Mit Hula-Hoop-Einlagen an einer Ampel finanziert sich Sophia Kurmann ihre Zirkusausbildung in Berlin
München/Berlin – Ein weißer Plastikreifen rollt über den Rücken, wird in die Luft geworfen, mit Leichtigkeit aufgefangen und kreist um die Beine von Sophia Kurmann, 23. Der Hula-Hoop-Reifen tänzelt um ihren Körper: erst Hüfte, dann Hals – bis sie in einer fließenden Bewegung durch ihn hindurch springt.
Sophia trägt bunte Blumenleggings mit Kniestrümpfen, einen gehäkelten Pullover und eine ausgeblichene Jeansjacke. Ihr Markenzeichen: wilde, braune Locken. Genauso widerspenstig wie ihre Frisur wirkt das Leben der jungen Frau aus München. Nach ihrem Abitur mit Bestnoten macht Sophia eine Weltreise. „Alle haben von mir erwartet, dass ich Medizin studiere. Aber ich will keine Ärztin werden“, sagt sie. Nach London, Fidschi und Australien zieht Sophia nach Brighton, um dort Mediawissenschaft zu studieren. Doch das Studium füllt sie nicht aus.
Zum ersten Mal versucht sich Sophia an dem Hula-Hoop-Reifen ihrer Mitbewohnerin im Wohnheim. In ihrer Kindheit und Jugend hat sie Fußball gespielt. Zeit für einen anderen Sport hatte sie nicht. Auch die anderen Mädchen im Studentenwohnheim wurden von Sophias plötzlicher Begeisterung für das Hula-Hoop-Tanzen angesteckt. Nachmittags standen sie nebeneinander auf der Wiese vor dem Gebäude und übten. Nach ein paar Wochen verloren die Kommilitoninnen wieder die Lust an dem Reifensport, Sophia nicht. Mit zwei Freundinnen trainierten sie in jeder freien Minute im Park. Ein paar Auftritte folgten. „Um richtig hoopen zu können, braucht man Geduld. Es dauert, bis sich ein richtiges Körpergefühl entwickelt. Mein Vater fand das gut, denn eigentlich gehört das nicht zu meinen Stärken“, sagt Sophia und lacht. Die junge Frau erkennt, dass sie nach ihrem Uni-Abschluss auf die Zirkusschule gehen möchte, um die Kunst mit dem Reifen richtig zu erlernen. Jedoch sind die Akrobatenschulen in England sehr teuer. Das Studium in Brighton haben ihre Eltern finanziert. Sophia möchte keine Unterstützung mehr – sie möchte auf eigenen Beinen stehen. Deswegen zieht sie nach Berlin, dort ist die Zirkusausbildung günstiger.
In ihrem WG-Zimmer in Berlin stehen mittlerweile zehn Hula-Hoop-Reifen an die Wand gelehnt. Angefangen hat sie mit einem großen, schweren Reifen, es folgten kleinere, leichtere. Auch einer mit LED-Lichtern und ein Feuerreifen. Der Effekt ist groß, doch besonders viel, außer ihn um die Hüften kreisen zu lassen, kann man nicht machen, da man den brennenden Reifen nicht mit der Hand anfassen kann. Verbrannt hat sich Sophia dabei noch nie, aber ihre Mähne muss sie hier zusammenbinden. So auch bei der „Party like Gatsby“ Anfang Juni im Lenbach Palais in München. Dort ist Sophia mit ihrem Hula-Hoop-Künsten zu sehen. „Es ist immer noch komisch, vor anderen aufzutreten.“ Lieber übe sie für sich allein. „ Im Sommer hoope ich wie in Trance und denke mir dann, wo die letzte Stunde hin ist“, sagt sie.
Mit kleinen Shows als Straßenkünstlerin verdient Sophia die Gebühren für die Artistenschule und ihren Lebensunterhalt. Sie wählt eine Straße im Prenzlauer Berg aus, bei der die Ampel ungefähr eine Minute eine Rotphase hat. Während die Autos halten, gibt sie vierzig Sekunden auf dem Fußgängerübergang eine kleine Show. Danach geht sie mit ausgestreckter Hand von Auto zu Auto und steckt die Münzen in ihren Brustbeutel. „Die meisten Autofahrer finden es lustig und geben gerne etwas. Aber es gibt auch die Autofahrer, die extra in eine andere Richtung schauen. Aber das ist okay. Keiner hat darum gebeten, dass ich vor ihnen performe“, erzählt Sophia.
Doch das Geld, das sie mit den Auftritten an der Ampel verdient, reicht nicht. „Die Artistenausbildung dauert drei Jahre, doch ich weiß nicht, wie lange ich es mir noch leisten kann“, sagt Sophia. Hauptberuflich Zirkusdarstellerin werden möchte sie nicht. Sie befürchtet, sonst den Spaß daran zu verlieren. „Ich habe mir gedacht, wenn nicht jetzt, wann dann. Nach der Uni ist man so ungebunden und frei, also warum nicht mal eine Zirkusausbildung machen“, sagt sie.
Stefanie Witterauf
Foto: Alexander Jesipow