Pöbeln und Poesie

Erst rumbrüllen, dann nachdenklich werden. Poetry-Slammer Yannik Sellmann, 22, überzeugt durch lautstarke Komik. Der amtierende Münchner Stadtmeister wollte ursprünglich Richter werden, doch das Jura-Studium bricht er nach vier Semestern ab

Yannik Sellmann spricht laut und schnell. Zu laut und zu schnell für ein normales Gespräch. Doch auf der Bühne ist genau das sein Markenzeichen geworden: Wenn der junge Poetry-Slammer seine Texte vorträgt, dann schreit er. Schreit. Und schreit. Und schreit. Schreit im Höchsttempo Gedanken in den Raum über die Unfähigkeit, die eigenen Gefühle auszudrücken, über Filme wie „La La Land“, die eine perfekte Welt erzählen, während man selbst „auf dem Bett sitzt, Cornflakes aus der Packung isst, Formel-1-Rennen schaut“ und darauf wartet, dass am bunt gefärbten Horizont eine Lebensvision auftaucht, die sich erfüllender anfühlt als das vermeintliche Glück der dauer-singenden und dauer-tanzenden Hauptfiguren.

Was er da schreit und wie er das schreit, kommt beim Publikum gut an: 2016 war Yannik bayerischer Meister im Slammen, 2017 kam der 22-Jährige ins Stechen der deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften, vergangenen Herbst hat er zudem Alex Burkhard den Titel des Münchner Stadtmeisters abgerungen. Rund 80 Auftritte hatte der Wortkünstler 2017, war auf Tour in ganz Deutschland unterwegs. Man kann sagen, Yannik ist erfolgreich.
 Geplant war eine derartige Karriere nicht: Als er 2014 aus seiner Heimat Hamm in Nordrhein-Westfalen zum Jura-Studium nach München kommt, will er noch Staatsanwalt werden. Oder Richter. Doch anstatt Paragrafen zu pauken, schließt Yannik sich einer Improtheatergruppe an. Seine Impro-Kollegen nehmen ihn mit zu Münchens wohl bekanntestem Poetry-Slam im Substanz. Als er dort die auftretenden Poeten sieht, ist Yannik angefixt. Er erinnert sich: „Da habe ich gedacht: Das könnte was für mich sein“, sagt er. Beim Einstieg geholfen habe ihm damals auch seine neue Heimat München, denn die Stadt biete zahlreiche Formate, bei denen junge Slammer sich ohne Druck ausprobieren können.

In der Tat geht auch Yannik bei einer solchen Veranstaltung zum ersten Mal auf die Bühne: Er trägt sich in die offene Liste der Kiezmeisterschaft im Westend ein, einem Slam, bei dem jeder spontan mitmachen kann, egal wie erfahren er ist. „Es hatte keine wirkliche Fallhöhe. Viele treten hier zum ersten Mal auf, es kann auch schlecht sein. Das hat mich einfach ermutigt, dort mitzumachen“, sagt er rückblickend.

Danach geht für ihn alles sehr schnell. Der Jungpoet findet Anschluss in der lokalen Slammer-Szene, schafft es in nur zwei Jahren zu den ganzen großen Veranstaltungen und Meisterschaften. Eine Blitzkarriere. Aber während es auf den Slambühnen für ihn steil bergauf geht, steht das Studieren hinten an. Öde wirken Themen wie EU-Recht auf einmal, derentwegen er einst Jurist werden wollte. Yannik sieht sich nicht mehr im Beruf des Anwalts und bricht nach vier Semestern sein Studium schließlich ab.

Doch je größer der Erfolg als Slammer, umso mehr steigt der innere Druck, nicht immer mit den selben Werken auf die Bühne zu gehen, kein „One-Hit-Wonder“ sein zu wollen, sondern neue Texte zu produzieren und sich facettenreich zu präsentieren. „Man muss Ergebnisse liefern“, sagt Yannik. Der junge Mann sieht das aber in erster Linie als Ansporn an sich selbst – auch weil es ihn langweile, permanent das Gleiche vorzutragen.

In den Texten, die Yannik schreibt, thematisiert er auch Persönliches: So slammt er etwa über seine Krankheit. Seit er 12 Jahre alt ist, leidet er unter chronischen Psychosen. Das prägt. Welche Medikamente nimmst du? Wie fühlt es sich an, mit so einer Diagnose aufzuwachsen? Diese Fragen hört Yannik oft. Einige der Antworten verdichtet er in seinen Texten. „Ich schäme mich nicht für meine Krankheit und bin da auch offen, aber ich passe natürlich auf, dass ich den Leuten auf der Bühne nur das von mir zeige, was ich ihnen auch zeigen möchte“, sagt der Slammer. Für ihn sei es wichtig, diese Grenze zu wahren, das Publikum nicht „emotional zu erpressen“, wie er es formuliert. Wie viel gebe ich von mir preis? Was bleibt besser privat? Solche Sachen beschäftigen ihn. „Es gab auch Texte, wo ich erst auf der Bühne gemerkt habe, dass ich das doch lieber nicht erzählen möchte. Dann lässt man es halt wieder.“ Denn Mitleid erregen, das will Yannik auf keinen Fall. „Was ich verhindern will, ist, dass die Leute sagen: Der hat eine Psychose, wie schade, und deshalb gebe ich ihm eine gute Bewertung. Daher versuche ich zu vermeiden, mich selbst in die Opferrolle zu drängen.“

Dabei hilft auch, dass Yannik sich auf der Bühne oft selbst ironisiert, denn viele der Pointen, die er herausbrüllt, zielen auf ihn als Person ab. Die Figur des schreienden Mannes, die er dabei so gerne spielt, findet er selbst unheimlich witzig, gibt er zu. „Es ist in mir so ein Drang, Witze an die Leute zu bringen, auf der Bühne lustig sein zu wollen“, sagt Yannik. Das funktioniert, je nach Publikum, unterschiedlich gut. „Als ich das erste Mal in NRW aufgetreten bin, habe ich erst gemerkt, dass mein Humor von dort kommt und meine Texte da auch besser aufgenommen werden.“ In München habe er sich anfangs erst mal an den bayerischen Humor gewöhnen müssen. „Ich kann das nicht genau beschreiben, aber man lacht hier generell weniger – und auch über andere Dinge. Und: Der Humor ist derber.“

Derb, das sind seine Arbeiten nicht. Denn genau dort, wo sie es werden könnten, nach all dem Geschrei, der Heiserkeit, des Sich-in-Rage-Slammens, steigt Yannik aus, wird leise, im Ton wie in den Gedanken, die er vorträgt. „Yannik-Sellmann-Formel“, nennen das seine Freunde. Erst rumschreien und dann die Kurve zum Tiefsinnigen, zum Nachdenklichen kriegen. Für den jungen Slammer ist dieser Bruch wichtig, denn: „Ich möchte den Leuten etwas mitgeben außer nur Lacher.“

In dieser Doppelbödigkeit, die irgendwo zwischen absoluter Komik und absoluter Traurigkeit schwankt, scheint ein Potenzial zu liegen, das nicht nur vom Slam-Publikum geschätzt wird: Auf Einladung von BR 2 macht Yannik seit diesem Frühling mit seinen Slammerkollegen Johannes Lenz und Philipp Potthast den Podcast „Weekly Rewind – der slam-poetische Wochenrückblick“, nebenher hat er in den vergangenen Jahren zudem bei der Produktionsfirma Walulis TV gearbeitet, die die Medienformate des Comedian Philip Walulis produziert. Dort hat man ihm nun ein zweijähriges Volontariat angeboten.

Sollte Yannik diesen Job antreten, würde er nicht mehr so häufig als Slammer auftreten können wie bisher. Das weiß er. Vollständig vom Slam abkehren will er nicht. Muss er vielleicht auch nicht. Die Münchner Poetin Fee etwa zeigt, dass zwei Lebenspläne unter einen Hut passen: Seit Herbst studiert sie Operngesang in Berlin, dennoch steht sie in ihrer freien Zeit nach wie vor als Slammerin auf der Bühne. Es gibt sie also, die Möglichkeit beides zu machen. „Ich muss eben sehen, wie viel Slam in mein Leben passt“, sagt Yannik.

Foto: Stephan Rumpf

Text: Carolina Heberling

Zufallsstudium: Recht und Unrecht

Mit der Frage, wie man ein Haus gerecht auf zwei Zwillinge aufteilt, beschäftigt sich unsere Autorin in ihrer Zufallsvorlesung Rechtswissenschaften. Was anfangs ganz einfach klingt, zerbricht ihr am Ende doch den Kopf – zu Recht?

Die Studentin L. begibt sich am Montag, den 22. Mai 2017 gegen 12:00 Uhr in das Hauptgebäude der LMU. L. entschied dies aus freiem Willen und trug die volle Verantwortung für ihr Verhalten. Schnellen Schrittes folgt L. einer Gruppe männlicher Studenten in den Vorlesungssaal A140 im 1. Stock. Die Türen stehen offen. Bevor sich L. in den Raum begibt, wirft sie einen Blick auf das Kleingedruckte der Informationstafel. Ohne neuere Erkenntnis sucht sie sich schließlich einen Platz im bereits gut gefüllten Saal und beginnt an einer ihr nicht bekannten Vorlesung teilzunehmen. Zwei Stunden später verlässt sie die Veranstaltung schweren Kopfes und mit vielen offenen Fragen. Zu Recht?

So oder so ähnlich hätte man meine Teilnahme an meiner Zufallsvorlesung in einen juristischen Fall betten können. Ich bin keine Studentin der Rechtswissenschaft und kann an einem Versuch, einen Fall aufzustellen oder gar zu lösen nur kläglich scheitern. Dass es meinen Zufallskommilitonen in Hinblick auf eine Falllösung besser geht, dürfte auf der Hand liegen. Doch wie machen das die Studenten, die freiwillig im BGB schmökern und sich unzählige Paragraphen um die Ohren hauen?

Die Vorlesung beginnt um Punkt 12:15 Uhr mit den freundlichen Worten des Professors: „Herzlichen Glückwunsch liebe Studentinnen und Studenten der Rechtswissenschaft! 80 % haben die Hausarbeit bestanden. Ein gutes Ergebnis. Besser als das einer Klausur. Wesentlich besser als das Ergebnis des ersten Staatsexamens. Aber das können wir damit eh nicht vergleichen. Und bis dahin liegt noch ein sehr langer und mühsamer Weg vor Ihnen.“

Ein kurzes Raunen geht durch die Menge. Aufgeregte und betrübte Gesichter zugleich, die mich vermuten lassen, dass sie einerseits gespannt auf ihr eigenes Ergebnis sind, andererseits aber an den vom Professor als mühsam beschriebenen Weg denken. Und ich sitze da. Ohne BGB, aber dafür mit einem Grinsen im Gesicht. Ich versuche in die Rolle einer Jurastudentin zu schlüpfen und möglichst selbstbewusst und ruhig zu wirken. Das erste Staatsexamen ganz locker zu sehen. Die Paragraphen nur so aus dem Ärmel zu schütteln. Deshalb freue ich mich über die vermeintlichen Glückwünsche zur vermeintlich bestandenen Hausarbeit. Einer Etappe von vermutlich vielen Etappen in diesem Studium.

Der Professor kündigt an, die Hausarbeit erst am Ende der Sitzung herauszugeben, nachdem er den dafür zu bearbeitenden Fall noch einmal zusammen durchgekaut. Das macht der Professor gerade mit Absicht, um Unruhe zu vermeiden und noch einmal allen die Möglichkeit zu geben, bei vollster Konzentration mitdenken zu können. Oder aber um den Nervenkitzel zu erhöhen, die Spannung zu steigern und die Aufmerksamkeit der Studenten überwiegend zu verlieren. Mitschreiben tut keiner außer mir. Ich nenne es das „Verhandlungsprotokoll im Rechtsstreit um die gerichtlich bestimmten Leistungserhebungen“ und freue mich wirklich auf den Fall und die möglichen Lösungswege.

Es geht los. Der Professor liest die Fallbeschreibung vor: Eine vermögende Witwe, Mutter von Zwillingen, die ihren Kindern zum Geburtstag ein Grundstück vererben möchte, um ihnen eine Freude zu machen. Hört sich leicht an, denke ich mir: Einfach teilen. Doch es kommen Gegebenheiten hinzu, die diese vermeintlich einfache Aufteilung zu einem komplexen Verfahren werden lassen. Neben mir werden währenddessen H&M-Bestellungen aufgegeben, Krawatten zurechtgerückt, Wurstsemmeln verdrückt und Haare neu gegelt. So langsam verliere ich den Überblick. Der Fall wird immer verschachtelter und von meinem anfänglichen Optimismus bleibt wenig übrig. Das Staatsexamen verschwindet langsam aber sicher vor meinem inneren Auge. Der Professor diskutiert mit wenigen Eifrigen aus der ersten Reihe über Willenserklärungen, Mietveträge, Verfügungsrechte und vieles mehr. Ich fühle mich fehl am Platz und die Unwissenheit macht es mir schwer, mich länger wohlzufühlen und konzentrieren zu können. Also beiße auch ich beherzt in mein Käsevollkornbrötchen. Und dann beginne ich über die Witwe und ihre Kinder nachzudenken. Ob sie ihnen mit den Grundstücken wirklich eine so große Freude gemacht hätte? Hört sich ehrlich gesagt alles mehr nach Stress und Ärger an. Alleine mit zwei Kindern zu sein ist sicherlich auch nicht immer einfach.

Schließlich werden die Hausarbeiten ausgegeben. 208 freudige Gesichter. 52 Studenten, die sich Besseres erhofft hätten. Und ich, die den Fall nicht umfassend nach allen in Betracht kommenden Rechtslagen und Einwendungen unter Angabe von Paragraphen geprüft hat. Ich, die die Hoffnung hegt, dass die fiktive Familie das große Geburtstagsgeschenk, ein Grundstück, einfach wie eine Torte friedlich in gerechte Stücke teilt. So leicht kann wohl nur ich es mir machen. Aber ich darf es ja auch bei einem Zufallsstudium belassen und das ist mir auch ganz recht so!


Text: Laura Schurer

Foto:

Lukas Haas

Neuland: Start Right

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Zwei Jurastudenten der LMU,  Andreas Holzgreve, 26 und Marc Wiesner, 25, haben mit „Start Right“ eine studentische Rechtsberatung gegründet, die kostenlose Beratung bietet.

Wie man die im Studium erworbenen theoretischen Fähigkeiten in der Praxis umsetzen kann, zeigen die beiden Jurastudenten der LMU, Andreas Holzgreve, 26 und Marc Wiesner, 25. Mit „Start Right“ haben sie eine studentische Rechtsberatung gegründet, die kostenlose Beratung bietet.

Nutznießer können soziale Projekte im wissenschaftlichen, kulturellen sowie gesellschaftlichen Bereich sein, die ihrem Engagement einen rechtlichen Rahmen geben wollen. Unter Aufsicht von Volljuristen können Jurastudenten (vom 3. Semester an) diese Projekte bei der Lösung rechtlicher Probleme unterstützen. Die Studenten sollen ihre theoretischen Kenntnisse in der Praxis umsetzen und eigenverantwortlich arbeiten. „Als Jurastudenten haben wir nach einer Möglichkeit gesucht, uns gesellschaftlich einzubringen und uns für ehrenamtliche und gemeinnützige Projekte einzusetzen“, erklären sie.  


Text: Laura Schurer

Foto:

Georg Schäfer

Zufallsstudium: Der Zucchiniblüten-Fall

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Was studiert der Junge mit den Dreadlocks eigentlich? Welchen Kurs besucht das Mädchen, das in der U-Bahn neben uns saß? Woche für Woche folgen wir fremden Studenten zum „Zufallsstudium“.

Dieses Mal: Pia findet in einer Jura Vorlesung heraus, was
Tante Berta und die Zucchiniblüte mit Zivilrecht zu tun haben.

Die Zucchiniblüte
oder die mörderische Frage, wer wem das Bild verkaufte, beschäftigte mich
Dienstagmittag. Die Hauptverdächtige dieses mit Irrungen und Wirrungen
vollgepackten Falles ist Bona Fide.

Bevor ich aber diese folgenschwere Bekanntschaft mit Bona
Fide machte, streifte ich Dienstag durch die Uni, auf der Suche nach einem
Studenten, der mich in die Welt seines Faches entführen sollte. Dabei kam ich
an einem Hörsaal vorbei, aus dem schon der Beginn einer Vorlesung zu hören war.
Verwundert und neugierig, welcher Professor so überpünktlich anfing, denn es
waren ja noch acht Minuten bis zum offiziellen Vorlesungsbeginn, setzte ich
mich in den nicht ganz so vollen Saal. Mir wurde ein Arbeitsblatt gereicht auf
dem ich lesen konnte, wo ich mich überhaupt befinde: Tutorium Zivilrecht in der
Mittelphase. Fall 12. Bevor ich Zeit hatte mir Gedanken zu machen, ob ich nun
glücklich bin oder nicht für die nächsten 90 Minuten Fall 12 zu lösen, legten
wir auch schon los. Und hier beginnt die Geschichte der Zucchiniblüte und Bona
Fides.

F und M sind zwei verheiratete
Studenten, die sich vertrauen und lieben. Als F in den Urlaub fährt beschließt
ihr Ehemann M ihren Account mit dem Pseudonym „Bona Fide“ auf der
Verkaufsplattform I-Buy zu benutzen, um ein ungeliebtes Geschenk seiner Tante
zu verkaufen. Großtante Berta schenkte ihrem Neffen nämlich die Zucchiniblüte,
ein Gemälde des französischen Malers Séchuan. Die Zugangsdaten für das Portal
verschafft sich M mithilfe eines Zettels aus dem Nachttisch seiner Frau. Er stellt daraufhin das auf 1000€ geschätzte
Gemälde ohne das Wissen seiner Frau unter ihrem Nutzernamen online. So weit, so gut. Das
Drama nimmt allerdings seinen Lauf, als ein Käufer K das Bild für 50€
ersteigert und M den Verkauf teils wegen des niedrigen Erlöses, teils wegen
einem schlechten Gewissen gegenüber Tante Berta plötzlich bereut. Als F aus dem
Urlaub zurückkommt, will sie nichts mit der Sache zu tun haben.

Aus juristischer Sicht stellen Begriffe wie
Anscheinsvollmacht, Übergabe und Übereignung, sowie Offenkundigkeitsproblem in
Kombination mit Paragraph 433 I/1 oder 164 ff. des Rätsels Lösung dar. Doch ich
begann mir ganz andere Fragen zu stellen. Kann F ihrem Ehemann M diesen
Vertrauensbruch verzeihen, einfach ihr Passwort ohne Erlaubnis zu nehmen? Was
wird Tante Berta zu der Sache sagen? Und wie sieht überhaupt die Zucchiniblüte
aus?

Ich wurde jäh aus meinen Gedanken gerissen, als die Dozentin
plötzlich im Zusammenhang des Falls die Frage stellte, was passieren würde,
wenn jemand beim Bäcker unter dem Namen Johann Wolfgang von Goethe Brezn
bestellen würde und der ganze Hörsaal musste schmunzeln. Es ging dabei
natürlich nicht um einen goethelesenden Brezn-Liebhaber, sondern um den Begriff
der Identitätstäuschung und wie diese im juristischen Sinn bestraft werden
kann. Denn es macht einen großen Unterschied, ob jemand Brezn IN fremdem Namen
beim Bäcker bestellt oder ob jemand eine Zucchiniblüte UNTER fremdem Namen im
Internet verkauft. Während weiter an der Antwort, ob nun K Ansprüche gegenüber
F oder M hat gearbeitet wurde, fragte ich mich plötzlich ob es wohl zu Goethes
Zeiten auch so einen Fall gegeben hätte. Denn ein anderes Problem in diesem
Beispiel ist, wie ich erfuhr, der Onlineverkauf und die damit zusammenhängenden
AGBs von I-Buy.

Nach etwa 40 Minuten haben wir endlich alle Irrungen und
Wirrungen, die F, M und K zu einem Fall für das Tutorium Zivilrecht in der
Mittelphase machen enttarnt. Jetzt müssen wir nur noch ein Urteil sprechen.
Zunächst stellt sich heraus, dass der Käufer K nach verschiedenen Paragraphen,
die ich mir nicht alle merken konnte, keinen Anspruch auf Übereignung oder
Schadenssatz gegenüber F hat. Nicht so gut sieht es allerdings für M aus. Es
liegt nach §433 ein rechtmäßiger
Kaufvertrag vor und somit muss die Zucchiniblüte den Besitzer wechseln.

Die mörderische Frage, wer wem das Bild verkaufte, ist somit
(zumindest juristisch) abschließend geklärt. Helfen kann M hier nur noch ein
guter Anwalt, doch was ich so gesehen habe, könnte er in dieser Vorlesung
bestimmt den ein oder anderen finden.

Von: Pia Teresa Weber

Foto: Lukas Haas

Gutes Recht

Die Refugee Law Clinic berät Flüchtlinge – aber ihr fehlt eine feste Anlaufstelle.

Von Jennifer Lichnau

München – Jura kann sehr trocken sein, sehr theoretisch. Die Arbeit der Refugee Law Clinic ist alles andere. Viola Syska, 23, ist seit mehr als einem Jahr Mitglied bei dem studentischen Verein, der kostenlosen Rechtsbeistand für Flüchtlinge anbietet. Das ist für beide Seiten eine Win-win-Situation. Die Studenten erhalten praktische Erfahrung, Flüchtlinge eine Rechtsberatung, auf die sie nicht so lange wie üblich warten müssen. Dennoch ist die Lage angespannt. Ein eigenes Büro fehlt der Studenten-Initiative, bislang wird ihnen immer an neuen Orten vorübergehend Platz gegeben. „Dabei wäre es so wichtig, eine zentrale Anlaufstelle anzubieten. Ein fester Ort, an den die Flüchtlinge kommen können, und auch wir, um Fälle zu besprechen“, sagt Viola. Auch müssen die Jura-Studenten extra vorbereitet werden – aber diese Vorbereitungskurse kosten, und das Geld der ehrenamtlichen Organisation ist knapp. „Wir würden sehr gerne in unser Ausbildungsprogramm investieren, damit wir auch wirklich gute Arbeit für die Flüchtlinge leisten können“, sagt Viola.

Viola kann in der Refugee Law Clinic das im Jurastudium erlernte Wissen umsetzten, die Theorie hinter sich lassen. „Direkt am Menschen arbeiten“, sagt sie. Das Wichtigste aber ist ihr, dass sie Menschen unterstützen kann, die in einer schlechteren Ausgangslage sind als sie selbst. Viola sitzt nicht gerne Tage lang in der Bibliothek hinter dicken Büchern. Wenn sie lernt, dann meistens zu Hause, „da kann man auch mal eine Pause einlegen“, sagt sie und lacht. Dass die Arbeit bei der Refugee Law Clinic viel Zeit und Kraft kostet, macht Viola aber nichts. Sie ist taff, hat eine klare Stimme, einen klaren Blick. Wenn sie lacht, dann laut und herzlich. Entspannt sitzt sie im Café, ihre blonden Haare sind zu einem Zopf geflochten, die Lippen rosa geschminkt. Sie hat eine ungezwungene Art. Was sie denkt, das sagt sie auch.

Die Refugee Law Clinic muss nicht auf sich aufmerksam machen, das Konzept ist ein Selbstläufer. Die Nachfrage ist riesig. Hinter den Jurastudenten steht ein Beirat. Erfahrene Anwälte, die den Studenten zur Seite stehen und bei komplizierten Fällen helfen. Es gibt zwar auch behördliche Beratungsstellen für Asylsuchende, aber die sind mit dem Flüchtlingsstrom mehr als ausgelastet. Die Studenten entlasten. Auch können sie sich für die Menschen, die zu ihnen kommen, mehr Zeit nehmen, wirklich für sie da sein. „Nicht anhören, entscheiden und wieder wegschicken“, sagt Viola.

Es gibt drei Bereiche innerhalb des Vereins: Das Beraterteam, das Organisationsteam und Übersetzer. Beraten dürfen allerdings nur die Jurastudenten – und das auch nicht einfach so. Sie müssen eine Vorlesung belegen, in Workshops Beratungssituationen üben, eine Prüfung schreiben. Erst dann sind sie in der Lage, effektive und qualitative Rechtsberatung zu leisten. Und das ist das Ziel. Asylrecht kommt im Studium nicht vor. Man muss sich intensiv damit auseinandersetzen, um sich auszukennen „in dem asylrechtlichen Dschungel“, wie es Viola ausdrückt.

Foto: Stephan Rumpf

Refugee Law Clinic: Jura mal anders

Behördengänge? Können kompliziert sein, besonders für Flüchtlinge. Die Initiative “Refugee Law Clinic” will Asylsuchende dabei unterstützen.

Jahrzehntelang war es verboten. Doch mittlerweile dürfen Studenten auch in Deutschland juristische Beratung leisten. Das krempelt nicht nur das Jurastudium um, sondern kommt zugleich auch Bedürftigen zu Gute. Ursprünglich sind die „Law Clinics“ eine Erfindung aus den USA. Mittlerweile gibt es sie auch in München. Das Prinzip ist einfach: Angehende Juristen und ehrenamtliche Helfer unterstützen Asylbewerber bei Behördengängen. Außerdem bieten sie kostenlose Deutsch- und Fremdsprachenkurse an. Wer mitmachen will, sollte viel Spaß an der Vereinsarbeit mitbringen. Das Ziel: Durch eine Kombination aus theoretischer und praktischer Ausbildung sollen die Studenten schon während ihrer Ausbildung mit dem künftigen Berufsalltag konfrontiert werden. Dieses Konzept scheint aufzugehen, auch für Franziska Faßbinder und Lisa Schmidt (Foto: Sandra Singh), beide Mitte 20: „Als wir die Beratung das erste Mal angeboten haben, saßen schon eine halbe Stunde vorher sieben Hilfesuchende vor dem Beratungszimmer“, sagt Franziska. Sarah Brenner