Zeichen der Freundschaft: Gedankendraht

Beste Freundinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, sich aber trotzdem über alle Distanz hinweg verstehen.  Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Uns trennen fast 3000 Kilometer. Wir sehen uns nur einmal im Jahr. Und trotzdem sind wir immer noch befreundet. Seit mehr als zehn Jahren schon. Natürlich haben wir mal näher zusammen gewohnt. Nur zwei Jahre, aber in einer Zeit, in der zwei Jahre einem noch wie ein ganzes Jahrhundert vorkamen. In der schon zwei Wochen reichten, um allerbeste Freunde zu werden.

Als Balqis und ich uns kennenlernten, waren wir beide fünf. Wir lebten in Kairo, zwei Häuser voneinander entfernt, gingen auf dieselbe Schule, unsere Mütter waren beide deutsch und kannten sich von der Arbeit. Freunde werden war also vorprogrammiert. Aber dass diese Freundschaft so lange halten würde, hätte vermutlich niemand gedacht.

Wir sind nämlich ziemlich unterschiedlich. „Als wir in eure Wohnung kamen, da hab ich dich erst gar nicht gesehen, weil du dich hinter deiner Mama versteckt hast“. Meine Freundin lacht auf dem Laptopbildschirm vor mir. Wir skypen fast jede Woche und erzählen uns gegenseitig von unserem Leben. Und manchmal eben auch von früher. Ich lache auch. Ja, daran erinnere ich mich auch noch dunkel. Ich, das verschüchterte, ängstliche, etwas pummelige Mädchen, mit der hellen Haut, blonden Haaren und blauen Augen. In Deutschland geboren, zwei deutsche Eltern. Sie, offen und zierlich, mit dunklem Teint, braunen Augen, dunklen Haaren und superinternationaler Herkunft: deutsche Mutter, palästinensischer Vater und in Marokko geboren. Aber die unterschiedlichen Kulturen und das Aussehen haben nie eine Rolle gespielt: Früher nicht, denn wenn man klein ist, ist sowieso jedes kleine Mädchen nur ein möglicher Spielgefährte. Aber auch heute nicht.

Ziemlich unterschiedlich sind wir aber schon. Manche würden vielleicht sogar sagen gegensätzlich. Und trotzdem führt scheinbar ein Gedankendraht über all die Kilometer und all die Unterschiede. Von Jordanien bis Deutschland. Denn vor zwei Jahren erzählte ich Balqis von einer ziemlich coolen internationalen Schule, bei der ich mich vielleicht bewerben wollte. Und sie kannte die Schule auch und wollte sich auch bewerben. Letztens erzählte sie mir, dass sie Vegetarierin werden würde. Ich sagte, dass ich darüber auch schon nachgedacht hatte, und wir fingen gleichzeitig an.

Jedes Jahr im Sommer kommt Balqis zu Besuch. Jedes Jahr freue ich mich unglaublich. Und jedes Jahr ist es, trotz jedes Gedankendrahts, trotz jedes Skype-Telefonats, im ersten Moment komisch. Da steht immer eine etwas andere Person vor mir, als die, die ich kenne. Da ist Schüchternheit im Raum und die Frage, wie man sich denn jetzt – nach einem Jahr Nicht-wirklich-Sehen – am besten verhält. Sich umarmen zur Begrüßung?

Wir sind jeder auf unsere Art erwachsener und anders geworden. Und jedes Jahr in dieser kurzen Sekunde des Nicht-Erkennens oder des Anders-Erkennens habe ich kurz Angst, dass wir uns zu sehr verändert haben könnten. Dass wir zu unterschiedlich geworden sein könnten. Aber diese Angst verflüchtigt sich sofort wieder nach dem ersten Wort. Und ich weiß doch wieder, was ich tun und worüber ich reden soll und es ist doch wieder dieselbe beste Freundin, die ich kenne. Jedes Jahr aufs Neue.

Von: Mariam Chollet

Einmal Weltbild verändern, bitte

image

Ahmad war früher Mitglied der Muslimbruderschaft – heute führt er Gruppen durch das Jüdische Museum in München. Der Student brauchte einen Nebenjob – „und außerdem wollte ich mit dem Klischee brechen, dass alle Araber antisemitisch sein sollen“.

Ein Blick in den Nahen
Osten, auf den scheinbar unlösbaren Konflikt zwischen Arabern und Israelis,
zwischen Islam und Judentum, lässt die Geschichte, die Ahmad Abdalla erzählt,
unglaublich klingen: Ein junger Moslem aus Ägypten, der als Besucherbetreuer im
Jüdischen Museum arbeitet. Doch das ist nicht irgendeine idealistische Fiktion,
sondern Alltag des 25-Jährigen.

Vor mehr als zwei Jahren
kommt Ahmad nach Deutschland. Er will die Sprache lernen, Film studieren,
landet dann doch irgendwie bei Orientalistik und Geschichte. In seinem
Hebräisch-Kurs empfiehlt ihm einer das Jüdische Museum, ein guter Ort für einen
Nebenjob. „Es hat mich sehr interessiert“, sagt Ahmad, „und außerdem wollte ich
mit dem Klischee brechen, dass alle Araber antisemitisch sein sollen.“

Es folgt ein nicht ganz
einfacher Marathon aus Interviews und Gesprächen. Und als Ahmad schon am Ziel
ist, zwei Wochen nach seiner Einstellung, kommt ein Anruf. Er dürfe erst einmal
nicht mehr arbeiten, denn sein Pass müsse von der Polizei überprüft werden. Eine
neue Regelung, hieß es. „Doch irgendwie war ich sauer.“ Heute, wenn er Gruppen
durch das Museum führt und auf seine eigene, wissenschaftliche und zugleich
sympathische Weise von der jüdischen Geschichte erzählt, hat er diesen Vorfall
längst vergessen. Ihn begeistert die Begegnung mit den vielen verschiedenen
Menschen, auch wenn ihn die Arbeit selbst, immer wieder dasselbe zu erzählen,
manchmal langweilt.

Viele Besucher – auch
die aus Israel – erkennen ihn nicht als Araber. „Sie denken, ich sei Israeli“,
sagt er und deutet auf seine schwarzen Locken und die dunkle Haut, „Ich sehe so
aus.“ Erfahren die Menschen dann doch von seiner Herkunft, sind die meisten
verwundert, positiv verwundert. Eine junge Islamwissenschaftsstudentin meinte
mal zu ihm, er habe ihr Weltbild verändert: „Kannst Du Dir vorstellen, wie sehr
mich das gefreut hat?“, sagt er – in diesem Moment ist ein Strahlen in seinem
Gesicht zu entdecken.

Natürlich weiß der
Student, weshalb er, der muslimische Besucherbetreuer, die Leute so verwundert.
Er kennt den Konflikt. Er kennt die Vorurteile seiner eigenen Landsleute – und
versteht sie auch, vor allem nach den Kriegen und den anhaltenden Angriffen auf
Palästinenser. „Doch nicht alle Juden sind Israelis, nicht alle Israelis Juden
und vor allem sind nicht alle Israelis gleich.“ Vielen Menschen in der
arabischen Welt fehle dieses Verständnis, diese Differenzierung, sagt er. „Ich
bin da anders – wohl offener.“ Man dürfe nicht verallgemeinern, das ist ihm
wichtig.

Aber er versteht auch
die jüdische Seite mit ihren Traumata und Ängsten. Wie so viele wünscht er sich
ein Ende des Konflikts: eine Zwei-Staaten-Lösung für Palästinenser und
Israelis. Einen multikulturellen Staat Israel, nicht nur für Juden, sondern für
alle. Eine Aufgabe der Mythen, auf beiden Seiten. Eine Politik mit weniger
Fehlern, auch das auf beiden Seiten. „Aber bald wird und kann das nicht
geschehen“, dazu seien die beiden Parteien zu radikalisiert. „Früher ging es um
Politik, heute um Religion“, sagt er.

In Sachen Religion hat er
sich ein ganz eigenes Bild gemacht: Er selbst brauche das nicht, „denn Religion
schafft oft Grenzen, und wenn Gott so groß ist, warum sollte es dann Grenzen
geben“? So denkt er heute. Früher war das nicht so, da war er noch gläubig und
ging oft zum Beten in die Moschee. Dort traf er auch auf die Muslimbrüder,
wurde mit 17 sogar selbst einer von ihnen. „Wie jeder in dem Alter suchte ich
nach einer Bedeutung in meinem Leben, wollte verstehen und aktiv sein.“
Eineinhalb Jahre schaute er sich die Organisation von innen an und machte eine
Erfahrung, die er nicht missen möchte. Allerdings merkte er auch schnell, dass
er dort nicht hineinpasst. „Ich war immer anders“, erklärt Ahmad heute, „denn
ich bin ins Kino gegangen, habe Musik gehört und auch Weltliteratur und nicht
nur religiöses Zeug gelesen.”

Der erste Israeli, den
er kennenlernt, ist sein Hebräischlehrer, heute ein Freund von ihm und damals
eine neue und interessante Bekanntschaft. Inzwischen sind unter seinen besten
Freunden sowohl Juden als auch Christen. „Wenn wir abends zusammen sitzen, dann
spielt unsere Religion überhaupt keine Rolle“, erzählt er. „Und das ist schön“,
fügt er hinzu.

Zu Beginn des Semesters
bekommt er nun während seines Geschichtsstudiums die Möglichkeit, das Land, das
er aus so vielen Perspektiven betrachtet, mit eigenen Augen zu sehen und zu
erfahren. Diesen Samstag ist der Flieger nach Tel Aviv abgehoben. Mit ihm,
obwohl es lange nicht danach ausgesehen hat. Die Bearbeitung seines
Visum-Antrags habe sich in die Länge gezogen, sagt er. Beantragt hat er es im
März, normalerweise, sagt er, müsse man zwei, drei Wochen darauf warten. Er
bekam es erst wenige Tage vor dem Abflug. Dorothee Merkl

Foto: Conny Mirbach