Nostalgie und Nachbarschaft

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München ist wie ein Dorf, heißt es. Nur irgendwie anonymer. Zwar trifft man regelmäßig Bekannte an den entlegensten Ecken, doch die Menschen über, unter und neben einem sind völlig fremd. Echte Nachbarn sind eine Rarität in dieser Stadt. Umso schöner, wenn man aber doch mal einen findet.

Seit kurzem habe ich eine Nachbarin. Eine richtige Nachbarin! Ich bin immer noch ganz aufgeregt. Um das klarzustellen: Ich lebe in einem siebenstöckigen Mietshaus, mitten in München. Drüber, drunter, links, schräg oben – überall wohnt wer, aber die kenne ich kaum. Das zählt nicht. Weil ich vom Dorf komme, bilde ich mir ein, dass ein Nachbar jemand ist, dessen Haustiere ich füttere und wo ich meinen Ersatzschlüssel deponieren kann. Nachbarn sind die einzigen Menschen, bei denen man noch klingelt, ohne sich im Voraus anzumelden. Ist das nicht wunderbar nostalgisch?

Um seine Nachbarn kennenzulernen, gibt es spezielle Internetseiten. So viel zur Nostalgie. Mir jedenfalls erscheint es paradox, Datenpakete um den Globus zu jagen, um herauszufinden, ob der Mensch zweieinhalb Meter über mir heimlich hofft, dass ich mal seinen Chinchilla füttere. Aber einfach klopfen und Obstkörbe vorbeibringen – das geht doch nur in Hollywood-Filmen, oder? Kurzum: Die Kontaktaufnahme zu anderen Hausbewohnern ist eine Herausforderung. Meine Nachbarin von links habe ich erst nach eineinhalb Jahren kennengelernt, als ich ihr das Wasser in der Küche abgedreht habe. Und kaum war der Kontakt auf so kreative Weise hergestellt, ist sie ausgezogen. Ihr Nachmieter ist nur einmal vorbeigekommen, weil seine Dusche nicht warm wurde. Danach: Stille. Ich hatte schon überlegt, ein bisschen am Haupthahn zu drehen.

Aber dann taucht meine Nachbarin auf. Als ich und eine Kollegin abends ein Stück zusammen gehen wollen, stellt sich heraus, dass wir den gesamten Heimweg gemeinsam gehen können: Sie wohnt seit Jahren im Nebenhaus. Ich habe eine Nachbarin kennengelernt – auf analogem Weg und bei voll funktionstüchtiger Wasserversorgung! Ein bisschen stolz bin ich schon. Meine Nachbarin hat zwar kein Haustier, dafür aber einen Ersatzschlüssel und die Angewohnheit, sich auszuschließen. Alles ist so wie in meinen nachbarschaftlichen Wunschfantasien. Vielleicht kann ich mir sogar irgendwann ein Ei leihen! Zu Hause angekommen, zeigen wir uns gegenseitig unsere Klingelschilder. Wir können jetzt ja einfach mal läuten. Es entsteht eine kurze Pause. „Wir können aber auch unsere Handynummern austauschen“, beschließen wir dann. Nachbarn-Sein müssen wir irgendwie noch üben.

Von Susanne Krause