Am Kap der Guten Hoffnung

Jeder Klick für einen guten Zweck: Die Brüder Tobias und Kevin Schmutzler haben einen Social-Impact-Film gedreht

Tobias Schmutzler, 26, und sein Bruder Kevin Schmutzler, 28, produzieren mit ihrem Start-up „Filmcrew Media“ Filme. Ihr Schwerpunkt: Sie drehen so genannte Social-Impact-Filme, die kein kommerzielles Ziel verfolgen. Sie wollen möglichst viele Menschen erreichen und gleichzeitig Gutes tun. Das neuste Projekt der jungen Münchner Filmcrew heißt „Robin – Watch for Wishes“. In dem Werk geht es um einen Zwölfjährigen, der an Krebs leidet. Überall auf der Welt kann man diesen Film online kostenlos ansehen. Im Interview erklärt Tobias, was es damit auf sich hat.

SZ: Was sind Social-Impact-Filme?
Tobias Schmutzler: Wir möchten eine soziale Filmproduktion schaffen, die nicht auf kommerzielle Zwecke ausgerichtet ist. In der Unterhaltungsbranche, insbesondere im Bereich Film, gibt es einfach noch nicht so viel, was in diese Richtung geht. Wir fokussieren uns eher auf den sozialen Aspekt, um unseren Namen für etwas Gutes einsetzen zu können.

Euer neuer Film „Robin – Watch for Wishes“ ist auf YouTube kostenlos verfügbar.
Seit dem 21. April ist der Film online, er dauert 75 Minuten und jeder kann ihn ansehen – weltweit. Und zwar für den begrenzten Zeitraum von vier Wochen. Das Besondere daran ist: Wenn man den Film anschaut, werden pro Aufruf des Videos zehn Cent gespendet. Nach fünf Tagen haben wir jetzt schon mehr als 90 000 Klicks. Das erste Etappenziel sind 15 000 Euro, aber wir haben bereits weitere Spender an der Hand, die diese Summe erhöhen, sobald der Film entsprechend oft gesehen wird.

Wofür wird das Geld gespendet?
Damit soll benachteiligten Kindern geholfen werden. Deshalb gehen alle Einnahmen, die durch die Klicks der Zuschauer erreicht werden, an die DKMS, SOS Kinderdorf und die McDonald’s Kinderhilfe.

Für den Zuschauer ist alles kostenlos – woher kommt das Geld für die Spende?
Wir haben dafür aktiv Spender gesucht. Es ist ein Mix aus Privatpersonen und mehreren Unternehmen, die sich auf unsere Nachfrage dazu bereit erklärt haben, zu spenden und dadurch das Projekt zu unterstützen.

So einen Film zu produzieren kostet Geld. Wie trägt sich das Start-up?
Parallel zu den sozialen Filmprojekten drehen wir zusätzlich Werbespots und Imagefilme für verschiedene Unternehmen. Durch das Geld, das wir damit verdienen, können wir anfallende Kosten für die Filmprojekte stemmen, wie zum Beispiel Reisekosten. „Robin“ zu realisieren war aber nur dank vieler Sachsponsorings möglich.

Ihr habt nicht nur in Deutschland, sondern auch in Südafrika gedreht.
Das war gar nicht so einfach. Besonders, wenn man ein begrenztes Budget hat und alles vom 10 000 Kilometer entfernten Deutschland organisieren muss.

Gab es auch mal Pannen?
Einmal gab es ein Problem mit der Drehgenehmigung. Ein Missverständnis. Wir wollten an einem bestimmten Ort am Kap der Guten Hoffnung drehen – wo aber niemand drehen darf. Wir hatten nur einen Tag Zeit, einen neuen Drehort zu finden, der zumindest so ähnlich aussah. Es ging gut aus.
  
Klingt trotzdem schwierig.
Die ganze Crew musste mit dem Equipment zwei Stunden auf einen Berg wandern. Einen Lift gab es dort nicht. Am Ende hatten wir vom Gipfel aber eine unglaubliche Aussicht auf das Meer und die perfekte Kulisse für unsere Filmszene.

Warum ausgerechnet Südafrika?
Während meines Studiums habe ich ein Praxissemester in Südafrika gemacht und mich ein bisschen in das Land verliebt. Dort habe ich auch an den Wochenenden als Freiwilliger in einem Heim für kranke Kinder gearbeitet. Im Film hat Robin eine Bucket-Liste, auf der Dinge stehen, die man als Junge in dem Alter tun möchte, wie zum Beispiel Fliegen oder Löwen sehen und: Er möchte Hoffnung finden. Sein Vater reist mit ihm deshalb ans Kap der Guten Hoffnung nach Südafrika.

Was ist die Message des Films?
Der Film soll dem Zuschauer schon nahe gehen. Er tut das aber auf seine ganz eigene Art und Weise. Ein sehr emotionales Thema wird als spannender Thriller präsentiert. Der Vater entführt den zwölfjährigen todkranken Jungen aus dem Krankenhaus, um alle Punkte auf der Liste des Sohnes abhaken zu können. Niemand weiß, wo die beiden sind. Nicht einmal die Mutter. Vielleicht bringt er den ein oder anderen zum Weinen, aber es ist kein Film über Tod und Krankheit.

Foto: Filmcrew Media

Interview: Ornella Cosenza  

Geteiltes Leid

Melanie Lerchl hatte mit 18 Krebs und musste erkennen, dass viele junge Erwachsene mit dieser Krankheit alleine gelassen werden. Jetzt gründet sie einen Verein, in dem sich Betroffene mit ehemaligen Patienten austauschen.

Den Geschmack von Metall wird Melanie Lerchl, 23, nie vergessen können. Den hatte sie während ihrer Chemotherapie vor nunmehr mehr als vier Jahren ständig im Mund. Deshalb reagiert sie heute beinahe allergisch auf Volvic-Wasser mit Apfelgeschmack. „Das und drei verschiedene Kaugummisorten waren meine Mittel gegen den Geschmack“, sagt Melanie. Heute wecken diese Dinge jedoch Erinnerungen an ein „Kapitel“ in ihrem Leben, das sie zu einem anderen Menschen gemacht hat.

Mit 18 Jahren, als Melanie sich gerade im dritten Jahr ihrer Ausbildung zur Hotelfachfrau befand, suchte sie wegen Bauchschmerzen ihren Hausarzt auf. Nichts Schlimmes, dachte sie. Bei der Frauenärztin, zu der sie der Hausarzt schickte, wurde jedoch festgestellt, dass Melanie an einer sehr seltenen Tumorart litt. Dysgerminom heißt dieser Krebs, er sitzt an den Eierstöcken und er wächst sehr schnell.

Deshalb wurde die erste Operation unverzüglich durchgeführt. Die Ärzte stellten erst während des Eingriffs fest, dass es bei dieser einen Behandlung nicht würde bleiben können. „Ich habe lange gebraucht, bis ich realisiert hatte, dass nicht-gutartig bösartig heißt und dass bösartig Krebs bedeutet“, sagt Melanie. „Das große Wort, das im Kopf immer mit dem Tod verbunden wird, war da lange nicht präsent.“

Ihre Augen sind dunkelbraun, am Rand der Iris beinahe grün und sie richtet sie immer völlig ruhig auf ihr Gegenüber. Ihr mache es nichts aus, über die Krankheit zu sprechen, in vielerlei Hinsicht sei es ihr sogar ein Anliegen. Denn bereits im Aufwachraum nach der ersten Operation zeichnete sich etwas ab, das sich durch Melanies gesamten Krankheitsverlauf ziehen sollte: die Unfähigkeit der Ärzte, mit einem so jungen Krebs-Patienten umzugehen. „Von den Ärzten hat niemand mit mir gesprochen“, sagt Melanie. „Die haben es meiner Mutter überlassen, mir beizubringen, dass ich eine Chemo machen sollte, dass ich beide Eierstöcke verlieren könnte, selbst wenn ich den Tumor überleben würde.“

Ihrer Erfahrung nach gibt es kaum Angebote für junge Menschen, die an Krebs erkranken. „Sobald man 18 ist, fällt man aus allem raus, was mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat. Aber dass man sich nicht erwachsen fühlt, auch wenn man es offiziell ist, das wird selten berücksichtigt“, sagt Melanie. Außerdem werde Krebs nach wie vor zumeist als „Alte-Leute-Krankheit“ abgestempelt. Jugendpsychiater Daniel Drexler sieht diese Lücke auch: „Bis 18 gibt es sehr viel Betreuung für junge Menschen, danach eher nicht mehr, das stellt nicht nur bei Krebsleiden ein Problem dar.“

Eine ähnliche Meinung vertritt auch die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs, eine Organisation, die erst vor zwei Jahren in Berlin gegründet wurde. Das ‚„Junge Krebsportal“, ein Beratungsangebot, das die Stiftung ins Leben gerufen hat, sei „sehr erfolgreich und gut frequentiert“, sagt eine Vertreterin der Stiftung. „Dennoch stellt die Gründung regionaler Gruppen ein ausgesprochenes Interesse der Stiftung dar, da in diesem Bereich definitiv noch zu wenig Angebot existiert und die jungen Leute sich untereinander austauschen wollen.“

Diese Idee hatte auch Melanie: Sie ist gerade dabei, einen Verein zu gründen. Wie in einer Partner-Vermittlung oder einem Tandem-Programm sollen bei „Kampfgeist. Jung & Stark“ ehemalige Krebspatienten mit gerade an der Krankheit Leidenden zusammengebracht werden. Melanie hat selbst erlebt, wie bestärkend es sein kann, jemanden zu haben, der weiß, wovon man spricht, wenn einem die Haare ausfallen, wenn man nichts mehr essen will, wenn man diesen Metallgeschmack im Mund und noch dazu das Gefühl hat, eine Koffeintablette und eine Schlaftablette gleichzeitig genommen zu haben.

Eine ehemalige Klassenkameradin hatte sich zwei Jahre, nachdem Melanie den Krebs überstanden hatte, an sie gewandt. Ob sie sie um Rat fragen dürfe, da sie an einem Tumor erkrankt sei. Zuerst hatte Melanie gezögert. „Man hat da so Schubladen“, sagt sie. „Die oberste kann man relativ einfach wieder aufmachen. Aber je tiefer man geht, desto schwieriger wird es.“ Für Melanie hat sich dieses „Graben“, wie sie es nennt, in den Erinnerungen an die Zeit ihrer Krankheit jedoch gelohnt, denn das Wissen, dass es andere Menschen gibt, die, jeder auf seine Art, den gleichen Weg gehen, gibt ihr auch jetzt, nachdem die Krankheit überstanden ist, immer wieder von Neuem Kraft.

Kraft, die sie etwa vor den Kontrolluntersuchungen braucht. „Vor allem in der Woche vor so einem Termin, da kann ich einfach nicht so viel leisten“, sagt sie. „Denn die Gedanken sind da. Was, wenn wieder was ist?“ Deshalb lässt sie auch ihre Arbeitgeber und Menschen, die sie neu kennenlernt, wissen, dass sie Krebs hatte. „Dadurch erspart man sich viele ungute Situationen, weil manche Leute, wenn sie es nicht wissen, doch manchmal unangebrachte Kommentare fallen lassen.“

Melanie spricht meistens von „man“, als wäre es nicht ihre persönliche Leistung, mit all dem klar zu kommen. Auch betont sie immer wieder, bei ihr sei alles noch „verhältnismäßig gut gelaufen“ und „nicht so schlimm gewesen, wie es hätte sein können“, obwohl auch sie Geschichten von menschlich unfähigen Ärzten, überlasteten Krankenschwestern und Fehldiagnosen erzählen kann. Vielleicht liegt diese Bescheidenheit darin begründet, dass Melanie eine Kämpferin ist. Die den Krebs besiegt, ihre Ausbildung mit nur einem halben Jahr Verzögerung abgeschlossen hat, mittlerweile in einem Hotel arbeitet und jetzt ihren Kampfgeist in den eigenen Verein steckt. Eine wichtige Erkenntnis aus ihrem Austausch mit anderen Betroffenen ist jedoch auch, dass es nicht den einen Krankheitsverlauf gibt und dass jeder anders mit der Krankheit umgeht. „Ich persönlich wollte eigentlich gar nicht so viel darüber wissen. Das mag naiv gewesen sein, aber so konnte ich mir meine positive Einstellung bewahren“, sagt Melanie. „Für mich war immer klar, dass ich es irgendwie schaffen würde.“ Eine Freundin hingegen wusste in kürzester Zeit alles über ihre Krankheit, über Therapien und Heilungsaussichten.

Doch auch für Melanie ist es jedes Mal wieder schlimm, sich mit einem weiteren Schicksal auseinanderzusetzen. Hilflos fühlte sie sich, als bei ihrem Vater ein Tumor gefunden wurde. „Wie eine falsche Welt kommt einem das vor, wenn man dann im Krankenhaus steht und einen der eigene Vater um Rat fragt“, sagt Melanie. Mittlerweile hat auch er die Krankheit überstanden, aber „wenn man an Schicksal glauben will, könnte man fast meinen, es würde mir befehlen, mich jetzt um den Verein zu kümmern“, sagt sie und lacht, auch wenn es nicht zum Lachen ist.

Melanie war und ist nicht ihre Krankheit. Sie mag ein Teil von ihr sein und es auch bleiben, denn „sie hat mich zu der gemacht, die ich heute bin,“ sagt sie. Auch wenn Dankbarkeit ein merkwürdiges Wort in diesem Zusammenhang ist, weiß sie jetzt vieles im Leben sehr viel mehr zu schätzen. „Klar, man rutscht schon immer wieder in die Kurzsichtigkeit des Alltags, in der einen Kleinigkeiten nerven“, sagt sie, aber vor allem durch die Arbeit für den Verein, die ständige Beschäftigung mit der Thematik wird sie sich der Schönheit und der kleinen Dinge im Leben wieder verstärkt bewusst.

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Robert Haas

Danke für die Tränen

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Anja Schaubergers Mutter hat Krebs – jetzt hat die 22-Jährige ein Buch darüber geschrieben, wie man als Tochter damit umgeht. Ein Interview.

Der Gedanke, dass man irgendwann einmal die eigenen Eltern beerdigen muss, ist sicher keiner, mit dem man sich gerne auseinandersetzen möchte. Anja Schauberger (Foto: Stefanie Heider) muss jedoch genau das tun: Als ihre Mutter vor einigen Jahren an Brustkrebs erkrankt, werden Gedanken um Krankheit, vielleicht auch Tod, für die heute 22-Jährige, zum alltäglichen Begleiter. Nun, nachdem ihre Mutter wieder genesen ist, hat die Jungautorin aus ihren Erlebnissen ein Buch gemacht: In „Und wieder Winter“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf-Verlag) erzählt sie die Geschichte der 18-jährigen Anna, die mit eben dieser Situation konfrontiert wird: Ihre Mutter bekommt schon zum zweiten Mal Krebs – und Anna steht plötzlich vor einem moralischen Konflikt: Darf man das Leben noch genießen, wenn es einem Familienmitglied so schlecht geht?

SZ: Deine Mutter hat zweimal Krebs bekommen. Wie hast du den Moment erlebt, in dem er zum ersten Mal diagnostiziert wurde?
Anja Schauberger: Ich habe damals bei meinem Vater gewohnt und bin deswegen zurück zu meiner Mutter gezogen. Aber eigentlich weiß ich gar nicht mehr, wie das damals war, weil man so schlimme Sachen ja auch verdrängt. Ich glaube, ich habe mit allem anderen gerechnet, nur nicht damit.

Abgesehen von dem Umzug zu deiner Mutter, wie verändert sich nach so einer Diagnose das Alltagsleben?
Damals hat sich, leider, wenig für mich verändert, was im Nachhinein schlecht und gut ist: Ich bin trotzdem ausgegangen, hatte meine Freunde, war selten zu Hause, habe mich mit meiner Mutter gestritten. Manchmal war ich echt launisch und anstrengend. Im Nachhinein bedauere ich, dass ich ihr nicht mehr unter die Arme gegriffen habe. Man nimmt es sich zwar immer wieder vor und dann zieht man es doch nicht so richtig durch. Aber andererseits wäre es auch übertrieben gewesen zu sagen: Ich bleibe jetzt Freitagabend daheim, weil Du hast ja Brustkrebs und dann kümmere ich mich jeden Tag 24 Stunden um Dich. Das hätte sie auch nicht zugelassen. Richtig verändert hat sich erst später etwas.

Wie meinst du das?
Da wurde mir bewusst: Ab dreißig muss auch ich zur Vorsorge. Und vielleicht ist es mit einer Erkrankung nicht getan – wie man ja bei der zweiten Diagnose meiner Mutter gesehen hat. Dadurch lernte ich, die Dinge schon mehr zu schätzen, gerade die Treffen mit meiner Mama.

Wenn ein Elternteil Krebs hat, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass eines der Kinder auch daran erkrankt. Hast du Angst, ebenfalls Krebs zu bekommen?
Natürlich, aber ich werde deswegen jetzt nicht mein Leben umkrempeln. Ich glaube, dass Krebs eine Krankheit ist, die vor allem durch Stress oder eine psychische Belastung verursacht wird. Abgesehen vom Rauchen versuche ich deswegen, gesund zu leben und auf mich zu achten. Der andere Gedanke, der im Raum steht, ist dann auch: Wenn nur einer von uns Krebs bekommt, wünsche ich es dann mir oder meiner Schwester?

Malt man sich Szenarien aus, was passiert, wenn die Mutter tatsächlich stirbt?
Ich kann ich mir das gar nicht vorstellen, das wäre das wirklich Schlimmste, was passieren könnte. Wenn ich schon daran denke, macht mich das sehr traurig, auch wenn ich mich damit irgendwann zwangsläufig auseinander setzen muss.

Ergibt sich aus so einer Krankheit der Druck, früher erwachsen werden zu müssen?
Druck war nicht da, aber ich bin es irgendwie automatisch geworden. Man fragt sich eher: Bin ich vielleicht daran Schuld, dass meine Mama krank ist? Zwei Jahre nachdem ich bei ihr eingezogen bin, hat sie noch einmal Krebs bekommen und dann denke ich schon, dass ich leider dazu irgendwie beigetragen habe.

Was hat dich jetzt, mit dem zeitlichen Abstand, dazu bewegt ein Buch über deine Erlebnisse zu schreiben?
Für mich ist es sehr wichtig, meine Gedanken aufzuschreiben. Dieses Buch war für mich wie eine kleine Therapie. Ich habe dabei noch mal alles so durchlebt, auch wenn im Buch natürlich vieles verändert ist. Aber vor allem finde ich, dass über dieses Thema wahnsinnig wenig gesprochen wird. Ich habe einige Freunde, bei denen die Mutter auch Brustkrebs hatte, aber das habe ich immer erst erfahren, wenn ich selbst von meinen Erfahrungen erzähle. Und da frage ich mich warum? Krebs ist die Krankheit überhaupt, das ist doch seltsam, dass die Leute so wenig darüber sprechen können, so als würde man keine Schwäche zulassen wollen. Das ist ja irgendwie auch ein Eingeständnis. „Meine Mutter hat Krebs“ ist nichts, was man jetzt gerne so groß herumerzählt. Aber das ist auch eine Erziehungssache: Es gibt einfach Menschen, die sehr behütet aufwachsen und denen vorher noch nie etwas Vergleichbares passiert ist, die sind dann schnell emotional überfordert.

Wie war die Kommunikation bei euch?
Bei uns wurde darüber sehr offen geredet. Ich konnte immer zu meiner Mutter kommen, wenn ich eine Frage hatte. Auch wenn sie krank war. Sie war für mich da, hat mich in den Arm genommen, auch wenn ich immer wieder dieselben Fragen gestellt habe, weil ich es noch nicht ganz verstanden hatte. Ich war dann auch bei einer Bestrahlung dabei und habe sie damals auch für ein Fotoprojekt oben ohne fotografiert und da sah man schon, dass die eine Brust kleiner ist.

In der Danksagung deines Buches schreibst du: „Danke an Mama für die vielen Tränen“. Wie geht deine Mutter damit um, dass jetzt viele fremde Leute, einen Teil ihrer Geschichte lesen?

Sie hat kein Problem damit, ich glaube sogar, sie freut sich über das Buch. Sie ist stolz. Das ist das größte Geschenk, das man seiner Mama machen kann. Ich glaube, sie liebt mich seitdem noch ein bisschen mehr.

Also hat das Buch eure Beziehung verbessert?
Total. Deswegen schreibe ich auch von den vielen Tränen: Ich habe ihr, während ich das Buch geschrieben habe, immer wieder ein bisschen was vorgelesen und das ging keine halbe Seite, ohne dass sie nicht in Tränen ausbrach. Sie hat es auch noch immer nicht geschafft, es fertig zu lesen, weil sie einfach bei jeder Seite weinen muss.