Wer es in München schafft, der schafft es überall

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Silviu Slavu

alias Top Shotta spielt UK-Bass – damit durfte der 23-Jährige im legendären Boiler Room auflegen.

München – Es ist eng. Der ganze Körper ist nass. Es ist eine Mischung aus Eigen- und Fremdschweiß, plus dem Kondenswasser, das von der Decke auf die Tanzfläche tropft. Zudem ist im Club auch noch das Licht gedimmt, man lässt sich von der Masse um einen herum zu wilden Sprungeinlagen mitreißen – jedes Mal, wenn der Bass einschlägt. Hier ist jeder für sich selbst und lässt sich von den bebenden Tieftönen massieren. Mutige Gäste treten eine Armlänge an die eigens für das Event aufgestellte Wand aus Lautsprechern und Subwoofern heran. Dort gleicht die Massage eher einem Durchrütteln.

Von dem Geschehen auf der Tanzfläche bekommt Top Shotta gar nichts mit. Nicht nur, weil der DJ mit den Augen die CD-Player fixiert, sondern vielmehr, weil sein Pult absichtlich mit dem Rücken zum Publikum steht. Der 23-Jährige tritt heute im Boiler Room auf. Der Boiler Room ist kein Club – die ursprünglich überschaubare Eventreihe aus UK hat sich zu einer der einflussreichsten Tastemaking-Plattformen für elektronische Underground-Musik entwickelt. Das Konzept ist schlicht: Vielversprechende, aber noch unbekannte Künstler sowie etablierte Acts spielen ihre Musik vor laufender Kamera. Das Event wird live im Internet gestreamt. So erklärt sich auch die merkwürdige Anordnung von DJ-Pult und Publikum – alles soll im Bild sein.

Sonst findet der Boiler Room in Städten wie Los Angeles, Berlin oder London statt. Umso größer ist die Ehre für Top Shotta, die Münchner Bassmusik-Szene auf das internationale Radar zu bringen. 34 000 Zuschauer verfolgen das Event live im Web. Top Shotta, der mit bürgerlichem Namen Silviu Slavu heißt, steht kurz vor dem Durchbruch – und das mit Musik, bei der man meinen würde, sie würde in München nicht auf fruchtbaren Boden stoßen. UK-Bass heißt die Musikszene, mit der sich Silviu am meisten identifiziert. Dunkle, ruppige Klänge sind kennzeichnend.

Ortswechsel: Top Shotta sitzt in der Sonne und schenkt Sekt nach. Nicht in Gläser, sondern in Plastikbecher. Der Sekt ist vom Discounter. Er steht auf und geht zurück in den umfunktionierten Schiffscontainer des Webradios „Radio 80000“, in dem der Münchner seine eigene wöchentliche Sendung hat: die „Ruffhouse Radio Show“. „Ruffhouse“ startete 2013 als vierköpfige DJ-Crew. Der Name steht für House- und Technoproduktionen mit schroffer Klangästhetik. „Kein glatt poliertes und einfallsloses Zeug“, sagt er.

Der Leitfaden war es, allerlei elektronische Musik zu spielen, die nur auf Sidefloors oder gar nicht in Clubs zu hören war. Aus dem Konzept der Crew wurde eine Eventreihe, später eine Plattenfirma. Mittlerweile veröffentlichen Künstler von Helsinki bis Osaka ihre Musik auf Ruffhouse. noch in diesem Jahr kommt der erste Vinyl-Release.

Neben Radio 80000 vertritt Top Shotta Ruffhouse auch im Londoner Radar Radio. „Wenn die Show nachträglich hochgeladen wird, erreicht man Leute, die man sonst nicht erreichen würde“, sagt er. Ganz abgesehen davon ist Radio für ihn einfach ein wöchentliches Vergnügen. „Man kann dort aufdrehen und mit den Mandems auflegen.“ Mit Mandems meint er den Rest seiner Crew, UK-Jugendsprache. Er steckt tief in seiner Szene.

Silviu fiel in jungen Jahren schon auf, dass er mit der Musik, die andere hörten, nichts anfangen konnte. Was ihn viel mehr beschäftigte, war der Soundtrack seiner Computerspiele. Aus Neugier legte er einmal eins dieser Spiele in einen Discman ein. Er fand heraus, dass man so die Tonspur abspielen kann. „Wenn man kein Internet hat, wird man kreativ“, sagt er. Seine Kindheit verbrachte Silviu in Rumänien. Um im Netz zu surfen, musste man damals ins Internetcafé gehen. Später in Deutschland wird das Internet zum Katalysator für seinen breit gefächerten Musikgeschmack.

Es stellt sich heraus, dass einer seiner Klassenkameraden ähnlich musikaffin ist. Jener Schulfreund stellt den Kontakt zwischen Top Shotta und dem Münchner Basswerkstatt-Kollektiv her. Die Jungs überrumpeln Silviu, überreden ihn aufzulegen. Er sucht nach Wegen, sich aktiver in der Szene zu etablieren und wagt den Schritt zum Musikmachen. „Auflegen alleine reicht heutzutage nicht mehr, um in der Szene Fuß zu fassen“, sagt er. „Jeder kann sich heute für minimale Investitionen einen Controller und Software holen, dadurch hat das Handwerk an Wertschätzung verloren.“

Insgeheim erhofft sich Silviu, als Top Shotta und mit seinem Label langfristig finanziell unabhängig zu machen. Gleichzeitig weiß er, dass er es mit seiner Art von Musik sehr schwer hat, die Massen zu erreichen.

Aus dem Radio-Container ertönt ein Track, den Silviu kennt. In der Ruffhouse-Radio-Show sind gerade zwei Gast-DJs am Werk. Er eilt hinein und plärrt im Jamaika-UK-Slang eine Ansage ins Mikrofon. In und um den Container herum haben sich ein Dutzend Mandems versammelt. Auf diesen Track scheinen sie besonders anzusprechen, zumindest tanzen die meisten. Es gibt genug Menschen, die diese Musik und die Szene, die sie umgibt, verstehen. Eine Willkommenskultur kann man München gegenüber neuen Szenen aber leider nicht nachsagen. Deswegen finden Events nur in kleinen Clubs, am Stadtrand oder illegal statt. Top Shotta und die Ruffhouse-Gang schaffen es gerade, aus

den Grenzen der Stadt auszubrechen: Wer es in München schafft, der schafft es überall.

Text: Hubert Spangler

Foto: Lucas Bergmüller

Kunst wie Kamerablitze

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Das diesjährige „Sound Of Munich Now“-Festival im Feierwerk zelebriert die bunte Musikszene Münchens – und blickt
zudem nach Augsburg und Regensburg. Revue eines mitreißenden Festivals

Rockige Riffs. Klick. Licht aus. Klick. Schulterblick, andere Bühne. Klick. Der Abend füllt sich mit Augenblicken, die einen so schnell erfassen wie der Blitz einer Kamera. Und sobald man die Augen wieder öffnen kann, kommt schon der nächste intensive Blitz. Die zarte Stimme von pourElise-Sängerin Henny Gröblehner. Klick. Balkan-Pop von Antun Opic. Klick. 

Eine 90-Grad-Drehung reicht aus, um in die Klangwelt der nächsten Band zu gelangen. Im Hansa 39 sind am Samstagabend die Bühnen, auf denen abwechselnd gespielt wird, nur einen Schulterblick voneinander entfernt. Der „Sound Of Munich Now“ rast vorbei, das Jetzt ist nur ein Sekundenbruchteil im Viervierteltakt. 

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Der erste Abend, die Nacht von Freitag auf Samstag, hat der elektronischen Musikszene gegolten, die auch in München sehr vielfältig ist. Die Setlist des Abends will und soll diese Vielfalt ausdrücken. Früh am Abend tanzt man sich warm zu den Stücken von Jean Blanc und Mindsight. Viele junge Gäste haben sich am meisten auf Leon Weber alias LCAW gefreut, der für den ersten unvergesslichen Gänsehautmoment sorgt. Die Zeilen „colors fill my eyes when the day turns grey/ and I’m closer now to the path that takes/ me through all the doubts/ through all the clouds” des LCAW-Hits „Painted Sky“ singen einige in der Kranhalle mit. Die Klänge werden dann immer rauer, verworrener, trance-lastiger. Shimé sorgt für den musikalischen Umbruch, indem er gekonnt eine Brücke zwischen LCAWs eingängigen Hooks und den harten Techno-Beats von Pech&Schwefel baut. 

Der „Sound Of Munich Now Electronica“ hat etwas Einzigartiges. Während in den meisten Clubs höchstens drei DJs pro Abend auflegen, waren es hier acht. Shimé schätzt die Abwechslung, die der Abend bietet, als Möglichkeit für neue Ideen und Eindrücke. Am Ende der Show sind es die Frauen an den Turntables, die die tanzende Meute durch die tiefen Nachtstunden führen und sie mit jedem Beat ein Stück weiter von der Realität entfernen. Als die letzten Herbstvögel draußen zu zwitschern beginnen, verklingen Marcellas letzte Beats.

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Einige Stunden später erwacht das Feierwerk wieder. Die Bühnen werden aufgebaut, schon vor 18 Uhr kommen die ersten Gäste. Die Schlange vor dem Festival, das seit acht Jahren die SZ gemeinsam mit dem Feierwerk organisiert, ist lang, manche sprechen schon von einem Warte-Rausch. Drinnen wird eine unglaublich hohe Anzahl von Acts geboten. Menschen stehen vor dem Timetable, um die Namen der Newcomer zu speichern. Geheimtipps, die man erst einmal googeln muss, findet man einige. 

Rapid eröffnen das Festival. Tanzbarer Ska. Klick. Indie-Beats von Future Days. Klick. Die Bands wechseln in einem derart schnellen Tempo, dass der Applaus gar nicht erst aufbranden kann. Das Bühnenlicht geht aus, und vor der anderen Bühne bewegen sich 15 Minuten lang die Menschen zu den rockigen Gitarrenklängen von Emmi King, da geht auch schon das Licht aus und die Halle füllt sich mit den ehrlichen Worten der Singer-Songwriterin Julia Kautz. Eine Gruppe von jungen Männern in schwarzen Punk-Klamotten schaut umher und findet nach einiger Zeit GrGr mit seiner Gitarre und seinen Gameboys. Ein Pärchen bewegt sich zu den Klängen von Matthew Austin & Matilda. Das Publikum ist bunt gemischt: Bartträger, Knöchelfrei-Hipster, Mädchen in Ringel-Shirts. Nur eine Gruppe fehlt: Lederhosen- und Laptopträger. 

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Gleiches Bild auch auf den Bühnen von Augsburg und Regensburg. In der Kranhalle spielen We destroy Disco wie Coldplay auf Stadiontournee, sogar die Zeile „Lights will guide you home“ bauen sie in ihre Songs ein. King the Fu, eine weitere Indie-Band lässt den Menschen keine Tanzpause. Auffällig: In der ersten Reihe stehen die Musiker von We destroy Disco. Gegenseitiger Support wird beim „Sound Of Munich Now“ groß geschrieben. Verbunden sind die vielen Künstler, Veranstalter und das Publikum nicht nur durch ihre Heimatstädte, sondern vor allem durch das Interesse an der Musik, die sagt: So klingen wir. „Wir“ ist auch ein Begriff, den die Regensburger im Orangehouse feiern. „Cat Stash sind aus unserem Viertel“, sagt eine junge Frau, die extra aus Regenburg angereist ist. 

Die Verstärker werden noch schnell auf Augustiner-Kästen hochgehoben, es geht weiter mit Pop-Songs von MOLA – und bevor man sich umsehen kann, stolpert man in der Dunkelheit in den Backstage-Bereich, in dem sich Bandmitglieder gerade umziehen. Doch auch hier gibt es einen netten Plausch, man stößt gemeinsam an und wünscht sich noch einen guten Abend. So nah kommt man den Bands selten. Klick.

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Intim wird es auch bei Nick And The Roundabouts, nur einen Schuh breit entfernt vom Bühnenrand stehen die drei Musiker: eine kurze Unplugged-Session und verträumt geht man in den Regen hinaus, der heute nicht das Argument ist, im Trockenen zu bleiben. Der wahre Grund: Innerhalb einer Raucherpause könnte man den Act des Abends verpassen, auch wenn der heiße Drummer von vorhin gerade am Falafel-Stand steht.

Soulige Beats erklingen von Claire Jul. Ihr Kleid ist bodenlang und verleiht ihrer Stimme Glamour, den man im Feierwerk nicht erwartet. Es wurde extra für den Auftritt von dem Pariser Designer Tarek Hocine entworfen. Blitzlichtgewitter wäre angebracht. Das gibt es dann bei Nick Yume, der als „einer der spannendsten Newcomer des Jahres“ anmoderiert wird. Und es stimmt – diese Stimme kann so vieles. Wer sie einmal gehört hat, kann sie nicht wieder vergessen.

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Das „Sound Of Munich Now“ zeigt, welche Talente in dieser Stadt stecken, wie sehr die Menschen daran interessiert sind, einen eigenen Sound kennenzulernen, zu verbreiten und zu erhalten – mit Festivals wie diesem. Gegen Ende gibt es noch einen Richtungswechsel. Der Schulterblick bleibt. Monaco F und Bavarian Blast mischen das Publikum mit ganz anderen Tönen auf. Bairisch – da fühlen sich auch die Regensburger und Augsburger heimisch. 

21 Mal gab es an diesem Abend im Hansa 39 15-Minuten-Einblicke, die sich anfühlten wie Kamerablitze. Mit nur einem Klick vergangen, überraschend hell – und eindeutig in der Erinnerung haften geblieben.

Text: Sandra Will und Louis Seibert

Fotos: Stephan Rumpf

Weitere Fotos findet ihr auf unserer Facebook-Seite.

Kammerflimmern

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Mindsight liefert ein Liveset, LCAW bemalt den Himmel und der Abend endet mit Frauenpower an den Decks. Der Sound Of Munich Now Electronica zeigt eine musikalische Seite Münchens, die man so nur im Harry Klein oder Bob Beaman antrifft. 

Rote Lettern – biegt man heute Abend in die Hansastraße ein, kann man in großer Schrift FEIERWERK lesen. Der Ort, an dem normalerweise viele Bands ein Zuhause haben, bietet heute Raum für elektronische Klänge.

In einer dunklen Höhle blenden Lichteffekte zu Elektrobeats, die in der Brust dröhnen. Die Visual Künstler Vital Electronica, Proximal und 2Spin tauchen die Kranhalle in eine besonders bunte Landschaft. Die Lichter sind abwechselnd mal pink, mal grün, dann weiß. Die Bildschirme zeigen Punkte, Blumen, Gestalten und in großen Lettern MINDSIGHT oder auch SHIMÉ. 

Das Opening gestaltet Jean Blanc, der die Menschen mit seinen Remixes erstmal wachrüttelt. Die Menge wippt mit. Dann zeigt Mindsight eine Live-Show, die die ersten Tänzer begeistert zurück lässt. Doch es vergeht keine Minute ohne Beat – LCAW übernimmt jetzt das Deck. 

Die Kranhalle wechselt wieder die Farben und LCAW legt nach. “Painted Sky” wird zum Punkt, wo jeder weiß: München kann elektronische Tanzmusik. Shimé übernimmt und zeigt, dass auch das Münchner Publikum Techno hört. Rasant wechseln die Gestalten am Mischpult, die Stilrichtung bleibt dieselbe. Pech & Schwefel bietet der darauffolgenden Frauenpower eine gute Vorlage. Die Menge genießt die Nacht und nimmt einen kurzen Zug an der frischen Luft.

Jetzt startet Arta Narini, die verschiedene Einflüsse in ihren Synths zusammenbringt. Es folgt: House. Bei Essika werden die Beats schwerer, die Füße leichter. Eine Welle der musikalischen Verbundenheit geht durch die Menge. Bevor es hell wird, kommt jeder nochmal auf die Tanzfläche. Und es lohnt sich. Es bleibt laut. Die letzten Techno-Beats ertönen, dann sagt auch Marcella gute Nacht. 

In der Eingangshalle leuchten die Lichter immer noch. Sie haben die gleiche Farbe wie die roten Lettern draußen. Für diese Nacht hat elektronische Musik in München ein neues Zuhause: das Sound Of Munich Now Electronica. 

Von: Jenny Lichnau und Sandra Will

Foto: Sandra Will

„Ich hatte nie Lust auf ein bürgerliches Leben“

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Erst Klassik, jetzt Techno: Seine Tracks wurden mehr als 16 Millionen Mal im Internet abgespielt, nun tritt Leon Weber alias LCAW beim Sound Of Munich Now auf.

Dass Leon Weber Musiker werden sollte, war eigentlich schon bei seiner Geburt klar. Er ist in einer Musiker-Familie aufgewachsen, seine Mutter ist Professorin an der Musikhochschule Graz, seine Schwestern sind Orchestermusikerinnen. Leon lernte Klavier und Cello, spielte im Bundesjugendorchester, gewann bei „Jugend musiziert“. Doch mittlerweile hat der 21 Jahre alte Münchner mehr als 16 Millionen Klicks auf Soundcloud und Youtube, wurde mit seinen Remixen von Indie-Songs innerhalb eines Jahres über die Grenzen Europas hinaus bekannt, jettet nun für seine DJ-Sets um die Welt und hat gerade unter dem Künstlernamen LCAW seine erste selbst komponierte Single über Sony/Columbia veröffentlicht.

SZ: Wann war der Moment, als du dich zum ersten Mal als Berufsmusiker gefühlt hast?

Leon Weber: Anfang 2015. Zu der Zeit kam das Management dazu, es liefen die ersten Gespräche mit großen Labels, die Zukunft wurde geplant und damit festgelegt, dass es für mich Musik als Beruf sein wird.

Gab es da ein Zögern? Einen Moment , in dem du dich gefragt hast, ob das wirklich der Weg ist, den du einschlagen willst?

Ich hatte nie Lust auf ein bürgerliches Leben. Aber ein Zögern gab es trotzdem. Vor allem, als es dann um den Zeitplan und meinen Kalender ging, sollte das Ganze denn erfolgreich werden. Das hat mich schon ein bisschen nach Luft schnappen lassen.

Wegen der vielen Termine?

Ja. Wenn man als Musiker erfolgreich wird, dann ist der Kalender so extrem voll – dann wird das mit dem Privatleben irgendwann recht eng.

Du bist jetzt auf der ganzen Welt unterwegs. Wie baut man sich in so einem Lebenskonzept Konstanten auf? Was sind für dich die Momente des Ankommens oder der Heimatgefühle?

Meine alten Freunde geben mir Bodenständigkeit, vor allem auch dann, wenn die Gesprächsthemen weggehen von der Musik. Da gibt es aber auch surreale Momente: Als ich zuletzt vier Wochen auf Tournee in Australien und in Asien war, habe ich dort die verrücktesten Sachen erlebt. Als ich nach Hause kam, habe ich mich mit Freunden getroffen und wollte wissen, wie es denen geht: Der eine hat sich gerade für ein Studium eingeschrieben, der andere beginnt ein Praktikum – und ich saß nur daneben und dachte mir: Das ist doch auch ein schönes Leben. Gleichzeitig war ich aber überglücklich über das, was ich zuvor erlebt hatte.

Du hast mit Remixen angefangen, gerade hast du deine erste eigene Single veröffentlicht. Wann hast du angefangen, selbst Songs zu schreiben?

Ich habe zuerst die Remixes veröffentlicht, ich habe aber zur gleichen Zeit auch schon Originale geschrieben. Nur war der Qualitätsanspruch an meine eigenen Sachen deutlich höher als bei den Remixen, deswegen habe ich die meisten am Anfang zurückgehalten. Später hat mich dann mein Verlag mit tollen Musikern und Sängern im Studio zusammengebracht, damit ich das auch qualitativ hochwertig produzieren konnte. Ich wollte auf den Moment warten, an dem die Originale ein Fortschritt zu den Remixes sein konnten.

Du veröffentlichst auf einem Major-Label und bist in einem großen Verlag. Dein Management aber übernimmt das kleinere Münchner Szene-Label Gomma. Warum?

Das war genau die Balance, die ich gesucht habe. Mathias Modica von Gomma hat mich vor längerer Zeit angeschrieben, er dachte, ich sei ein amerikanischer DJ auf Tour in München. Dann hat sich aber herausgestellt, dass wir seit 21 Jahren im gleichen Viertel leben. Mathias hat mich beraten, wollte mir helfen, einen Manager zu finden, bis sich herausstellte, dass er eigentlich der ideale Manager für mich ist. Ich bin das Gegenteil von dem, was sie sonst mit Gomma machen, die sich ja immer bewusst vom Mainstream abgesetzt haben.

Wenn man deine Remixes und deine Musik hört, ist dieser Indie-Bezug aber auch noch spürbar …

Ich finde beide Welten spannend, ich war aber auch immer hin- und hergerissen, wo ich jetzt wirklich hingehen soll. Letztlich ist mir klar geworden, dass man vielleicht auch beides machen kann. Wenn man von beidem etwas nimmt, kann man das zu etwas Neuem zusammenbringen.
Was nimmst du aus dem Mainstream, was kommt aus dem Indie?
Zum Beispiel meine aktuelle Single. Martin Kelly, der Sänger, kommt eigentlich aus dem Indie-Bereich. Ein Schotte, der mit Gitarre Folk-Lieder spielt, und der jetzt in einem Dance-Song erscheint. Und das war ja auch das, was ich mit den Remixen gemacht habe: Ich habe clubbige Beats unter musikalische Indie-Strukturen gelegt. Und das ergibt eine moderne Mischung aus House, Indie, Folk und Shoegazer-Sound.

Wo siehst du deine musikalische Zukunft? Als DJ oder als Pop-Produzent?

Eher als Produzent. Ich möchte auch ein Live-Set bauen. Wenn man James Blake oder Radiohead live sieht, ist das inspirierend. Das tollste DJ-Set kann einen aus den Socken hauen, das tollste Live-Set ist aber noch einmal sehr viel emotionaler.

Wie reagiert deine klassisch musizierende Familie mittlerweile auf deine Musik?

Wirklich sehr interessiert. Wir haben Abende, an denen wir uns hinsetzen und die Musik analysieren und dann kommt die Kritik, die zum Teil auch sehr harsch ausfallen kann. Sie sehen aber auch, dass mich das persönlich erfüllt, was ich da mache.

Gibt es Überschneidungen für dich zwischen der Klassik und dem Pop?

Ja, teilweise schon. Meine Musik ist nicht vergleichbar mit dem Anspruch einer Symphonie. Aber die Instrumentierung oder die Melodien – ich versuche da viel aus der klassischen, vor allem aus der romantischen Musik mitzunehmen. Die Musik, die ich jetzt mache, wird ja auch öfter als melancholisch beschrieben, so eine Rotwein-Stimmung. Wenn ich in meiner Kindheit und Jugend andere klassische Musik gehört hätte, also zum Beispiel Wiener Walzer, dann klänge wohl auch meine Musik anders.

Interview: Rita Argauer

Kool und Kaotisch – eine Reise durch die Electronica-Nacht

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Das Feierwerk ist für viele Münchner eine
der wichtigsten Anlaufstellen für Musik der härteren Gangart. Doch am Freitag tönten
elektronische Beats aus der Kranhalle. Künstler wie Kool&Kabul und Stefanie Raschke bringen alle zum Tanzen. Das kann nur eines bedeuten: Electronica-Abend
beim Sound of Munich Now Festival. Hier die Geschehnisse des Abends in der
Nachlese.
 

Um Punkt 22 Uhr läuten
die AutoBoys die lange Nacht der elektronischen
Musik ein. Das Münchner Duo spielt House, in dem sich leichte Lounge-Einflüsse
mit pumpenden Beats zu einer durchaus tanzbaren Symbiose verbinden. Zu Beginn
der Show befinden sich bloß ein paar verstreute Menschentrauben auf der
Tanzfläche; nach und nach tröpfeln dann aber immer mehr Leute, die zuvor wohl
bei der Sound-of-Munich-now-Labelshow von Alpinrecords und Südpolmusic waren,
in die abgedunkelte Kranhalle. Dementsprechend ist der Saal schon voll, als die
Uhr elf schlägt. Parallel zur Anzahl der Konzertbesucher steigt quasi per
Naturgesetz auch die Tanzbereitschaft, sodass sich immer mehr Leute im Einklang
mit den hypnotischen Klängen bewegen. Nebel flutet die Halle und lässt sie im
Lichte der Videoprojektionen zu weich umrissenen Schemen werden. 

Auf die AutoBoys folgt Alma Gold. Ihre Musik besticht
durch gelegentlich aufblitzende, introvertierte Momente, in denen der treibende,
aber sehr komplex arrangierte Deep-House-Beat einem gehauchten Klavier das Feld
überlässt und Raum zum Atmen schafft. Alma Gold entdeckte in den 90er Jahren
dank Michael Jackson, Prince und Konsorten die elektronische Musik für sich.
Das lässt sich noch heute aus den melodiösen Gesangslinien, aufsteigenden
Melodien im Hintergrund und trotz ihrer Variationsfreudigkeit gut tanzbaren
Rhythmen durchaus heraushören. 

Mitternacht nähert sich, und damit auch der Auftritt von Stefanie Raschke. Sie
begeistert mit Ausflügen in Ambientlandschaften, die sie aus in wechselnder
Geschwindigkeit oszillierenden Synthpads formt. Eine sehr sympathische
Performance, sie hat sichtlich Freude am elektronischen Spiel. Dementsprechend erreicht
auch die Stimmung im Publikum  in diesem Augenblick einen Höhepunkt: Anfeuernde
Rufe und ausgelassenes Tanzen sind ein untrügliches Zeichen.

Kommen wir gleich zu einem weiteren Highlight des Abends: die
Visuals, zusammengestellt von den VJs HeiligenblutCamelion und N/IV
& Pixolux
. Sie verwandeln das Konzerterlebnis stellenweise in ein
regelrecht synästhetisches Erlebnis. Betritt man die Kranhalle, fallen einem
sofort drei Installationen ins Auge: die zwei großen Leinwände, der riesige
weiße Ball, der in der Mitte des Saals über den Gästen schwebt – und nicht zuletzt
eine  abstrakte, an dekonstruktivistische Architektur erinnernde Skulptur, von dem Künstler WØRKFLØW.
Allesamt dienen sie als Projektionsflächen für die Beamer der VJs. So formen
sie zusammen ein faszinierendes Kaleidoskop, das sich im Takt der Musik bewegt.
Bei jedem Künstler ändern sich die Visuals. Bei Alma Gold beispielsweise
schweben blaue Lippen, die geradewegs aus der Anfangssequenz der Rocky Horror Picture Show zu stammen scheinen, über die schwarzen
Leinwände. Regenbogenfarbene Möbiusschleifen hypnotisieren die Zuschauer bei
Stefanie Raschke. Dieses Hin- und Herschwanken zwischen figurativen und
abstrakten Elementen durchzieht dabei die gesamte Videoshow. Sehr einfallsreich
sind auch die Projektionen auf dem weißen Ball; eine auf ihn projizierte Iris
lässt ihn wie einen riesigen Augapfel wirken, während im nächsten Moment ein
surrealistischer Ring über ihn zieht. 

Hutenberger, der gegen 1 Uhr auf Stefanie Raschke
folgt, bringt die Menge mit seiner minimalistischen, für Clubs geeigneten
Electronica dann endgültig zum Ausflippen. Da kann wirklich niemand mehr
stillstehen. Hutenberger, der auch ein eigenes Label betreibt, beschreibt seine
Musik als „story-telling techno for adults“. Das Auf- und Abschwellen, der mit
filigranen Melodien garnierten Tracks, sorgt auf jeden Fall für tanzbare Musik. 

Als Benna die Bühne betritt, haben sich die
Zuschauerreihen bereits etwas gelichtet; nichtsdestotrotz ist die Stimmung
unter den Ausharrenden fabelhaft. Dazu trägt auch Bennas Deep House bei, seine
Musik fällt durch besonders ausgeprägte, perkussive Elemente auf. Auf seiner
Soundcloud-Seite schreibt Benna, der bereits seit 2008 eigene Songs
veröffentlicht, dass einer Legende zufolge einmal eine Raverin bei einem seiner
Konzerte regelrecht „geschmolzen“ sei — das erklärt dann auch die zahlreichen
Pfützen auf der Tanzfläche.

Die Abmischung der Musik darf man trotz gelegentlich
übersteuernder Bässe übrigens auch getrost als gelungen bezeichnen — dazu ist
sie auch nicht zu laut. Das ebnet den Weg für absurd wirkende Gespräche unter
den Besuchern: Es gäbe zu „wenig Nihilisten“. Na ja.

Kool
& Kabul
, der Benna nachrückt, vertreibt jede Müdigkeit, die sich im Laufe
der Nacht angesammelt haben könnte mit den spannenden, sphärischen Elementen in
seinem Techno. Es wird warm in der Kranhalle. Ein Gast hat das wohl vorhergesehen
und trägt einen Strohhut zur äußerst anmutigen, mit Leopardenfellmuster
verzierten Hose. Allgemein sind die Konzertgäste erfreulich vielfältig:
Obligatorische Turnbeutelträger und auch einige Menschen, die man sonst eher
auf Hardcore-Konzerten trifft, tanzen da im Einklang mit älteren
Semestern. 

Den Abschluss des Abends
liefern Moritz Butschek mit
sehr eingängigem EDM und Maxim
von Terntieff
 mit entspanntem
House. Dann sind alle müde. Es ist sechs Uhr. Und eine skurrile Nacht ist zu Ende
gegangen. In einem Jahr wird der Wahnsinn weitergehen. Mit allen
Regenbögen, Pfützen und pumpenden Beats. Maxime Weber

Fotos: © Käthe deKoe

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Sample Minded (Trip Hop / Electronica)

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Sample Minded sagen Konventionen den Kampf an: Sie nennen sich selbst nicht einmal „Band“. 

Normal hat sich die Münchner Band Sample Minded (Foto: privat) noch nie verhalten. Grundsätzlich verweigern sie sich sämtlichen Mechanismen der Publicity: Sie sind keine Band, sondern ein Kollektiv; haben demnach keine feste Besetzung. Auch die übliche Art von Design, einer Corporate Identity ist nichts für sie: keine typischen Bandfotos. Eine schlichte Homepage. Trotzdem gewinnen sie immer mehr Aufmerksamkeit in der Münchner Szene. Die allesamt von Gitarrist Fabian Dellefant komponierten Songs sind sehr fein arrangierte Trip-Hop-Perlen: langsame Beats, jazzige Harmonien, darüber der Gesang von Musik-Studentin Esther Bradatsch. Das ruft Erinnerungen wach. An Bands wie Portishead oder Massive Attack, die Ende der 1990er Jahre den Trip-Hop bekannt machten. Auch die typische melancholische Note findet sich in der Musik von Sample Minded. Doch durch die Raps von Gast-MC Manekin Peace wird dieser Bezug aufgebrochen – man spürt eine unterschwellige Aggression, die sonst so zurückgelehnte Haltung weicht einem drängenden Mitteilungsbedürfnis. Diesen Donnerstag, 18. August, treten sie im Theatron im Olympiapark auf.

Stil: Trip Hop / Electronica

Besetzung: Fabian Dellefant (Produktion, Gitarre), Aron Hantke (Drums, Mididrums), Lukas Roth (Drums, Mididrums), Esther Bradatsch (Gesang), Lili Brandt (Gesang), Peter Hornik (Bass), Christoph Fendt (Keyboard), Daniel Steinbacher (Technik)

Seit: 2009

Aus: München

Internet: www.sampleminded.netwww.myspace.com/dellefant

Von Rita Argauer

Ueki (Pop, Indie, Electronica)

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Von Songs, die nie richtig fertig sind

Miss Ueki wurde ihr Titel genommen – schlicht Ueki nennen sich die beiden Münchner Musiker jetzt; das unterstreicht ihren immer abstrakter werdenden Anspruch. Das Kunstwort „Ueki“ darf keine Person mehr sein, es ist an keine Bedeutung mehr gebunden. Nils Schäfer und Bernd Plontsch gründeten das Elektro-Indie-Projekt vor drei Jahren. Davor spielte Nils Schäfer bei der Post-Rock-Indie-Band Ships Funken – Ueki ist poppiger und reduzierter: schöne Melodien, die von sanfter, sparsamer Elektronik getragen werden. Mit der Vermischung von sphärischer Elektronik und Indie-Gitarren war Nils bereits vertraut – seine Germeringer Projekte Panorama und Panorama 3000 gingen in eine ähnliche Richtung – aber Ueki geht noch einen Schritt weiter: Alle Songs tragen im Titel den Zusatz: „1.0“. Das Kürzel steht für die Prozesshaftigkeit: Kein Song ist jemals wirklich fertig. Jeder der möchte, kann sich die Audio-Spuren im Internet herunterladen und selbst weitere Versionen der Songs erstellen – den Gedanken weiterführen, neu zusammen mischen und eigene Ideen einbringen. Das machte zuletzt „Liger“ aus Berlin. Er remixte den Song „Reykjavik 1.0“ – ein wunderschönes Video dazu kursiert im Netz unter: www.myspace.com/missueki.

Stil: Pop, Indie, Electronica

Seit: 2008

Besetzung: Nils Schäfer, Bernd Plontsch. Unterstützt von Till Schmidt.

Aus: München

Internet: www.missueki.dewww.myspace.com/missueki.

Von Rita Argauer