Fragen über Fragen – Henny Gröbelehner

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Nadja Ellingers Bilder sind unangenehm und gleichzeitig sehr schön. Ich bin irgendwie stolz auf diese Bilder, sagt Henny Gröbelehner, eines der Models für unsere Ausstellung

“10 im Quadrat – Reloaded”. Wir haben ihr ein paar Fragen gestellt.

Du stehst mit deiner
Kunst öfter mal vor Publikum. Wie war es für dich, so oft fotografiert zu
werden?

Tatsächlich kann ich nicht behaupten, dass es sich ähnlich anfühlen würde, wie
vor Publikum zu spielen, und es mir deshalb leicht fiel. Fotografiert zu werden
ist eine viel bewusstere Beobachtung. Zum einen, weil ich nicht „abgelenkt“ bin
durch das Performen/Musik machen wie auf der Bühne. Zum anderen gibt es da gar
keine Distanz zwischen dem beobachtenden Objekt (der Kamera) und mir. Bei einem
Konzert ist da die Bühne, helles Licht, dunkler Raum und vor allem ein
Publikum, das (obwohl natürlich auch fotografiert und gefilmt wird)
transitorisch wahrnimmt, also wir alle genießen im besten Fall den live
stattfindenden Moment. Beim Fotografieren geht es auch um den „richtigen“
Moment, aber natürlich wird das Danach stärker fokussiert, weil die Rezeption
des Fotos danach stattfindet. Und nun ja, so oft man will, also sollte es gut
sein. Und genau das macht irgendwie nervös. Also musste ich versuchen, das
alles zu vergessen, um möglichst ich selbst und natürlich zu sein. Das war
nicht immer leicht.

Hat das Mut erfordert?

In gewisser Weise ja. Beziehungsweise es hat Überwindung gekostet. Je
persönlicher der Ansatz eines Shootings war, desto mehr Überwindung. Weil man
einfach mehr von sich preisgibt. Aber dann hat es letztlich auch mehr Spaß
gemacht.

Bist du auch mal in andere Rollen
geschlüpft? / Hast du andere Seiten an dir kennengelernt?

In Rollen bin ich eigentlich nicht geschlüpft (das ist natürlich auch eine
Definitionsfrage). Aber ich habe definitiv unterschiedliche Seiten von mir
zeigen können, auch Seiten, denen ich sonst nicht so viel Aufmerksamkeit
schenke und somit daran erinnert wurde, dass es diese auch gibt.

Welche Begegnung hat dich am stärksten
geprägt?

Genau deshalb hat mich das Shooting mit Nadja am meisten bewegt. Ich hab schon
bei unserem Vorab-Treffen sehr schnell gemerkt, dass ich ihren Ansatz mag und
ihn gut nachvollziehen und mich darin stark wiederfinden kann. Deshalb konnte
ich mich sehr gut auf das Thema „Zerbrechlichkeit“ einlassen und wir konnten
zusammen einen individuellen Blick darauf richten, was es für mich persönlich
bedeutet. Das Kreative kam dann praktisch wie von selbst und es war sehr
angenehm und organisch mit Nadja zu shooten. Das habe ich auch danach in den
Bildern gesehen. Sie sind unangenehm und gleichzeitig schön. Ich bin irgendwie
stolz auf die Bilder.

Bist du auch mal an deine Grenzen
gestoßen?

Zumindest bei dem Shooting mit Anna wäre ich das wohl bald, hätte sie uns nicht
vorher erlöst. Da war es nämlich sehr, sehr kalt draußen und Jacken waren nicht
erlaubt. Zudem war es ein Paar-Shooting und die einzige Wärme kam von einer
völlig fremden Person, die ich umarmen musste und die ich erst Minuten vorher
kennengelernt habe. Das war schon befremdlich. Aber dafür ein spannender Ansatz
für ein Foto.

Brauchen wir mehr Vernetzung in München?

Unbedingt. Immer. Je mehr, desto besser. München ist ja nicht groß und wir alle
kennen das Gefühl, dass man jemanden irgendwoher eh schon kennt. Aber immer
noch wird zu wenig kollaboriert und gemeinsame Sache gemacht. Zumindest kann
ich mal für die Musikszene sprechen. Solche Kunstprojekte wie „10 im Quadrat“
zeigen jedenfalls, dass da noch mehr geht. Denn ich glaube, sowohl die vielen
jungen Fotografen freuen sich, sich untereinander mal zu begegnen und all diese
unterschiedlichen kreativen Ansätze zu sehen, als auch wir Künstler
untereinander. Und natürlich haben wir jetzt wertvolle Kontakte für potenzielle,
zukünftige Projekte geknüpft.

Foto: Christin Büttner

Wortgewalt und Lagerfeuerstimmung – So war der zweite Samstag im Farbenladen

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Die Sonne strahlt mittenrein in den Farbenladen und lange Schatten werfen sich auf den Boden. Die Augen der Besucher lösen sich von den 100 Porträts an diesem Samstag des zweiten Wochenendes der Ausstellung 10 im Quadrat nur für die musikalischen und literarischen Gäste, die, so muss man anmerken, auch vor einem sehr intimen Publikum überzeugen. 

Das Lieblingsbild ist noch nicht ausgesucht, doch vorerst bleibt dafür auch keine Zeit. Johannes Lenz schweigt als Poetry Slammer und tritt als Rapper ohne Beat auf. Doch ob mit oder ohne, Wortgewalt mit Rhythmus, Reim und Rock’n’Roll ist Sprechgesang. Seine Augen streifen die eines jeden Zuhörers, er  macht München eine kleine Liebeserklärung und gesellt sich draußen zu den Rauchern, um die letzten Sonnenstrahlen abzufangen. 

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Beim Fototalk mit Fotografin Julia Schneider und Schauspieler Leonhard “Lenny” Hohm geht es um die Wur… ähh..Nudel! Julia ist verantwortlich für die Portraits, bei der die Models eine Spaghetti im Gesicht haben. Und wie nicht anders zu vermuten, kam ihr diese Idee beim Kochen. Was das Ganze aber in einer Ausstellung soll, fragt sich nicht nur der ein oder andere Besucher, auch Julia ist hin- und hergerissen. Die Fotos entstanden in besonderer Atmosphäre – quasi in einem Weinkeller mit Kamin, den sie als Studio benutzt. Leonhard Hohm findet die Idee zur Ausstellung wunderbar, “weil Menschen aufeinander treffen, die sich sonst nicht begegnet wären”. Er spricht sich für eine bessere Verbindung zwischen Münchens Kreativen aus – ein Wunsch, der in den letzten Monaten schon von vielen Künstlern ausgesprochen wurde. 

Nikolaus Wolf betritt die Mitte des Farbenladens und obwohl die Auftrittsfläche eingerahmt ist von Lautsprechern und Mikrofon, greift er nur zur Akustik-Gitarre. Seine Stimme verleiht dem Ausstellungsraum eine goldene Färbung, die Akustik ist besser als in so manchem Proberaum. 

Danach wird die Kunst gewechselt: Alisha Garmisch thront nun auf einem Barhocker, liest von Weltuntergang und ausgestochenen Augen, während hinter ihr die Porträtierten eine Nudel im Gesicht haben (Kommentar des Models “Lenny” dazu: “Die stinken!”). Alisha wird abgelöst von Rahmatullah Hayat, der sich experimentell an Lyrik wagt, die durch geräuschvolles Knacken und Zischen auffällt. 

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Zum Abschluss gibt auch Paul Kowol ein akustisches Intimkonzert, der am Tag zuvor nebenan im Feierwerk den Einzug ins Finale des Sprungbrett-Wettbewerbs geschafft hat. Mit seiner Setlist auf einem Kuchenpappteller erzeugt er Lagerfeuerstimmung und bleibt dem Singer-Songwriter-Motto “Ein bisschen Herz, ein bisschen Nuscheln” treu. 

Das Rahmenprogramm drehte sich an diesem zweiten Samstag der Ausstellung um Bild und Stimme, geradezu auf akustische Geräusche und der natürlichen Umgebung reduziert zeigte es, wie Wortgewalt die Zuschauer in jeder erdenklichen Form – von Rap bis Lyrik – einnehmen kann. 

Text und Fotos: Sandra Will

Freiraum für Freidenker

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Kein Platz für nichts in München? Blödsinn, findet Benedict Esche. Der junge Architekt glaubt, dass es überall in der Stadt Resträume für Subkultur und zum Wohnen gibt – man muss nur erfindungsreich sein. Mit seinem frisch gegründeten Kreativen-Kollektiv will er das nun beweisen.  

Sieben Quadratmeter groß ist Annes (Name geändert) Zimmer an der Münchner Baumstraße in der Isarvorstadt. Früher war es eine Hausmeisterkammer, jetzt will sie es umnutzen. Künftig soll trotz der Enge Raum für verschiedene Zimmer sein: eine Wohnküche, ein Schlafzimmer, eins zum Arbeiten. Der Trick: verschiebbare Wände, ausklappbare Küche und Möbel. So soll Anne ihre kleine Wohnung in Sekunden umbauen können, lautet der Plan von Architekt Benedict Esche. Der 28-Jährige hat sie erst auf die Idee zum Umbau gebracht.

Seine Idee: Bars könnte man tagsüber als Büro nutzen, 
den Kiosk nachts zum Club machen.

Für Benedict ist das Erdgeschosszimmer in der Baumstraße eines von vielen Beispielen dafür, dass München gar nicht die Flächen ausgehen. Man müsse sie nur kreativer nutzen. Wenn er durch die Münchner Innenstadt läuft, sieht er überall Freiflächen: Zwischen zwei Blumenkübeln an der Brienner Straße wäre Platz für ein Minihaus in Bestlage, die Flächen vieler Bars könnte man tagsüber als Büro nutzen und den Kiosk an der Ecke nachts zum Club machen. Durch die geteilten Mieten soll München plötzlich auch wieder erschwinglich sein. Benedicts Ansatz ist also, die Stadt nicht tatsächlich günstiger oder größer zu machen, sondern sich kleine Schlupflöcher zu suchen, um sie besser auszunutzen.

„Nachverdichten“ ist zwar schon seit Jahren das Zauberwort in der Münchner Stadtpolitik – wenn es nach Benedict Esche geht, passiert aber noch nicht genug. Deshalb hat sein Architektenbüro „Kollektiv A“, in dem sie zu dritt arbeiten, eine weitere Gruppe ins Leben gerufen. Hierfür hat er sich junge Menschen aus verschiedenen Bereichen ins Boot geholt. Neben dem Architekten Jonas Altmann und der Architekturstudentin Vicky Papadimitriou sind auch die Kunsthistorikerin Lisa Deml, der Architekt Giacomo Nüsslein, Ulrike Geiger von „Bellevue di Monaco“ und Daniel Balfanz, der für die Bayernkaserne arbeitet, beteiligt.

Einen Namen hat das neue Kollektiv noch keinen, aber eine klare Mission: Den Restraum in München nutzbar machen – ob in Hinterhöfen, auf Dachböden oder mit dem Aufstocken von Häusern. Als erstes Projekt wollen sie in einem Schrebergarten ein Häuschen als vollwertige Wohnmöglichkeit für zwei Personen bauen, die Gespräche mit verschiedenen Kleingartenanlagen laufen.

Ideen wie die Minihäuser an öffentlichen Plätzen erinnern an die„Shabbyshabby Apartments“, skurrile temporäre Wohneinheiten des Raumlabors Berlin, die Kammerspiele-Intendant Matthias Lilienthal als eine der ersten Amtshandlungen vergangenen Spätsommer in der Stadt aufstellen ließ. Der Grundgedanke ist bei Benedict ähnlich: Wer in München leben möchte, muss improvisieren und kreativ werden. „Nur eben ohne Shabby“, sagt der Jung-Architekt und grinst. Das sei ja nicht unbedingt was für die Münchner. Nach dem wilden Brainstorming wird an ausgeklügelten Designlösungen gefeilt – es soll einem ja nur aus Platzgründen an nichts fehlen. Denn Benedict ist nicht nur Träumer.

Ihr Modell der „Arrival City“, bei dem sein Büro für Club-Besitzer und Financier Wolfgang Nöth „Flüchtlingsunterkünfte der Zukunft“ mit getrennten Zimmern, Sport- und Kulturangeboten entwirft, stößt bereits vor dem Bau auf Anklang in der Architekturszene: Die Stadt München nominierte sie für den Architektur-Förderpreis, bei der Biennale in Venedig, die am 28. Mai eröffnet wurde, bekamen sie einen Platz im deutschen Pavillon. Ihre Ideen passen in den Zeitgeist, das diesjährige nationale Motto unter Kurator Oliver Elser lautet „Making Heimat. Germany, Arrival Country“.

Ankommen muss auch Benedicts neues Kollektiv erst einmal. Bis vor kurzem saß er mit seinem Architekturbüro noch in Berlin, doch München, die Stadt seiner Studienzeit, ließ den gebürtigen Hamburger nicht los: „Jeder spricht hier über das Platzproblem, der Lösungsbedarf ist groß.“
Der offizielle Startschuss für das neue Projekt ist vergangenen Donnerstag mit der Eröffnung der Pop-Up-Ausstellung „Restraum“ gefallen. Dauer: zwei Wochen. Ort: Das „Open Houseofhrvst“ am Maximiliansplatz 12, ein temporärer Mix aus Laden und Café vom Maxvorstädter Klamottengeschäft „Houseofhrvst“ und dem Studententreff „Lost Weekend“.

Benedicts Restraum-Ausstellung ist nun sozusagen die Zwischennutzung der Zwischennutzung, das Pop-Up-Event im Pop-Up-Store. Damit praktiziert er genau das Modell, das sein Kollektiv bewerben will: Raum teilen und kreativ nutzen. Am Beispiel bildende Kunst will die Gruppe zeigen, dass eigentlich überall Platz wäre, auch für Subkultur. „In München gibt es bisher keine starke Kultur bei den Kreativen, ungenutzten Raum ausfindig zu machen“, sagt Adrian Sölch, einer der ausstellenden Künstler. Viele würden sich stark an bestehende Institutionen hängen, anstatt eigene Initiativen zu starten.

Für Benedict Esche geht es darum, Gedanken anzustoßen – unabhängig von Regelwerken

Neben Adrian Sölch zeigen fünf weitere Münchner Künstler ihre Werke in der Ausstellung, die der Münchner Bequemlichkeit entgegentreten will. Zwischen Klamotten und Schuhen hingen die Kunstschaffenden ihre Werke auf, erst drei Tage vor der Eröffnung konnten sie mit den Installationen beginnen und auch dann nur in den Abendstunden daran arbeiten. Raum teilen heißt eben auch Kompromisse schließen – und Resträume finden. Bei dieser Aufgabe sind auch die Besucher gefragt: Auf den zwei Stockwerken sind Holzklötze verteilt, aus denen jeder bauen darf, was und wo er will. Die Ausstellung soll spielerisch dazu anregen, selbst Freiflächen zu entdecken – ob diese nun letztlich realistisch nutzbar sind oder nicht.

Benedict ist klar, dass er mit seinen Ideen oft auch an rechtliche Grenzen stößt. Häuser aufstocken und Innenhöfe bebauen sei zwar möglich und werde auch schon gemacht, sagt Thorsten Vogel vom Planungsreferat. Aber Gehsteige oder öffentliche Plätze nutzen, das sei so einfach nicht. „Da spielen viele Schritte mit rein – die Zustimmung der Stadt als Eigentümer, die Bewilligung einer Sondernutzung oder einer Baugenehmigung und das tatsächliche Baurecht.“ Auch das Vermischen von gewerblich und privat genutzter Fläche ist nach aktueller Rechtslage schwierig: Gewerbegebiete dürften grundsätzlich nicht als Wohnraum genutzt werden. Letztlich müsse aber immer der Einzelfall geprüft werden. Doch für Benedict geht es eben zuerst einmal darum, Gedanken anzustoßen – unabhängig von Regelwerken.

 Für manche mögen seine Lösungen auch unbequem klingen: wohnen auf sieben Quadratmetern? Das Büro nachts zweitnutzen und immer alles wegräumen müssen? Benedict versteht die Zweifel, aber man könne durch das Zusammentreffen mit den verschiedenen Mitnutzern ja auch viel gewinnen. Und: „Wenn ich dir sagen würde, du könntest direkt am Marienplatz wohnen – dann würdest du doch auch nicht zögern, oder?“

Von: Elisabeth Kagermeier

Foto: Yunus Hutterer