Wie ist es für Geschwister, wenn beide künstlerisch aktiv sind? Fünf Geschwisterpaare aus der Münchner Musikszene erzählen im Gespräch wie die gemeinsame Leidenschaft ihre Beziehung beeinflusst.
Schlagwort: Freestyle
Mehr als nur Tricks
Freestyle-Fußball lebt eigentlich von kurzen Videos – 30 Sekunden oder weniger. In der Regel bewegt sich auch Sven Fielitz, 24, innerhalb dieser Youtube-Welt. Für seine Abschlussarbeit an der Macromedia Hochschule in München hat er seine Sportart in einem Dokumentarfilm festgehalten: „Genk Up“.
SZ: Warum hast du dich dafür entschieden, aus dieser Clip-Welt auszubrechen?
Sven Fielitz: Seitdem ich Freestyle praktiziere, habe ich immer mich und andere Sportler gefilmt. Aber in den Clips sieht der Zuschauer nie die Arbeit, das viele Training. Die Aufopferung für den Sport steht dabei nicht im Vordergrund.
Es geht diesmal nicht um Tricks?
Nicht vorrangig. Mein Ziel war es, das Leben von Freestylern außerhalb der kurzen Ausschnitte zu zeigen. Aber ich habe bei mehreren Turnieren gefilmt, also sind schon auch Tricks zu sehen.
Aber warum braucht es dann einen Film?
Weil „Genk Up“ eine Geschichte erzählt, die über die Tricks hinaus geht. Der Film erzählt die Geschichte von Daniel Dehenny – einem irischen Freestyler, der auf dem Weg zu großen Erfolgen schwer krank wurde. Er ist 2011 am Candida-Virus erkrankt, das heißt, ein Pilz hat seinen Magen befallen und sein Körper musste über Monate hinweg alle Kräfte dazu aufwenden, diesen Virus zu bekämpfen.
Eine Geschichte vom Kranken, der zum Helden wird?
Nein, der Film begleitet Daniel in der schweren Zeit nach der Krankheit. Damals war das Training gar nicht mehr möglich, von Turnieren und Wettbewerben ganz zu schweigen – und das ist im Freestyle fatal. Die meisten Sportler trainieren mehrere Stunden täglich, um sämtliche Abläufe und Tricks zu meistern – sogar eine Woche Pause wirft einen total aus dem Rhythmus.
Was bedeutet eigentlich „Genk Up“, und welchen Zusammenhang hat der Titel mit dem Film?
Eigentlich war der Arbeitstitel des Films „The boy with the striped Gazelles“ – nach dem berühmten Schuh von Adidas, den Daniel immer trägt. Das ist dann trotzdem ein Insider – also haben wir etwas noch Unbekannteres gefunden. Der Begriff „Genk Up“ kommt von dem japanischen Wort „genky“, was so viel wie Happiness bedeutet. Der Film begleitet Daniel dabei, wie er seine Krankheit überwindet – also wie er sein „genky“ wiederfindet.
Hast du Erwartungen daran, wie der Film ankommt?
Wenn ich ehrlich bin, dann hat „Genk Up“ schon meine Vorstellungskraft übertroffen. Ich habe den Film erstaufgeführt bei der Macromedia Hochschule und beim größten Freestyle-Turnier in Europa, dem SuperBall in Liberec. Die Reaktionen waren sehr emotional – und ich kann ohne Zweifel sagen, dass das die besten Tage meines Lebens waren. Außerdem wird der Film beim DOK.fest 2016 in München gezeigt – ich bin überzeugt, dass Daniels Geschichte auch bei einem Nicht-Freestyle-Publikum Eindruck hinterlassen wird.
Foto: Lorraine Hellwig
Von: Matthias Kirsch
Der mit dem Ball tanzt
Er kickt in U-Bahnhöfen, weil ihm der Trainingsraum fehlt: Freestyle-Fußballer Sven Fielitz. Was die vorbeilaufenden Passanten oft nicht wissen – Sven ist einer der besten Freestyle-Fußballer der Welt. Im Netz zeigt er regelmäßig Videos seines Könnens.
Im Zwischengeschoss der U-Bahn-Station Bonner Platz, kurz nach Feierabend. Die Menschen strömen von der Rolltreppe über die weißen Fliesen Richtung Ausgang. Musik schallt aus einem Lautsprecher am Boden und bringt etwas Leben in die Passage zur Karl-Theodor-Straße. Immer wieder bleiben Passanten stehen und blicken in Richtung der Funk-Töne. Im Rhythmus der Musik trainiert der Fußball-Freestyler Sven Fielitz seine neuesten Tricks und Kombinationen. Mal liegt der Ball im Nacken des Sportlers, mal eingeklemmt zwischen seinen Knien – ohne, dass der Ball auf den Boden fällt. Als die Choreografie nach einer halben Minute zu Ende ist, gibt es Komplimente und Applaus von den Zuschauern. Kurze Pause, ein Schluck Wasser – dann wirft Sven den Ball in die Luft und fängt von Neuem an.
Freestyle ist ein Sport, der Fußball, Tanz und Choreografie kombiniert. Auch weil jeder – mehr oder weniger gut – einen Ball kicken und auch tanzen kann, ist die Kombination für viele Beobachter so faszinierend. Was die Passanten nicht wissen: Sven ist einer der besten Freestyler der Welt, der zu internationalen Wettkämpfen eingeladen wird. Für diesen Status hat der 23-Jährige lange und hart gearbeitet. Wie viele Jungs spielte der gebürtige Luxemburger seit Kindertagen Fußball im Verein – bis er sich vor knapp zehn Jahren für den Freestyle entschieden hat. „Die hohen technischen Ansprüche und die Kreativität, die man in dem Sport ausleben kann, haben mich einfach mehr gereizt“, sagt er. Tägliches Training gehört wie bei jeder anderen Sportart dazu. Seine Motivation: immer besser, immer kreativer werden. „Wenn ich einzelne Tricks perfekt beherrschen will, trainiere ich am liebsten alleine“, sagt Sven. Aber: „In der Gruppe kann man Kombinationen üben und sich vor Publikum testen, das ist im Freestyle immer wichtig.“ Die Musik ist für den Filmstudenten im Bereich Postproduktion an der Macromedia-Hochschule ein wichtiger Einfluss beim Training. Seit einiger Zeit steht er auf Funk-Musik – der Rhythmus sei perfekt für Freestyle-Choreografien.
Vor allem im Winter sieht man Sven und seine Münchner Freestyle-Kollegen in den U-Bahn-Stationen der Stadt. Das war nicht immer so – am Anfang seiner Karriere hat er in Tiefgaragen oder im Keller trainiert. Nach seinem Umzug nach München musste er etwas Neues finden – bei den Immobilienpreisen der Stadt nicht so einfach. Für Individualsportler sind Sporthallen nahezu unbezahlbar, mindestens 20 Euro zahlt man für eine Stunde. Die Ballkünstler brauchen jedoch ein bestimmtes Pflaster, um optimal trainieren zu können – so ist Sven auf die U-Bahn-Station gekommen. „Es ist warm, trocken und hell. Im Winter ist das ein perfekter Platz zum Trainieren“, sagt er. Heute nutzen auch andere Sportler die U-Bahn. Dabei war die Suche nach der perfekten Station nicht so einfach. Sven hat in der Gegend um die Münchner Freiheit alle getestet – und am Bonner Platz seinen Stammplatz gefunden. „Der Boden darf nicht zu glatt, aber auch nicht zu rau sein – ebenso muss viel Platz und gutes Licht verfügbar sein“, sagt er.
Gutes Licht ist nicht nur wichtig für den Sportler selbst, sondern vor allem für die Kamera, die ihn oft begleitet. Die Freestyler filmen sich beim Training und können so ihre Fähigkeiten und neuen Ideen im Internet als Video teilen. Sven weiß, dass soziale Netzwerke und Youtube dem Sport eine globale Bühne bieten. Die moderne Technik hilft dem Freestyle auch dabei, sich als Sport weiterzuentwickeln. „Dank Smartphones kann jeder seinen neuesten Trick sofort vorstellen – nur so kann sich die Szene weltweit verbessern“, sagt Sven. Für den Filmstudenten bietet dies auch die Möglichkeit, seine beiden Leidenschaften zu verbinden. Er nutzt seine Kenntnisse beim Bearbeiten von Videomaterial, um die Choreografien von sich und anderen in hochwertige Kurzfilme über den Sport zu verwandeln. Unter dem Namen „TekNeek“ hat Sven mit einem Belgier eine Filmgruppe gegründet, die als eines der wichtigsten Portale für Freestyle-Filme gilt.
Wenn Sven in einem U-Bahn-Zwischengeschoss trainiert, kommt das bei den meisten Passanten gut an. Die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) hingegen ist nicht unbedingt von den Ballkünstlern begeistert. „U-Bahnhöfe sind keine Sporthallen und dürfen schon aus Sicherheitsgründen nicht für die Ausübung von Sportarten benutzt werden“, sagt Matthias Korte, Pressereferent bei der MVG. Skateboards und Rollschuhe seien ebenso verboten – nur scheint nicht ganz klar zu sein, ob Freestyle auch in diese Kategorie fällt. Tanzende Menschen werden schließlich auch nicht des Bahnhofs verwiesen. Klarer ist die rechtliche Situation, was das Filmen angeht. Die MVG verlangt für gewerbliche Aufnahmen in den Betriebsanlagen eine schriftliche Genehmigung. „Spontane Schnappschüsse für private Zwecke liegen im Ermessen unseres Betriebspersonals, werden aber normalerweise nicht beanstandet“, heißt es bei der MVG. Sven wurde bereits mehrmals von U-Bahnwachen angesprochen – des Bahnhofes verwiesen wurde er jedoch noch nie. „Dass wir hier trainieren, findet das Personal meistens eher lustig“, sagt er. Man mache ihn aber durchaus darauf aufmerksam, dass er für das Filmen eine Genehmigung bräuchte.
Demnächst hat Sven seinen Bachelor-Abschluss in der Tasche. Dann möchte er eine Weltreise machen – und dabei einen Film über die Freestyle-Szene drehen. „Freestyle verbindet Menschen und Kulturen gleichermaßen – und genau das will ich in einem Film festhalten.“
Matthias Kirsch
Fotos: Lorraine Hellwig
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