Fremdgänger: Mein Tisch, mein Teller

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Essen und Küche ist Bestandteil einer jeden Kultur. Nur kann man sich in dieser Hinsicht manchmal mit der einen besser und mit der anderen schlechter identifizieren. Unsere Autorin beschreibt ihren geplatzeten Croissant-Traum.

Etwas irritiert und enttäuscht starre ich auf die fast leere Schachtel Madeleines, die vor mir steht, und den Fruchtjoghurt. „Und das frühstückt ihr?“, frage ich meine Gastgeber und bemühe mich, meine Abneigung nicht zu zeigen. Es fällt mir sehr schwer. Die
nicken und bedeuten mir freundlich, mich zu bedienen. Unglücklich löffle ich trotz Laktoseintoleranz den Joghurt, die drei übrigen Madeleines waren schon unter den restlichen Händen verschwunden. So ganz entspricht das nicht dem Frühstück, das ich mir an einem traumhaften Sonntagmorgen im Frankreichurlaub erhofft hatte. Selbst mein alltägliches Haferflockenmüsli erscheint mir geradezu verlockend dagegen. Sehnsüchtig denke ich an die Boulangerie 100 Meter weiter. Als ich mich dezent erkundige, warum man denn dort nichts zum Frühstück geholt habe, ernte ich sehr erstaunte Blicke, die verraten, dass man diese Option von selbst nie erwogen hätte.
 Am nächsten Morgen nehme ich die Angelegenheit selbst in die Hand. Aber als ich mit zwei großen Tüten Croissant und Pain au Chocolat zurückkomme, bin ich die Einzige, die davon isst. Die Franzosen können vieles, aber nicht ordentlich frühstücken. Viele Franzosen trinken einfach einen Tee oder Kaffee, ohne etwas zu essen. Dann gibt es noch die Fraktion, die „bisquits“ mit Honig oder Marmelade bestreicht, in Deutschland gemeinhin bekannt als Zwieback. Kann man sich selbst noch schrecklicher quälen morgens? Warum die Franzosen von all den Köstlichkeiten, die es nur in ihrem Land gibt, zum Frühstück nicht Gebrauch machen, werde ich wohl nie verstehen.

Ich habe als Gastgeschenk – neben Brezn und Bier – Frühstücksbrettchen mit hübschen Münchner Stadtmotiven mitgebracht, deren Sinn sich trotz freundlichen Erklärens niemandem so richtig erschlossen zu haben schien. Sie wurden weggeräumt. Zum Frühstück benutzt man hier keinen Teller, die Brote werden auf dem Tisch bestrichen. Vom Tisch essen? Kein Problem! Dafür macht man ihn ja sauber! Die Krümel und Flecken? Kann man wegwischen. Ach, wenn das so plausibel ist, warum benutzen wir überhaupt noch Teller? Ich bin begeistert. Nix mehr mit abspülen. Ab jetzt ist mein Tisch mein Teller. Das widerspricht meiner gesamten Erziehung. Diese gesamte Frühstückssituation ist an Absurdität kaum zu übertreffen für meinen müden Geist. Fast müsste ich lachen über diesen Anblick.

Doch das ist noch nicht der größte Schrecken. Die größte Umstellung kam mit den Essenszeiten. Dîner, also Abendbrot gibt es hier nicht vor halb neun. Während ich also mit meinem brav an deutsche Essenszeiten gewöhnten Magen von halb sieben an Hunger hatte, musste man um diese Uhrzeit noch ein bisschen herumsitzen, bevor man Abendbrot machen konnte. Dabei ist Abendbrot schon der falsche Begriff. Nix mit Brotscheibe und Aufschnitt, fertig und gut so.
Das Abendessen gestaltet sich als Gänge-Menü. Eine warme Hauptspeise und Salat werden jeden Abend serviert. Darauf folgt die rhetorische Frage „Un peu de fromage?“, wer möchte noch Käse? Danach obligatorisch ein Dessert, um zehn Uhr rolle ich mich schließlich müde und mit vollem Magen in mein Zimmer. Jede weitere Bewegung ist ausgeschlossen. Dafür isst man mittags um 12.30 Uhr. Wer hat denn bitte da schon Hunger? Einen deutschen Tagesrhythmus gewohnt, musste ich den französischen wortwörtlich erst einmal verdauen. Am nächsten Morgen hatte ich dann auch keinen Hunger mehr. Aber ein frisches französisches Buttercroissant würde ich mir in Hinblick auf baldige Abstinenz sogar noch nach einem Fünf-Gänge-Menü genehmigen.

Text: Anne Gerstenberg
Foto: Privat

Je suis Dichter

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Elena Kaufmann, 23, organisiert einen Lyrik-Workshop in Paris: Sprachhindernisse stören nicht, es geht um den Klang

Es mutet wie ein schlechter Sketch an: Hocken fünf Deutsche,
die kein Französisch können, in Paris. Kommen ebenso viele Franzosen, die kein
Deutsch können, setzen sich dazu und reden mit denen – über Lyrik, die sie selbst
geschrieben haben. Nein, sie reden nicht nur, sie übersetzen die Gedichte auch
aus einer Sprache, die sie nicht verstehen, in eine Sprache, die die anderen
nicht verstehen. Und am Ende gibt es dann eine Lesung, bei der sich ein
Publikum anhört, wer was nicht verstanden hat.

Was zunächst etwas absurd klingt, ist Elena Kaufmanns Vision
eines literarischen Arbeitswochenendes: Die 23-Jährige organisiert derzeit
einen Lyrik-Workshop, der Mitte Februar in Paris stattfinden soll. Das Konzept:
Gedichte übersetzen in und aus einer Sprache, die die Teilnehmer kaum bis gar
nicht sprechen. Auf die Idee kommt die Komparatistikstudentin während eines
Auslandssemesters in Paris – die Studentin schreibt schon seit einigen Jahren
im Münchner Lyrikkollektiv Junge Lyrik in der Stadt (July) mit und will das
Schreiben während ihrer Zeit im Ausland nicht ruhen lassen, übersetzt einige
ihrer Texte ins Französische und merkt, wie schwierig das manchmal sein kann.

Unterstützung für den Workshop erhält sie von Mathieu
Gabard, den sie in Paris kennenlernt (Foto: Romuald Nicolas). Mathieu, 29, ist Gemüsehändler und „ein
Typ, der auch findet, dass das Obst dieser Welt zu wenig gestreichelt wurde“,
sagt Elena und grinst. Doch Mathieu mag nicht nur Gemüse, sondern auch das
Schreiben: Zusammen mit Freunden hat der Franzose eine Schreibwerkstatt
gegründet – die École Internationale Supérieure de Poésie Intercontemporaine (EISPI).
Der hochtrabende Name soll Persiflage sein auf jene Grandes Écoles, in denen
Frankreich in alter Tradition seine intellektuelle Elite heranzüchtet. Doch so
ernst, wie der Name klingt, geht es bei jungen Dichtern nicht zu: Der Zugang
der Franzosen zum Schreiben sei ein sehr spielerischer, erklärt Elena – da wird
zusammen an Gedichten geschrieben. Und regelmäßig veranstalten Mathieu und
seine Freunde ein „literarisches Catchen“. Da schreiben dann zwei Autoren live
vor Publikum zu einem Thema gegeneinander an. Die spinnen doch, die Franzosen,
könnte man meinen. Aber in der französischen Literatur hat es solche Experimente
bereits früher gegeben: Schreibtechniken wie die Écriture automatique, bei der
der innere Kritiker ausgeschaltet werden soll, etablierten sich von 1920 an in
der surrealistischen Literatur – und werden – zumindest bei EISPI – auch heute
noch gerne zur Texterzeugung genutzt.

Es ist genau diese Abwechslung, die sich Elena von ihrem
Lyrikworkshop erhofft: In München, erklärt sie, werde sehr viel allein
geschrieben, oft mit dem Druck dahinter, es müsse unbedingt gut werden. Eben
diesen Druck will Elena nun aus dem Schreiben nehmen. „Einfach mal an die
Grenzen der eigenen Sprache gehen und assoziativ mit diesen spielen“ ist ein
Ziel des Workshops, bei dem sich das junge München und das junge Paris begegnen
sollen.

Das spielerische Übersetzen, das Elena sich wünscht, soll
auf zwei Ebenen ablaufen. Einerseits möchte sie ein „assoziatives Übersetzen“
ausprobieren: „Oft schnappt man in einer völlig fremden Sprache zwei oder drei
Wörter auf, die man zu kennen glaubt und schon hat man dazu Ideen“, erklärt
Elena das Konzept.

Auch die Vortragsweise der Lyriker soll die Phantasie der
anderen beflügeln, denn die Hochgestochenheit oder das Understatement, mit der
in anderen Sprachen Gedichte vorgetragen werden, kann man lyrisch durchaus
parodieren. An einer direkten „klanglichen“ Übersetzung wolle man sich während
des Workshops ebenfalls versuchen – übertragen wird also nicht der Inhalt eines
Textes in eine andere Sprache, sondern lediglich dessen Klang, mitunter auch
die Form eines Gedichtes. Elena und Mathieu probieren das derzeit mit
türkischen Gedichten, bei denen wohl immer sehr unterschiedliche Texte
herauskommen. Angenehmer Nebeneffekt: „Man entdeckt in der eigenen Sprache
immer wieder Wörter und Konnotationen, die man vorher wenig genutzt hat“, sagt
die junge Lyrikerin.

Neben dieser Übersetzungsarbeit sollen die Teilnehmer auch
einen literarischen Blick auf die Stadt werfen, in der sie arbeiten: Paarweise
– ein Deutscher, ein Franzose – werden die Autoren losgeschickt an unterschiedliche
Pariser Orte, die sie zu einem Text inspirieren sollen. Dahinter die Frage: Wie
sieht ein Einheimischer die Plätze und Straßen, wie ein Tourist? Gerade in
Zeiten, in denen Paris Synonym für Terror und Je-suis-Charlie-Bekundungen ist,
kann eine solche Nabelschau spannend sein. Am Ende dieses Arbeitswochenendes
sollen dann jene Eindrücke der Stadt zusammen mit den Übersetzungsversuchen in
dem kleinen Pariser L’Ogresse-Theater gelesen werden.

Ob etwas Gutes dabei rauskommt, weiß Elena noch nicht, doch
wenn sie von ihrem Plan erzählt, strahlt sie. Sie lacht auch viel – schließlich
geht es ihr um den Spaß am Schreiben, nicht um das Ergebnis. Und falls es dann
doch schief geht, gibt es auf jeden Fall noch einen zweiten Versuch. Im Sommer
wollen die Franzosen zum Gegenbesuch nach München kommen und dort das Konzept
des Lyrikkollektivs July kennenlernen: Lesungen an ungewöhnlichen Orten.

Carolina Heberling

Neuland

München, Paris – ist doch eigentlich alles das gleiche. Zumindest in der ersten Ausstellung von Helene Roth und Helena Pooch. Die beiden haben die Stadtpläne überlagert und Fotos am gleichen Ort gemacht, nur eben in zwei unterschiedlichen Städten. 

München wird zur Stadt der Liebe und in Paris ist man plötzlich dahoam: Als Helene Roth, 23, für ein halbes Jahr nach Paris geht, will ihr Helena Pooch, 23, etwas von München mitgeben. Die beiden überlagern Karten der zwei Städte und übertragen „die Münchner Lieblingsplätze punktgenau auf Paris“, erzählt Helena. Ihre Freundin entdeckt so Paris auf die Münchner Art und fotografiert die „Stadtäquivalente“. „Als Helene zurückkam, haben wir das gleiche Spiel andersrum gespielt“, diesmal mit den Pariser Sehenswürdigkeiten – wie dem Centre Pompidou, das ganz in der Nähe vom Münchner Dallmayr liegt. Entstanden ist so die erste Ausstellung der beiden: Stadtäquivalente. Ein Projekt. Sie ist vom 28. November an in den Räumen von Nutrion (Rosa-Bavarese-Straße 3) zu sehen. Katharina Hartinger