Es gibt Menschen, die zelebrieren Ostern. Für andere ist es der richtige Moment, das Konzept Wochenende neu zu erfinden. Und weil in Bayern leben, wirkt der Alltag manchmal wie eine Szene aus einem schlechten Comedy-Sketch.
“Ohne das Publikum ist man nichts”, sagt Leon Haller, 21. Er ist Schauspielstudent an der Theaterakademie August Everding. Wenn er nicht gerade auf der Bühne steht, legt er nachts als DJ auf – und organisiert queere Partys. Manchmal muss er direkt nach dem Club zu den Proben für das nächste Stück
Schwarze Stiefel. Schwarze Hosen. Nackte Oberkörper. Die Räuberbande marschiert im Gleichschritt auf den riesigen Laufbändern des Residenztheaters. “Die Hölle: versunken. Wie Sodom und Gomorrha!”, rufen sie. Drei Stunden dauert die Inszenierung von Ulrich Rasche. Die Räuber sind ständig in Bewegung. Einer von ihnen ist Leon Haller, 21, Schauspielstudent der Theaterakademie August Everding. Für ihn ist der Abend nach dieser Vorstellung noch lange nicht zu Ende. Als DJ wird er im Anschluss bis in die frühen Morgenstunden im Harry Klein auflegen. Keine Zeit zum Durchschnaufen. Keine Zeit für lange Pausen.
Aufgewachsen ist Leon Haller in Bielefeld. Für das Schauspielstudium hat es ihn nach München verschlagen. “Ich bin ein unfassbar fauler Mensch. Wenn mich etwas nicht interessiert, dann mache ich auch nichts dafür”, sagt er. Deshalb wäre ein klassisches Studium mit viel Lernen nicht für ihn in Frage gekommen. Bereits zu Schulzeiten hat er im Jugendclub des Stadttheaters Bielefeld Erfahrungen gesammelt. Die Schauspielerei sei das einzige gewesen, “was mir auch Spaß gemacht hat und worin ich gut war”, sagt er; deshalb war es für ihn die einzige Möglichkeit, sich für ein Schauspielstudium zu bewerben – er wurde auf Anhieb aufgenommen. Nicht nur in “Die Räuber” ist Leon aktuell zu sehen, sondern auch in einer Inszenierung von Alia Luque am Burgtheater in Wien.
Da gibt es aber noch eine andere Leidenschaft in Leons Leben: die Musik. Seit ungefähr vier Jahren legt er auf. Angefangen hat alles bei einem Rave. “Mit 17war ich auf meinem ersten Rave und ich habe diese Musik einfach abgöttisch geliebt”, sagt er. Von seinem Konfirmationsgeld hat er sich die ersten Billig-Plattenspieler gekauft und damit herumexperimentiert. Später ist er über das Theater und Freunde von Freunden an seinen ersten Gig in Bielefeld gekommen: eine Partycrew, die Techno-Partys organisiert. Leon lernt die Veranstalter kennen. Es ergeben sich weitere Möglichkeiten. Er legt bei Vernissagen auf und in verschiedenen Bars. Springt sogar einmal für einen anderen DJ in einem Club ein – alles in Bielefeld.
Dann aber zieht er für das Studium nach München. Da sei man natürlich “erst mal aufgeschmissen”, wie Leon sagt, “weil niemand dich kennt.” Leon ist aber auch in München im Nachtleben unterwegs, zum Beispiel bei den Partys von Tuesday Slump im MMA oder der Roten Sonne. Er kontaktiert die Veranstalterin Petra Weigart, schickt ihr ein Mixtape und legt bald in dem Club am Maximiliansplatz auf.
Im vergangen November war es dann soweit: Leon Haller legt zum ersten Mal bei Garry Klein auf, der schwulen Partyreihe, die immer mittwochs im Harry Klein stattfindet. “Über einen Tipp von Marlene Neumann, die unter dem Namen Proximal als Visual Jockey aktiv ist, bin ich auf Leon aufmerksam geworden”, sagt Peter Fleming, 50, Inhaber und Musik-Booker des Harry Klein. Bei der Auswahl der DJs achtet Fleming darauf, dass die Sound-Ästhetik stimmt. “Es muss schon so sein, dass ich meine Gäste nicht verschrecke”, sagt er.
Wenn Leon von seinem ersten Abend erzählt, bei dem er gleich sechs Stunden durchgehend aufgelegt hat, dann lacht er. “Das erste Mal im Harry war schwierig. Ich habe es geschafft, mitten in der Nacht den kompletten Floor leerzuspielen”, sagt er. Das sei dann schon ein komisches Gefühl gewesen. “Beim nächsten Track sind die Leute aber wieder gekommen”, sagt er. “Da habe ich Leon ein bisschen ins kalte Wasser geworfen”, sagt Peter Fleming rückblickend. Sechs Stunden sind eben lang. “Dass das Publikum weniger wurde, ist nicht Leons Schuld. Das ist so eine Eigenart der Leute. Da kommt und geht immer wieder ein Schwung”, sagt er. Mittlerweile ist Leon angekommen in der Szene in München. Als Mitveranstalter und DJ organisiert er außerdem die queere Clubnacht Helga.
Abends Theater und nachts Techno -ist das nicht anstrengend? Ist man da überhaupt fit genug für Theaterproben am nächsten Tag? Für Leon liegt genau darin der Reiz. “Manchmal ist es toll, um acht Uhr morgens aus dem Club zu kommen. Du bist verschwitzt, gehst duschen, trinkst einen Liter Kaffee, gehst dann zur Probe. Am Ende des Tages fühlst du dich wach und tot gleichzeitig.” Natürlich ist da ab und auch zu die Sorge, nicht fit genug zu sein. Bisher ist das aber nicht oft vorgekommen. Zwei- oder dreimal vielleicht. Manchmal wirke sich diese Müdigkeit sogar positiv aus, findet Leon. So auch im Januar, als er direkt nach der Räubervorstellung ein zweites Mal bei Garry Klein auflegte. “Ich war so müde, dass ich nicht viel nachdenken konnte, sondern einfach gemacht habe. Und es war gut dadurch”, sagt er. Wenn er müde sei, könne er sich nur noch auf das Wesentliche konzentrieren. Auf der Bühne, wie auch im Club.
Obwohl Leon die Müdigkeit als etwas Positives empfindet, ist es dann doch einmal zu viel geworden. Im Laufe eines Schauspielstudiums setzt man sich nicht nur mit verschiedenen Rollen auseinander. Auch mit sich selbst. Man überlegt, wohin man möchte, welche Möglichkeiten es gibt. Arbeitet viel an sich. Macht sich selbst Druck. “Ich habe mir während des Studiums zwei Monate lang eine Pause von allem genommen”, sagt Leon. Die Ausbildung hat damals einen Punkt bei ihm erreicht, an dem er zu viel an sich selbst gezweifelt hat. “Das hat sich destruktiv auf das Spielen ausgewirkt”, sagt er. Die Zeit hat er zu Hause bei seiner Familie und seinem Hund in Bielefeld verbracht, um Abstand zu nehmen und dann mit freiem Kopf wieder durchzustarten.
Trotzdem: Leon weiß, was er will – Schauspieler sein und auflegen. Auf den ersten Blick zwei unterschiedliche Dinge. In beiden Fällen geht es aber darum, Leute mitzunehmen. “Ohne das Publikum ist man nichts”, sagt er. Weder hinter den Plattenspielern, noch auf der Bühne. Für Leon gibt es zwischen diesen Künsten Gemeinsamkeiten. “Ich benutze Musikstücke oder Texte, die andere verfasst haben, und interpretiere diese neu”, sagt Leon. “Es ist wie eine Art Symbiose: ein dynamischer Raum, der sich auftut im Austausch mit dem Publikum. Im Club kann man zum Beispiel mit der ganzen Dramaturgie, die man aufbaut, eine bestimmte Stimmung kreieren”, sagt er. Die Musik, die maschinell, aber verträumt und dumpf sein kann und nichts mit dem Alltag zu tun hat, fasziniert ihn schon immer. “Ich war nie der Typ, der gern Bands gehört hat oder auf Konzerte gegangen ist.”
Ende dieses Jahres steht für Leon als letzte Station im Schauspielstudium das Absolventenvorsprechen an. Es ist die Chance für angehende Schauspieler, sich zu zeigen und ein Engagement zu ergattern. Trotzdem wirkt Leon in den Monaten davor beim Projekt “10 im Quadrat Reloaded” der Junge-Leute-Seite mit. Zehn Shootings mit zehn Fotografen mussten in kürzester Zeit organisiert werden. “So etwas wie den Farbenladen müsste es eigentlich viel öfter in München geben”, sagt Leon. Denn es gibt zwar viele Möglichkeiten, Kunst zu sehen und zu studieren, dennoch sei München, so der Schauspielstudent, eher spießig. “Kunst ist in München nur ein Accessoire.”
Fotos: Diego Reindel / Stephan Rumpf / Lara Freiburger