Stefan Natzel und Heiner Stöckle machen philosophische Klingelstreiche und stellen dabei die Frage nach dem Sinn. Das Ergebnis sind die zwei- bis dreiminütige Podcasts “Stefan Natzel auf der Suche nach dem Sinn”.
Mit Heiners Liebe für die Brauerei Rapp, die ihm jede Woche einen Kasten Saft vor die Haustür stellt, hat alles angefangen. Mehr im Scherz hat er einmal gesagt, dass es sicherlich cool wäre, für die Brauerei zu arbeiten. Seitdem ruft sein Freund Stefan bei den unterschiedlichsten mittelständischen Unternehmen an und fragt, ob es für ihn, den jungen, schönen Akademiker eine freie Stelle gibt. Bei Brita Wasserfilter wollte er zum Beispiel als männliches Wasserfilter-Model arbeiten. Schließlich sind auf der Homepage der Firma nur Frauen mit dem Wasserfilter abgebildet und es gibt ja auch Männer, die den Wasserfilter nutzen. Bislang ohne Erfolg. Nach den ersten erfolglosen Anrufen wird Stefan mittlerweile nur noch weitergeleitet, ohne dass je ein Mitarbeiter seinen Anruf entgegen nimmt. Doch sollte es doch jemals dazu kommen, dass ihm jemand einen Job anbietet, müsste er ihn annehmen. So ist der Deal zwischen Stefan und Heiner.
Die Macher des Podcasts „Stefan Natzel auf der Suche nach dem Sinn“, Stefan Natzel, 26 und Heiner Stöckle, 22, haben sich über einige gemeinsame Theaterprojekte kennengelernt. Weil Männer sich aber nicht einfach zum Reden treffen, verabreden sie sich lieber, um Hörspiele aufzunehmen und Bier zu trinken. Oder eben, um den Sinn des Lebens zu hinterfragen. Das machen sie nicht im Zwiegespräch oder mit ihrer Theatergruppe, nein. Die Suche nach dem Sinn geht viel weiter, raus aus ihrer Akademiker-Blase. Rein in die Welt von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Bei der Kirche oder ähnlichen großen Institutionen anzurufen, wäre wie „den Dicken in der Klasse mobben“, sagt Heiner. Deshalb rufen sie lieber bei kleineren Unternehmen an.
In Zukunft möchte Stefan auch mal in einem Bordell anrufen und nach einer freien Stelle als Bordellbesitzer fragen. 40 weitere solcher Ideen stehen noch auf ihrer Anruferliste. Die Inspirationen hierfür sammeln sie aus ihrer Umgebung. Meistens Gegenstände, die in Heiners Zimmer rumstehen, so wie eben der Wasserfilter und Saftflaschen. In Heiners Zimmer nehmen sie die zwei bis dreiminütigen Podcast-Episoden von „Stefan Natzel auf der Suche nach dem Sinn“ auch auf. Stefan ruft an, Heiner, der mal eine Ausbildung zum Tontechniker in Schweden angefangen und wieder abgebrochen hat, macht den Ton.
Jede Folge beginnt mit einem kurzen musikalischen Intro und Stefans Stimme, die in den Hörer säuselt, um welche Folge es sich handelt. Danach ein kurzes Tuten und Stefan ist mitten im Bewerbungsgespräch. Bislang kann man zwei dieser Gespräche auf soundcloud nachhören. Geplant ist in Zukunft eine Folge pro Woche – wenn auch unter Vorbehalt. „Zuckerbrot nach Zuckerbrot, die Peitsche kommt nie“, umschreibt Heiner das Konzept. 117 Facebook-Fans konnten sie dafür bislang begeistern. Rechtlich ist es zwar nicht ganz legal, Telefonate ohne das Wissen des Angerufenen mitzuschneiden, aber die beiden Münchner Lebemänner scheinen sich darüber keine allzu großen Gedanken zu machen.
Auf den ersten Blick liegt ein Vergleich mit Formaten wie Paul Panzer und Studio Braun auf der Hand, Heiner und Stefan weisen das aber entschieden zurück. Viel zu infantil. Sie machen schließlich nicht einfach bloß lustige Klingelstreiche, sie stellen die große Frage nach dem Sinn. Sehr philosophisch, sehr ernsthaft. „Erst aus der Ernsthaftigkeit kann Humor entstehen“, sagt Stefan. Und obwohl sich damit bislang kein Geld verdienen lässt, sind sie fest davon überzeugt, dass sie sich durch ihre vielen Projekte, von denen die Podcasts nur eines sind, eine Lebensgrundlage aufbauen.
Durch ihre Frage nach einem Job bei den Firmen, die sie anrufen, stellen Stefan und Heiner aber tatsächlich eine durchaus ernsthafte Frage. Oder vielmehr eine ganze Reihe von Fragen. Fragen, die viele junge Menschen beschäftigen. Und häufig auch Angst machen. Werde ich einen Job finden? Und was wenn nicht? Wird dieser Job mich erfüllen? Und was wenn nicht? Die meisten Jugendlichen studieren ohne einen konkreten Beruf vor Augen zu haben. Für viele Studiengänge gibt es ein klar vorgegebenes Berufsziel aber auch gar nicht mehr. Am Ende des Studiums steht deshalb nicht selten erst mal ein großes Fragezeichen.
Stefan ist Bachelor der Philosophie und hat vor kurzem geerbt. Sein Traumberuf wäre derzeit der eines Nachtclub-Besitzers. Sorgen um Geld macht er sich keine. Deshalb kann er sich den Luxus leisten, nur das zu tun, was ihm gefällt. Momentan ist das vor allem die Schauspielerei. Und das Philosophieren. Ab und zu auch Projekte, die er selbst finanziert, wie eine Busfahrt nach Bulgarien mit einigen Künstlern. Einfach so, weil er kann. Schmankerl-Livestyle nennen er und Heiner das. Denn obwohl Heiner Geld mit seinem Job als Filme-Vorführer und Popcorn-Verkäufer im Kino verdient und ab dem kommenden Wintersemester Theaterwissenschaften studieren will, genießen sie das Leben und wollen ihre Zukunft nicht planen, sondern für das Hier und Jetzt leben. Mehr Ja sagen, lautet die Devise.
Sinnstiftend ist für Beide dabei vor allem die Gemeinsamkeit. „Produktive Freundschaft“, wie sie es nennen. Der Soundtrack ihres Lebens: The Beatitudes von Kronos Quartet aus dem Film La Grande Bellezza. Die epische Musik steht im großen Kontrast zu der hohen Frequenz mit der Stefan und Heiner sprechen. Nicht ganz passen will dazu auch das momentane Erscheinungsbild von Stefan: Längere, nach hinten gegelte Haare, bleiche Haut und eine Lederjacke im Stil der 80er sind sein aktueller Look. Heiner trägt eine vergleichsweise unauffällige knallrote Wildlederjacke. Und doch: Es bleibt ein Spiel mit Stereotypen.
Von: Jacqueline Lang
Foto: Jean-Marc Turmes