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München hat Hausarrest: Zu Hause und unterwegs mit Louis

München darf langsam wieder raus, doch normal ist das Leben noch lange nicht. Wir führen unsere Rubrik “München hat Hausarrest” weiter – gerade teils zu Hause, teils unterwegs mit Tests, Masken und Abstand. Denn zusammen ist man weniger allein. ❤ Unser Autor Louis genießt den richtigen Mix aus Online- und  Live-Veranstaltungen, die München bietet.

Nicht lange ist es her, da hieß es an dieser Stelle: München hat Hausarrest. Wir kämpften uns durch einen Lockdown, vielleicht der dritte oder vierte, niemand zählte mehr so genau, und Kultur fand damals eigentlich nur vor dem Bildschirm statt. Dabei zeigt ein Blick in die sommerlichen Veranstaltungskalender der Münchner Bühnen: Daheim herumsitzen gehört definitiv der Vergangenheit an. Mich zieht es raus. Deshalb gibt es von mir in dieser Woche keinen einzigen Streaming- oder Videokonferenz-Tipp. Ich bin frisch geimpft und möchte die Stadt wieder in vollen Zügen erleben. Und nehme euch dabei mit.

Gleich am Freitag habe ich die Qual der Wahl: Überall in der Stadt stehen gerade großartige, neue Bühnen für Kunst und Kultur, die besucht werden möchten. Beim Sommerfest der Munich Sessions auf dem Rindermarkt in der Altstadt erlebe ich ein ganzes Wochenende lang das bunte Potpourri der Münchner Musikszene – einige der auftretenden Bands, wie Cellz, Elena Rud oder Endlich Rudern solltet ihr auch aus unserer Reihe „Band der Woche“ kennen. Beim Kunst im Quadrat-Festival auf der Theresienwiese hingegen heißt es mitmachen bei der offenen Comic- und Illustrationswerkstatt – anschließend wird auch hier mit Abstand und an der frischen Luft getanzt. Eines ist jedenfalls bereits sicher: der Abend dürfte lang werden.

Am Samstag dann möchte ich erst einmal ein wenig herunterkommen. Das geht am besten bei guten Gesprächen, zwischen alten Schallplatten, Hemden und Porzellantellern. Richtig geraten: Samstag ist in München Flohmarkt-Tag. Besonders lauschig stelle ich mir den Hofflohmarkt in Berg am Laim vor, gleich in der Nachbarschaft des SZ-Hochhauses. Wilder geht es auf dem neuen Sugar-Mountain-Gelände in Obersendling zu. Hier erwartet mich zum Flohmarkt ein buntes musikalisches Rahmenprogramm bis in den frühen Abend. Die imposante Kulisse aus alten Industriebauten tut dabei ihr Übriges. Und weil ich inzwischen doch ganz schön in Stimmung gekommen bin, statte ich noch Haralds Kollektivgarten in Giesing einen Besuch ab. In dem Pop-Up-Outdoor-Gelände legen die Herrschaften des Electronic Monster Soundsystems auf – aus Rücksicht auf die Nachbarn allerdings nur bis 23 Uhr.

Voller Pläne starte ich dann auch schon in den Sonntag. Zunächst lasse ich die vergangenen Tage bei Loungemusik auf dem Kulturstrand auf der Corneliusbrücke Revue passieren. Danach radle ich ein paar Kilometer Isaraufwärts und finde mich im Schlachthofviertel wieder. Auf der Alten Utting, einem ausrangierten Ausflugsdampfer vom Ammersee, der jetzt zu einem der nicht wirklich geheimen München-Geheimtipps gehört, findet ein Sommerfest statt. Besonders die Crêpes haben es mir angetan und stärken mich für die lange Fahrt zum Kreativquartier an der Dachauer Straße. Hier veranstaltet das Afrodiaspora-Kollektiv zusammen mit dem Import Export ein Festival, das vor allem eine Möglichkeit der Vernetzung der schwarzen Community in München ist. Im Laufe des Tages aber erwarten die Besucherinnen und Besucher auch verschiedenste Poesie- und DJ-Acts. Und was kann es denn Schöneres geben, als solch ein aufregendes Wochenende mit tiefen Worten und fröhlichen Rhythmen zu beenden?

Am Montag zieht es mich raus ins Münchner Umland. Statt in irgendwelchen Vorlesungen vor dem Bildschirm zu hängen, möchte ich mir heute die volle Dröhnung Frischluft gönnen. Also ab in die S-Bahn nach Hohenschäftlarn, dann der steile Abstieg durch Wälder ins Isartal, vorbei am historischen Kloster und dann immer flussabwärts bis nach München. In Großhesselohe angekommen, stärke ich mich am neu eröffneten Kiosk und Biergarten Konsum mit einer herzhaften Brotzeit und dem einen oder anderen Kaltgetränk. An der Floßlände angekommen, entdecke ich eine Menschentraube, die hier zwei Dinge zelebriert: die „Erfindung“ des Flusssurfens an eben dieser Stelle vor 50 Jahren und die Aufnahme des Wellenreitens in die Reihe der olympischen Sportarten andererseits. Geplant ist, mit dem olympischen Feuer auf der Welle zu reiten. Wird sicher unterhaltsam.

Am Dienstag tauche ich dann schon tagsüber in das Münchner Nachtleben ein. Ich besuche das Atomic Café. Richtig gelesen: Teile des historischen Clubs sind in der Ausstellung „Nachts. Clubkultur in München“ im Münchner Stadtmuseum zu sehen. Die Ausstellung hat sich vorgenommen, die Rolle des Nachtlebens für die gesellschaftlichen Entwicklungen und politischen Auseinandersetzungen in der Stadt seit den Fünfzigerjahren zu untersuchen. Dass Kultur in München nicht nur ins Museum gehört, erlebe ich dann im Laufe des Nachmittags: Noch habe ich mich nicht entschieden, ob ich lieber dem Kunst im Quadrat-Festival auf der Theresienwiese einen Besuch abstatte. Hier veranstaltet das Bellevue di Monaco einen Poetry Slam und danach werden mich beim Fusion-Jam Musiker aus unterschiedlichsten Stilrichtungen zum Tanzen bringen – die legendären Jam Sessions aus der Glockenbachwerkstatt konnten inzwischen leider seit Längerem nicht mehr stattfinden. Oder vielleicht fahre ich doch noch zum Olympiastadion, wo die diesjährige Sommerbühne intime Konzerte vor olympischer Kulisse verspricht. Heute treten Granada auf, die Shooting-Stars aus Österreich. Begleitet werden sie vom Münchner Paul Kowol, ein altbekanntes Gesicht, der schon öfter auf Veranstaltungen unserer SZ-Junge-Leute-Seite aufgetreten ist.

Am Mittwoch möchte ich dann wirklich ausspannen. Nirgendwo in München ginge das zurzeit wohl besser als im ehemaligen Freibad Georgenschwaige in Schwabing, das jetzt unter dem Namen Fritzi und Karl zu einer quirligen Freifläche mit Biergarten, Beachvolleyballplätzen und Open-Air-Kino umfunktioniert wurde. Heute Abend läuft hier ein Klassiker: Notting Hill. Falls ich bei diesem Schmusefilm doch alleine sein sollte, ziehe ich lieber weiter. In die Muffathalle, dort finden Open Air inzwischen auch wieder Konzerte statt. Il Civetto aus Berlin gibt uns dort heute die Ehre – auf deren bunten Sound, der Sprachen und Musikstile überschreitet, freue ich mich tatsächlich schon besonders.

Am Tag darauf, es ist schon Donnerstag, habe ich nicht viel vor. Ich schlafe aus, und gehe erst am frühen Abend vor die Tür. Mit der U-Bahn fahre ich nach Giesing. Auf dem Giesinger Grünspitz wird heute ein spannender, unkonventioneller Film gezeigt. „Es geht durch die Welt ein Geflüster“ handelt von den Träumen und Utopien der sozialistischen Arbeiterbewegung in München nach dem Ersten Weltkrieg. Die Frage danach, in welcher Welt wir eigentlich leben wollen, wird hier in den Mittelpunkt gestellt. Um diesen Fragen genügend Raum zu geben, suche ich mir im Anschluss einen ruhigen Ort, möglichst weit abgeschottet. Es ist Sternschnuppennacht, und auch wenn heute nicht alle meine Wünsche in Erfüllung gehen könnten, genieße ich die Ruhe und die Zeit, über das Gesehene zu reflektieren. Ganz analog.

Und zack, schon ist es wieder Freitag. Meine Wochenendplanung läuft bereits auf Hochtouren. Auf ein Event kann und will ich mich jetzt einfach noch nicht festlegen, das scheint sich ja auch durch die ganze Woche schon zu ziehen. Zum Glück liegen meine beiden Favoriten ja nicht weit auseinander. Im Olympiastadion findet ab heute das diesjährige Theatron-Festival statt, eröffnet wird der ganze Spaß von Sophia Zoe & The Naked Groove sowie der Psychedelic Space Funk Band Compared to the Universe. Auf der anderen Seite des Olympiaparks, auf dem Kreativquartier an der Dachauer Straße, startet zeitgleich das Alligator:Go!-Festival für experimentelle Musik. Ganz nach dem vielversprechenden Motto „Im Zweifel für den Widerspruch“ lasse ich diese Woche mit erfrischenden, neuen Sounds ausklingen und falle danach müde und glücklich ins Bett. Und meinen Computer? Den habe ich tatsächlich die ganze Woche über nicht einmal angeschaltet.

Von Louis Seibert