Beatproduzent Alexis Boettcher versucht, keinen Sound nachzuahmen, nur ein Gefühl zu replizieren.
Schlagwort: Beat
Band der Woche: Bloomfeld
Beats sind die Welt von Hubert Spangler, der seit 2012 als Bloomfeld in München seine Musik produziert. Im Gegensatz zu Beats, die normalerweise als Unterlage für Raps dienen, steht Bloomfelds Musik für sich: „Um Collabos mit Rappern habe ich mich, um ehrlich zu sein, noch nie bemüht.“
Es ist ein brutales Bild: Ein Gesicht, anstelle der Lippen ein Reißverschluss, schmerzhaft ins Fleisch gegraben, so stellt man sich das zumindest als Betrachter vor. Eine äußere Sperre, die verhindert, dass das Sprechorgan Laute von sich gibt. Doch irgendwie passt das Bild in dieser Radikalität des versperrten Mundes, der nur von außen wieder geöffnet werden kann. Es ist ein Statement, das der Beat-Bewegung gut steht. Denn hier geht es nicht um die sich – wenn auch etwas drogenbenebelt – vehement äußernden Beatniks der Sechzigerjahre, hier geht es um Popmusik, die sich der leitenden Funktion einer Gesangsstimme völlig entzogen hat.
Ein wenig ist es auch eine Schicksalironie, dass einer der Beat-Köpfe in München von seinem siebten Lebensjahr an frühe musikalische Erfahrungen im Tölzer Knabenchor sammelte, um dann der Vokalmusik umso stärker den Rücken zu kehren. Nun bringt der mittlerweile 19-jährige Hubert Spangler Tracks heraus, die etwa „Silent Beauty & Beast Opus“ heißen, und garniert dieses File auf seiner Soundcloud-Seite mit eben jenem Bild vom Reißverschluss-versperrten Mund.
Bloomfeld nennt er sich als Musiker. Und auch hier blitzt wieder ein kleiner, vielleicht fieser Kommentar durch – immerhin prägen Jochen Distelmeyers Wortkaskaden die deutsche Indie-Klassiker-Band Blumfeld in einem ganz erheblichen Maß. Auf Wortkaskaden kann man bei Huberts Musik lange warten, denn der Beatproduzent hat sich auch von den Rappern entfremdet. Die sind bis vor kurzem Hand in Hand mit der Entwicklung neuer Beatmusik gegangen: Der Beat als groovende, pumpende Unterlage für die Worte. „Um Collabos mit Rappern habe ich mich, um ehrlich zu sein, noch nie bemüht“, erklärt hingegen Hubert, seine Musik sei ohnehin oft recht komplex, sodass sie vom Gerappten ablenken würde und im Großteil der Fälle gar keinen Raum für eine Stimme lasse.
Anders herum ist diese Emanzipation der Beats von der Stimme bei Hubert ein musikalischer Genuss. Denn seine Beats sind keine stoisch gleichbleibenden Loop-Phrasen, seine Beats blühen voll musikalischer Ideen. Da entwickeln sich Motive aus Rhythmus- und Harmoniefragmenten, da verwandeln sich die perkussiven Klänge innerhalb der Tracks – die ganz bewusst nicht als Songs bezeichnet werden können, denn singen tut hier ja niemand, die aber in ihrer Ausarbeitung über die Skizzenhaftigkeit, die dem Wort Track als einfache Soundspur inne liegt, weit hinausgehen. Denn das sind richtiggehend ausgearbeitete Werke, die der junge Musiker da auf seiner Soundcloud-Seite veröffentlicht.
Synkopen und rhythmische Verschiebungen, die dem Vier-Viertel-Takt-Diktat anarchisch ins Gesicht lachen, gibt es etwa im Stück „3x Bumm“, das mit den Fragmenten einer klassischen Gesangsstimme beginnt, die aber von den Dominanz des Beats überrollt wird. Brutal ist das, wären die Klänge von Hubert nicht so charmant, dass man ihnen gerne folgt und über das Abwürgen der Stimme schnell hinwegsieht. Deutlicher ist diese Bewegung noch in „Close to Jolene“. Das Flehen der ursprünglichen Version von Dolly Parton zerbrachen schon die White Stripes in ihrer Version zu wütendem Frust. Hubert besticht in seiner Version mit den rührseligen Harmonien des Originals, über welches das Wort „Jolene“ wie die Erinnerungssplitter an früher textgetragene Songs gestreut wird. Instrumental Hip-Hop nennt er seine Musik. Hubert bekam einst ein billiges Keyboard geschenkt und begann von da an, damit die verquersten Klänge zu produzieren. Die Szene in München wächst jedoch, etwa im Milla oder im Kiddo, wo mittlerweile regelmäßig Beat-Abende und -Battles veranstaltet werden.
Stil: Beat / Instrumental
Hip-Hop
Besetzung: Hubert Spangler
Aus: München
Seit: 2012
Internet: www.soundcloud.com/bloomfeld
Von: Rita Argauer
Foto: Privat
Nino El Dino (Beat / Songs)
Jahr: 2014, Woche: 48
Mit der Dinomaske und seinen Beats tritt Nino el Dino aus dem Schatten der MCs heraus. Er sucht geschickt nach neuen musikalischen Formen für alte Produktionsweisen, seine Tracks entwickeln eine ganz eigene Spannung.
Beim Schulranzen entschieden Dinos einst über Coolness und den Stand in der Gemeinschaft. Mit dem Dino-Rucksack war man in den Neunzigerjahren in Schulklassen sehr viel besser gestellt als etwa mit einem schlichten blauen ohne Motiv. Doch nachdem die Jurassic-Park-Fortsetzungen immer trashiger wurden, ebbte die Dino-Welle ab. Umso erstaunlicher ist es, dass sich nun der junge Münchner Musiker Nino Becker den Künstlernamen Nino el Dino gibt (Foto: Niklas Niessner). Denn mit Trash hat die Musik des 26-Jährigen wenig zu tun.
Nino Becker produziert Beats. Und die sind so schlicht und elegant, dass er derzeit immer öfter in der Münchner Szene auftaucht – und aus dem Schatten der MCs heraustritt. Das ist ungewöhnlich im Hip-Hop; denn eigentlich stehen die Rapper im Rampenlicht, während die Produzenten zwar für den nötigen Punch in der Musik sorgen, aber sonst im Hintergrund bleiben. Doch Ninos Beats sind mehr als eine bloße geloopte Unterlage für die Wortkaskaden der Rapper. Nino mischt Jazz-Einflüsse mit harten, aber organischen Schlagzeug-Samples.
Seine Tracks funktionieren weniger als Plateau (wie viele Hip-Hop-Beats), sondern entwickeln eine eigene Spannung und musikalische Sprache. Das mag an Ninos durchmischtem Musikgeschmack liegen. Mit 13 Jahren begann er, Hip-Hop zu hören, doch relativ schnell folgte eine Phase, in der er sich mit klassischer Songwriter-Kunst auseinandersetzte: „Mit 17 habe ich dann einen musikalischen Break gehabt“, sagt er. Damals fing er an, Gitarre zu spielen, hörte Beatles, Jimi Hendrix oder Bob Dylan. „Ich höre nun eigentlich fast gar keinen Hip-Hop mehr“, erklärt er. Und dennoch wurden Beats, also die Grundlage von Hip-Hop, zu seiner musikalischen Ausdrucksform. Aber Ninos Beats haben den Flow, die Raffinesse und die Vielschichtigkeit von Pop-Songs.
Kein Wunder, dass er sich bei Münchner Musikern wie dem Duo Akere positioniert – immerhin suchen die auch gerade ganz geschickt nach neuen musikalischen Formen für alte Produktionsweisen. Drei Alben hat Nino bisher veröffentlicht – hinzu kommen DJ-Sets und verschiedene Zusammenarbeiten mit Rappern und Sängern. Und in hoher Frequenz plant der Musiker, der live mit einer Dinosaurier-Maske auftritt, weitere Veröffentlichungen: Unter anderem ein Feature-Album mit Münchner Rappern und ein Jazz-Beat-Album. Rita Argauer
Stil: Beat / Songs
Besetzung: Nino Becker (Produktion), diverse Gastmusiker
Aus: München
Seit: 2010
Internet: www.ninoeldino.bandcamp.com
Rita Argauer ist die Musik-Expertin der Junge-Leute-Seite. Sie ist nicht nur ständig auf der Suche nach neuen Münchner Bands und deswegen in den Clubs dieser Stadt unterwegs. Sie kennt die Szene auch von der anderen Seite: Sie singt und spielt Keyboard in der Band Candelilla.