Der Stoff der Freiheit

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Es ist ein schweres Thema: In ihrer Bachelorarbeit beschäftigt sich Bloggerin und Modedesignerin Alice M. Huynh mit der Flüchtlingsgeschichte ihrer Eltern. So ist die Kollektion “Fresh off the Boat” entstanden, die mit funktionalen Schnitten und dunkeln Farben versucht, die Vergangenheit der Eltern spürbar zu machen.

Lädierte Stoffe, ausgewaschene Farben, Risse oder beschmutzte Stellen wären zu offensichtlich gewesen. Zu plakativ für die ernste Thematik, die Alice M. Huynh, 24, in ihrer Bachelorarbeit aufgegriffen hat. Zum Abschluss ihres Modedesign-Studiums an der Akademie für Mode und Design München arbeitete Alice ein schweres Stück Familiengeschichte auf. Ihre Abschlusskollektion mit dem Titel „Fresh off the Boat“ erzählt von den Flüchtlingserfahrungen ihrer Eltern während des Vietnamkriegs. Sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater mussten in den Siebzigerjahren aus Vietnam fliehen. Für ihre Abschlussarbeit führte Alice mit beiden Interviews und erfuhr dabei bewegende Details, die sie anfangs nur unter Tränen weitererzählen konnte.

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Im Alter von 17 Jahren gelang ihrer Mutter und ihrer Familie die Flucht vor den Kommunisten. Nachdem sie sich mehrere Tage in einem kleinen Fischerdorf versteckten, kamen sie auf See. Nach sechs Tagen und sechs Nächten landete die Familie in Japan, wo sie nach langem Warten ein Visum für Deutschland erhielten. Auch der Vater, der aus einer chinesisch-stämmigen Familie kommt, war gerade einmal 17 Jahre alt, als er ganz allein aus Vietnam floh und ebenfalls sechs Tage und sechs Nächte auf See verbrachte. Daran erinnernd, besteht die Abschlusskollektion aus zwölf Looks. Für zehntausend Dollar besorgte der Großvater ihrem Vater einen Platz auf dem Flüchtlingsboot. Seine Erzählungen haben Alice besonders geprägt. „Niemand möchte hören, wie der eigene Vater miterlebt hat, dass Frauen vergewaltigt worden sind“, sagt Alice. Das Boot, auf dem sich ihr Vater befand, wurde jede Nacht von Piraten gekapert oder von der Marine angehalten. Frauen wurden missbraucht, Männer erschossen oder ins Meer geworfen. Alice erzählt, dass dem Vater selbst ein Maschinengewehr ins Gesicht gehalten wurde und zeigt dabei mit den Händen, wie groß die Waffe gewesen sein muss. Nachdem er schließlich zwei Nächte am abgesperrten Strand vor Malaysia im seichten Wasser verbrachte, kam er auf eine Flüchtlingsinsel und – nach einer langen Wartezeit auf ein Visum – nach Deutschland. 

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„Es ist ein dunkles Kapitel meiner Eltern. Trotzdem sollte die Mode nicht traurig oder dramatisch werden. Die Kollektion ist supermodern, vielleicht sogar ein bisschen witzig durch die ungewöhnlichen Stoffe und Schnitte“, sagt Alice. Ihr Anspruch an die Kleidung: Tragbarkeit. „Wenn ich mich nicht wohlfühle oder in meinen Bewegungen eingeschränkt bin, ist das kein gutes Kleidungsstück“, sagt sie. Darum setzt „Fresh off the Boat“ auch auf Funktionalität. „Für mich war zentral: Sie sind geflohen und hatten nur das am Leib. Es musste praktisch sein“, erklärt die Designerin. Das zeigt sich in ihrem geradlinigen, minimalistischen Stil, den sie ihren westlichen Einflüssen zuschreibt.
 Erst beim genauen Hinsehen findet man Details, wie zum Beispiel die Taschen an einem Kleid. Der Hintergedanke: „Du musst etwas verstecken!“ Ihr Vater hatte vor der Flucht Geld in seinen Hosenbund eingenäht. Aber ebenso hat Alice traditionelle Elemente wie einen Kimonoschnitt aufgegriffen. Auch die weiten, langen Ärmel hat sie sich in der asiatischen Modekultur abgeguckt. In ihrer Kollektion stehen sie für das Gefühl der Verlorenheit. 

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Alice hat sich schon selbst oft gefragt, zu welcher Kultur sie gehört. Geboren und aufgewachsen ist sie in Oberstdorf im Oberallgäu, wo ihre Eltern asiatische Restaurants betreiben. Dennoch komme immer wieder die „Wurzelfrage“, wie sie es nennt, auf: „Bin ich vietnamesisch, chinesisch oder deutsch? Ich habe einen deutschen Pass und werde trotzdem immer wieder gefragt: Was bist du? Ich antworte dann: Deutsch. Aber das Fragen geht weiter.“ Ein Cardigan aus der Kollektion, der nur eine Hälfte des Oberkörpers bedeckt, soll genau auf diese Zerrissenheit hinweisen. 

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Bis auf zwei Teile ist alles komplett in Schwarz gehalten. Wer Alice und ihren erfolgreichen Mode-Blog „I heart Alice“ kennt, weiß, dass sie selbst hauptsächlich Schwarz trägt. Eintönig? Nicht für Alice: „Schwarz kann sowohl zurückhaltend als auch total laut sein. Eine Farbe wie Rot drückt immer nur ein Signal aus. In einem schwarzen Kleid kannst du hingegen elegant, bieder oder eine Femme fatale sein. Schwarz ist kein Gefühl, sondern ein Zustand“, erklärt sie. Die zwei farbigen Ausnahmen der Kollektion sind in einem Gold-Kupfer-Ton gehalten und repräsentieren den letzten Hoffnungsschimmer der Flüchtlinge.

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Um die verwendeten Materialien noch besser zu erklären, holt Alice ein Album, ebenfalls in Schwarz, aus ihrer schwarzen Handtasche. Ihr Inspirationsbuch mit Bildern, Skizzen und Stoffmustern. „Bei diesem hier wusste ich erst nicht, ob er hässlich ist“, sagt Alice und streicht mit dem Zeigefinger über ein Stück Stoff mit Kreisen, an denen dichte, schwarze Fäden befestigt sind. Darin sieht Alice die Hinterköpfe und wehenden Haare von flüchtenden Frauen. Solche Szenen habe sie mehrmals in Dokumentationen und auf Bildern gesehen. Wieder blättert Alice in ihrem Buch, zwei Seiten vor und drei zurück. Hier befindet sich ein Fetzen Moiré, ein Stoff mit baumstammähnlicher Musterung. Auch hierzu hat Alice eine Geschichte parat. Während des Wartens auf das Visum bekam ihr Vater eine Wochenration von einem Sack Reis, einer Büchse Sardinen und etwa zehn Liter Süßwasser. Als er sich so sehr nach Vitaminen und frischer Kost sehnte, aß er Blätter und Baumrinde. 

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Die gesamte Kollektion ist unisex, für die Abschlusspräsentation ihrer Arbeit wählte sie männliche und weibliche Models. Sie alle gingen barfuß und mit Frühlingsblumen im Mund über den Laufsteg. Alles sollte natürlich sein.Dass sie schließlich den Titel „Best Graduate“ erhielt, hatte sie nicht erwartet. Eine von der Schule unabhängige Jury wählte die drei besten Absolventen aus. Auch die Einladung zur Fashion Week im Sommer kam überraschend. Trotz dieses Erfolgs hat sich Alice dazu entschlossen, nicht als reine Designerin durchzustarten. Sie träumt weder von Selbständigkeit noch von einer eigenen Boutique. Sie sagt: „Ein Store ist schön und gut. Aber brauche ich das heutzutage wirklich noch?“ Seit acht Jahren pflegt sie ihren Mode-Blog, bei dem sie auch ihre eigene Kleidung präsentiert. Das möchte sie jetzt weiter ausbauen, eventuell mit einem Online-Shop zum Verkauf handgefertigter Kleidungsstücke. Auch Teile von „Fresh off the Boat“ möchte sie dann zum Kauf anbieten.

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Aus dem Schicksal der eigenen Familie ein Geschäft machen? Ein heikles Unterfangen, das weiß Alice. Doch gerade die Eltern sind es, die Alice in diesem Vorhaben unterstützen: „Mein Vater vergleicht es immer mit den Vögeln: Die brauchen am Anfang auch Hilfe von ihren Eltern, bis sie es alleine schaffen und auf eigenen Beinen stehen“, sagt Alice. Hilfe, das ist in Alice’ Familie: Viel darüber reden, was damals passiert ist, die Geschichte weiter tragen, zeigen, dass man „trotz all des Leids letztendlich noch glücklich werden kann“. Das tut Alice – mit ihren Kleidern. Inzwischen hat sie das so oft gemacht, dass sie auch nicht mehr weinen muss, wenn sie von den Eltern und der Flucht erzählt. „Ich habe es nicht miterlebt“, erklärt Alice, „aber ich kann im Gesicht meiner Mutter sehen, wie hart es damals gewesen sein muss.“  Bettina Pfau

Fotos: TheAlphaKiks, Christoph Schaller

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Alice’ Blog ist unter http://www.iheartalice.de zu erreichen.

Dichter und Querdenker

Marie Bruns. Foto: Anne Puhlmann

Vom Bierradl-Unternehmen bis zum Uni-Chor, vom Freestyle-Fußballer bis zum Party-Girl, vom Aktivisten bis zum Verleger-Duo: Diese jungen Menschen sorgen 2015 dafür, dass München bunt, spannend und lebenswert bleibt.

Luise Aschenbrenner
Schauspielerin

Sie ist zierlich, aber mit ihren langen roten Locken kaum zu übersehen: Schauspielerin Luise Aschenbrenner hat mit ihren gerade einmal 19 Jahren schon einige tolle Filme gemacht – so war sie 2014 zum Beispiel an der Seite von Birte Hanusrichter, Frontfrau der Young Chinese Dogs, in der ZDF-Produktion „Seitensprung“ zu sehen und hat in diversen Kurzfilmen mitgespielt. Seit April studiert Luise, die ursprünglich aus Altomünster bei Dachau stammt, Schauspiel an der Universität der Künste in Berlin. Nebenher dreht sie weiterhin Filme, so auch einen Thriller für die ARD.

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Luise Aschenbrenner. Foto: Stefan Klüter
 
Tristan Marquardt
Dichter

Lyriker Tristan Marquardt, 27, stellt im neuen Jahr wieder einmal unter Beweis, wie vielfältig die Münchner Literaturszene sein kann: Der Initiator der Lesereihe „meine drei lyrischen ichs“ geht 2015 als Mitorganisator des „großen Tags der jungen Münchner Literatur“ noch einen Schritt weiter – junge Münchner Autoren aller Sparten haben einen Abend lang Zeit, sich zu präsentieren. Bei diesem literarischen Marathon lesen unter anderem Juno Meinecke, Fabian Bross, Elias Wagner und Anya Steigerwald. Nebenher arbeitet Tristan an einem neuen Lyrikband.

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Tristan Marquardt. Foto: Katja Zimmermann

Abaco-Orchester
Uni-Musiker

Es war bloß so eine Idee, die jemand nach einem Auftritt aussprach. „Doch wir waren so begeistert, dass wir uns sofort an die Planung gemacht haben“, sagt Anna Leibinger. Nach mehr als zwei Jahren Vorbereitung wird das Abaco-Orchester am 28. Februar 2015 die 2. Symphonie von Gustav Mahler aufführen. Die Philharmonie ist der einzige Ort, an dem in München für dieses Stück Platz ist. Doch allein die Raummiete beträgt 13 000 Euro. Per Crowdfunding auf startnext (mahler2.de) sammelt das Universitätsorchester nun Geld. 9000 Euro sind bereits zusammengekommen. Bis zum 15. Januar freuen sich die 400 Musiker über jede Spende.

 
Elizaveta Porodina
Fotografin

„Ein gutes Foto – das geht auch ohne Sternenstaub“, beschreibt Elizaveta Porodina, 27, ihre fotografische Entwicklung. Zauberhaftes und Verspieltes musste ihren Bildern in den vergangenen zwei Jahren zunehmend weichen. Mittlerweile sieht sich die Fotografin, die zwar für große Magazine engagiert wird, immer mehr im Bereich der Kunst: mit Kanten und Schwarz-Weiß-Bildern. Die Münchnerin ist erwachsen geworden – und mit ihr die Fotografie. Für 2015 plant sie ihre erste große Ausstellung. Dafür reist sie zu Beginn des Jahres einige Wochen durch die Welt.

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Elizaveta Porodina. Foto: Elizaveta Porodina
 
Konrad Bauer und Korbi Schmaus
Unternehmer

Wen in Berlin, Köln oder Hamburg zu später Stunde der Bierdurst packt, der verlässt die Wohnung und deckt sich im Späti um die Ecke ein. Weil in München fast jeder Kiosk um 20 Uhr schließt, fahren Lieferdienste das Bier direkt zum Kunden. Mit dem Auto durch die Stadt? Das wollen Konrad Bauer, 23, und Korbi Schmaus, 26, vermeiden. Sie eröffnen 2015 ein Bierradl-Unternehmen. Das Bier kommt dann direkt aus der Stadt, ohne Umwege, ohne CO₂-Ausstoß. Bis zu acht Kästen können auf dem selbstgebauten Rad transportiert werden. Die erste Party an der Isar wurde im vergangenen Sommer schon auf diese Weise beliefert – das Konzept geht auf. Im Frühjahr soll Rad Nummer zwei folgen.
 
Alice M. Huynh
Modedesignerin

Designerin und Bloggerin Alice M. Huynh, 24, startet mit dem Abschluss an der Modeschule AMD ins neue Jahr. Im Februar wird sie ihre Bachelor-Kollektion „Fresh off the Boat“, eine Interpretation der Flüchtlingsgeschichte ihrer vietnamesischen Mama und ihres chinesischen Papas, präsentieren und im Internet zum Kauf anbieten. Um Ideen für kommende Werke zu sammeln, treibt es die 24-Jährige zunächst selbst nach Asien. „Inspiration findet man nicht auf dem Laufsteg, sondern auf der Straße“, sagt Alice. Von ihren (modischen) Erlebnissen wird sie auf ihrem Blog und einem frisch gestarteten Youtube-Kanal „Bun Bao“ berichten.

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Alice M. Huynh. Foto: The Alpha Kiks

Sven Fielitz
Freestyle-Fußballer

Seit Sven Fielitz in München studiert, sind die U-Bahn-Stationen zu seinem Trainingsplatz geworden: „Es ist warm, trocken und hell. Vor allem im Winter ist das ein perfekter Platz zum Trainieren“, sagt er. Freestyle ist eine Form des Fußballs, die Kreativität, Style und Performance verbindet. Wie ein Tänzer kreiert der Sportler eine Kombination aus verschiedenen Tricks. Bei Wettbewerben misst sich Sven mit Freestylern aus aller Welt. Mit Gleichgesinnten hat Sven die Filmgruppe „TekNeek“ gegründet. Sie begleiten Events mit der Kamera und erstellen Recap-Filme. „Ein persönliches Ziel von mir ist es, in Zukunft eine große Doku über den Sport zu drehen, über die Entstehung und Entwicklung der Szene in den vergangenen Jahren“, sagt Sven. 2015 will er auch bei internationalen Wettbewerben starten: „Nach dem Ende meines Studiums werde ich mehr Zeit für Freestyle haben und bei den nächsten Meisterschaften meine Ziele wieder erreichen.“
 
Marie Bruns
Model

Vergangenes Jahr im November wurde Marie Bruns, 23, bei ihrem Nebenjob bei einer schwedischen Klamottenfirma von einer Agentur angesprochen. Von da an wurde Marie immer wieder zu Test-Shoots eingeladen, bei denen Fotodesignstudenten das Shooting organisieren. Auch privat kennt Marie Fotografen und stand schon ab und zu vor der Linse. Doch seit 2014 wird Marie immer häufiger für professionelle Shootings gebucht. Ihr Gesicht taucht regelmäßig auf – auch im aktuellen Lookbook der Münchner Designerin Ayzit Bostan. „Ich studiere im fünften Semester Jura. Das ist interessant, aber nervenaufreibend. Die Uni soll mein Hauptthema bleiben, jedoch braucht man auch Abwechslung von dem Juragedöns“, sagt Marie. Für nächstes Jahr hat sie in den Semesterferien einen längeren Auslandsaufenthalt geplant, um zu modeln.
 
Maxime Weber
Blogger und Aktivist

Der Luxemburger Maxime Weber, 21, ist ein Multitalent, auf seinem Blog schreibt er über Musik, Kultur und besonders gesellschaftliche Themen. Der an der LMU immatrikulierte Philosophiestudent erregt besonders durch sein Engagement gegen die rechte Szene in Luxemburg Aufsehen, die er durch eine kritische Analyse ihrer Texte und Pamphlete regelmäßig bloßstellt. Momentan arbeitet er an einem weiteren Artikel, um einen Überblick über die – größtenteils in sozialen Netzwerken stattfindenden – rechten Aktivitäten in seiner Heimat zu geben. 2015 will Maxime auch in München gegen die Neonazis aktiv werden und „deren hanebüchenen Argumente wie immer mit Rationalität und Humor demontieren“.
 
Nadia Khan
Tänzerin

Aus einer klassischen Tänzerfamilie kommt Nadia Khan, 23, nicht. Weder Mutter noch Vater sind Ballett-Tänzer. Doch auch ihre drei Geschwister Maria Sascha, Julian und Nicholas haben eine Ballettkarriere eingeschlagen. Getanzt haben sie schon in der Kindheit. „Meine Mutter musste mich mal vom Kindergarten abholen, weil ich während der Ruhezeit eine komplette Cinderella-Choreografie aufgeführt habe“, sagt Nadia. Ihr erster Job als Ballerina war im Bayerischen Staatsballett in München im Herbst vor vier Jahren. Auch ihre ältere Schwester wurde in München engagiert – und so konnten die Schwestern Zeit miteinander verbringen. Ihre Brüder trainieren auf der Bolschoi-Ballett-Akademie in Russland, um in die Fußstapfen der erfolgreichen Schwestern zu treten. Mittlerweile tanzt Nadia im Compañía Nacional de Danza in Madrid, Maria Sascha blieb in München. Vor einem Monat hat das amerikanische Tanzmagazin Dance Informa Nadia als „Ballerina Sensation“ gekürt. In der Ballett-Welt werden Nadia und die außergewöhnliche Geschichte ihrer tanzenden Familie immer bekannter.

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Nadia Khan. Foto: Annett Poppe

Xenia Richter
Party-Girl

Ob man in München auf der richtigen Party ist, weiß man erst, wenn man auf Xenia Richter, 22, trifft. Vor zwei Jahren zog es die Augsburgerin nach München, wo sie zunächst Praktika in der Modebranche machte, dann aber in eine Veranstaltungsagentur wechselte. „Die Veranstaltungsbranche ist um einiges ehrlicher als die Modebranche“, sagt sie. Die angehende Veranstaltungskauffrau schlägt sich wacker in dem von Männern dominierten Beruf. „Als einziges Mädchen in der Agentur überlassen mir die Jungs trotzdem sehr viel Verantwortung“, sagt sie. „Was eine Party ausmacht? Man muss eine besondere Stimmung hinzubekommen, die im Gedächtnis bleibt“, sagt Xenia. Sie treibt sich nicht nur auf den angesagtesten Partys herum, sondern kümmert sich um Pressearbeit und um die Event-Organisation. Zusätzlich arbeitet sie am Wochenende im Club Kong an der Bar.

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Xenia Richter.  Foto: Privat

 
Stefanie Hammann und Maria von Mier
Verlegerinnen

Künstlerinnen gibt es viele, aber als Duo mit eigenem Verlag sind Stefanie Hammann und Maria von Mier quasi ein Unikat. Die beiden geben Künstlerbücher heraus, die selbst Kunstwerke sind. Auf einer Buchmesse in New York hatte der Verlag „Hammann & von Mier“ 2014 bereits einen Stand. Eine ihrer Spezialitäten: Overnight-Highspeed-Bücher, die in einer Nacht entstehen und den künstlerischen Status quo des Duos widerspiegeln – ihre Kunst bezeichnen sie im Spaß als „Hochleistungskunst“. Noch studieren die beiden an der Akademie in München in der Klasse Metzel, im Januar 2015 werden sie ihr Diplom machen. Es wird ein Jahr des Umbruchs für sie: neues Atelier, neue Wohnung, neue Projekte – zum Beispiel ein Künstlerbuch mit Angela Stiegler, das schon in Arbeit ist. Warum sie sich zusammengetan haben? „Zu zweit sind wir viermal so schnell. So können wir viel mehr ausprobieren“, sagen sie.
 
Xavier D’Arcy
Singer-Songwriter

Es gibt verschiedene Erklärungen für das, was passiert, wenn Xavier D’Arcy, 19, eine Bühne betritt: Charisma, Präsenz, oder vielleicht auch einfach nur Talent. Doch nur eine schöne Stimme und ein gutes Händchen fürs Songwriting reichen nicht aus, um die Atmosphäre in einem Club derartig zu verändern. Der Münchner mit französisch-britischer Abstammung, der sich als Musiker schlicht Darcy nennt, bannt mit seinen Songs das Publikum in andächtige Ruhe. Die Energie, die Hingabe und die Unbedingtheit, mit der er sich in seine Musik wirft, heben dabei die einfache Machart seiner Musik – Akustikgitarre und Stimme – auf eine andere Ebene. Seit seinen ersten Konzerten ist viel passiert: Musikmanager Rainer Tarara wurde auf den jungen Künstler aufmerksam. Und der brach daraufhin sein Studium, das er in England begonnen hatte, im vergangenen Sommer ab, um sich in München ganz auf seine Musik zu konzentrieren. Es folgte eine Support-Tour für MarieMarie. Gerade arbeitet Darcy an seiner ersten EP, die den trotzig-schlichten Titel „Extended Play“ tragen soll. Die Veröffentlichung ist für das Frühjahr geplant – weitere Touren und ein großes Veröffentlichungskonzert inklusive. Darcy könnte sich als ein weiterer Münchner Musiker etablieren, der für die großen Plattenfirmen interessant ist. Mit Exclusive und Jesper Munk, deren Major-Debüts beide im Frühjahr 2015 erscheinen werden, wäre er da in guter Gesellschaft.

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Xavier D’Arcy. Foto: Robert Schuster

 
Autoren: Rita Argauer, Katharina Hartinger, Carolina Heberling, Matthias Kirsch, Philipp Kreiter, Friederike Krüger, Natalie Mayroth,
 Bettina Pfau, Stefanie Witterauf

Wir sind’s

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Die Designerinnen Theresa Reiter, 23, und Katharina Weber, 26, schließen sich für eine Kollektion zusammen. Ihr Pop-up-Label „WE.RE“ wird einmal aufpoppen und danach wieder verschwinden.

Mode definiert sich durch permanenten Wechsel. Sie verändert sich, verschwindet aber nie. Das Fashion-Label „WE.RE“ (englisch ausgesprochen: we are) kommt, um zu gehen. Es ist ein Pop-up-Label, wie es die Designerinnen Theresa Reiter (rechts), 23, und Katharina Weber, 26, nennen. Die beiden Münchnerinnen (Foto: Maria Johannes) haben sich zusammengeschlossen, um genau eine Kollektion gemeinsam zu realisieren. Danach werden sie wahrscheinlich beruflich wieder getrennte Wege gehen. „Als Pop-up-Label wird WE.RE einmal aufpoppen und dann wieder verschwinden. Unsere Mode soll aber bleiben“, erklärt Katharina. Die Kollektion wird es für einen begrenzten Zeitraum online und in einer temporären Boutique zu kaufen geben. „So bekommt unser Label eine gewisse Exklusivität.“

Doch „WE.RE“ will nicht nur eine Kollektion entwickeln, sondern eine Firma aufbauen.   Der Name des Labels hat eine doppelte Bedeutung: Zum einen ist er eine Zusammensetzung aus den ersten zwei Buchstaben der Nachnamen Weber und Reiter. Zum anderen steht er für die englische Kurzform „we’re“ für „wir sind“.   „Wir sind Designerinnen. Wir sind ein bestimmter Stil“, erklärt Theresa. Mit dem Namen könne man wahnsinnig gut spielen. Mit Überschriften wie „WE.RE inspired“ versuchen sich die Modefrauen gerade auf Plattformen wie Facebook und Instagram, sowie ihrer eigenen Homepage zu vermarkten. Marketing gehöre eben genauso wie die Ideenfindung, die Planung und die Produktion zum Geschäft – alles Aufgabengebiete, die beide alleine meistern und teilweise erst einmal kennenlernen müssen. Beide lernten zwar in einem einwöchigen Seminar über Marketing, eignen sich aber erst jetzt in der Praxis die meisten Kenntnisse an: „Wir lernen nun an einem Tag Dinge, die wir in drei Monaten Studium nicht gelernt haben“, sagt Theresa.  

Studiert haben die beiden an der Modeschule AMD in München. Dort haben sie sich bereits vor Studienstart am Auswahltag für „Mode-Design“ kennengelernt, als sie gemeinsam eine Prüfungsaufgabe bewältigen mussten. Es hat geklappt. Seitdem sind sie enge Freundinnen und nun auch Geschäftspartnerinnen – zumindest ein Aufpoppen lang. Während der Ausbildung haben sie schnell gemerkt, dass sie nicht nur privat, sondern auch in ihren Arbeitsweisen sehr gut miteinander harmonieren. Sie wurden auch schon geehrt. Im vergangenen Juli bekamen sie den Titel „Best Graduate 2014“ der AMD und durften ihre Abschlusskollektionen auf der Berliner Fashion Week präsentieren. Ein besonderer Moment, der ermutigte, ein gemeinsames Projekt anzugehen.

Ulrike Nägele, Professorin an der AMD München, hat ihre Diplomarbeiten betreut und ist beeindruckt vom Talent der Absolventinnen: „Theresa kenne ich seit dem ersten Semester. Bereits eine ihrer ersten Kollektionen während des Studiums war sehr erwachsen, dennoch innovativ und sinnlich“, sagt die Dozentin für künstlerisch-konzeptionelle Modedarstellung und Inszenierung. Von Katharina ist ihr insbesondere die Liebe zu feinen Materialien und der Begabung für interdisziplinäre Projekte in Erinnerung geblieben.

Viele Absolventen bemühen sich, nach dem Studium direkt in einem großen Unternehmen zu landen. Theresa und Katharina trauen sich an die Selbständigkeit. Anstatt ein weiteres, vielleicht unvergütetes Praktikum zu machen, möchten sie ihr eigenes Label aufziehen. „Wir wollen unsere Energie und Motivation 100-prozentig in ein eigenes Projekt stecken. Das ist für uns genau der richtige Weg. Das merken wir jeden Tag“, sagt Katharina.  

Dennoch wissen beide, was in großen Modehäusern üblich ist. Während Katharina bei Kilian Kerner in Berlin hospitiert und zuvor eine Ausbildung zur bekleidungstechnischen Assistentin gemacht hat, kann Theresa Praktika bei Alexander McQueen in London und bei Iris van Herpen in Amsterdam in ihren Lebenslauf schreiben. Nun wollen sie mit „WE.RE“ ihr Wissen vereinen, und ihre Stilrichtungen. In Sachen Mode-Design seien sie „sehr unterschiedlich“, sagen sie einstimmig. „Katharina mischt tragbare Mode mit Avantgarde-Elementen, ich kombiniere Streetwear mit Haute Couture“, erklärt Theresa und beschreibt ihre Neigung zum ausgefallenen Handwerk. In ihrer Abschlusskollektion hat die 23-Jährige zum Beispiel mit Leder-Cut-Outs und Silikon gearbeitet. Was den persönlichen Modegeschmack betrifft, sind sich die jungen Frauen ähnlicher: Sie tragen gerne schwarz.

In ihrer Kollektion wird es, untypisch für die beiden, Farbe zu sehen geben. Geplant sind etwa 40 Kleidungsstücke und Accessoires, tragbar und mit puristischen Elementen. Die Schnitte sind zurückhaltend, aber raffiniert. Besonderen Wert legen die Designerinnen auf das Material. Sie arbeiten ausschließlich mit hochwertigen Stoffen, wie Leder, Seide und Baumwolle. Ihr Anspruch: „Nicht Menschen durch Mode machen, sondern mit den Teilen Persönlichkeit unterstreichen.“ Bisher haben sie ausschließlich Frauenmode entworfen. In ihrer eigenen Kollektion werden nun auch Männer etwas finden. Theresa erklärt: „Ich glaube, das Thema Männermode ist gerade schwer im Kommen. Wo gibt es hier schon spannende Kleidung für Herren zu kaufen? Wir haben erkannt, dass es da einen großen Bedarf gibt und wollen darauf eingehen.“ Doch ebenso wenig wie das Geschlecht soll das Alter ihre Zielgruppe definieren. Mit Caps, legeren Sweatshirts und T-Shirts wollen sie junge Leute ansprechen, mit exklusiv gefertigten Mänteln aus hochwertigen Materialen zielen sie auf eine etwas liquidere Generation mit Faible für edles Handwerk. Das wird sich auch im Preis zeigen. Jeder soll sich etwas von „WE.RE“ leisten können. Die Stücke kosten zwischen 50 und 500 Euro. Die exakten Kosten können aber erst bestimmt werden, wenn die Produktion abgeschlossen ist.  

Momentan sind sie in der Fitting-Phase. Sie machen die Schnitte und nähen die Musterteile. Gearbeitet wird in der Garage von Theresas Eltern. Dort haben sich die Modemacherinnen ein Atelier auf Zeit eingerichtet, wo sie so viele Stunden wie möglich verbringen. Feiertage und freie Wochenenden? „Das sind sehr dehnbare Begriffe geworden“, sagt Theresa und lacht. Das Label sei für sie einfach so präsent geworden, dass sie kaum noch an etwas anderes denken können. Auch während des Interviews geht Theresa ein Ärmel nicht aus dem Kopf, den sie unbedingt noch am gleichen Tag fertig nähen möchte. Dabei wirken die beiden überhaupt nicht gestresst oder verbissen ehrgeizig. Sie haben Spaß in ihren neuen Rollen als Geschäftsfrauen und geben sich professionell.  

Die Finanzierung übernehmen die Jungdesignerinnen komplett selbst. „Wir haben uns beide einen Betrag überlegt, den wir aufbringen können, ohne uns dabei in Schulden zu bringen. Darum nehmen wir eben auch alles selbst in die Hand“, sagt Theresa. Katharina ergänzt: „Wir sind selbst die günstigste Arbeitskraft. Alles, was wir selbst machen, müssen wir nicht bezahlen.“

Natasha Binar, Dozentin für Modemarketing und Markenkommunikation an der AMD, hält das Geschäftsmodell „Pop-up-Label“ für zeitgeistgemäß: „Es ist eine sehr strategische Herangehensweise, will man den Markt schrittweise für sich und eigens definierte Zielgruppen testen, um zu entscheiden, ob man aus einem Pop-up-Label eine Marke macht.“ Im Gegensatz zu Deutschland sei das Modell in Großbritannien und USA bereits bekannt. „Es bringt viele Vorteile, wenn man in kleineren Mengen produziert und mit lokalen Herstellern arbeitet.“ Die einzige Schwäche sei, dass die Kollektionsteile nicht immer vorhanden sein können, da es sich um ein limitiertes Angebot handle.

Der Pop-up-Store ist wahrscheinlich ab Ende November bis Mitte Dezember geöffnet und in der Münchner Innenstadt liegen. Einen geeigneten Ort suchen sie gerade noch. Um möglichst viele Menschen auf „WE.RE“ aufmerksam zu machen, setzen die beiden auf soziale Medien. Täglich veröffentlichen sie Neuigkeiten und Bilder von den einzelnen Arbeitsschritten. „Wir möchten den Leuten einen Einblick geben, wie so eine Kollektion überhaupt entsteht. Was viele Modedesigner unter Verschluss halten, zeigen wir öffentlich.“
Bettina Pfau

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