Den Neuanfang wagen

Geflüchtete Studenten finden durch spezielle Sprachkurse an die Universitäten zurück. Weil das Geld für etwa Fahrkosten fehlt, droht die Integration oft zu scheitern. 

Was ist typisch deutsch? Samh Yousef, 23, aus Syrien ist sich da recht sicher: „Die Deutschen lieben ihre Autos“ sagt er, „und viele Leute sparen lange darauf hin, sich ein schönes Auto zu kaufen.“ Samh ist einer von zehn jungen Menschen verschiedener Herkunft, die an diesem Dienstagabend in einem Stuhlkreis in einem Seminarraum der LMU sitzen. Gemeinsam mit Trainerin Julia Halm erlernen sie das „Wie“ und vor allem auch das „Warum“ der deutschen Kultur.

Dieses interkulturelle Training, wie die Leiterin es nennt, ist Teil des erweiterten Konzepts der Organisation Students4Refugees, die Deutschkurse für geflüchtete Akademiker und Abiturienten anbietet. Und dabei soll es nicht nur um das Erlernen der deutschen Sprache gehen. „Wir gehen mit ihnen zum Beispiel auch an die Uni und zeigen ihnen alles; wie man sich einschreibt etwa“, erklärt Sinksar Ghebremedhin, der die Organisation im November 2014 gemeinsam mit seinem ehemaligen Mitbewohner Phi Tran initiiert hat. Den vielen Menschen, die in ihrer Heimat bereits einen Schul- oder Studienabschluss erworben haben, wollen sie einen kostenfreien Deutschkurs anbieten, der ihnen gleichfalls das Universitätsleben und die deutsche Lebensart im Allgemeinen näherbringt. Als Lehrkräfte engagieren sich ehrenamtliche Lehramts- oder Deutsch-als-Fremdsprache-Studenten. 

Neben den Sprachkursen und dem Mentorenprogramm bietet die Organisation auch Ausflüge an, etwa in das Deutsche Museum oder in den Gasteig. In letzter Zeit wurden die allerdings immer seltener, auch weil die Organisation fast komplett ohne Geld auskommen muss. „Zum Glück unterstützt uns die Universität mit Büro- und Übungsräumen“, sagt Sinksar. Doch schon wenn es um das Beschaffen von Lehrbüchern geht, bleiben die Studenten oft auf dem Geld sitzen. „Das Sozialreferat unterstützt nur diejenigen, die im Stadtgebiet leben“, erklärt er. Auch die Fahrtkosten können nur für Geflüchtete übernommen werden, die innerhalb der Stadtgrenzen leben. Serli, 18, und Arina, 20, aus Syrien aber leben seit sechs Monaten bei ihrer Tante in Starnberg und zahlen die Fahrt an die Uni aus der eigenen Tasche – dreimal die Woche, eine wirkliche Alternative gibt es in Starnberg nicht.

Wie den beiden Mädchen ergeht es etwa jedem Vierten der knapp 60 Geflüchteten, die derzeit beim Programm angemeldet sind. Außerdem wollte Sinksar eine Weihnachtsfeier organisieren, die nun wohl flachfällt. „Vielleicht bekommen wir ja ein kleines Winterfest zum Semesterschluss hin“, sagt Sinksar. Auch dadurch will er den Studenten aus ihrem Alltag heraushelfen – aber bislang fehlt das Geld dafür. 

„In den staatlich geförderten Integrationskursen wird oft kaum differenziert“, sagt Sinksar. „Da kann es passieren, dass Masterabsolventen in einem Raum mit Analphabeten lernen.“ Das hilft nicht wirklich. Deswegen unterstützt Sinksar nur geflüchtete Akademiker. Wenn es sich herumspricht, „dass es Flüchtlinge gibt, die es auf eine deutsche Uni schaffen“, dann sporne das auch die ohne Schulausbildung an, sagt der 25-Jährige Medieninformatikstudent. Sinksar weiß um den Wert von Bildung, seine Eltern flüchteten einst aus Eritrea nach Deutschland, er selbst ist hier geboren. Das Projekt ist sein Stolz, weil er jungen Menschen wie Wadeea Zerkly eine Perspektive schenken kann: Der Syrer, der bereits einen Master in Semitischer Sprachwissenschaft abgeschlossen hatte, wurde nun für eine Doktorandenstelle an der LMU zugelassen.  

Das Projekt wird unterstützt vom SZ Adventskalender. Mehr Infos:

www.facebook.com/szadventskalender

Text: Louis Seibert

Foto: Stephan Rumpf

Neuland: München integriert

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Der Verein Münchner Freiwillige- Wir helfen E.V. organisiert und koordiniert die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe in München. Auch weil sich dort so einiges getan hat in den letzten Monaten wird zu Beginn des kommenden Jahres ein Ideenkongress mit dem Namen “München Integriert” organisiert.

München ist bunt. Viele Geflüchtete, die während des vergangenen Sommers hier willkommen geheißen wurden, haben inzwischen einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz gefunden und sind nicht mehr auf erste Hilfe angewiesen.

Dadurch ergibt sich auch für ehrenamtlich Engagierte eine ganz neue Situation. Der gemeinnützige Verein Münchner Freiwillige- Wir Helfen plant deshalb den Ideenkongress München Integriert, um „die vielen jungen Leute mit Ideen untereinander zu vernetzen“, sagt Marina Lessig, 27, die im vergangenen Sommer die Arbeit am Hauptbahnhof koordinierte. Wegen starker Änderungswünsche der Teilnehmer musste die Veranstaltung allerdings auf April 2017 verschoben werden. Nun soll es auch eine Podiumsdiskussion geben. München soll auch in Zukunft eine offene und bunte Stadt bleiben, sagt Marina.

Text: Louis Seibert

Foto: Verein

Mein Song? Dein Song? Unser Song!

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Der von der Junge-Leute-Seite gemeinsam mit Flowerstreet Records organisierte Abend “Freundschaftsbänd” wird zu einem wahren Fest der Bandfreundschaften. Neun Münchner Bands Covern sich gegenseitig- und so manche musikalischen Gegensätze prallen direkt aufeinander

Als die beiden Herren von Elektrik Kezy Mezy die Bühne betreten, müssen sie sich erst einmal entschuldigen. Für das, was sie mit elektronisch verzerrter Gitarre gleich aus dem freudig-erwartungsvollen Song L’éléphant von Henny Gröblehner alias Pour Elise machen werden. Die Sängerin selbst muss allerdings lachen. Sie freut sich einfach auf diese etwas andere Version ihres Liedes.

„Freundschaftsbänd“ heißt der Abend im Cord-Club. Die neun Künstler des Abends spielen nicht nur ihre eigenen Songs. Jeder hat die Aufgabe, ein Stück eines weiteren Künstlers des Abends in eigener Interpretation aufzuführen. Die Junge-Leute-Seite der Süddeutschen Zeitung hat das Festival gemeinsam mit der Münchner Plattenfirma Flowerstreet Records organisiert. „Abende wie diese sollen den Münchner Bands eine Plattform geben, um sich als Kollektiv zu präsentieren“, sagt Amadeus Böhm, der nicht nur mit seiner Gitarre für Elektrik Kezy Mezy die Wände erzittern lässt, sondern auch als Gründer von
Flowerstreet Records das Festival mitkuratiert hat.

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Und so verwandelt sich der Samstagabend im Cord Club in eine Art musikalischen Kreisel: Ein Künstler spielt ein eigenes Stück in Originalfassung, das von der darauffolgenden Band gecovert wird. Die gibt dann ebenfalls einen eigenen Song zum Nachspielen frei. Den Abschluss macht der Singer-Songwriter Flonoton, der Claire Juls düster wummernden Elektro-Soul-Pop in eine fröhliche Ballade verwandelt. Und – als wäre das keine große Sache – hat er den englischen Originaltext für diesen Auftritt ins Deutsche übersetzt.

Bereits beim Soundcheck sind viele der Künstler aufgeregt. Weil die andere Band direkt mitbekommt, „was man aus ihrem Song, aus ihrem Herzblut gebastelt hat. Das ist wirklich aufregend und sehr intim“, verrät Verena Lederer, die als Klimt auf der Bühne Flonotons gehetzt-verzweifeltes Lied „Prellung“ in eine ruhige mit hübschen Melodieläufen ausgestattete Klavierballade verwandelt. Ihr persönlich ausgearbeiteter Stil rückt selbst beim Covern deutlich in den Vordergrund. 

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Und genau das ist es, was diesen Abend der Band-Freundschaften so besonders macht. Alle Künstler geben sich größte Mühe, das ihnen anvertraute Lied in ganz neuem Licht zu präsentieren. „Dabei musste man den Song komplett auf das Wesentliche herunterbrechen und sich dann überlegen: Wie würde ich das schreiben?“, sagt Kilian Unger alias Liann, der wohl eine der härtesten Aufgaben zu bewältigen hat. Gemeinsam mit der Cellistin Elisa von Wallis verwandelt er Elektrik Kezy Mezys wummernde Blues-Rock-Nummer „This Is How“ in ein andächtiges Liebeslied. Statt lauten Gitarrensoli setzt Liann auf punktiertes Picking am Cello. Und das funktioniert hervorragend, auch die Zeilen des Refrains „This is how I love you / This is how I make you cry“ bekommen eine ganz neue Bedeutung. Die bildmalende Poesie des Liedermachers trifft auf harte Bluenotes der Münchner Garage-Rocker – derartige musikalische Kontraste gibt es an diesem Abend viele. Mola etwa, die Klimts intensives Stück „Loneliest Person On Earth“ in eine groovige Soul-Nummer verwandelt. Und so zeigen die Künstler einmal mehr, dass in München genauso großartige, bunte musikalische und kulturelle Impulse gelebt werden wie in anderen Städten.

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Auch mit einem weiteren Stereotyp räumen die Münchner Künstler auf. Noch immer hört man das Vorurteil, dass sich aufgrund des hohen Konkurrenz- und Erfolgsdrucks in der Szene eine Art Ellenbogengesellschaft gebildet habe. Dass die Bands hier mehr gegeneinander als für- und miteinander arbeiten würden. Wer am Samstagabend allerdings auf die Hingabe achtet, mit der sich die Künstler an den ihnen anvertrauten Liedern zu schaffen machen, der kann bezeugen, dass zwischen den Musikern eine ganz besondere Bindung herrschen muss. 

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Besonders nach diesem einmaligen Konzert ist diese Vertrautheit überall spürbar. Es wird gelacht, gedankt für die neuen Impulse, die jeder Künstler aus den Coverversionen mitnehmen kann. Karlo Röding etwa, Frontman der Indie-Band The Living, hätte Sängerin Claire Jul den eigenen Song „Sweet Melody“ fast geschenkt, als er ihre Version zu hören bekommt.

Auch das Publikum zeigt sich begeistert vom extrem kurzweiligen Verlauf des Abends. Viele Zuschauer wünschen sich eine Fortsetzung, besonders weil sich die Münchner Bandszene so familiär und freundschaftlich verbunden gezeigt hat. Bei all den neuen Eindrücken und Bekanntschaften freuen sich Bands und Publikum selbstverständlich auch über die ausgefalleneren Kontrastpunkte, die etwa Dobré setzen kann. Mit Cajons und Westerngitarre verwandeln sie Molas Electro-Pop in eine entspannte Lagerfeuerhymne. Und auch Pour Elise zeigt sich von der verzerrten Up-Tempo-Version ihres unbeschwerten Akustik-Songs begeistert. „Ich konnte noch immer alles mitsingen“, sagt die Sängerin. Und für den Stilbruch haben sich Elektrik Kezy Mezy ja bereits entschuldigt.

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Text: Louis Seibert

Fotos: Jean-Marc Turmes


Weitere Bildergalerien des Abends gibt es hier und hier.

Von Freitag bis Freitag: Unterwegs mit Louis

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Der Winter ist nun definitiv eingezogen über München. Unser Autor hat sich schon einmal umgesehen, was

für Rückzugsorte vor der Kälte

das Münchner Nachtleben in der kommenden Woche bietet. Von einem jungen Theaterstück bis zu treibenden Jamsessions ist da alles dabei.

Winter kann wundervoll sein. In der Jahreszeit, in der vor Kälte zitternde Hände vereiste Windschutzscheiben abkratzen und kleine Kinder Schneeflocken auf ihren Zungen schmelzen lassen, freut man sich umso mehr über jede Ablenkung von der Kälte, von den kurzen Tagen. Deshalb schmeckt Glühwein erst so toll und deshalb sind beschauliche Konzerte in warmen Kellerclubs im Winter besonders schön.

Wie fantastisch ist es da, dass mein Freitagabend
mit der allwöchentlichen Jam-Session in der Glocke beginnt! Obwohl das
Wettstreiten der engagierten Jazz, Funk und Blues-SpielerInnen und SängerInnen
leider längst nicht mehr als Geheimtipp durchgehen kann, starte ich nirgends
lieber als hier ins Wochenende. Wohin es musikalisch gehen soll während des
Abends, weiß nie jemand so recht; eines aber ist gewiss: Zwischen treibenden
Saxophonsolos, der tanzenden und lachenden Menge und den sich schnell leerenden
Augustinerflaschen haben Alltagssorgen keinen Platz mehr. Als den Musikern die
Kraft ausgeht, ziehen wir noch weiter. Der Rausch der Musik lässt mich noch
nicht los. Deshalb verschlägt es mich zu später Stunde noch ins STROM. Bei den
Partys von Klein&Laut liegt der Fokus weit abseits herkömmlich-größenwahnsinniger DJ-Veranstaltungen.
Perfekt, um das Leben mit feinsten Electro-Sounds der Münchner Lokalhelden- der
Såmt & Sønders Familie und der ESCON-Crew zu feiern.

Den besten Katerkaffee gibt es bei meinem guten Freund
Filip. Als ich mich am Samstag
endlich aus dem Bett traue, schwinge ich mich aufs Fahrrad um den übrigen
Vormittag mit Filip, seinem fantastischen Kaffee und Musik aus Mali
verstreichen zu lassen. Einen ruhigeren Gegenpol zur durchzechten Nacht gestern
kann ich mir nicht vorstellen. Allerdings muss ich aufpassen, mich nicht allzu
sehr zu verquatschen, denn ich will noch in den Olympiapark. Genauer gesagt auf
den dort wöchentlich vom Roten Kreuz organisierten Flohmarkt. Bei 35.000
Quadratmetern Gelände ist sicher das ein oder andere spannende Fundstück aus
vergangenen Zeiten dabei. Abends geht es
dann wieder musikalisch weiter: Im Cord Club findet der von der SZ
Junge-Leute-Seite gemeinsam mit Flowerstreet-Records organisierte Abend
„Freundschaftsbänd“ statt. Neun verschiedene Münchner Künstler covern sich
gegenseitig. Mit dabei: die Indie-Band The Living, Blues-Rocker Elektrik Kezy
Mezy
, die Popband mola und verschiedenste Singer/Songwriter – Liann, pourElise,
KLIMT, Flonoton, Claire Jul und Dobré. Ich kann es wirklich kaum erwarten zu
sehen, was die doch recht verschiedenen Künstler aus den Songs der anderen
machen werden. Spannend wird es allemal.

Ausschlafen ist am Sonntag
für mich nicht angesagt, denn ich muss den gestrigen Abend in einem Artikel
festschreiben. Den werdet ihr dann am Montag in der Zeitung lesen können. Als
ich es endlich geschafft habe, die richtigen Worte für diesen bunten Abend zu finden, mache ich mich auf den Weg zum Hauptbahnhof. Mein Wochenende beschließe
ich mit einem Ausflug in die Berge. Die frische Luft und die Ruhe in der (hoffentlich) verschneiten Natur werden mir gut tun, nach so viel Getrieben Sein in den
letzten Tagen.

Montag. Das
Wochenende ist zwar schon wieder viel zu kurz gewesen, doch deswegen sollte man
auf keinen Fall den Kopf hängen lassen. Nach einem langen Arbeitstag statte ich
der Glockenbachwerkstatt einen erneuten Besuch ab, heute Abend findet hier der
monatliche Bless The Mic Poetry Slam statt. Ich bin gespannt, welcher Künstler
dieses Mal das goldene Mic für den besten Text des Abends mit nach Hause
nimmt. Weil es inzwischen wirklich schrecklich kalt geworden ist, verbringe ich
den Rest des Abends auf dem Tollwood. Mein Programm besteht aus Glühwein
trinken und originelle Weihnachtsgeschenke für die Familie finden, auch
dafür muss schließlich irgendwann Zeit sein.

Es gibt so Tage, an denen würde man sich am liebsten
Zweiteilen. Der Dienstag ist bei mir
regelmäßig so ein Tag. Dann findet nämlich im Sunny Red in der Hansastraße ein
Reggae-Jam statt, während sich Münchens Nachwuchs-Hip-Hop-Talente bei der
Open-Mic-Session in der Glockenbachwerkstatt verbal duellieren. Vielleicht kaufe ich mir doch noch einen dieser Zeitumdreher aus der Winkelgasse.

Dass ich mich zur
Zeit noch vor dem Studieren drücke, soll mich nicht davon abhalten, hin und
wieder in der Uni vorbeizuschauen. Am heutigen Mittwochabend
findet im Centre for Advanced Studies um 18.30 Uhr ein Vortrag mit dem Titel „Forced
Migration: Contextualizing the Syrian Refugee Crisis“
statt. Ich bin gespannt,
was die Dozentin der University of Oxford über die aktuelle Flüchtlingskrise im
Zusammenhang der Völkerwanderung zu erzählen hat. Als der Vortrag beendet ist,
schwirren tausende neuer Infos durch meinen Kopf, die nur durch gute Musik und
ein kühles Bier zu bändigen sind. Deshalb statte ich noch dem Unter Deck einen
Besuch ab. Die Psychadelic-Band Blackberries gibt hier heute Abend ihren ‘60s-Sound
zum Besten. 

Am Donnerstag tue
ich etwas, das ich schon lange hätte tun sollen: das Ensemble des Jungen Resi
bringt mit „Wir sind jung, wir sind stark“ höchstaktuellen und brisanten Stoff
auf die Bühne des Marstall-Theaters. Ein Mob rechtsextremer Jugendlicher
stürmt im Jahr 1992 ein Ausländerwohnheim in Rostock, das Stück erzählt den
Radikalisierungsprozess dieser Jugendlichen nach. Da heute Abend eine der
letzten Aufführungen stattfinden, habe ich mir den Termin schon lange
vorgemerkt. Meine Freunde schreiben mir später noch aus dem Harry Klein, in dem
das neuformierte Kollektiv „Ohne Worte“ auflegt. Ich würde zwar gerne hingehen,
bekomme die Bilder des Theaterstücks aber nicht aus dem Kopf und mache mir
einen gemütlich-nachdenklichen Abend daheim. 

 Und schon ist eine weitere Woche
wie im Flug vergangen. Es ist wieder Freitagabend.
Ich könnte mich also erneut dem Jazz-Jam in der Glocke anschließen, entscheide
mich aber um. Im Feierwerk findet heute Abend „Plug-In Beats“ statt. Eine
besonders auf junge Geflüchtete ausgerichtete Veranstaltung, bei der jeder der
möchte einen Track vorschlagen kann. Diese werden vom DJ in die musikalische
Auswahl des Abends integriert. So lasse ich das neue Wochenende mit senegalesischem
Reggae, Bongo aus Tanzania und pakistanischem Banghra-Pop beginnen. 

Text: Louis Seibert

Foto: Privat

Zufallsstudium: Begraben unter Gesetzestexten

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Weil unser Autor einem Studenten erst in die Freistunde folgt, muss er sich beeilen, um nicht ergebnislos in der Haupthalle zurückzubleiben. Und prompt platzt er in eine Juravorlesung.

Als ich den
weiten Raum betrete, sehe ich sie schon. Es graust mich. Auf jeder Reihe des
Hörsaals liegen die seit der Mittelstufe gefürchteten dicken weißen Bücher aus,
mit großen farbigen Buchstaben bedruckt. „ÖffR“ steht dort geschrieben. Und
darunter: „Basistexte Öffentliches Recht“. Ich bin tatsächlich in einer
Juravorlesung gelandet.

„Bloß nicht
Jura oder BWL!“ denke ich mir, als ich zehn Minuten zuvor durch die hohen Türen
in die Uni-Haupthalle laufe. Vor Wirtschaft und Recht grauste ich mich schon zu
Schulzeiten, viel eher träume ich bereits von einem Ethnologie- oder
Philosophievortrag. Der Tag sollte sowieso noch einiges an Überraschungen
bereithalten, weil ich mich erst ein einziges Mal zuvor durch diese großen
Türen hindurch getraut hatte. Das war auch nicht wirklich während dem regulären
Universitätsbetrieb. Sondern nachts um 10 bei der großen Erstsemester-Party der
LMU. Zeit also, nun endlich einmal in diese große, spannende Welt der
Wissenschaft einzutauchen.

Als Neuling
wollte ich in diesem unbekannten Milieu keinesfalls auffallen und so erscheine
ich gerade noch so pünktlich -zehn nach zehn- auf dem Geschwister-Scholl-Platz.
Aus allen Richtungen eilen junge Leute in die große Halle, stürmen fast schon
durch mich hindurch. Da erblicke ich auch schon mein Opfer: langsam schlürfend
bewegt er sich die Treppen empor, in der einen Hand eine Brotzeittüte. Sein
Kopf bewegt sich im Takt zu einem Beat aus den schwarzen Kopfhörern vor und
zurück. Diese Ruhe, die dieser Student ausstrahlt inmitten all der Hektik, sie
macht ihn mir auf Anhieb sympathisch. Schnell merke ich allerdings, dass er
einen bestimmten Grund hat, sich so viel Zeit zu lassen: er muss in keine
Vorlesung eilen. Als er die Mitte der Eingangshalle erreicht, kramt er einen
Tabakbeutel hervor und beginnt, sich eine zu drehen. Sackgasse.
Mit dieser Person lässt es sich wohl wunderbar über Entschleunigung
philosophieren, ich selbst muss jetzt aber weiter.

Schon sehe
ich zwei jüngere Studentinnen mit prall gefüllten Hugendubel-Jutebeuteln die
Treppen hochlaufen und folge ihnen. Literaturwissenschaft vielleicht oder
Romanistik, denke ich mir freudig. Bis die beiden die Tür zum halb gefüllten Hörsaal
öffnen. Ich folge ihnen und plötzlich bin ich ganz umringt von diesen
Gesetzestexten, von denen ich seit der Oberstufe größtmöglichen Abstand zu
halten pflegte.

Ich setze
mich in eine der hinteren Reihen und krame Block und Stift hervor. Jetzt bin
ich wohl doch zu spät gekommen. Vorne spricht bereits der Dozent. Der rollt jedes
seiner Rs rollt und wirkt erstaunlich jung für einen Professor. Auf der Tafel
stehen bereits jene Abkürzungen und Zahlen, die mir schon immer unheimlich
waren: „Art. 24 GG“, soviel verstehe ich auch noch. „Die Bundesrepublik und die
europäische Union“ ist der Titel der Powerpoint-Präsentation, was mich aufatmen
lässt. Meine Angst, innerhalb der nächsten eineinhalb Stunden unter einem Berg
von Paragraphen, Verordnungen und Vertragserfüllungsbürgschaften zu  versinken, sinkt gewaltig.

Und tatsächlich
schafft es der Dozent, auch in mir Interesse zu wecken. Es soll in dieser
Vorlesung vor allem um die Verträge gehen, die die Bundesrepublik mit der EU
abgeschlossen hat. Zu Beginn bekommen wir einen kurzen historischen Abriss über
die Entwicklung in Europa hin zu einer gemeinschaftlichen Organisation
präsentiert. Ich lerne, dass der europäische Integrationsauftrag bereits im
Grundgesetz festgesetzt wurde. Dabei ist der Dozent bemüht, dieses doch recht
trockene Thema durch kurze Diskussionen aufzulockern. Einmal bemerkt eine
Studentin aus den vorderen Reihen etwa, dass die EU mehr zu einer Wirtschafts-
als zu einer Friedensgemeinschaft angewachsen ist.

Recht
schnell fallen allerdings Begriffe wie Subsidiarität oder relativer Anwendungsvorrang,
andere Abkürzungen wie EUZBLG und IntVG müssen eigentlich gar nicht mehr
erklärt werden. Ich habe das Gefühl, ein Buch erst von der Mitte an zu lesen
und schließe kurz die Augen. Mein Kopf brummt. Im zweiten Anlauf kann ich dann
doch ganz gut mithalten. Im Grunde wird uns erklärt, über welche Kompetenzen
und Entscheidungen die EU verfügt und wo die einzelnen Staaten noch das Sagen
haben. Der Kern der Staatsidentität muss bewahrt werden, so steht es auch im
Grundgesetz.

Die meisten
meiner Zufalls-Kommilitonen scheinen allerdings genauso wenig zu erahnen,
worüber genau der Professor gerade spricht. Die Köpfe werden schwer. Selbst
das permanente Gemurmel aus der Reihe hinter mir vergeht in müdes Gähnen. Klüger
fühle ich mich inzwischen auf jeden Fall: ich habe gelernt, bis zu welchem Grad
die Europäische Union in nationale Gesetze eingreifen darf und warum ein
„nationaler Identitätsschutz“- zumindest aus juristischer Sicht- durchaus
wichtig ist.

Ich hätte es
schön gefunden, wenn der Kurs die angebliche Notwendigkeit dieser nationalen
Identitäten stärker hinterfragt hätte, das ist aber wohl eher was für Politik-
oder Kulturwissenschaftler. Gleichzeitig betont der Dozent immer wieder, wie
wichtig uns allen die EU trotz all der Kritik und gerade auch wegen dieser
unsicheren Zeiten sein sollte. Wie ich finde, etwas das nicht oft genug
ausgesprochen werden kann.

Bald beendet
er auch die Vorlesung mit Verweis auf weiterführende Veranstaltungen im
Sommersemester. Ich packe mein Zeug zusammen und stürze durch die Menschenmasse
hindurch in Richtung Ausgang. Vielleicht, denke ich mir beim Hinauslaufen in
die Herbstsonne, vielleicht sollte ich diese weiterführenden Veranstaltungen
ebenfalls besuchen.

Text: Louis Seibert

Foto: Lukas Haas

Neuland: Freundschaftsbänd

Ein neues

Festival

von den Jungen Leuten der Süddeutschen Zeitung steht vor der Tür: beim Abend “Freundschaftsbänd” im Cord Club covern sich neun Münchner Künstler gegenseitig.

Es werden 18 Lieder gespielt. Ein guter Wert für ein Konzert, und doch verspricht die Veranstaltung am Samstag, 3. Dezember, nicht nur ein guter, sondern ein einzigartiger Abend zu werden: Bei Freundschaftsbänd im Cord Club bekommt jede der neun Bands aus der Singer/Songwriter- und Indie-Sparte die Chance, ein Lied eines weiteren Künstlers in eigener Interpretation zu spielen. Zwei Wochen Zeit hatten die Musiker, um die Stücke einzustudieren. Zum Festival lädt die Junge-Leute-Seite der SZ gemeinsam mit Flowerstreet Records ein. 

Amadeus Böhm, Gründer des Indie-Labels, freut sich auf einen bunten Abend: „Songs anderer Musiker zu covern, ist eine Chance, seinen künstlerischen Horizont zu erweitern“, sagt er. Gespannt ist auch Verena Lederer alias KLIMT, „weil die andere Band sich dann anhört, was man aus ihrem Song, aus ihrem Herzblut gebastelt hat.“ Los geht es im Cord Club, Sonnenstraße 18, um 20 Uhr, der Eintritt beträgt sieben Euro. Wer wen covern wird am Samstag, das soll bis zuletzt eine Überraschung bleiben.

Text: Louis Seibert

Foto: Yunus Hutterer / Grafik: Max Mumme

Trends? Braucht niemand

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Ein nichtkommerzielles Independent-Magazin, und das in einer Stadt wie München, die es der Subkultur oft so schwer macht? Das geht. Hassen Ben Chtioui, 26, und Yasmin Rahmanzadeh, 29, bringen am Freitag „’This Orient“ heraus – ein Heft über Kunst

Unzählige lose Stromkabel, dahinter die Feuerschutztreppe eines mehrstöckigen, dunkelgrauen Hochhauses, die sich wie eine überlebensgroße Schlange am Gebäude emporzieht. Die Bilder des Tschechen Jan Vranovsky zeigen Tokio als Stadt der Hinterhöfe, über die sich kein Architekt oder Designer besonders lange den Kopf zerbrochen hat. Als Betrachter fühlt man sich da ganz verloren, bei so viel weltfremdem Metropolenzauber.

Der in der japanischen Hauptstadt lebende Fotograf ist einer von neun ausgewählten Künstlern, deren Arbeiten im Kunstmagazin ’This Orient porträtiert werden. Gegründet wurde es von den beiden jungen Münchnern Hassen Ben Chtioui, 26, und Yasmin Rahmanzadeh, 29. 130 Seiten dick ist das Heft, mit dem die zwei Architekten ungewöhnliche künstlerische Ansätze wie die Arbeiten von Vranovsky beleuchten und auch einen Fokus auf kreative Schaffungsprozesse setzen.

Ein nichtkommerzielles Independent-Magazin, und das in einer Stadt wie München, die es der Sub- und Nebenkultur oft so schwer macht? Das geht. Hassen ist sogar überzeugt davon, in München ideale Grundbedingungen dafür vorzufinden. Einen Überfluss an künstlerischen Angeboten gebe es in München nicht, eine Konkurrenz, die es Nachwuchstalenten in Städten wie Berlin inzwischen schwer macht, Fuß zu fassen. „Man hat hier einen recht guten Überblick über die Szene, was es einem auch als Quereinsteiger leichter macht.“ Gleichzeitig seien die Erwartungen hier relativ hoch. Vor allem, wenn es darum geht, mit seiner Kunst auch Geld zu verdienen. Aber: „Dafür ist die Kaufkraft einfach da“, sagt Hassen mit einem Augenzwinkern. 

Entstanden ist die Idee für das Magazin aus Mangel an künstlerischer Freiheit im Alltag. „Je kreativer die Architektur, desto weniger Geld verdienst du damit“, erklärt Yasmin. Umso mehr waren beide von der Arbeit an der Website und dem Magazin erfüllt, nahmen vom Layout bis zum Druck alles selbst in die Hand. Der Titel der ersten Ausgabe von ’This Orient lautet „Comfort Zone“. Die kreative Komfortzone ist für sie „ein abstrakter Raum, der alles einschließt, was du brauchst, um kreativ tätig zu werden“. 

Auch der Name des Magazins hängt für die beiden Architekten direkt damit zusammen. Beide haben Verwandte im Iran beziehungsweise in Tunesien. Orient, das ist für Yasmin vor allem ein imaginärer Ort, an dem man sich wohl fühlt und kreativ arbeiten kann. Eine Art Zufluchtsort, um zu den eigenen Wurzeln zurückfinden zu können und neue Ideen zu entwickeln.   

Im modernen Alltag ist dieser Zufluchtsort oft kaum erreichbar. Von allen Richtungen aus wird man überschüttet mit Eindrücken, die kreative Freiheit bleibt für die beiden Heftgründer zu oft auf der Strecke. „Ich möchte nicht, dass die Kunst mir vorschreibt, wie ich mit ihr umzugehen habe.“ Yasmin schaut auf und ihr Blick wird kurz ernst. Doch dann lächelt sie wieder. Sie spricht von Kunst als idealen Weg, sich von Zwängen zu befreien. Die zwei jungen Architekten strahlen eine Ruhe aus, wie man sie nur allzu selten spürt im hektischen Trubel der Großstadt. 

Hassen und Yasmin lernten sich bei einem Uni-Projekt kennen. Der 26 Jahre alte gebürtige Bremer schrieb damals bereits einen Blog, kam allerdings mit dem Klick-Fetischismus in den Online-Medien nicht zurecht. In einer Welt, in der sich der Erfolg vor allem an der Anzahl der Likes und Kommentare misst, gehen alternative Projekte leicht unter. „Wir sind kein Heft, das Trends hinterherjagt“, erklärt Hassen, „vielmehr sind wir daran interessiert, mit Kreativen über ihre Arbeit zu sprechen. Das sind Prozesse, das ist etwas Zeitloses.“ Und dafür sei Print einfach das richtige Medium, sagt er. Auf gedruckten Seiten könne man gezielter künstlerische Akzente setzen und auch die Aufmerksamkeitsspanne der Leser ist hier deutlich länger.

Im Internet lässt sich bereits erahnen, in welche kreative Richtung sich die beiden begeben wollen. Die Website des Magazins präsentiert sich schlicht, unaufdringlich und doch mit einer gewissen Affinität Details gegenüber. „Klassischer Architektenstil“, gibt Hassen zu. Einführende Artikel begleiten die Bildstrecken, auf denen sich Künstler mit Mode, Architektur, Design, Fotografie oder auch Musik auseinandersetzen. Landschaftsporträts vom Schwarzen Meer treffen auf minimalistische skandinavische Bauwerke. Eine Fotostrecke über Schnee in der saudischen Wüste erblickt man direkt nach einer Kunstinstallation mit übergroßen Luftballons. 

Diese thematische Öffnung war den beiden besonders wichtig, auch um möglichst vielseitige künstlerische Ansätze auf einer Plattform zusammenzuführen. Hassen und Yasmin suchten hierfür den Dialog mit Kunstschaffenden, die sich über die Website bei den Herausgebern bewerben konnten. Besonders in den Interviews tauschten sie sich vertieft über deren Arbeitsweisen aus. Das waren auch für die Macher selbst extrem spannende Begegnungen, „weil die Fragen teilweise so sehr in die Tiefe gingen. Da konnte man sich richtig drin verlieren“, schwärmt Hassen, der immer ganz hibbelig wird, wenn er beginnt, von seinem Projekt, von Kunst zu sprechen. Seine Hände verlieren sich dann schnell in wild zirkulierender Gestik, als würde er die Luft zwischen ihnen zu einer Skulptur formen wollen. Dabei wollten die Magazinmacher nicht bewusst eine Lücke schließen in der Szene. Erst im Nachhinein fiel ihnen auf, dass es in München noch kein Projekt mit ähnlichem Ansatz gegeben hat. Sagen sie zumindest.

Ob sie sich vorstellen können, mit dem Konzept erfolgreich zu werden und eines Tages davon leben zu können? „Piano, piano!“, sagt Hassen. Das habe nie im Vordergrund gestanden. Es ging immer eher um künstlerische Selbstverwirklichung, darum, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Und darum, neue Blickwinkel aufzuzeigen, der Wahrnehmung von Kunst einen frischen Anstrich zu verpassen. Dafür ist die Erstauflage mit 1000 Stück recht stattlich.

Text: Louis Seibert

Foto: Sophie Charlotte Hoffmann


Die Release-Party für das Magazin findet am Freitag, 25. November, von 18 Uhr an in der Galerie „Freundschaftsbande“, Hans-Sachs-Straße 5 statt. Weitere Informationen unter www.thisorient.com.

Neuland: HÄ?

Jedes Jahr bringt der Abschlussjahrgang der DJS ein Magazin heraus. Die diesjährigen Absolventen haben sich etwas ganz besonderes einfallen lassen.

Die Welt ist einfach ein seltsamer Ort. Nicht nur, weil ,,Gangnam Style‘‘ das meistgeklickte YouTube-Video aller Zeiten ist. Nein, Absurdes findet man überall im Alltag. Die fünfzehn Absolventen des Abschlussjahrgangs der Deutschen Journalistenschule in München widmen nun ein ganzes Heft diesen kleinen und großen Verrücktheiten. Für das Magazin „HÄ?“ sammelten die Studenten Geld mittels Crowdfunding im Internet, nun soll es in den Druck gehen. 

Die Autoren haben für ihr Abschlussprojekt allerlei verrückte Geschichten recherchiert. Von Jugendlichen, die in ihrer Freizeit auf extrem hohe Bauwerke klettern, oder einer transsexuellen AfD-Wählerin. Dabei haben sich die Studenten bewusst für ein gedrucktes Heft entschlossen. „Ganz altmodisch“, sagt Josa Mania-Schlegel.

Bis morgen, 16.11. , kann man das Heft noch im Internet auf startnext.com/dosiskurioses bestellen.

Text: Louis Seibert

Anmerkung der Red.:

Die Journalistenschüler haben ihr Magazin im Nachhinein in RLY umbenannt.

Foto: Facebook

Zeichen der Freundschaft: Nachtschwärmer

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Zwei Freunde, die sich gerne gegenseitig auslachen und gemeinsam durch die Nacht ziehen. Und das wird immer dann besonders schön, wenn die Bar zu hat. Wenn man nicht so recht weiß, wohin.

Licht aus. Noel klopft an die mit Stickern übersäte Holztür.
Sie ist abgeschlossen. Licht aus. Ich springe vom einen Bein aufs andere, weil
mir so kalt ist. Ein zu langer Spaziergang durchs Glockenbachviertel, davor zu
viel Hirschkuss an der Reichenbachbrücke, der uns jetzt auch nicht mehr warm
hält. Und jetzt das. Wie zwei Ausgestoßene stehen wir auf dem kalten
Bordsteinpflaster. Blicken in den leeren, dunklen Couch Club.

Es ist Montagabend, Geisterstunde. Die meisten Menschen
sitzen zu diesem Zeitpunkt wohl gemütlich vor einem flimmernden Fernseher, eine
Riesentasse heiße Schokolade in den Händen. Aber Noel und ich, wir können das
nicht. Wenn sich die Menschheit hinter den eigenen vier Wänden verschanzt,
beginnt unser nächtliches Abenteuer. Die Zeit mit ihm wird immer zu einem heimatlosen
Streifzug durch verlassene Straßen und Plätze, durch alte Geschichten und ferne
Zukunftspläne, zu unbekannten Menschen oder Orten. Viele dieser Abende haben
sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Weil es eigentlich noch nie zweimal denselben
gegeben hat.

Noel und ich kennen uns schon seit der F-Jugend und trafen uns dann Jahre später im Tischtennis-Verein wieder. Doch erst seit dem ersten Nachmittag auf dem Bolzplatz mit anschließender Mario-Kart-Runde sind wir ein wenig unzertrennlich geworden. Er lacht mich gerne aus.  Wenn ich mal wieder zugeben muss, dieses oder jenes vergessen zu haben oder erneut einen phänomenalen Fehlpass im Fußball schlage.  Und ich lache dann immer mit. Weil wenn Noel lacht, klingt das ein wenig wie ein aufgeblasenes Nilpferd mit Schluckauf. Ich verstehe seine Art des Durchgeknalltseins, weil ich auch ein bisschen so ticke und wir oft denselben Drang nach Alltagsflucht verspüren.

Im vergangenen Sommer trafen wir uns regelmäßig abends an
der Isar und setzten uns bei willkürlichen Lagerfeuerrunden mit dazu. Erkauften
uns quasi die Gesellschaft mit mitgebrachtem Bier und Rum-Cola. Dann kam der
Herbst. Es zog uns beide raus in die Welt- ihn nach Australien und Thailand. Mich
nach Ostafrika. Doch schon vor unserer Rückkehr ist uns klar gewesen, dass wir
unser Nachtritual fortsetzen müssen. Das schönste am Verreisen ist doch, wiederzukommen
und zu merken, dass sich eigentlich nichts verändert an der Freundschaft. Trotz
all der Monate und all der Kilometer.

An der Isar sind wir nun kältebedingt die einzigen. Als die
Flasche Hirschkuss leer ist und unser Brennstoff verpufft machen wir uns auf,
durch ein ausgestorbenes Montagnacht-München. Über unendliches
Kopfsteinpflaster, auf dem wir beide so viel Leben finden können. Ich glaube
wir sind gleichermaßen ein wenig mehr Nachtschwärmer als Tagdenker. Wir  finden genau dann immer so richtig zueinander
wenn die Bar überraschend zu hat und der weitere Verlauf des Abends völlig
unklar ist. Mal laufen wir stundenlang an Laternenlichtern vorbei, in jenen
spätnächtlichen Gesprächen über Philosophie vertieft. Oder es verschlägt uns an
die alten Bahngleise beim Schlachthofviertel.
Dort steht immer irgendeinen alten Güterzug auf dem Abstellgleis, auf
dem man wunderbar Sterne gucken kann.  

Mit Noel durch die Straßen zu streifen, ist wie dem Pendel
der Zeit beim Innehalten zuzusehen. Alles wirkt dann deutlich langsamer,
verläuft so viel ungeplanter wie sonst. Es gibt ja dann immer noch die eine
Seitenstraße, die noch interessanter wirkt als die davor. Und die davor. Und so
setzen wir unseren heimatlosen Nachtspaziergang fort.

Von: Louis Seibert

Foto: Yunus Hutterer 

Kunst wie Kamerablitze

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Das diesjährige „Sound Of Munich Now“-Festival im Feierwerk zelebriert die bunte Musikszene Münchens – und blickt
zudem nach Augsburg und Regensburg. Revue eines mitreißenden Festivals

Rockige Riffs. Klick. Licht aus. Klick. Schulterblick, andere Bühne. Klick. Der Abend füllt sich mit Augenblicken, die einen so schnell erfassen wie der Blitz einer Kamera. Und sobald man die Augen wieder öffnen kann, kommt schon der nächste intensive Blitz. Die zarte Stimme von pourElise-Sängerin Henny Gröblehner. Klick. Balkan-Pop von Antun Opic. Klick. 

Eine 90-Grad-Drehung reicht aus, um in die Klangwelt der nächsten Band zu gelangen. Im Hansa 39 sind am Samstagabend die Bühnen, auf denen abwechselnd gespielt wird, nur einen Schulterblick voneinander entfernt. Der „Sound Of Munich Now“ rast vorbei, das Jetzt ist nur ein Sekundenbruchteil im Viervierteltakt. 

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Der erste Abend, die Nacht von Freitag auf Samstag, hat der elektronischen Musikszene gegolten, die auch in München sehr vielfältig ist. Die Setlist des Abends will und soll diese Vielfalt ausdrücken. Früh am Abend tanzt man sich warm zu den Stücken von Jean Blanc und Mindsight. Viele junge Gäste haben sich am meisten auf Leon Weber alias LCAW gefreut, der für den ersten unvergesslichen Gänsehautmoment sorgt. Die Zeilen „colors fill my eyes when the day turns grey/ and I’m closer now to the path that takes/ me through all the doubts/ through all the clouds” des LCAW-Hits „Painted Sky“ singen einige in der Kranhalle mit. Die Klänge werden dann immer rauer, verworrener, trance-lastiger. Shimé sorgt für den musikalischen Umbruch, indem er gekonnt eine Brücke zwischen LCAWs eingängigen Hooks und den harten Techno-Beats von Pech&Schwefel baut. 

Der „Sound Of Munich Now Electronica“ hat etwas Einzigartiges. Während in den meisten Clubs höchstens drei DJs pro Abend auflegen, waren es hier acht. Shimé schätzt die Abwechslung, die der Abend bietet, als Möglichkeit für neue Ideen und Eindrücke. Am Ende der Show sind es die Frauen an den Turntables, die die tanzende Meute durch die tiefen Nachtstunden führen und sie mit jedem Beat ein Stück weiter von der Realität entfernen. Als die letzten Herbstvögel draußen zu zwitschern beginnen, verklingen Marcellas letzte Beats.

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Einige Stunden später erwacht das Feierwerk wieder. Die Bühnen werden aufgebaut, schon vor 18 Uhr kommen die ersten Gäste. Die Schlange vor dem Festival, das seit acht Jahren die SZ gemeinsam mit dem Feierwerk organisiert, ist lang, manche sprechen schon von einem Warte-Rausch. Drinnen wird eine unglaublich hohe Anzahl von Acts geboten. Menschen stehen vor dem Timetable, um die Namen der Newcomer zu speichern. Geheimtipps, die man erst einmal googeln muss, findet man einige. 

Rapid eröffnen das Festival. Tanzbarer Ska. Klick. Indie-Beats von Future Days. Klick. Die Bands wechseln in einem derart schnellen Tempo, dass der Applaus gar nicht erst aufbranden kann. Das Bühnenlicht geht aus, und vor der anderen Bühne bewegen sich 15 Minuten lang die Menschen zu den rockigen Gitarrenklängen von Emmi King, da geht auch schon das Licht aus und die Halle füllt sich mit den ehrlichen Worten der Singer-Songwriterin Julia Kautz. Eine Gruppe von jungen Männern in schwarzen Punk-Klamotten schaut umher und findet nach einiger Zeit GrGr mit seiner Gitarre und seinen Gameboys. Ein Pärchen bewegt sich zu den Klängen von Matthew Austin & Matilda. Das Publikum ist bunt gemischt: Bartträger, Knöchelfrei-Hipster, Mädchen in Ringel-Shirts. Nur eine Gruppe fehlt: Lederhosen- und Laptopträger. 

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Gleiches Bild auch auf den Bühnen von Augsburg und Regensburg. In der Kranhalle spielen We destroy Disco wie Coldplay auf Stadiontournee, sogar die Zeile „Lights will guide you home“ bauen sie in ihre Songs ein. King the Fu, eine weitere Indie-Band lässt den Menschen keine Tanzpause. Auffällig: In der ersten Reihe stehen die Musiker von We destroy Disco. Gegenseitiger Support wird beim „Sound Of Munich Now“ groß geschrieben. Verbunden sind die vielen Künstler, Veranstalter und das Publikum nicht nur durch ihre Heimatstädte, sondern vor allem durch das Interesse an der Musik, die sagt: So klingen wir. „Wir“ ist auch ein Begriff, den die Regensburger im Orangehouse feiern. „Cat Stash sind aus unserem Viertel“, sagt eine junge Frau, die extra aus Regenburg angereist ist. 

Die Verstärker werden noch schnell auf Augustiner-Kästen hochgehoben, es geht weiter mit Pop-Songs von MOLA – und bevor man sich umsehen kann, stolpert man in der Dunkelheit in den Backstage-Bereich, in dem sich Bandmitglieder gerade umziehen. Doch auch hier gibt es einen netten Plausch, man stößt gemeinsam an und wünscht sich noch einen guten Abend. So nah kommt man den Bands selten. Klick.

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Intim wird es auch bei Nick And The Roundabouts, nur einen Schuh breit entfernt vom Bühnenrand stehen die drei Musiker: eine kurze Unplugged-Session und verträumt geht man in den Regen hinaus, der heute nicht das Argument ist, im Trockenen zu bleiben. Der wahre Grund: Innerhalb einer Raucherpause könnte man den Act des Abends verpassen, auch wenn der heiße Drummer von vorhin gerade am Falafel-Stand steht.

Soulige Beats erklingen von Claire Jul. Ihr Kleid ist bodenlang und verleiht ihrer Stimme Glamour, den man im Feierwerk nicht erwartet. Es wurde extra für den Auftritt von dem Pariser Designer Tarek Hocine entworfen. Blitzlichtgewitter wäre angebracht. Das gibt es dann bei Nick Yume, der als „einer der spannendsten Newcomer des Jahres“ anmoderiert wird. Und es stimmt – diese Stimme kann so vieles. Wer sie einmal gehört hat, kann sie nicht wieder vergessen.

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Das „Sound Of Munich Now“ zeigt, welche Talente in dieser Stadt stecken, wie sehr die Menschen daran interessiert sind, einen eigenen Sound kennenzulernen, zu verbreiten und zu erhalten – mit Festivals wie diesem. Gegen Ende gibt es noch einen Richtungswechsel. Der Schulterblick bleibt. Monaco F und Bavarian Blast mischen das Publikum mit ganz anderen Tönen auf. Bairisch – da fühlen sich auch die Regensburger und Augsburger heimisch. 

21 Mal gab es an diesem Abend im Hansa 39 15-Minuten-Einblicke, die sich anfühlten wie Kamerablitze. Mit nur einem Klick vergangen, überraschend hell – und eindeutig in der Erinnerung haften geblieben.

Text: Sandra Will und Louis Seibert

Fotos: Stephan Rumpf

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