Jawad Rajpoot, 21, ist Breakdancer. Er setzt sich für benachteiligte Jugendliche ein und arbeitet zudem als Schauspieler. Gerade dreht er “Fack ju Göhte 3″.
Jawad Rajpoot, 21, lacht in die Handykamera für eine Instagram-Story. Er nimmt Anlauf. Für einen Moment sieht es aus, als würde er wie Spiderman an einer Wand hochlaufen, es sind aber nur zwei schnelle Schritte. Im Hintergrund andere Jugendliche. Elyas M’Barek macht gerade irgendwo Mittagspause. Und Jawad versucht sich, nachdem er sich mit den Füßen von der Wand abgestoßen hat, an einer Art Backflip, seine Locken fliegen durch die Luft. Am Set des dritten Teils von „Fack Ju Göhte“ kommt der Spaß eben nicht zu kurz.
Rückblick, Juli 2009: Bereits im U-Bahnhof der Münchner Freiheit hört man die Hip-Hop-Beats. Auf dem Platz haben sich an diesem Tag – es ist der letzte Schultag vor den Sommerferien – Kinder, Jugendliche und Erwachsene versammelt. Auf der Bühne wird getanzt: Breakdance, Krumping, Hip-Hop. Jugendliche zeigen, was sie können. Auf der anderen Seite toben sich die Kids beim Graffiti aus. Seit 1998 wird der School’s-Over-Jam jährlich vom Jugendtreff am Biederstein organisiert. Mittendrin: Jawad Rajpoot. 2009 war er 13 Jahre alt. Der heute 21-Jährige erinnert sich: „Dort hat alles angefangen. Bis dahin habe ich noch nicht wirklich getanzt und durch das School’s-Over-Jam bin ich zum Jugendtreff am Biederstein gekommen“, sagt er. Acht Jahre ist das jetzt schon fast her. Dass er einmal selbst Breakdance unterrichten, über den Tanz zur Schauspielerei kommen und ein soziales Projekt gründen würde, das ahnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Der Jugendtreff am Biederstein spielte eine wichtige Rolle für Jawad, aber auch für andere Teenager, die sich im B-Boying – die ursprüngliche Bezeichnung für Breakdance – ausprobieren und trainieren wollten. Gleichgesinnte treffen dort in einem großen Raum zusammen und üben gemeinsam, ganz unabhängig davon, wie gut einer ist oder wie alt – und zwar kostenlos. „Das ist ein bisschen wie auf einem Skatepark. Es gibt keinen Lehrer oder so etwas, man trainiert einfach zusammen“, erklärt Jawad. Auch einige Jungs der „Los Caballeros Crew“, einer der erfolgreichsten Breakdance-Gruppen aus München, trainierten im Biederstein. Die Kleinen lernten also auch ein bisschen von den Großen und konnten sich so in der Szene vernetzen.
Jawad verbrachte zwei Jahre lang fast jeden Tag im Biederstein beim Training. So viel Spaß machte es ihm. „Ich hatte relativ viel freie Zeit, weil ich auf eine Montessori-Schule ging“, sagt er. Später unterrichtete er hin und wieder jüngere Tänzer in anderen Jugendzentren. Bald lernte er Aloun Phetnoi kennen, der früher regelmäßig Breakdance-Events in München veranstaltete und Gründer der Tanzschule Step2Diz ist. „Aloun ist nach wie vor ein wichtiger Typ in der Münchner Szene. Er ist quasi so etwas wie mein Mentor und hat mich früh an die Hand genommen. Durch ihn habe ich auch richtige Kurse und Workshops geleitet“, sagt Jawad. So verdiente er sich schon während seiner Schulzeit mit Tanzstunden etwas dazu. Heute gibt er nach wie vor Kurse für Kinder.
Jawad, dem man das jahrelange Breakdance-Training an seinem athletischen Körper sofort ansieht, schätzt eine Sache besonders: „Zum Tanzen bin ich ja zufällig gekommen, aber es hat mein Leben verändert – ich bin nicht auf die schiefe Bahn geraten.“ Treffs wie das Biederstein sind für Jugendliche in Stadtvierteln, die nicht besonders schön sind und nicht viel bieten, eine Alternative zur Langweile, die zu dummen Ideen führen kann. Andererseits seien einige aber auch mit dem Angebot in Schule und Freizeit überfordert und das wiederum mache sie unruhig: „Manche Kinder heute haben ja schon einen krasseren Stundenplan als ich“, sagt der 21-Jährige. Durch das Tanzen, „für das man nichts weiter braucht als seinen Körper und den Boden, auf dem man steht“, wie es Jawad sagt, fänden Jugendliche eine Möglichkeit, sich auszudrücken und gleichzeitig auszupowern. Sie würden dadurch vielleicht sogar ausgeglichener.
Ähnliches berichtet Hassan Akkouch, 28, Schauspieler an den Münchner Kammerspielen: „Aus meiner Zeit als Tänzer, Trainer und Pädagoge im Jugendbereich, kann ich sagen, dass B-Boying gut ist, um Stress, Emotionen und den Alltag zu kompensieren. Das alles zu bündeln, um es dann zum richtigen Beat in einer Bewegung rauslassen zu können.“ Man lerne viel über sich selbst.
Jawad, der sich selbst nie so richtig mit der Schule anfreunden konnte, ging nach der Mittleren Reife auf eine Sportschule – brach sie aber schon 2014 ab. „Schule ist einfach nicht meine Welt. Ich brauche die Freiheit“, gesteht der junge Mann mit den schwarzen Locken. Also gab er weiterhin Unterricht, verdiente so sein Geld. „Das Breaken hat mir das Gefühl gegeben, etwas selbst aufgebaut zu haben. Und ich wollte, dass so viele wie möglich wissen, was man mit B-Boying und Hip-Hop machen kann.“ Trotzdem stellte sich für ihn aber auch die Frage danach, wie es jetzt weitergehen soll. Auch weil er das Gefühl bekommen hatte, tänzerisch zu stagnieren, sich nicht weiterentwickeln zu können. „Die Luft war irgendwie raus, und das Schlimmste für mich ist die Routine“, sagt er.
Anfang 2015 reiste er mit Freunden nach Peru. Diese Reise prägte ihn nachhaltig. Er sah dort viele Kinder – auch die der ärmsten Viertel. „In Europa gibt es tausend Möglichkeiten, wie man Kinder fördern kann. In anderen Ländern ist das nicht selbstverständlich“, sagt er. Aus diesem Gedanken heraus entstand ein Projekt, das er gemeinsam mit seinen Breakdance-Freunden Mikel Antwi, Serhat Ilham und Marvin Ly aufgebaut hat: Ebanisation.
Jawad und seine Freunde hatten schon Erfahrungen mit dem Unterrichten. Sie leiteten auch Kurse für Asylbewerber in der Bayernkaserne und bei Refugio. Mit Ebanisation wollten sie Kindern in ärmeren Ländern und aus benachteiligten Familien Breakdance nahe bringen und ihnen damit einen Moment von Freiheit schenken. Im August 2015 reisten die Jungs aus München nach Laos und trainierten dort Kinder. Zurück in München gewann Ebanisation beim „Heartbeatz-Festival für mehr Menschlichkeit“ des Erzbischöflichen Jugendamtes München und Freising den ersten Platz.
„Ich glaube, dass ich immer den richtigen Weg gegangen bin“, sagt Jawad. Über seine Crew, die „Sankofa Crew“, wird gerade eine Dokumentation gedreht, die Jungs werden oft für Shows oder Fernseh-Werbespots angefragt. Zufällig hat Jawad von einem offenen Filmcasting erfahren. Gesucht wurde ein Darsteller in seinem Alter mit Streetdance-Fähigkeiten und bestimmtem Aussehen. Jawad bewarb sich und bekam eine Hauptrolle. Vorher hatte er nie professionell geschauspielert, schon gar nicht mit Text. „Die ersten Tage waren total komisch für mich“, erzählt er und lacht. Die Arbeit als Schauspieler habe ihm dann aber richtig Spaß gemacht. Als Carlo mischt er neben Uwe Ochsenknecht und Herbert Knaup im ARD-Film „Zwei Sturköpfe im Dreivierteltakt“ eine öde Tanzschule auf. Das ist erst der Anfang: Jawad erhielt eine Nebenrolle im Film „Jugend ohne Gott“, der Ende August in die Kinos kommt. Im neuen Teil von „Fack ju Göhte“ hat er eine kleine Nebenrolle als Schüler.
Es ist Mittagspause. Jawad versucht sich an einem Rückwärts-Salto. Und doch geht es immer weiter vorwärts.
Text: Ornella Cosenza
Foto: Robert Haas