Als 2022 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen sind, beschlossen die Designstudenten Anastasia Litwinow und Robert Kwaß, aktiv zu werden – um zu helfen, ihre eigene Herkunft zu hinterfragen und um Geflüchtete zu porträtieren. Nun ist aus ihrer Abschlussarbeit das Buch „Zuflucht & Solidarität“ entstanden.
Schlagwort: Flüchtlingsunterkunft
Von klein auf dickste Freunde
Dorine Siegemund, 22, hat ein Kinderbuch zur Verständigung der Völker geschrieben: „Von Kibbeh und Knödeln”. Mithilfe von Crowdfunding will sie erreichen, Exemplare an jede Flüchtlingsunterkunft Münchens spenden zu können.
Kindern zu erklären, warum es Krieg gibt, ist nicht einfach. Wo die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Ländern liegen, aus denen Menschen fliehen, ebenso. Dieser Aufgabe hat sich nun Dorine Siegemund, 22, angenommen. In ihrem Kinderbuch „Von Kibbeh und Knödeln“ erzählt sie die Geschichte von Mina aus Syrien, die nach ihrer Flucht in eine deutsche Klasse kommt und sich mit Gustav anfreundet. Gegenseitig zeigen sie sich im Laufe des Buches ihre Familie, ihre Kultur, ihr Leben. Und werden zu dicksten Freunden.
„Gustav fragt Mina: ‚Warum bist du und deine Familie eigentlich nach Deutschland gekommen, du findest doch, dass Syrien ein schönes Land ist.‘ Mina erklärt sehr traurig: ,Ja, das ist es eigentlich auch. Aber wir mussten Syrien verlassen, weil dort seit einigen Jahren Krieg herrscht und das Leben dort sehr gefährlich ist. Man kann nicht einfach draußen spielen, wie hier in Deutschland.‘“
Mit vielen Details beschreibt Dorine die Annäherung zwischen den beiden Kindern, die in einem Umfeld aufgewachsen sind, das unterschiedlicher nicht hätte sein können. Während Gustav die Vorzüge einer gutbürgerlichen deutschen Familie genießt, war Minas Kindheit bis jetzt geprägt von Angst und Unterdrückung. Trotzdem, oder gerade weil sie in solch unterschiedliche Welten hineingeboren wurden, haben sie sich viel zu erzählen. Die Geschichte von Gustav und Mina ist das Musterbeispiel dafür, wie selbstverständlich Integration funktionieren kann.
Rückblick: Als Dorine nach dem Abitur eine längere Auslandsreise nach Ostasien unternimmt, trifft sie auf ihre spätere Freundin Donghee. Die Münchnerin ist fasziniert von der Koreanerin, weil sie gerade in zwei Jahre langer Arbeit ein Mathematikbuch für Kinder in Afrika geschrieben hat. Zu dieser Zeit ist Dorine auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, vor allem nach dem Sinn ihres ganz persönlichen Lebens. Und sie ist genervt. Genervt von der politischen Situation im eigenen Land, von der großen Ablehnung, die vielen Geflüchteten entgegenkommt, wenn sie Deutschland erreichen.
Durch Donghees Zureden und das Bewusstsein, etwas verändern zu können, kommt Doreen nach München zurück mit einer Vision: Sie will ein Buch zur Verständigung der Völker schreiben, und zwar für Kinder. Für die Recherche trifft sie sich zum langen Gespräch mit Salim aus Damaskus. Viel Wissen über die syrische Kultur hat sie zudem bereits bei der Arbeit in einer Flüchtlingsunterkunft mitgenommen. Ein Jahr soll es von da an dauern, bis sie das fertige Werk in den Händen hält. 53 Seiten hat es am Ende, liebevoll illustriert von einer Bekannten Dorines, der Designerin Kerstin Simon.
Die junge Münchnerin, die aktuell Kommunikationspsychologie in Leipzig studiert, will mit ihrem Projekt dafür sorgen, dass Kinder in den oft aufs Nötigste reduzierten Flüchtlingsheimen etwas zum Lesen haben. Die Lektüre soll ihnen die deutsche Kultur näherbringen und obendrein ein bisschen glücklich machen.
Bei ihrer langjährigen Arbeit in einer Krippe und dem ehrenamtlichen Engagement in einer Flüchtlingsunterkunft wurde sie auf den Mangel von sinnvollem Lesestoff aufmerksam. Gleichzeitig spürte sie jedoch, wie viel Interesse von den Kindern ausging, auch mal was vorgelesen zu bekommen, nicht immer nur raus zum Spielen geschickt zu werden. Dorine erinnert sich an ihre eigene Kindheit: „Für uns Geschwister war es immer das Größte, vorgelesen zu bekommen“, sagt sie.
Dieses Erlebnis will sie für alle Münchner Flüchtlingskinder im Alter von sieben bis zwölf möglich machen. Denn jede Unterkunft in München soll so viele Exemplare des Buches gespendet bekommen, wie sie Kinder in diesem Alter beherbergt. Finanzieren will Dorine die Produktion durch eine Kampagne auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter. Circa 2150 Euro benötigt sie für die Realisierung. Doch nicht nur Flüchtlingskinder will die Studentin ansprechen. Ebenso ist das Buch für deutsche Kinder gedacht, die so schon im jungen Alter für das Thema Migration sensibilisiert werden. Außerdem können sie etwas über die syrische Kultur lernen: über das Zuckerfest, das „für uns so, wie für euch sicher Weihnachten“ ist, über die syrische Flora und Fauna, über die Rolle des Glaubens im Alltag.
Um das erste Feedback zum Buch zu bekommen, hat es Doreen ganz am Anfang an einen Münchner Kindergarten geschickt, der es in der Gruppe besprochen hat. Weil die Resonanz sehr positiv war, kann sie sich vorstellen, das Buch in näherer Zukunft neben den Flüchtlingsunterkünften auch in Kindergärten zu verbreiten.
Mit ihrem Projekt einmal Geld zu verdienen, sei nie Hintergedanke der jungen Münchnerin gewesen. Das Projekt wäre ausschließlich aus dem Wunsch nach einer gerechteren und aufgeschlosseneren Gesellschaft heraus entstanden. Das eindeutige Ziel sei es schlichtweg, das Buch an das Kind zu bekommen. Deshalb möchte sie jetzt erst einmal das nötige Geld für die Produktion der Exemplare einsammeln, bevor sie sich groß über die Zukunft Gedanken macht.
Zurück bleibt die Frage: Wie sollen Flüchtlingskinder das bisher nur auf Deutsch erschienene Buch überhaupt verstehen, geschweige denn ihre Eltern es ihnen vorlesen? Dafür wäre dann wohl eine zweite Edition notwendig, in etwa eine arabische Version von „Von Kibbeh und Knödeln“. Oder, und das wäre Dorine natürlich am liebsten, der Sprachunterricht ist so gut, dass die Kinder das Buch auch auf Deutsch verstehen.
Text: Tilman Waldhier
Foto: Privat
Von Mensch zu Mensch
Die drei jungen Münchner
Filmemacher
Kai Sitter, 28, Veronika Schwarzmaier, 26, und Seren Sahin, 27, wollen in diesem Jahr den Kurzspielfilm “Gestrandet” drehen und darin die persönliche Geschichten von Flüchtlingen erzählen. Eine der Hauptrollen spielt eine geflüchtete Syrerin.
Ein kleiner Blickkontakt kann alles verändern. Zwei einander fremde, junge Frauen – nur ganz kurz sehen sie sich in die Augen, dann gehen sie wieder auseinander. Was alltäglich klingt, wird durch die Situation, in der sie sich begegnen, brisant. Die Szene: Tumult vor einer Flüchtlingsunterkunft in München. Lautes Geschrei, Beleidigungen, Gedränge, Sirenen ertönen – die Stimmung ist aufgeheizt, die Lage unübersichtlich. Mitten drin: zwei junge Frauen. Die eine blickt eingeschüchtert aus dem Wohnheim auf das, was dort passiert. Die andere ist Polizistin und steht vor dem Haus. Die Szene trennt und verbindet die beiden Frauen gleichzeitig. Nur einen kurzen Augenblick treffen sich ihre Blicke. Genau dieser Moment wird die beiden Frauen, die aus so unterschiedlichen Lebenswelten kommen, nicht mehr loslassen.
Dieser Blickkontakt ist die Schlüsselszene des Kurzspielfilms „Gestrandet“, den drei junge Münchner noch dieses Jahr drehen wollen. Dass die Flüchtlingssituation gerade in München als Thema für einen Film dient, ist an sich nicht außergewöhnlich. Was dieses Projekt speziell macht, sind seine Schauspieler. Während die Polizistin von Regina Speiseder gespielt wird, die nach ihrer Schauspielausbildung bereits in Formaten wie „Rosenheim-Cops“ mitgewirkt hat, wird die Rolle der Geflohenen mit Lelas Alsayed besetzt. Eine Frau, die vor knapp vier Jahren selbst aus ihrer Heimatstadt Homs in Syrien fliehen musste und keine professionelle Schauspielausbildung hinter sich hat.
Doch wie kam es zu diesem Konzept? Die drei Verantwortlichen des Films sitzen in einem Münchner Café. Auf dem Tisch stehen ein Cappuccino für Regisseur Kai Sitter, 28, ein Glas Tee für Drehbuchautorin Veronika Schwarzmaier, 26, und ein Spezi für Schauspieler Seren Sahin, 27. „Viele stürzen sich auf das Thema. Wir haben lange gebraucht, um den richtigen Zugang zu finden“, erzählt Kai. Beeindruckt von den Entwicklungen im vergangenen Jahr begann er, sich zusammen mit seinem langjährigen Freund Seren Sahin ehrenamtlich in Flüchtlingsunterkünften zu engagieren. Aus den Erlebnissen entwickelte sich der Drang, auch von diesen zu erzählen. Durch ihre eigenen persönlichen Kontakte entstand am Ende die Idee, dass mit einem Mix aus professionellen Schauspielern und Geflohenen, also Laiendarstellern, ein Film entstehen soll. „Als Schauspieler könnte man es spielen, aber nicht so gut. Man muss das erlebt haben“, erklärt Seren, der für das Casting des Films verantwortlich ist und auch selbst eine Rolle übernehmen wird. Auch Veronika, die Drehbuchautorin, machte ihre persönlichen Erfahrungen mit Geflüchteten und fand es „logisch“, mit Laiendarstellern zu drehen.
In der aktuellen Flüchtlingssituation sieht das Filmteam das Problem, dass oft nur nach allgemeinen, perfekten Lösungen gesucht werde. Das gehe aber am Leben und an der Realität vorbei. Die Situation müsse im Alltag angenommen werden, woraus sich dann persönliche Begegnungen ergäben, ohne die man in der Praxis nicht weiterkomme. „Beide Seiten müssen aufeinander zugehen“, sagt Veronika. Deshalb stellt sie in ihrem Drehbuch die Begegnung der beiden Frauen in den Mittelpunkt – auch, wie dieser Kontakt die beiden weiter beschäftigt.
Seit knapp einem Jahr arbeiten sich die drei Münchner nun in das Thema ein, haben Kontakte geknüpft und Schauspieler gesucht. Über eine persönliche Empfehlung fanden sie schließlich Lelas Alsayed für die Hauptrolle der geflüchteten Frau. Die studierte Psychologin floh aus Syrien zunächst nach Ägypten. Dort gründete sie unter anderem ein Sozialzentrum für Flüchtlinge, bevor sie vor knapp zwei Jahren nach Deutschland kam. Das Filmteam war von Anfang an überzeugt von Lelas Alsayed: „Sie weiß genau, was wir wollen, welche Intention wir haben und war auch sehr offen“, sagt Kai.
In „Gestrandet“ soll es nicht darum gehen, persönliche Geschichten von der Flucht zu erzählen, sondern darum anzukommen, in der Gegenwart zu sein. „Es entstehen so viele Barrieren, nur weil man sich nicht kennt“, sagt Kai, „aber man muss auch die Bereitschaft haben, selbst Menschen kennenlernen zu wollen.“ Er spricht von „Politikerschlagworten“ wie „Welle“ oder „Strom“, die Anonymität erzeugten. Diesen Begriffen soll im Film der persönliche Kontakt entgegenstellt werden. „Auch die Polizistin ist in dem Sinne gestrandet“, sagt Veronika, „die Fremdheit ist da, man muss sich aber dazu entscheiden, sie zu überwinden.“ Vor ihr steht dabei ein volles, mittlerweile kaltgewordenes Glas Tee. Die drei Beteiligten haben sich so in Rage geredet, dass die Drehbuchautorin schlicht vergessen hat zu trinken.
Ende August will das junge Team den Film drehen. Die Zeit drängt, sagt Kai. Bei vielen Akteuren wisse man nicht, wie lange sie an ihrem jetzigen Aufenthaltsort bleiben könnten.
Von: Richard Strobl
Foto: Privat
Von Freitag bis Freitag München – Unterwegs mit Mira
Mira scheut den
weiß-blau-behimmelten Spätsommer. Statt zum tausendsten Mal in diesem Jahr
irgendwo in der Sonne rumzuliegen, macht sie sich lieber auf ihren Weg von
Ausstellung zu Konzert zu Tanz zu Ausstellung. Und freut sich auf das bisschen
an vorausgesagten Wolken.
Für Deutschland ist so ein Sommer wie dieses Jahr
ungewöhnlich. Hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Insofern geht der
Ideenreichtum bei Außenaktivitäten irgendwann zu Neige. Gut, wenn dann das
Wetter vielleicht sogar mal wieder etwas unbeständiger werden soll. Aber auch
sonst werde ich diese Woche höchstens auf meinem Weg von Veranstaltung zu
Veranstaltung Zeit draußen verbringen. Ich will endlich mal wieder auf Konzerte
und ins Kino gehen. Und in verschwitzten und viel zu eng zusammen gedrückten
Mengen tanzen. Alle anderen können sich ja schon wieder in den Englischen
Garten legen, vorausgesetzt, das Wetter lässt es zu. Ich beginne das Wochenende
am Freitagvormittag aber zuerst mit
einem Besuch in der Kunsthalle München. An diesem Tag beginnt die Ausstellung „Jean Paul Gaultier“.
Der unangepasste Modeschöpfer, von dem ich erst kürzlich ein sehr sympatisches Interview im
SZ-Magazin gelesen habe, ist von 11 bis 12 sogar selbst anwesend, um die
Ausstellungskataloge zu signieren. Abends suche ich das Import Export am
Leonrodplatz auf, um mir SASEBO und G’rag &
die Landlergeschwister anzuhören. Das Import Export macht mir mit seinen
Veranstaltungen immer wieder Freude, und an diesem Tag ist der Eintritt sogar
frei, was mein Herz gleich nochmal höher schlagen lässt.
Am Samstag werde
ich den Tag gemütlich beginnen, mit Kaffee in der Küche zu Musik und Zeitung.
Am Abend gehe ich ins Ampere zum Jalla World Music Club.
Wer Spaß am ausgelassenen Tanz ohne Hipster-Etikett hat, kommt hier für gewöhnlich
zu Balkan und Arabic Beats auf seine/ihre Kosten.
Der Sonntag wird
dann vormittags eher inaktiv bleiben. Gegen Nachmittag werde ich nochmal in der
Flüchtlingsunterkunft in der Richelstraße bei der Donnersbergerbrücke
vorbeischauen, ob sie Hilfe gebrauchen können.
Am Montag mache
ich mich frisch beschwingt auf in die neue Woche. Abends gehe ich ins Kino, wobei
es mir schwer fällt, mich zu entscheiden. Entweder „45 Years“
mit Charlotte Rampling, oder die Daniel-Kehlmann-Verfilmung „Ich und
Kaminski“ mit Daniel Brühl in der Hauptrolle. Ich entscheide mich für
letzteren und hoffe, dass der Geldbeutel am Ende der Woche noch genug hergibt,
um Charlotte auf der Leinwand zu erleben, die als Rentnerin hinter die Fassade
der Liebe blicken muss.
Am Dienstag verzagt
mein aufregendes Abendprogramm etwas. Ich widme mich dafür den vielen Büchern,
die ich schon lange lesen wollte und gehe früh zu Bett.
Mittwochs gehe
ich in die Pinakothek
der Moderne, in der an diesem Tag der Eintritt immer frei ist, wandere
stundenlang durch das weitläufige Gebäude und schaue mir unter anderem
Fotografien aus der Zeit der Weimarer Republik an. Interesting!
Durch das Eingesparte in den vorherigen Tagen kann ich mir
am Donnerstag den Eintritt wieder
leisten und gehe in die Villa Stuck zur Retrospektive
/ Evelyn Hofer. Das Titelbild finde ich schon mal sehr ansprechend.
Am Freitag fahre ich mit einer niederbayerischen Freundin
„in die Heimat“ zur Viechtacher
Literaturrevue. Die soll „voll gut“ sein, sagt sie. Ich glaube ihr.
Mira Sonia Bahl
Foto: privat