Band der Woche: Grasime

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Minimalistische Beats und ein hoher Wert an Selbstreferenzialität: „Perspektive“ heißt das neue Album, das der Münchner Rapper Grasime im Januar mit dem Produzenten O von

Kram aus der Ecke

veröffentlicht hat.  

Die Beatles hatten es leicht. Denn vor ihnen gab es das Genre Popmusik nicht so recht. Einen Musikstil zu erfinden, das muss man zwar erst mal schaffen. Doch diese Leichtigkeit, die ihre Musik auch in ihren vertrackteren späten Alben hat, ist wohl unmittelbar daran geknüpft, dass sich die Beatles eben in einem noch sehr jungen Stil auf unausgetretenen Wegen befanden. Je älter die Kunstform wird, desto schwieriger ist es, eine erfrischende Unbedarftheit beizubehalten. Dafür eröffnet sich später aber ein neues Spielfeld in der Musikerschaffung: das Selbstreferenzielle. Kunst, die sich auf sich selbst beziehen kann und in der spielerisch und ironisch das Thema der Kunst aus der Kunst selbst gezogen werden kann. Dabei wird quasi Kunst über Kunst geschaffen, was in manchen Fällen langweilig ist; was, wenn es gut gemacht ist, aber auch witzig werden kann. 

Hip-Hop und Rap sind schon rein instrumental gesehen Musikformen, die sich erst einmal auf ihr eigenes Genre – Popmusik – beziehen. Denn die Ursprünge des Hip-Hop liegen in den ersten Samples und Beatversuchen. Musik, die bereits existierte, wurde in einer Collagentechnik weiterverarbeitet. Doch gerade Hip-Hop hat auch sprachlich, also auf der Textebene, einen hohen Wert an Selbstreferenzialität. „Perspektive“ heißt daher das neue Album, das der Rapper Grasime im Januar mit dem Produzenten O von

Kram aus der Ecke

veröffentlicht hat. Minimalistisch sind die Beats, während Grasime die Perspektive auf sich selbst richtet. Grasime, auch bekannt aus der Münchner Underground-Crew Weltuntergäng, rappt über seine eigenen Initiationen zum Hip-Hop. Der Musiker gehört dabei zu einer Generation von Rappern, denen der ständige Bezug auf ihren eigenen Musikstil von Anfang an als Inhalt völlig zu eigen war. Das mag vielleicht an der Form des Battle-Raps als Einfluss liegen, in der die beiden Kontrahenten sich rappend über die Rap-Künste des jeweils anderen mokieren. Wie in einem Spiegelkabinett verdoppeln sich die künstlerischen Mittel permanent selbst. Weniger analytisch ausgedrückt entstehen lustige Dinge, die Grasime auch treffend ausstellen kann. „Erzähl mir nichts von Hip-Hop, sonst erzähl ich Dir von Jean-Paul Sartre“, beginnt er den Track „B.B.M.R.“, und vermischt dabei schmunzelnd eine linksintellektuelle Bildungsbürgerlichkeit mit den Drohgebärden des Battle-Raps.

Doch für Grasime hat Hip-Hop noch einen anderen Zweck als die lustigen Schaukämpfe der Rap-Battles. Als Teenager hat er diesen Musikstil über seinen Bruder kennengelernt. Er identifizierte sich mit der Subkultur, zu der Scratches und Graffiti genauso gehören wie das Rappen und Beats-Bauen. So erklärt er fast idealistisch den Satz „Hip-Hop lebt nicht davon zu konsumieren, sondern von Partizipation“ zum Leitmotto, quasi als Sozialpädagogik in cool. Mit 18 war diese Initiation bei Grasime so weit, er kaufte sich den ersten Computer und fing an, seine Musik zu produzieren. Unter den Münchner Hip-Hop-Strömungen gehören Grasime, sein Label Bumm Clack, das als Veranstaltungsreihe begann und nun auch Musik veröffentlicht, sowie die Weltuntergäng zu denen, die die im Hip-Hop oft gesuchte Realness wohl am meisten erfüllen. Neben den intellektuellen Spielereien der gerade aufgelösten Blumentopf und den ironischen Zeilen von Fatoni erscheint die Szene um Grasime zunächst fast konservativ. Doch letztlich treffen die funkig-jazzigen Beats und die Unmittelbarkeit einen Old-School-Nerv. Das ist auch wieder selbstreferenziell. Aber macht einfach Spaß.  

Stil: Hip-Hop
Besetzung: Grasime (Raps), O von Kram aus der Ecke

(Produktion)
Aus: München
Seit: 2010
Internet: bummclack.bandcamp.com

Text: Rita Argauer

Foto: Niklas Niessner

Frage der Perspektive

Klein sein hat auch Vorteile. Etwa, dass man nicht sieht, wie dreckig der Schirm der Deckenlampe eigentlich ist… 

Max ist groß. Er ist sogar so groß, dass er den Schirm meiner Deckenlampe von oben sieht. Ich selbst bin fast 35 Zentimeter kleiner. Ich bin so klein, dass mir noch nie in den Sinn gekommen ist, dass Deckenleuchten auch eine Oberseite haben. Bis heute, als Max mir eröffnet, dass auf dem Schirm der Küchenlampe eine dicke Fettschicht ist. 

Kleine Menschen werden gern belächelt, weil sie nicht an das oberste Regalbrett kommen, ohne dabei furchtbar albern auszusehen. Oder weil man Dinge über ihrem Kopf hochhalten kann, so dass sie nicht dran kommen und anfangen, beleidigt auf der Stelle zu hüpfen. Dabei hat klein zu sein bedeutende Vorteile: Wer klein ist und große Schränke hat, braucht keinen Keller. Ganz im Gegensatz zu Lampen ist mir bei Schränken schon länger bewusst, dass sie eine Oberseite haben. Dorthin werfe ich gerne Dinge, die ich nie wieder brauchen werde, aber nicht wegschmeißen will. Denn kaum bin ich von meinem Stuhl heruntergestiegen, sind sie auf ewig verschwunden. 

Perspektive ist eine faszinierende Sache. Heute jedoch fällt mir auf, dass ich bei der Sache mit der Perspektive ein wichtiges Detail vergessen habe: Nicht jeder Mensch hat meine Perspektive. Für Max ist die Ansammlung schmieriger und verstaubter Blumenübertöpfe auf meinem Küchenschrank gar nicht unsichtbar. 

Große Menschen sind schon arm dran: Sie stoßen sich nicht nur bei Burgbesichtigungen ständig den Kopf, sondern müssen ihren Ramsch in den Keller bringen und mit Dreck leben, der für uns platzsparend gewachsene Menschen gar nicht existent ist. Und auch wie vorbildlich sauber meine Hängeschränke von unten sind, wird Max wohl nie erfahren. Als ich ihn bitte, mir die Schere zu geben, die wenige Zentimeter vor ihm direkt unter dem Oberschrank von einem Haken baumelt, beginnt er stattdessen wie wild die ganze Küche abzusuchen. Zumindest dass Schränke auch eine Unterseite haben, kann man ab einer gewissen Größe offenbar ausblenden.

Susanne Krause