Die Elektro-Szene in München wächst, eine Vielzahl an jungen DJs spielt tolle Sets – unter der Woche, denn für einen Wochenend-Auftritt werden sie nicht gebucht. Warum ist das so? Eine Spurensuche mit Lily Lillemor, Laetizia Megersa, Malcolm François und Moritz Butschek.
Von Wolfgang Westermeier
Spät, aber nicht zu spät. Wenn die Gäste sich warm, aber noch nicht müde getanzt haben. Wenn das erste Set vorbei, die Nacht aber noch jung und verheißungsvoll ist. Sonntag morgen um drei Uhr. Das ist die perfekte Uhrzeit. Dann sind die Clubs in München am vollsten, steuert die Stimmung auf ihren Höhepunkt zu. Wer in München als DJ auftritt, wünscht sich in aller Regel, für diese Zeit von einem der großen Elektro-Clubs gebucht zu werden. Fast alle jungen DJs dieser Stadt können davon nur träumen.
Das liegt einerseits daran, dass die namhaften Läden wie Harry Klein, Rote Sonne oder Blitz an den Wochenenden fast immer ein hochkarätiges Programm haben.
Die elektronische Tanzmusik ist schon lange im Mainstream angekommen, das Nachtleben eine globale Industrie mit internationalen Superstars und teils fünfstelligen Gagen. „Um für die Leute interessant zu bleiben, müssen wir ein internationales Booking anbieten“, sagt David Süß, der das Harry Klein betreibt. Die verbleibenden Zeiten an den Wochenenden – am Anfang und am Schluss – werden in der Regel von den sogenannten Residents bestritten: DJs, die schon lange mit dem jeweiligen Club zusammenarbeiten und dort regelmäßig auflegen. Sie kennen das Publikum und den Sound des Ladens, wissen, wie man die Leute anheizt, ohne zu viel vorwegzunehmen. Und das Publikum kennt die Resident-DJs, auch das ist wichtig.
Aber selbst wenn man als junger Münchner DJ nicht mit gut vernetzten Residents und weltweit gefeierten Stars in Konkurrenz stehen würde, wäre es immer noch sehr schwierig, einen der begehrten Wochenend-Auftritte zu landen. Denn in der Millionenstadt gibt es gerade mal eine Handvoll Clubs, die ernstzunehmende elektronische Musik spielen – Tendenz schrumpfend. Im April schloss der weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Techno-Club Mixed Munich Arts für immer seine Türen. Vergangene Woche verkündete das Bob Beaman sein Ende. Das Gebäude, in dem sich das Harry Klein befindet, wurde verkauft und soll in ein Hotel umgewandelt werden. Der Pachtvertrag des Bahnwärter Thiel endet 2022. Der Wettbewerb um die Flächen der Stadt macht sich auch im Nachtleben bemerkbar.
Ist München also ein hoffnungsloses Pflaster für junge Nachwuchs-DJs? „Es ist schon sehr schwer, da reinzukommen“, sagt Malcolm François-Friis. Der 26-Jährige, der als DJ unter dem Namen Malcolm François auftritt, hatte vor fünf Jahren bei einem Newcomer-Abend im Pimpernel sein Club-Debüt. Seitdem hatte er Gigs in Clubs wie der Roten Sonne, Bahnwärter Thiel und Harry Klein. Dass er an einem Wochenende in einer dieser Läden spielen darf, ist trotzdem noch selten. „Hier sind die Slots einfach krass limitiert“, sagt er.
Neu ist dieser Umstand nicht. Schon in den Neunzigerjahren, als sich die elektronische Musikszene in München gerade etablierte, waren die Freiräume rar. David Süß erinnert sich an die Zeit. „Es gab kaum eine Möglichkeit, irgendwas zu machen“, sagt er. Damals eröffnete er zusammen mit Dorothea Zenker und Peter Wacha den Techno-Club Ultraschall am ehemaligen Flughafen Riem. „Wenn man solche Partys nicht selbst veranstaltet hat, haben sie nicht stattgefunden“, sagt David Süß.
Dass man es auch einfach selbst machen kann – nach den eigenen Vorstellungen und mit dem eigenen Sound – zu dieser Erkenntnis ist auch Malcolm schnell gelangt. Über die Jahre hat er sich mit Partys in stillgelegten Industriegebäuden, Open Airs und einer Veranstaltungsreihe namens „Liebe zum Detail“ einen Namen gemacht. „Dadurch haben wir unsere eigene kleine Familie gegründet“, sagt Malcolm.
Dabei profitieren die Newcomer-DJs von heute von neuen technologischen Möglichkeiten. Während man früher noch eine kostspielige Plattensammlung benötigte, gibt es heute fast überall digitale Alternativen. „Mit dem Auflegen anzufangen, ist sehr einfach geworden“, sagt Lily Felixberger, 27. Als DJ nennt sie sich Lily Lillemor und kam vor zwei Jahren durch einen Wettbewerb zu ihrem ersten Auftritt: Sie schickte ein von ihr aufgenommenes Set an die Veranstalterinnen und durfte gleich im Marry Klein auflegen – so heißt das Harry Klein für einen Monat im Jahr, wenn der Club ausschließlich von Frauen bespielt wird. Seitdem hatte DJ Lily Lillemor ereignisreiche zwei Jahre, mit Auftritten nicht nur in München, sondern auch in Stuttgart, Berlin und Budapest.
Diese neue technologische Niedrigschwelligkeit sorgt aber auch für mehr Konkurrenz. „Elektronische Musik ist sehr massentauglich geworden. Deshalb muss man aufpassen, dass der eigene Sound nicht untergeht“, sagt Lily. „Das ist am Anfang natürlich schwer, weil man seinen Stil noch nicht gefunden hat.“
Menschen, die selbst mit dem Auflegen anfangen möchten, empfiehlt sie, zu Open-Decks-Veranstaltungen zu gehen. „Da kann man sich ausprobieren und man lernt wahnsinnig viele Leute kennen“, sagt Lilly. Auch die Veranstaltungen unter der Woche, etwa im Bahnwärter Thiel oder im Harry Klein, seien gute Anlaufpunkte. „Wir versuchen, die Donnerstage komplett mit Locals zu bespielen“ sagt David Süß. So soll der Nachwuchs gefördert werden. Und wer sich dort bewährt, hat durchaus eine Chance, auch mal am Wochenende spielen zu dürfen.
Nicht zu unterschätzen ist der Auftritt in den sozialen Medien und auf den Musikplattformen. „Die spielen definitiv eine große Rolle“, sagt Moritz Butschek. „Wer alle für sich relevanten Kanäle gut bespielt, hat die beste Möglichkeit, gehört zu werden.“ Der 28-Jährige ist verantwortlich für den Blog „Two in a row“, der seit neun Jahren die elektronische Clubszene der Stadt beleuchtet. Eigentlich hatte Moritz nie vor, selbst als DJ aktiv zu werden. Bei der Launchparty zum Blog stand er dann doch hinter dem Mischpult, mittlerweile ist er Resident im Bahnwärter Thiel.
Auch Laetizia Megersa, 23, misst Plattformen wie Soundcloud eine große Bedeutung zu. Vor gut zwei Jahren lud sie dort ein Set hoch, auf das der Booker vom Bahnwärter Thiel aufmerksam wurde. Der buchte sie daraufhin für ihren ersten Auftritt: in der Minna Thiel vor der Hochschule für Film und Fernsehen. Von dort aus führte eins zum anderen: Im Sommer spielte sie auf dem Wannda-Festival in Freimann, wo ein Produzent eines Berliner Labels sie bemerkte, weil sie einen Track spielte, den er verlegt hatte. Im nächsten Monat hatte sie einen Auftritt im Katerblau, einem der berühmtesten Clubs Berlins. „Ich bin deshalb immer noch total baff“, sagt Laetizia. „Was für eine Anhäufung von Glück und Zufällen.“
Auch die anderen kommen immer wieder auf zufällige Begegnungen zu sprechen. Tatsächlich aber lässt sich ein Muster erkennen: Alle vier sind hartnäckig, haben sich von einem kleinen Auftritt zum nächsten gehangelt. Sie schrecken nicht davor zurück, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und eigene Partys zu organisieren, sich in Kollektive einzubringen oder an die Clubs mit neuen Ideen heranzutreten. Und die vier DJs sind von einer Hingabe zur Musik durchdrungen. Ein Hoffnungsschimmer für die junge Club-Kultur der Stadt. Denn auch München kann internationale Größen hervorbringen – das weiß man seit Monika Kruse und DJ Hell.