An der Hochschule für Fernsehen und Film in München wurde Eva Merz (Foto: Oliver Seidl) zwei Mal abgelehnt. Jetzt bekommt sie doch noch die Chance, ihren Traum wahr werden zu lassen. Ausgerechnet in Hollywood.
Nach Hollywood gehen – das ist ein Lebenstraum, bei dem viele
zu Recht belächelt werden. Für Eva Merz, 24, hätte es nicht unbedingt
Hollywood sein müssen. Ihr Traum war immer einfach nur, ihren
Lebensunterhalt als Regisseurin zu verdienen. „Ich muss nicht groß,
reich und berühmt werden“, sagt Eva. „Ich möchte nur Filme machen, mit
denen ich etwas erzählen kann.“ Aber das allein ist schwierig genug: An
der Hochschule für Fernsehen und Film in München wurde sie zwei Mal
abgelehnt. Auch an einer Londoner Schule wollte man sie nicht aufnehmen.
Jetzt bekommt Eva doch noch die Chance, ihren Traum wahr werden zu
lassen – und zwar ausgerechnet in Hollywood.
Die 24-Jährige zieht Anfang August in die USA. Sie hat ein Stipendium
erhalten, um am American Film Institute Conservatory in Hollywood ihren
Master in Filmregie absolvieren zu können. Die Liste erfolgreicher
Absolventen ist lang: Eva wird in die Fußstapfen von Darren Aronofsky
(„Black Swan“), David Lynch („The Elephant Man“), Patty Jenkins
(„Monster“) und Kathryn Bigelow („Tödliches Kommando – The Hurt Locker“)
treten, um nur einige Namen zu nennen.
Eva will schon lange die Filmkunst zu ihrem Beruf machen. Und das am
besten so schnell wie möglich. Sie überspringt die 10. Klasse – und noch
während der Abiturvorbereitungen dreht sie den Bewerbungsfilm für die
Münchner Filmhochschule. Die Frage, wieso sie es bereits im Alter von 18
Jahren so eilig hatte, beantwortet die 24-Jährige bestimmt: „Ein Jahr
weniger Schule hieß ein Jahr mehr Film.“
Die HFF jedoch sieht das anders: Obwohl den Zuständigen ihr Film sehr
gut gefällt, wird sie abgelehnt. Sie sei zu jung, solle mehr
Lebenserfahrung sammeln und es später einfach noch einmal versuchen.
Doch nach zahlreichen Praktika an professionellen Filmsets scheitert
auch die zweite Bewerbung. Diesmal ohne Begründung.
Eva beginnt ein Fotodesign-Studium in München und arbeitet gleichzeitig
an dem Film, der sie später nach Hollywood bringen wird. Natürlich
frustriert sie die Ablehnung an der HFF. Aber die jungen Frau aus
Weilheim gibt nicht so schnell auf. „An Drehtagen, an denen keiner Zeit
hatte, mir zu helfen, kam es auch schon mal vor, dass ich in der einen
Hand das Mikro gehalten, in der anderen die Kamera geschwenkt und mit
der Nase Regieanweisungen gegeben habe“, erzählt sie und lacht.
Auch die Produktion ihres Kurzfilms „Mondnacht“ – nach dem
gleichnamigen Gedicht von Joseph von Eichendorff – gestaltet sich als
schwierig. Eva weiß ganz genau, wie dieser Film aussehen soll – und dass
er teuer werden wird. „Mondnacht“ wechselt zwischen Realität und
Phantasie, zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Der Film handelt von
der 18-jährigen Natalie, die nach dem Tod ihres Vaters zwischen Trauer
und Wut schwankt. Die Mutter ist bereits gestorben, als Natalie acht
Jahre alt war, ihr Vater, ein Straßenmusiker, ist daraufhin dem Alkohol
verfallen und hat sie misshandelt. Nach seinem Tod hilft ihr erst eine
ungewöhnliche Begegnung mit einem Mann aus einer anderen Zeit, der sich
als Joseph vorstellt, das Vergangene zu verarbeiten und sich von ihrem
Vater zu verabschieden.
Vier Jahre sucht Eva nach Finanzierungsmöglichkeiten. Vergeblich. Für
eine Jugendförderung ist sie zu alt, für viele Sponsoren einfach zu
jung. Als sie kurz davor ist, das Projekt auf Eis zu legen, entdeckt sie
auf einem Kurzfilmfestival einen kleinen, unscheinbaren Flyer, auf dem
für den Filmwettbewerb „Die Blaue Blume“ der beste romantische Film
gesucht wird.
„Mondnacht“, „Die Blaue Blume“, zwei Gedichte von Eichendorff – das
musste ein Zeichen sein. Also finanziert Eva den Film, den sie als
Bachelor-Arbeit dreht, aus ihren Ersparnissen. Wieder lässt der Erfolg
auf sich warten: Der Film gewinnt weder einen Preis beim Wettbewerb „Die
Blaue Blume“, noch wollen große deutsche Filmfeste wie die Hofer
Filmtage oder die Berlinale ihn zeigen. Lediglich drei, vier kleinere
Festivals lassen den Film außer Konkurrenz laufen. Das war für die junge
Filmemacherin die herbste Enttäuschung von allen. So viel Zeit, so viel
Geld, so viel Mühe – und dann so wenig Anerkennung. „Natürlich denkt
man irgendwann, man ist vielleicht gut, aber nicht gut genug.“ Doch noch
ist Kapitulieren keine Lösung für sie.
Anstatt sich weiter über das geringe Interesse an ihrem Film in
Deutschland zu ärgern, schickt sie ihn einfach nach Kalifornien – und
gewinnt prompt den Hauptpreis in der Kategorie „Best Student Short“ beim
„California International Shorts Festival“. Die Idee, sich in Amerika
an den Filmschulen zu bewerben, ist für Eva zu diesem Zeitpunkt eher ein
Spaß. „Dann hast du wenigstens nichts ausgelassen“, sagt sie sich.
Amerika ist ihr letzter Versuch, auf eine Filmschule zu kommen. Plan B
wäre gewesen, vielleicht irgendwann einmal quer in die Branche
einzusteigen.
Sie bewirbt sich mit „Mondnacht“, dem Film, den in Deutschland
niemand zeigen wollte. In den USA allerdings weckt er das Interesse der
USC School Of Cinematic Arts und des American Film Institute
Conservatory. Plötzlich reißen sich die Institute, die sich im Ranking
des Hollywood Reporter jährlich um den ersten Platz als beste Filmschule
streiten, um die junge Filmemacherin aus Deutschland. Die USC versucht
Eva mithilfe einer Führung durch den Campus zu überzeugen, der Direktor
der AFI bietet ihr ein Stipendium schon für das erste Lehrjahr an, das
normalerweise erst vom zweiten Jahr an vergeben wird. Ihm habe ihr
Bewerbungsfilm von allen Einsendungen am besten gefallen – der Film, den
sie fast nicht mehr gedreht hätte.
Grund für das Interesse der Amerikaner an der deutschen Filmemacherin ist womöglich ihr unverwechselbarer Stil.
Eugen Gritschneder, Student an der HFF, stand für zwei ihrer Filme,
so auch für „Mondnacht“, hinter der Kamera. Er weiß mittlerweile sehr
gut, welche Bilder Eva will: „Evas Stil ist elegant, klar und klassisch.
Sie hat ein gutes Gespür für schöne Bilder – und mir gefällt der
Pathos, der in ihnen steckt.“
Einen Groll gegen die Filmhochschule in München hegt Eva nicht. An
das Aufnahmegespräch erinnert sie sich sogar mittlerweile amüsiert
zurück. Auf die Frage, welche Bücher sie gern lese, antwortete sie, ihr
gefielen englischsprachige Romane, sie möge die englische Sprache sehr
gern. Daraufhin entgegnete einer der Professoren, der während des ganzen
Gesprächs kaum ein Wort von sich gegeben hatte: „Sie glauben doch wohl
nicht, dass sie direkt nach der Uni nach Hollywood kommen?“
Gabriella Silvestri
Foto:
Oliver Seidl