Happy Birthday, Stadt Land Rock Festival!

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Zum 13. Mal findet 2016 das Stadt-Land-Rock Festival statt. In diesem Jahr gibt es an drei Abenden zwölf Bands und Künstler zu sehen – bei freiem Eintritt.  In den vergangenen Jahren etwa MarieMarie (Foto), die 2011 und 2013 Stimmung machte. Zur Einstimmung ein kleiner Rückblick. 

Wer über das Tollwood schlendert, findet wie jedes Jahr die Stände mit Crepes und Langosch, mit Schmuck und verträumter Hippie-Kleidung, die Skulpturen, die die jährlich neuen Themen des Tollwoods veranschaulichen und den Besucher jedes Mal wieder überraschen. Das alles gehört zum Tollwood – Genau wie die Musik. Schon seit Beginn spielen bekannte Bands auf Münchens beliebtestem Stadtfestival, große Namen sind jedes Jahr vertreten, aber vor allem die jungen Münchner haben seit 13 Jahren auch ein anderes Ziel: Das Stadt-Land-Rock-Festival.

Seit 2004 wird es vom Tollwood und der SZ-Junge-Leute Seite veranstaltet. Damals waren das einfach ein paar kleinere Bands aus München, aber auch von anderswo, die ohne wirkliches Festival-Feeling eher als Begleiterscheinung auf den verschiedenen Bühnen des Tollwood auftraten. Viele der damaligen Bands sagen heute kaum jemandem etwas, und trotzdem lohnt es sich, reinzuhören. Denn als Veranstaltung für junge, aufstrebende Musiker hat das Stadt-Land-Rock schon früh ein Gespür für die richtigen Bands bewiesen, die, genau wie das Festival selbst, einfach ein bisschen Zeit und Unterstützung brauchten, um größer zu werden.

Besonders wenn man sich die Bands der letzten Jahre anschaut, wird man einige davon wieder erkennen. Die Young Chinese Dogs beispielsweise, die man nicht nur auf dem Tollwood, sondern auf so ziemlich jeder Münchner Bühne treffen kann. Die beiden Schwestern von Sweet Lemon, die, obwohl noch sehr jung, dieses Jahr schon zum zweiten Mal das Publikum mit ihrem Mix aus Pop und Blues verzaubern. Oder MarieMarie, die mittlerweile über München hinaus ein bekannter Name ist. „Es war eine tolle Erfahrung auf dem Stadt Land Rock Festival zu spielen und die Stimmung war super“, erinnert sie sich an ihre Auftritte 2011 und 2013.

Genau wie die Szene, die Jugendseite und die Teilnehmer, ist das Stadt Land Rock mit seinen Bands gewachsen. Das Festival hat in der Tollwood tanzbar seinen Platz gefunden und repräsentiert mit dem diesjährigen Programm einen Querschnitt durch die junge Münchner Musik Szene. Es spielen Bands wie Line Walking Elephant, die mit ihrem Alternative-Rock die Fetzen fliegen lassen oder die Folk-Rock-Band The Charles, deren Namen längst keine Unbekannten mehr sind, aber auch Newcomer, wie Paul Kowol oder KLIMT, die sich beide als Solokünstler natürlicherweise ruhiger, aber nicht weniger spannend präsentieren.

Die Zeiten, als noch Umzugskisten voller Demo-CDs den Beginn der Auswahl für das Festival einläuteten, sind vorbei, doch Bewerbungen um auf dem Stadt-Land-Rock zu spielen kommen immer noch genug. Oder sollte man eher sagen jetzt erst Recht? München und seine Musik-Szene sind ein unteilbares Ganzes, und Gelegenheiten für junge Bands gibt es viele. Und doch ist das Festival auf dem Tollwood etwas besonderes geblieben. Weil es gewachsen ist, seinen Platz gefunden hat und weil man nach 13 erfolgreichen Jahren sicher sein kann, dass man den Sprung geschafft hat vom Trend zu einer der fest verankerten Institutionen, ohne die München nicht das wäre, was es ist.

Von: Marina Sprenger

Foto: Käthe Dekoe

The Living: Märchenkonzert im WG-Garten

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The Living spielte Donnerstagabend noch im Strom – Samstag dann in kleiner gemütlicher Atmosphäre bei unserem WG-Konzert. Viel Grün, viel Märchen, mehr gute Musik. 

Von Marina Sprenger

Langsam wird es dunkel im Wohnzimmer und die Leute tanzen barfuß im Gras. Statt einem Lagerfeuer dreht sich alles um die fünf Musiker, die mit Lichterketten-behängten Instrumenten unter den Bäumen stehen und gerade zum zweiten Mal eine Zugabe spielen. „Das muss einfach sein, wenn das Publikum so laut klatscht und jubelt, kein Problem, wir spielen nochmal “Valerie”. Weil da alle mitsingen können, und tanzen sowieso.“

Dann beendet der Sänger, Karlo Rödinger, 23, und seine Band The Living eines der schönsten Konzerte dieses Sommers. In München sind sie fester Bestandteil der jungen Musikszene, erst Donnerstag haben sie im Strom gespielt, aber das war ein Konzert, das sich um Lichtjahre von diesem Abend unterscheidet. Konzertsaal versus Lagerfeuer-Romantik. Zwei Geschwisterpaare plus eins, das ist die Band, zwei Kathis, Katrin Röding, 20, und Katharina Würzberg, 20, am Schlagzeug und dem Keyboard, Simon Holzinger, 20, an der Gitarre, Johannes Würzberg, 22, der Bruder der einen Kathi, am Bass und Karlo, der Bruder der anderen Kathi, der Sänger mit der Stimme wie Joe Cocker.

Wenn man die WG in der Reutterstraße betritt, trifft man sicher schon am Eingang ein paar Leute, denen man nicht ins Haus, sondern in den Garten folgen kann. Dort wird schon seit dem Nachmittag gegrillt und The Living sind seit Stunden am Aufbauen, sie haben ein neues In-Ear-Monitoring und müssen sich erst mal mit der Technik vertraut machen.

Am Keyboard und am Schlagzeug hängen schon jetzt Lichterketten, aber um acht Uhr abends ist es noch zu hell dafür. Auch in den Bäumen hängen Lichterketten, auf dem Gras stehen Gartenstühle und alte Sofas mit abgewetzten Brokatbezügen. Die Stimmung hat etwas Märchenhaftes, mit diesen ungewöhnlichen Sitzgelegenheiten und dem kleinen Garten, der von Bäumen umschlossen wird.

In der WG wohnen acht Leute, in den Räumen sieht es nach bewohntem Chaos aus, in vielen Zimmern stehen Instrumente, die Wände sind mit Unterwasserwelten bemalt, weil Jenny so gut malen kann. Die wohnt hier mit ihrer Schwester Vicki, mit Jonas, Lisa, Jon, Andi, Mona und Vinzent. Ein Haus mitten im Grünen, wie eine kleine Hippie-Kommune, und so sind die Bewohner auch, ungeschminkt, echt, ausgelassen – barfuß tanzen unter dem Sternenhimmel ist hier sicher keine Seltenheit. “Das kommt mir so surreal vor hier, wie im Paradies”, sagt Jonas über sein WG-Haus mit Garten, “und dass wir hier so ein Konzert haben ist natürlich das Sahnehäubchen auf dem I-Tüpfelchen”

Während die WG-Bewohner noch über die Einrichtung ihres Outdoor-Wohnzimmers reden, ist die Band langsam bereit. Die Sofas umrahmen eine kleine Tanzfläche direkt vor der Band, im Hintergrund läuft noch die Grillparty, vom Dach aus ruft man nach den Nachbarn, die sollen doch auch rüber kommen. Dann legen The Living los. “Wenn ihr nicht sitzen wollt, könnt ihr gerne aufstehen und tanzen und Spaß haben”, sagt Karlo in seinem typisch bluesig angehauchten Tonfall. Diese Aufforderung hätte es eigentlich schon nicht mehr gebraucht. Anfangs wird zwar noch etwas verhalten getanzt, aber schnell sind die Sofas leer und die Tanzfläche ist voll.

Auch mitsingen sollen alle, die Band macht es vor, alle machen mit, “bis die Nachbarn kommen”, ruft Karlo, und dann kommen tatsächlich die Nachbarn – Nehmen sich einen Stuhl, stellen sich dazu, setzen sich mit ihren Kindern aufs Dach und feiern mit. “Die sind schon einiges gewohnt”, erklärt jemand aus der WG. Trotzdem (oder deswegen?) ist das Verhältnis zu den Nachbarn super, einer will sogar die Kontaktdaten der Band und sie selbst für ein Fest buchen, besser könnte es also gar nicht laufen. Auf den Lautsprechern steht eine Seifenblasenmaschine, die alle paar Minuten nachgefüllt werden muss, Karlo tanzt mit Tambourin auf der Tanzfläche mit, auch auf dem Dach wird getanzt und das Bier aus den Kästen in der Badewanne schmeckt immer noch, obwohl es schon nicht mehr richtig kühl ist.

Es wird dunkler und die Lichterketten werden angemacht, und alle, die vorher noch eher in gemütlicher Grillparty-Stimmung waren, sind mittlerweile auch aufgestanden. Es wird wilder getanzt, je mehr sich Gläser und Flaschen leeren, und egal, wen man fragt, es ist niemand anwesend, der nicht absolut begeistert ist. Es ist ja auch etwas besonderes, so eine Band im WG-Garten, das gibt es nicht jede Woche, obwohl die Musiker so selbstverständlich mit ihren Instrumenten den Platz zwischen den Bäumen füllen, als wäre hier jedes Wochenende ein Konzert geboten. Die Songs von The Living sind aber auch einfach wie geschaffen für genau diese Atmosphäre, nicht zu aufgeregt, aber schnell und laut genug, dass man tanzen kann, eine Mischung aus Blues und Indie, ein bisschen Folk, ein bisschen Rock und damit die perfekte Mischung, um nicht nur die WG-Bewohner und ihre Freunde, sondern auch die Nachbarn jedes Alters glücklich und den Abend unvergesslich zu machen.

Nach dem letzten Song „Head over Heels“ ist noch niemand bereit, aufzuhören, alle stehen noch vorne und die Band hat keine andere Chance, als noch einen Song zu spielen, den hatten wir zwar schon, aber ist ja egal, es ist einfach zu schön, um jetzt schon aufzuhören. Also wird der Song wiederholt, und auch danach lässt niemand das Argument gelten, dass die Band keine weiteren Songs hat – dann spielen sie eben nochmal „Valerie“. Als das Konzert dann vorbei ist, sind alle wie entrückt, Gelächter liegt in der Luft, die Sofas werden langsam wieder in Beschlag genommen und die Band ist sichtlich zufrieden. Mit dieser Begeisterung und Stimmung hätten sie nicht gerechnet, „Es war einfach total geil“, sagt Johannes Würzberg und grinst, der Rest der Band stimmt lachend zu. Dann picken sie eine verirrte Nacktschnecke vom Schlagzeug, Katharina Würzberg kühlt mit einem Bier einen Mückenstich und die WG-Kasse wird geplündert – natürlich müssen die Jungs und Mädels ein Album von The Living kaufen.

Foto: Anne Gerstenberg

Zufallsstudium: Leichen und Vektoren

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Was studiert der Junge mit den Dreadlocks eigentlich? Welchen Kurs besucht das Mädchen, das in der U-Bahn neben uns saß? Woche für Woche folgen wir fremden Studenten zum „Zufallsstudium“. Dieses Mal: Marina landet zuerst in einem Mathe-Tutorium und dann in einem sehr leeren Jura-Kurs. Da ist die Gefahr natürlich groß aufgerufen zu werden!

An einem Dienstagnachmittag, kurz vor den Klausuren, sollten
Studenten die Zeit nutzen und lernen. Da Prokrastination allerdings eine der
besten Studentendisziplinen ist, verbringe ich meinen Dienstag lieber im Dienste des Schreibens und
erweitere meinen Horizont. Vor dem Hauptgebäude der LMU sieht es um kurz nach
zwei eher leer aus, nur wenige Studenten sind unterwegs, also hänge ich mich an
den nächstbesten Studenten, der an mir vorbei läuft. Ein durchschnittlicher Typ
in brauner Hose und gestreiftem Shirt, der abwechselnd auf sein Handy und über
seine Schulter schaut – ich fühle mich ertappt und gehe etwas langsamer.

Schließlich verfolge ich ihn aber durch die fast leeren
Gänge in einen Hörsaal, der für zehn nach noch sehr leer ist. Die Anwesenden
sitzen einzeln und sind eine bunte Mischung aus Mädchen und Jungen ohne
erkennbare Klischees eines Studienganges. Als dann ein Student vorne den
Overhead-Projektor aufbaut, ahne ich, dass ich in einem Tutorium gelandet bin.
Und so ist es auch. Er beginnt mit der Verbesserung eines Arbeitsblattes über
Vektoren, das klingt für mich doch alles ganz logisch, Oberstufenniveau.
Vielleicht wird es ja noch spannender? Aber nach kurzer Zeit wird mir klar,
dass das hier sicher keiner der gefürchteten Uni-Mathekurse ist, in dem mit
höherer Mathematik und absurden Zahlenkonstrukten gearbeitet wird. Der Rest des
Kurses scheint hier auch keine mathematische Erleuchtung zu erlangen, und als
der Tutor erklärt, dass er nach Korrektur des Arbeitsblattes die Stunde
beendet, beschließe ich, mir ein neues Opfer zu suchen.

Also verlasse ich um halb drei den Saal und laufe kurz durch
die leeren Gänge. Keine Studenten zu sehen, jedenfalls niemand, der so
aussieht, als ob er gleich eine Vorlesung besucht. Das Audimax, mein Plan B,
ist ebenfalls leer. Also gehe ich auf gut Glück ein Stockwerk höher und
entdecke einen Jungen, der gerade in einen Hörsaal schlüpft. Ich folge ihm. Der
Saal ist auch nicht besonders voll, die vielleicht dreißig Studenten verteilen
sich auf den ganzen Raum und ich setze mich unauffällig in die letzte Reihe.
Komisch, noch kein Dozent zu sehen.

Dafür treffe ich einen Kollegen im Geiste: Ein anderer
Zufallsstudent! Er hat genau wie ich keine Ahnung, wo er hier gelandet ist,
eigentlich ist er Lehrer und auf Klassenfahrt, seine Schüler haben Freigang
und er, ganz der Lehrer, besucht in seiner Freizeit eine Vorlesung. Wir zucken
beide zusammen, als der Dozent plötzlich den Raum von hinten betritt und mit
einem Blick auf uns verkündet: Alle nach vorne, mir sitzt hier keiner in der
letzten Reihe. Das ist mir natürlich gar nicht recht, bei so wenigen Studenten
steigt das Risiko, aufgerufen zu werden – und das, obwohl ich noch nicht mal
das Fach kenne. Notgedrungen wandere ich nach vorne und sofort lüftet auch
schon eine Power-Point-Präsentation das Rätsel: Grundkurs im öffentlichen Recht
II. Jura also. Recht war ja in der Schule immer ganz interessant, aber ich
erinnere mich noch vage an das Gefühl, sowieso nie ganz richtig zu liegen und
immer etwas zu übersehen.

Und so ist es dann auch. Es geht los mit der Kunstfreiheit,
und einem Fallbeispiel: Die „Körperwelten“. Darf man diese Ausstellung in
Berufung auf allgemeine ordnungsrechtliche Vorschriften verbieten?
Kunstfreiheit? Berufsfreiheit? Wissenschaftsfreiheit? Zunächst alles abstrakte
Begriffe, die aber mit der Zeit etwas klarer werden. Trotzdem gelingt es keinem
Studenten, eine Frage ganz richtig zu beantworten, letztendlich hat immer der
Professor recht (Genau wie befürchtet). Der hält seine Vorlesung auf einem
rhetorisch sehr hohen Niveau, das wohl einer der angenehmeren Faktoren einer
Jura-Vorlesung ist. Kleine Anekdoten, Exkurse und Witze lassen die Vorlesung
interessant werden, so dass ich bald die drei Kunstbegriffe (formell, materiell
und offen) verstanden habe, und auch, warum das Ausstellen von Leichenteilen
irgendwie unter diesen Kunstbegriff fällt.

Außerdem weiß ich jetzt in groben Zügen, wie man mit Leichen
umzugehen hat: Sie müssen bestattet werden, und das wohl vor allem anderen aus
gesundheitlichen und hygienischen Gründen. „Stellen sie sich mal vor, da liegen
überall Leichen rum und faulen vor sich hin“, fordert der Professor auf, und
die Studenten verziehen die Gesichter. Aber die Leichen bei Körperwelten faulen
ja nicht, die sind Kunst oder doch Wissenschaft, oder vielleicht auch einfach
nur eine sehr absurde Form der Geldmacherei, mir erschließt sich das nicht so
ganz, jedenfalls nicht auf juristischer Ebene.

Je weiter die Vorlesung fortschreitet und je weiter wir dann
in die Tiefen von Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit abtauchen, desto
mehr komme ich nicht mehr hinterher. Das ist mir dann doch alles zu abstrakt. Mein Hirn hat einfach keine Lust mehr und mir brummt der Schädel, genau wie
damals in der Schule, als man immer nicht weit genug gedacht hat und der Lehrer
das am Schluss alles besser wusste. Nur eine kurze Fachsimpelei bleibt im
Verlauf hängen: Der Professor fragt sich, am Rande des Themas Love-Parade, ob
man diese Techno-Musik denn eigentlich mit einem ch oder einem k ausspricht –
Es entsteht eine Diskussion, nicht nur über die Aussprache sondern auch über
musikalische Feinheiten des genannten Genres, und ich habe für einen kurzen
Moment doch wieder den Durchblick.

Von: Marina Sprenger

Foto: Lukas Haas

Zeichen der Freundschaft: Klingelzeichen

Einmal-kurz-zweimal-lang. Das ist das Klingelzeichen von Marina und ihrer Freundin Rike. Mit der Zeit ist es immer seltener geworden, aber mit ein bisschen Phantasie muss das nichts heißen. Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Es klingelt, einmal-kurz-zweimal-lang. Ich renne die Treppe nach unten, öffne die Haustüre. Rike. Seit wir klein waren wohnte sie im Haus gegenüber. Wir mussten nur einmal um den Block laufen, dann standen wir vor der Haustür der anderen. Sie lief immer rechts rum und ich immer links rum. Wir hatten unser spezielles Klingelzeichen, einmal-kurz-zweimal-lang, so klingelte sonst keiner. Ich kann unmöglich sagen, wie oft sie vor meiner Haustür  stand und ich, sobald ich das einmal-kurz-zweimal-lang hörte, die Treppe nach unten rannte. Wir waren wie Schwestern.

Rike war immer die Realistin. Die genau wusste, wie ihr Leben verlaufen sollte, mit Liebe und heiraten und Kinder, mit Karriere machen, mit Plan. Sie war immer die Realistin, die in der Grundschule schon Zeitung las und das Meiste davon sogar verstand. Ich war immer die Träumerin, die nicht älter werden wollte, und wenn doch, dann bitte Pirat. Ich war die Träumerin, die träumte, dass das Leben ein Abenteuer ist, in dem sie und ich immer befreundet bleiben.

Aber als es dann losging und ich verliebt war und sie nicht, und ich dann wieder verliebt war und sie nicht, und ich plötzlich auch die Zeitung las und sie von Anarchie träumte, da hatte sich etwas verändert. Sie war zur Träumerin geworden, und ich zur Realistin mit Plan. Wir, die wir uns kennen gelernt hatten, als wir uns unsere Träume noch in Kinder Fantasie Sprache erzählten, konnten nicht mehr reden. Wir hatten Rollen getauscht. Das einmal-kurz-zweimal-lang wurde seltener.  

Die Träumerin und die Realistin, die wir beide in uns tragen, finden immer wieder zueinander. Sie studiert am anderen Ende Deutschlands, und auch ich bin mittlerweile ausgezogen. Realistisch gesehen könnte das alles das Ende bedeuten, aber ich glaube, mit ein bisschen Fantasie muss es das nicht. Wir kennen jetzt beide beide Seiten,  die verträumte und die realistische, und darin finden wir uns wieder. Wenn man so viele Jahre alles zusammen erlebt, gemeinsam von der Zukunft träumt und Pläne schmiedet, dann kann man auch Distanzen vergessen und immer wieder neu anfangen.

Unsere Eltern wohnen immer noch gegenüber. Und wenn wir an Weihnachten oder in den Semesterferien beide zuhause sind, dann laufen wir wieder einmal um den Block, sie immer noch rechts rum und ich immer noch links rum. Und dann wieder: einmal-kurz-zweimal-lang.

Von: Marina Sprenger

Foto: Yunus Hutterer

Von Freitag bis Freitag: Unterwegs mit Marina

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Man könnte meinen es wäre schon April bei diesem verrückten Wetter. Weil man nie weiß, was man anziehen soll, kauft Marina beim Sale von HOUSEOFHRVST vorsichtshalber einfach von allem ein bisschen. Für jede Wetterlage gerüstet startet sie in die Woche und wirbelt von Tanzperformance im Muffatwerk zu Zündfunk-Super-Slam im Milla – für Tiefenentspannung bleibt Marina bei dem vollen Terminkalender kaum Zeit…

Nachdem Anfang der Woche tatsächlich die Sonne rauskam, fühlt sich im Gegensatz dazu der Winter jetzt plötzlich noch kälter an. Draußen sein ist eklig bis unerträglich, also flüchte ich mich zunächst zu Houseofhrvst. Da ist gerade Ausverkauf, vielleicht finde ich ja was für den hoffentlich bald anbrechenden Frühling, obwohl der Temperatur gerade ein dicker Pulli wohl eher angemessen wäre. Egal, geht auch beides, so eine Chance gibt es ja nicht jeden Tag. Leider war ich nicht die Einzige, die diese Idee hatte, in dem Laden ist es brechend voll. Voll bepackt für kalte und wärmere Tage komme ich wieder nach hause. Schon so spät? Jetzt muss ich mich aber beeilen, damit ich noch rechtzeitig ins Muffatwerk komme. Da zeigt heute bei der Lecture Performance die Choreographin Sabine Glenz gemeinsam mit der Tänzerin Anna Fontanet eine neue Interpretation ihrer biographischen Tanzsoli „I Saw What I Thought I Should See“ und „A Body Within“. Was genau mich da erwartet weiß ich nicht, aber Tanz fasziniert mich schon aus dem einfachen Grund, dass ich selber überhaupt nicht tanzen kann. Nach der Aufführung fühle ich mich wie in eine andere Welt versetzt, quasi ins Innere der Choreographin, die mich mit ihrer einfühlsamen Performance schwer beeindruckt hat.

Nachdem ich es endlich schaffe, nach diesem besonderen Abend einzuschlafen, klingelt gefühlte zehn Minuten später schon wieder mein Wecker. Ich döse einfach weiter, bis mir wieder einfällt, warum ich so früh rauswollte: Dieses Wochenende ist die Kreativmesse im MOC, für die ich mit meiner Mutter verabredet bin. Wenn ich nur ihr handwerkliches Talent geerbt hätte… Wir tingeln von Wolle zu Buchbindern und weiter zwischen den kuriosesten Ideen, da ist definitiv für jeden was dabei, vielleicht sollte ich es mal mit Stricken versuchen, das entspannt und man hat auch was Schönes davon.
Nachdem mir Stunden später fast die Beine abfallen, komme ich endlich nach hause. Es reicht für einen kurzen Kaffee und einen Powernap, dann bin ich wieder fit und düse los ins Milla. Angelockt von David Bowie und zwei ehemaligen Atomic Cafe Djs verbringe ich die Nacht mit fetzigem Indie und versuche, ein paar Tanzsskills von gestern auszuprobieren. Nach den Blicken der Anwesenden zu urteilen klappt das nur mittelmäßig, aber das macht nichts. Man kann nicht alles können.

Sonntag kann ich ausschlafen und gehe dann gut ausgeruht ins Kafe Kult. Das Motto des heutigen Kunst Festes könnte lauten: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Der Nachmittag beginnt mit Lesungen, im Anschluss werden queere Filme gezeigt und danach gibt es Konzerte. Als ob das noch nicht genug wäre kann man an allen Ecken und Enden Kunst in den verschiedensten Medien bestaunen und erfahren. Unterbrochen wird der Nachmittag von spontanen Performances. Das alles passt perfekt in mein Wochenende, ich bin so voller kreativer Energie dass ich mich unglaublich inspiriert fühle, selber kreativ zu werden.  Abends schaue ich noch die Oscars, ich hoffe sehr für Leo! Doch auch die anderen Nominierungen sind absolut berechtigt, das kann nur spannend werden.

Übernächtigt muss ich am nächsten Tag wieder arbeiten. Allerdings habe ich ein starkes Konzentrationsproblem, im Klartext: Schon nach kürzester Zeit bin ich wieder auf der Suche nach einer Beschäftigung für den Abend, und tatsächlich werde ich fündig: In der Goldenen Bar, in der ich bis jetzt sowieso noch gar nicht war, findet ein Abend voller Erotik und Poesie statt, Sex, Drugs and Rock’n’Roll, dafür muss Zeit sein. Etwas skeptisch bin ich schon, aber auch sehr gespannt, denn wie schon mein Freitag Abend beweist, ist es einfach wichtig, sich manchmal überraschen zu lassen. Und überrascht bin ich dann auch, zum Glück nur im positiven Sinne. Die Atmosphäre ist verzaubernd, ich fühle mich in eine andere Zeit versetzt und lausche fasziniert der Lesung. Später lasse ich mich zu einem Drink hinreißen, aber nur einer, schließlich ist ja Montag.

Natürlich ist es dann doch nicht bei einem Drink geblieben, aber wozu geht man denn in eine Bar? Mit brummendem Kopf gönne ich mir am Dienstag erst mal ein ausgedehntes Frühstück, bevor ich mich wieder an meine gestern doch sehr vernachlässigte Arbeit mache. Bis zum Abend komme ich ein gutes Stück voran und kann mich mit gutem Gewissen wieder auf den Weg machen. Mein Ziel: Das Provisorium. Noir Noir sind drei MünchnerInnen,  die in ihrem Foto Projekt „Forest of Souls“ der dunklen Seite von Menschen auf den Grund gehen. Sie sagen, jeder hat so eine dunkle Seite, und ich bin absolut bereit ihnen zu glauben, wenn ich mir diese Bilder ansehe. Die Ausstellung ist unglaublich intensiv und zieht mich völlig in ihren Bann. Besonders gut gefallen mir die Models, die alle ganz unterschiedliche und faszinierende Gesichter haben.

Ein Dilemma, das jeder kennt, ist diese blöde Terminplanung. Während man an einem Tag aber auch wirklich gar nichts zu tun hat, könnte man sich am nächsten zweiteilen. So geht es mir am Mittwoch, den ich zuhause verbringe.

Wenn ich ehrlich bin, brauche ich auch einfach mal einen ruhigen Tag, wenn ich nur nicht am Donnerstag gleich zwei tolle Konzerte wären, die ich unbedingt hören will. Zum eine spielt pourElise in der Glockenbachwerkstatt. Diese junge Frau schafft es, nur mit einer Gitarre und ihrer Stimme einen ganzen Raum zu verzaubern und eigentlich darf ich mir das nicht entgehen lassen. Allerdings ist gleichzeitig auch wo anders Musik angesagt: die EgoFM Lokalhelden haben die Whiskey Foundation ins Technikum geholt. Die machen einen so tanzbaren Rock’n’Roll, dass spätestens nach dem ersten Song keiner mehr stehen bleiben kann.  Wie entscheidet man sich denn an so einem Abend? Ich werfe eine Münze, bin aber mit dem Ergebnis irgendwie immer unzufrieden. Aber dann fällt mir ein, dass pourElise ja auch bei der Ausstellung „München am Rand“ von der SZ Junge Leute Seite spielen wird, das heißt ich habe diesen Monat sowieso nochmal die Gelegenheit, sie zu sehen. Also fällt die Wahl aufs Technikum, eine gute Entscheidung, denn auch The Strayin Sparrows und The Black Submarines, die ich vorher beide noch nicht kannte, rocken ordentlich.

Zum Abschluss der Woche treibt es mich nochmal in die Milla, diesmal zum Zündfunk-Super-Slam. Die Künstler geben auf der Bühne alles, um in fünf Minuten das Publikum für sich zu gewinnen. Das gelingt nicht jedem gleich gut, aber insgesamt ist man als Zuschauer schon sehr überwältigt von so vielen verschiedenen Darbietungen auf einmal. Ich fühle meinen Kopf sausen, nachdem ich von Chor über Hip Hop bis Singer/Songwriter alles gehört habe,  immer wieder angefixt durch den aufgedrehten Moderator. Mindestens genauso aufgedreht bin ich am Schluss selber, also flitze ich noch ins Bahnwärter Thiel, um dort den Abend beim zweiten Wunstkonzert tanzend zu vollenden. Das Konzept stammt aus Berlin, kann also nur super werden. Und das wird es dann auch, bis ich in den frühen Morgenstunden dann doch in mein Bett falle. Während ich nicht mehr in der Lage bin, meinen Rolladen zu schließen, fällt mir der wohl einzige Vorteil im Winter auf: ich kann noch mindestens drei Stunden schlafen, bis es richtig hell wird.