Küche, hat jemand einen Biertisch und Bänke aufgestellt, Julias Mitbewohner rollen gerade selbstbelegte Tacos. „Boah, ist der scharf geworden.“ Marc Gänsler, 34, einer der WG-Gründer, muss nach dem ersten Bissen kurz innehalten.
Gemeinsam mit Junggründer Raphael Beese hat er die Immobilie für das Wohnprojekt gesucht. Unterstützung für junge Unternehmer gibt es in München reichlich. So etwa durch die Universitäten oder durch Orte wie das Werk 1 am Ostbahnhof und das Impact Hub nahe der Implerstraße. Hinzu kommen zahlreiche Workshops und Events. Doch ein Wohnprojekt wie der „Hyprspace“ ist in München bisher einmalig, auch wegen des angespannten Mietmarkts. Ein großes Haus zu finden, gestaltete sich für Marc und Raphael dementsprechend schwierig. Von Sommer 2016 an hatten die Freunde nach einem solchen Ort gesucht, zahlreiche Hauseigentümer angeschrieben und ihnen ihre Idee vorgestellt. Viele antworteten nicht einmal.
Nach langer Suche haben die jungen Unternehmer dann Ende 2016 doch Glück: Knapp 500 Quadratmeter Wohnfläche, 200 Quadratmeter Garten, 17 Zimmer, sechs Bäder. Erstbezug, in München Ramersdorf. „Ramersvalley“, scherzt einer der Bewohner. Vermieterin Marianne Oltersdorf war vom Co-Living-Projekt der Start-up-Unternehmer rasch überzeugt: „Wir haben für das Objekt viele Angebote bekommen, auch von Firmen, aber die jungen Leute waren sympathisch. Uns hat ihre Idee einfach sehr gut gefallen.“ Um die Bewohner des Hyprspace zu unterstützen, hat die Vermieterin deshalb auf eigene Kosten eine besonders große Küche mit zahlreichen Kühlschränken und Tiefkühlfächern installiert. „Ich hoffe einfach, dass die Gründer Glück haben und in unserem Haus schöne Projekte entstehen“, sagt Oltersdorf.
Doch so wohlwollend wie Vermieterin Oltersdorf stehen nicht alle der WG gegenüber. „Aufgrund eines Hinweises aus der Bevölkerung“ ist nun die Lokalbaukommission auf das Wohnprojekt aufmerksam geworden und hat den Jungunternehmern einen Besuch abgestattet. „Die Überprüfung ergab im Wesentlichen eine nicht genehmigte Wohnnutzung im Kellerbereich“, sagt ein Sachbearbeiter des Referats für Stadtplanung und Bauordnung. Deshalb habe man nun ein Anhörungsverfahren eingeleitet, das für die Bewohner im schlimmsten Fall zu einer „Nutzungsuntersagung in diesem Bereich führen kann“. Weiterhin prüfe man, ob es sich bei dem Projekt in Ramersdorf um eine echte WG handle und nicht „um eine gewerbliche Zimmervermietung mit stetigem Nutzerwechsel“.
Für die Bewohner des Hauses ist das keine leichte Situation. Wer zusammenzieht, puzzelt sein Leben mit dem anderer zusammen. Wo soll die Lampe hin? Wer bringt eine Pfanne mit? Brauchen wir ein Bügeleisen? Jede Wohngemeinschaft muss erst ihren Rhythmus finden, gerade in einem Haus, in dem man nicht nur zusammen leben, sondern auch zusammen arbeiten möchte. Besuch von den Behörden ist da nicht der beste Start ins gemeinsame Wohnen. „Da wir ja ein relativ neues Konzept in der Stadt München sind, verstehen natürlich einige Leute nicht, was wir hier machen und was unsere Ziele sind“ sagt Flo Oberhofer, 28, „das ist natürlich absolut nachvollziehbar, aber trotzdem sehr schade.“ Unterkriegen lassen wollen sich die Gründer dennoch nicht. Nach der ersten Eingewöhnungsphase schaffe man sich bereits eigene Rituale. Beim sonntäglichen „Hyprdine“ etwa kochen alle Bewohner gemeinsam, auch die Gemeinschaftsräume nehmen langsam Form an: Im Co-Workspace steht inzwischen eine schicke Couch mit bunten Kissen, dazu Schreibtische, an denen jeder arbeiten kann, eine Palme für das Wohngefühl. Studentenwohnheims-Chic trifft Google-Office-Atmosphäre.
Die Start-ups der Mitbewohner sind unterschiedlich: Julia entwickelt derzeit eine App, die Inhalte von Lehrbüchern für Studenten digitalisieren und bereitstellen soll. Mitbewohner Flo hingegen erarbeitet gerade ein Konzept, mit dem er Unternehmen eine umfangreiche und seriöse Kommunikation mit ihren Kunden ermöglichen möchte. Und Mathematiker Nico Kraus hat einen eigenen Youtube-Channel. Dort erklärt der 27-Jährige seinen rund 7400 Abonnenten, wie man Stimme und Rhetorik einsetzt, um überzeugend aufzutreten.
Man habe schon darauf geachtet, Leute mit unterschiedlichen Talenten und Interessen ins Haus zu holen, sagt Julia. Wie die meisten ihrer Mitbewohner ist sie Single. Und Akademikerin. Das sei bei der Auswahl der Bewohner allerdings kein Kriterium gewesen. Rund 150 Leute hätten sich beworben, mit den unterschiedlichsten Lebensläufen. Letztlich habe man sich dann nach Sympathie entschieden. Der Gedanke dahinter: Gemeinsam schafft man mehr. „Wir versuchen uns gegenseitig mit unseren Ideen zu inspirieren. Wenn jemand eine Idee hat, kann er sie hier jederzeit vorstellen“, sagt Julia.
Ihr Mitbewohner Daniel Valenzuela, 24, hat bereits Start-up-WG-Erfahrung. Während seines Studiums war er für ein halbes Jahr in Berkley, hat dort in einem ähnlichen Haus gelebt. Später war er eine Zeit lang Bewohner der sogenannten „Rainbow Mansion“, einem im Silicon Valley sehr bekannten WG-Haus, in dem Nasa-Ingenieure und Google-Mitarbeiter Tür an Tür wohnen. Er sitzt entspannt auf einem der Sofas, schwärmt von den Begegnungen während seiner Amerika-Zeit. Was ihn mit all seinen Mitbewohnern verbindet: das Feuer, der unbedingte Wille, etwas zu gründen. Dabei sind nicht alle gleich erfahren. Julia gründet zum ersten Mal, WG-Initiator Raphael, 29, hat bereits im Jahr 2000 diesen Schritt gewagt. „Wir haben damals eine Webseite online gestellt, auf der wir die 300 besten Seiten im Internet gelistet haben. Das war vor der Internet-Bubble.“ Da war Raphael noch Schüler, hatte wenig Ahnung davon, wie man so ein Projekt sinnvoll aufzieht, der Erfolg war eher bescheiden.
Dass nicht jedes Start-up sofort erfolgreich ist, wissen auch die Bewohner des Hyprspace. Viele von ihnen arbeiten deshalb nebenbei noch in einem anderen Beruf, haben finanzielle Rücklagen gebildet. Auch, weil das Wohnen in der Start-up-WG nicht ganz billig ist: 600 Euro warm kosten die Zimmer im Schnitt, dazu kommen Ausgaben für das Internet, die WG-Kasse und die Reinigungsfirma, die die Riesen-WG zweimal wöchentlich sauber macht.
Nicht zu jedem passt ein solches Leben. Die Unsicherheit, ob man erfolgreich wird. Das dauernde Sich-Beweisen müssen. Aber Julias Mitbewohner suchen genau das: „Ich kann mir für mich keinen Büro-Job vorstellen, in dem ich 20 Jahre das Gleiche mache“, sagt Youtuber Nico.
Um innerhalb des Hauses eine Fluktuation von Ideen zu haben, werden einige der Zimmer in Zusammenarbeit mit der Unternehmer-TUM regelmäßig neu vergeben. Design-Student Doug Huyhn aus San Francisco ist zum Beispiel nur für drei Monate in München. Der 23-Jährige ist Teil der sogenannten „Digital Product School“, einem Programm, bei dem die Teilnehmer lernen, digitale Produkte für große Unternehmen zu entwickeln. Es ist sein erster Abend in der Stadt, noch ist er etwas geplättet vom langen Flug. „Da wo ich herkomme, hat so gut wie jeder sein eigenes Start-up oder arbeitet bei einem“, sagt er.
Es gefällt ihm sofort in München: gemeinsam essen, sich bei einem Bier austauschen, über München und San Francisco, über erste Eindrücke und seltsame Eigenheiten des Gastlandes. Wenn die Mitbewohner so miteinander quatschen, erzählen sie von schönen Reisen, der legendären Stockwerksparty im Studentenwohnheim vor ein paar Jahren, dem Abend neulich, an dem Nico die Mädels aus dem Tanzkurs in den Hyprspace eingeladen hat … Und dann geht es plötzlich wieder um „Pitches“ und „Learnings“, Projektphasen und soziale Nachhaltigkeit. Die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben sind hier fließend. „Eine Trennung der Bereiche gibt es für mich nicht“, sagt Marc, während er weiter seinen zu scharf geratenen Taco isst.
Text: Carolina Heberling
Fotos: Robrt Haas