Band der Woche: Todeskommando Atomsturm

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Die Münchner Deutsch-Punk-Band Todeskommando Atomsturm macht Musik als
Gegenentwurf zum Mainstream.

Das klingt wunderbar direkt, laut, aber ergreifend.

Zur Zukunft hatten Punks schon immer ein gespaltenes Verhältnis. Natürlich ist der „No Future“-Slogan prägend. Gleichzeitig trägt aber die Wut und das zur Schau gestellte Nicht-einverstanden-Sein mit den bürgerlichen Verhältnissen auch eine Hoffnung, ja einen Anspruch auf eine Selbstgestaltung in sich, die weit entfernt ist vom Nihilismus der Zukunftsverweigerung. Punk hat in Deutschland auch erstaunlich viel Zukunft geschaffen. Etwa mit den Hausbesetzungen der Achtzigerjahre. So gibt es etwa in den größeren Städten Deutschlands sogenannte autonome Zentren, abgekürzt AZ. Und heute, wo sich das mit dem finanzierbaren Wohnen in Großstädten zum echten Problem auswächst, werden die ursprünglich in der linken Punkszene entstandenen Modelle der Hausverwaltung – etwa durch Kombinate, neu gegründete Genossenschaften und Selbstverwaltungen – zum Vorbild für gerechtere städtebauliche Konzepte.

In vielen dieser selbstverwalteten Wohnhäuser finden auch Konzerte statt. Die bauliche Qualität dieser Häuser schwankt zwar: vom heruntergekommenen Gerber in Weimar zu groß angelegten Wohnprojekten wie dem Bettenhaus in Marburg. Oder von bröckelnden Herrenhäusern wie in der Ludwigstraße in Halle an der Saale zu kleinen, aber stolzen Orten wie dem Kafe Marat und dem Kafe Kult in München.

Die Zukunft von Musik außerhalb eines gierigen Marktes, der sich Sämtliches – egal, ob es alternativ, antikommerziell oder von vorne herein gewinnbringend gedacht war – einverleibt, liegt in genau diesen Orten. Denn Bands können wunderbar autonom von Medien und der Bookingpolitik von Agenturen und Labels durch Europa touren. Durch solche Zentren. In Ljubljana ist das „Metelkova“ gleich ein ganzes Gelände samt Hostel, in Pontevedra findet sich ein einstöckiger Hof samt Garten. Die Münchner Punkband Todeskommando Atomsturm bewegt sich fast ausschließlich in dieser Szene. „Für uns ist es total wichtig, dass es solche Läden gibt“, erklären sie, die die Kriminalisierung dieser Szene ablehnen. Natürlich seien AZs aber politisch, führen sie aus, denn die Betreiber engagierten sich in gleichem Maße für Musik wie gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie. Diese Gedanken und diese Welteinstellung spiegeln sich auch in der Geisteshaltung der fünfköpfigen Band. „Außerhalb der Band gehen wir einem erschreckend geregelten Leben nach“, erklären sie. Sie seien alle berufstätig, versuchten aber sich auch selbst in der DIY-Konzertszene zu engagieren. Denn hier herrscht ein anderes Denken als gewohnt: Die Musik ist nicht dazu da, um damit Geld zu verdienen, sondern als Gegenentwurf zum Mainstream, der seine Freizeit derzeit hauptsächlich auf Instagram verbringen dürfte.

Die Musik, die bei Todeskommando Atomsturm herauskommt, ist wunderbar direkt, laut, aber ergreifend: Punk, ein schnelles Schlagzeug und wütende Gitarren. Natürlich vehementer Gesang mit konkreten Texten, in denen auch mal das Punkklischee in der Gegenüberstellung von bürgerlichem Leben und Punker-Dasein in der Single „Zukunft ist nichts für mich“ von 2012 auftaucht. Aber die Band mit dem Anti-Namen weiß auch um die Wucht, die Melodien haben und setzt diese konstant ein. Ziele hätten sie sich mit der Band nie gesetzt. Sie seien froh und auch ein bisschen stolz, dass das Label „Twisted Chords“ ihre zwei bisherigen Alben veröffentlicht habe und dass sie in ganz Deutschland Konzerte geben. Denn anders als die Münchner Bands, die darauf warten, dass eine Plattenfirma sie endlich auf Tournee schickt, planen Todeskommando Atomsturm das erfolgreich selbst – unabhängig und getragen vor einer gewachsenen und treuen Fangemeinde. 

Stil: Deutsch-Punk
Besetzung: Chrissi (Gitarre), Matze (Schlagzeug), Lea (Gesang), Pölle (Bass), Tobi (Gitarre)
Seit:
2008
Aus: München
Internet: todeskommando.bandcamp.com


Text: Rita Argauer


Foto: Thomas Nibler

Albumkritik: Lester – Die Lüge vom großen Plan

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Die Deutsch-Punker von
Lester veröffentlichen ihr Debütalbum Die Lüge vom großen Plan – eine
bodenständige Platte aus zehn soliden Songs, mit treibenden Grooves,
anspruchsvollen Texten und Mitgröl-Refrains.

“Warum schreibt ihr ein Lied über das
Zoofachgeschäft in der Müllerstraße 17?” Das ist wohl die erste Frage, die man Lester
stellen würde, hätte man endlich eine Kopie ihres Debütalbums Die Lüge
vom großen Plan
erstanden. Die Wahrheit: An der dubiosen Adresse im
Glockenbachviertel gibt es gar kein Zoogeschäft, sondern nur einen
Schönheitssalon, das Bistro “Kartoffelglück” und die Sunshine-Bar.

Lester machen Deutsch-Punk, oder wie sie es
nennen, Heavy Pop. Ihre Songs sind simpel gehalten: einfache Harmonien, wenig
Melodie ohne virtuose Ausbrüche, aber dafür immer mit einem treibenden Beat am
Schlagzeug – ganz Punkrock eben. Dennoch sind die Texte nicht wie im Punk
politisch-provokant, sondern handeln viel mehr vom Leben der einfachen Leute,
vom Aufbruch, dem Streben nach Glück, von verwirklichten und unverwirklichten
Träumen. Deshalb Pop – sie holen ihre Hörer da ab, wo sie stehen. Mitten im
Leben.

Auf ihr erstes Album packen die Jungs nun zehn
energiegeladene Songs plus einen Bonustrack. Mit besagtem Zoofachgeschäft,
Müllerstraße 17
und dem zweiten Track Blickdicht kommen die
Highlights direkt am Anfang, wobei der stadionhymnen-ähnliche Refrain von
Blickdicht unweigerlich an die Toten Hosen erinnert – wahrscheinlich auch durch
die kratzige Stimme von Sänger Andy, die der von Campino doch recht ähnlich
ist.

Danach lässt das Album an Druck nach. Die
treibenden Beats bleiben, doch das Mitsingpotenzial lässt nach. Eine Ausnahme
bildet die Halftime-Nummer Sieben Zoll, die mit der Mitgröl-Zeile “sich
verliern in vier Akkorden, ist alles was du brauchst” wohl die letzte
Gemeinsamkeit der heutigen Popmusik mit dem Punkrock thematisiert. Auch die
Leitmotive “Welle” und “Licht”, die über das ganze Album verstreut immer wieder
eine Rolle spielen, werden hier besonders deutlich. Der balladenhafte Song Sekundenschlaf
leitet den Schluss der Platte ein, bevor mit Dackelblut und dem
Bonustrack Helden nochmal Vollgas gegeben wird.

Lester verzichten in der Produktion auf sämtliche studiotechnische Spirenzchen.
Die vier Jungs mit Gitarren, Bass und Schlagzeug werden ausschließlich im
Schluss von Dackelblut von einem Bläsersatz unterstützt. Freunde
musikalischer Abwechslung werden deshalb wohl nicht komplett auf ihre Kosten
kommen, aber diese Reduktion aufs Wesentliche ist vor allem eins: ehrliche,
handgemachte Musik. Und das ist im Jahre 2017 nun mal eher die Ausnahme als die
Regel.

Deshalb klingen Lester auf der Platte genauso
wie live. Und dass sie live eine echte Sensation sind, haben sie ja bereits auf
dem letzten Freundschaftsbänd-Abend bewiesen. Wer sich davon nun selbst
überzeugen will: Die Band feiert am Donnerstag, den 01. Juni die Albumtaufe der
Lüge vom großen Plan im Feierwerk.

Text: Max Mumme

Foto: Lester