Heimat am Herd

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Jackie Lang, 25, bringt bei „Essen & Liebe“ Menschen zusammen, die bereit sind, für ihr Menü ein bisschen mehr zu zahlen und damit einen Abend lang eine Patenschaft für einen Flüchtling zu übernehmen.

Von Susanne Brandl

Es geht nur um das Nötigste: Um Kleider, Schuhe und Lebensmittelpakete. Das weiß jeder, der bisher in einer Erstaufnahmestelle für geflüchtete Menschen geholfen hat. Dies ist kein Ort, wo Kontakte geknüpft werden. Kurze Blickwechsel gibt es, freundliches Nicken, ein Lächeln vielleicht, aber längere Gespräche entstehen nicht. Auch die Münchnerin Jackie Lang, 25, hat diesen Sommer im Münchner Notquartier an der Denisstraße „Sachen rumgeräumt“. Doch die Atmosphäre war ihr dort „zu steril“. Sie wollte mit den Leuten reden, ihnen zuhören. Nicht aus der Helferperspektive, sondern „auf Augenhöhe, am besten bei einem gemütlichen Abendessen“, sagt sie. Jackie Lang hat ihr Hobby zum Beruf gemacht hat. Seit einiger Zeit kocht und bäckt sie im Glockenbacher „Aroma-Café“ und im Schwabinger „Laden“.

„Ich bin ganz unbedarft, was Flüchtlingshilfe angeht“, sagt Jackie. Nun hat sie mit einer Einladung „Leute mal aus ihrer Bittsteller-Rolle“ holen wollen. Und so stand sie schließlich sieben Stunden in ihrer WG-Küche und kochte „ohne großen Aufwand“ ein ausgefeiltes 3-Gänge-Menü, „um die Leute aufzufangen und zu signalisieren, dass man sie wirklich kennenlernen will“.
„Die Leute“, das sind für Jackie die Geflüchteten. Sie spricht selten von „Flüchtlingen“ oder „Asylbewerbern“. So lässt schon ihre Wortwahl erkennen, dass sie zwischen den Flüchtlingen auf der einen und den Deutschen auf der anderen Seite nicht unterscheidet. Und es handelt sich bei ihrer Idee des gemeinsamen Essens in keiner Weise um Barmherzigkeit oder gar Mitleid. Zu ihrem Essen lädt Jackie auch Münchner ein. Münchner, die sich nicht kennen. Alle Gäste sind sich fremd. Und so entbindet sie die Flüchtlinge von ihrem Stigma. Es geht ums Kennenlernen, egal, woher man kommt und wer man ist.
Das Essen mit den Flüchtlingen gehört zu einem Konzept, das Jackie schon länger verfolgt: Seit diesem Sommer organisiert sie sogenannte Supperclubs. Im Internet erstellt sie eine Aktion, bestimmt den Ort und lädt jeden ein, der kommen will. Ob Freund, Bekannter oder Unbekannter, die Leute zahlen über Paypal, Jackie karrt das Essen ran und bestellt einen DJ. Beim gemeinsamen Buffet im Grünen kommen sich die Leute näher.

Dass Jackie die Dinge entspannt sieht, erfährt man nicht nur, wenn sie erzählt, dass sie mehr durch Zufall „in der Gastro hängen geblieben“ ist. In Ringel-Shirt und Latzhose sieht sie lässig aus. Cool wirkt es, wie sie ihre braunen Locken zum Dutt gewickelt hat, und auch ihr Nasenpiercing passt zu ihrer lockeren, aber toughen Art. 

Um das 3-Gänge-Menü zu finanzieren, sucht sich Jackie über ihre Facebook-Seite „Essen & Liebe“ Menschen zusammen, die bereit sind, für ihr Menü ein bisschen mehr zu zahlen und damit einen Abend lang eine Patenschaft für einen Flüchtling zu übernehmen. Für jede verbindliche Zusage eines Münchners lädt Jackie einen geflüchteten Menschen ein. In nur einer Woche hat sie über Internetportale und soziale Netzwerke 15 Gäste gefunden.
Sie begibt sich ins Münchner Hauptbahnhofviertel und kauft beim Türken Halal-Fleisch, schmort das Lamm in ihrer Küche, schnippelt, brät und würzt, bis die Gäste kommen, die noch nicht wissen, was sie erwartet: Zur Vorspeise eine Kürbissuppe mit Koriander und Crème-fraîche-Dip, ein Feldsalat mit Granatapfelkernen und gebratenem Ziegenkäse, ein Orangen-Fenchelsalat mit Walnüssen, Zucchinipuffer, das Lamm und zum Schluss Maronen-Mousse.
Doch nicht nur das feine Menü hebt die Stimmung, auch der reichlich gedeckte, mit Blumen und Kerzen geschmückte Tisch im Wohnzimmer, der Kamin in der Ecke und die Discokugel an der Decke. Menschen, die sich zuvor nicht kannten, mischen sich untereinander, jeder plaudert mal mit jedem.

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Zwei Jungs aus Somalia, ein junger Mann aus Syrien und selbst die Afghanin, die erst seit vier Monaten in Deutschland ist, unterhalten sich in einwandfreiem Deutsch mit den Münchnern. Im Zweiergespräch geht es auch mal um die Fluchtgeschichten, um den langen Weg nach Europa, aber ansonsten drehen sich die Themen um Arbeit, Freizeit und den Musikgeschmack. Die Gäste legen ihre Musik auf, unter afghanische Klänge mengen sich die deutschen Charts, arabische und europäische Hits wechseln sich ab. Und schließlich tanzen alle.
„Am Anfang war ich schon ein bisschen nervös“, sagt Jackie hinterher, „man weiß ja nie, ob die Gäste auf einer Wellenlänge sind. Sie haben unterschiedliche Hintergründe. Wie harmoniert das? Vielleicht tritt jemand in ein ganz großes Fettnäpfchen, was menschlich ist, was auch nicht schlimm ist, aber was den Abend beeinträchtigen kann. Am Ende muss man ins kalte Wasser springen und dann wird es auch klappen!“ 

Und ob. Bevor sie am späten Abend nach Hause spazieren, haben fremde Menschen Telefonnummern ausgetauscht, viel gelacht, getanzt und „einfach vergessen, was sonst so abgeht“. Und das ist doch weit mehr als nur das Nötigste.

Foto: Jackie Lang, Julien Hoffmann